Die Anwältin (eBook)
384 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-44646-1 (ISBN)
Bonnie Kistler ist die Autorin mehrerer psychologischer Thriller. 'Die Anwältin ... und plötzlich ist sie selbst das Opfer' ist ihr Debut auf dem deutschen Markt. Als ehemalige Prozessanwältin aus Philadelphia verleiht sie allem, was sie schreibt, Authentizität. Ihre Romane wurden als süchtig machend, fesselnd, verzaubernd und filmisch beschrieben. Sie und ihr Ehemann verbringen ihre Zeit teils in Florida, teils in den Blue Ridge Mountains.
Bonnie Kistler ist die Autorin mehrerer psychologischer Thriller. "Die Anwältin ... und plötzlich ist sie selbst das Opfer" ist ihr Debut auf dem deutschen Markt. Als ehemalige Prozessanwältin aus Philadelphia verleiht sie allem, was sie schreibt, Authentizität. Ihre Romane wurden als süchtig machend, fesselnd, verzaubernd und filmisch beschrieben. Sie und ihr Ehemann verbringen ihre Zeit teils in Florida, teils in den Blue Ridge Mountains.
Kapitel 1
Da war es, das Gefühl: der Rausch, der Nervenkitzel, die freudige Erregung, die wie flüssiges Gold durch ihre Adern flossen. Es traf sie in dem Moment, als sie vor die Türen des Gerichtsgebäudes trat. Andere Anwälte verspürten diesen Rausch, wenn sie sich zu Beginn oder am Ende der Verhandlung erhoben oder wenn die Geschworenen ihr Urteil verkündeten. Doch für Kelly McCann war es genau dieser Moment, die Siegesrunde, ihre triumphale Streitwagenfahrt durchs Kolosseum, während die Zuschauer auf den Tribünen jubelten. Es war besser als Drogen. Besser als Sex – zumindest als das, woran sie sich erinnerte. Ein Orgasmus war einer etwa zwanzigminütigen Anstrengung geschuldet, wohingegen das hier – das! – der Lohn für wochenlange Gerichtsverhandlungen, monatelange Vorbereitung und jahrelange Opfer war.
Die Menschenmenge drängte sich auf dem Gehsteig vor dem Gericht, ergoss sich auf die Straße. Die Reporter hatten sich nach vorn durchgedrängelt, im Hintergrund standen die Nachrichten-Vans der Fernsehsender mit ihren Dachantennen, die wie Radioteleskope in den Himmel ragten, auf der Suche nach extraterrestrischer Intelligenz. Kameras blitzten, als Kelly das Gebäude verließ und oben an der Treppe stehen blieb. Sie blickte in ein Meer von Gesichtern und Mikrofonen, die sich ihr entgegenreckten. Die Medien hatten sich versammelt – was ihrem Team geschuldet war –, genau wie die Demonstranten – was wiederum den Medien geschuldet war –, die handgeschriebene Schilder hochhielten. #ME TOO und GERECHTIGKEIT FÜR REEZA und NEHMT VERGEWALTIGUNG ERNST! und GLAUBT REEZA!. Einige von ihnen waren seit dem Tag der Jury-Auswahl dabei, und ihre Schilder waren mittlerweile eingerissen und aufgeweicht vom Regen – ein stolzes Zeichen ihrer Ausdauer.
Auf der anderen Seite hatten sich die Gegendemonstranten versammelt, zahlenmäßig ungefähr gleich stark. Auch sie hielten Plakate in die Höhe: GERECHTIGKEIT FÜR GEORGE! DR. B. DARF NICHT ENTLASSEN WERDEN! und – was am häufigsten vertreten war – RETTET UNSEREN RETTER!. Vielleicht ein wenig übertrieben, aber es war nicht das erste Mal, dass er so bezeichnet wurde. Immerhin war er der Mann, der möglicherweise Alzheimer geheilt hatte.
Kelly blieb stehen, um den Fotografen ihre Aufnahmen zu ermöglichen. Sie war formell gekleidet, trug einen schwarzen Hosenanzug und eine weiße Bluse, dazu eine Schildpattbrille. Ihre blonden Haare hatte sie zu einer festen Banane hochgesteckt und bis auf ihren Ehering auf Schmuck verzichtet. Ebenfalls verzichtet hatte sie auf die zu erwartenden »vernünftigen« flachen Schuhe. Stattdessen war ihre Wahl auf ein Paar schwarze Pumps mit Zehn-Zentimeter-Absätzen gefallen. Da sie selbst nur eins achtundfünfzig groß war, brauchte sie diese zusätzlichen Zentimeter.
Dies war ihr unverkennbarer Look, seit sie während ihrer Anfangszeit im Büro der Staatsanwaltschaft mitbekommen hatte, dass ihre Kolleginnen und Kollegen sie »die Cheerleaderin« nannten. Auch wenn ihre Highschool-Vergangenheit nie publik geworden war, hatte sich dieser Spitzname nicht vermeiden lassen. Sie war nun mal eine zierliche Blondine mit einem Südstaatenakzent, einer Vorliebe für leuchtende Farben und etwas zu viel Begeisterung für ihren Job. An ihrer Größe konnte sie nichts ändern, an ihrem Akzent wenig, doch die leuchtenden Farben hatte sie sofort verbannt.
Ihr Team bildete eine V-Formation hinter ihr, wie Gänse auf dem Weg nach Süden. An der Spitze ihre Mitarbeiterin Patti Han, eine brillante junge Anwältin, deren Talente auf dem Stuhl neben Kelly verschwendet waren. Als Nächste kam Kellys Assistentin Cazzadee Johnson, eine langbeinige Schönheit, deren Kompetenz und Gelassenheit ebenfalls unverzichtbar für Kellys Erfolg waren. Zwei Männer bildeten die Nachhut: der Anwalt aus Philadelphia, der als ihr lokaler Berater fungierte, und der Anwalt aus der Vorstadt, ihr hyperlokaler Berater – beide weiß und beide so unscheinbar, dass Kelly sie regelmäßig miteinander verwechselte. Auch sie galten als unverzichtbar, allerdings nur, weil die hiesige Verfahrensordnung dies vorschrieb – eine Möglichkeit, die Anwälte und Anwältinnen der Stadt vor in fremdem Revier wildernder Konkurrenz aus anderen Bundesstaaten zu schützen, zum Beispiel vor Kelly. Javier Torres, ihr Ermittler, zählte ebenfalls zum Team. Auch er war anwesend, wenngleich nicht auf den Stufen vor dem Gerichtsgebäude. Er lief Patrouille, schlich geschmeidig wie ein Panther durch die Menge.
»Zehn lange Monate«, begann Kelly, »hat Dr. Benedict die Last einer falschen Anschuldigung tragen müssen.« Ihre Stimme schallte die Stufen hinunter bis auf die Straße. »Sein Ruf wurde beschmutzt. Seine Familie traumatisiert. Er erhielt Hassbriefe und sogar Todesdrohungen. Zudem wurde er an der Ausübung seiner Arbeit gehindert – seiner lebenswichtigen, kritischen Arbeit. All dies ist der abscheulichen Macht falscher Bezichtigungen geschuldet. Und das Schlimmste daran ist, dass er all das stillschweigend ertragen musste. Unser Rechtssystem sieht vor, dass er kein Wort zu seiner eigenen Verteidigung hervorbringen durfte.«
Selbstverständlich war es Kelly gewesen, die ihm verboten hatte, sich zu äußern, aber das musste die Menge nicht wissen.
»Heute haben endlich zwölf aufrechte Männer und Frauen das Wort für ihn ergriffen und diese schreckliche Anschuldigung entkräftet.« Sie gestattete sich ein Lächeln, ein breites, strahlendes Lächeln, das wie das Licht des Sonnenaufgangs auf die vor dem Gerichtsgebäude versammelte Menge fiel. »Die Geschworenen kamen zu dem Ergebnis, ihn in allen Punkten freizusprechen – nicht schuldig!«
Die Demonstranten begegneten ihrer Erklärung mit Buhrufen, doch sie hörte nur den Applaus und das Jubeln der Gegendemonstranten. Als gute Cheerleaderin hatte sie genau gewusst, wie sie ihre Seite aufpeitschen musste, um die andere zum Verstummen zu bringen. Diese Methode funktionierte auch heute noch. Triumphierend riss sie beide Arme in die Höhe, und Team Benedict brüllte seine Zustimmung und ließ das Blut in ihren Adern schneller fließen.
Dieser Moment war ihre Entschädigung für alles, was sie geopfert hatte und was sie noch auf sich nehmen würde. Seit zehn Jahren tat sie nichts anderes, als Männer zu verteidigen, denen Sexualverbrechen vorgeworfen wurden. Sportler und Musiker waren ihr täglich Brot, gelegentlich kam ein CEO hinzu. Es war eine schmutzige Arbeit – die Anschuldigungen an sich waren schmutzig, genau wie die grenzwertigen Taktiken, um sie zu entkräften. Die dreisten Wege, Zweifel zu säen. Mitunter kam sie sich selbst beschmutzt vor, als würde Dreck an ihren Händen kleben – dunkle Flecken ihrer Komplizenschaft. Doch Momente wie dieser ließen die Flecken verschwinden. Es war, als würde man ein Streichholz an Zunder halten und die Flammen aufflackern sehen. Läuterung durch Feuer, Silber im Schmelzofen.
Sie liebte es zu gewinnen. Sie lebte, um zu gewinnen. Das war das ganze Geheimnis ihres Erfolgs. Ihre Siege waren nicht ihrer übermäßigen Brillanz im Gerichtssaal geschuldet. Sie besaß nicht mehr Talent als eine Durchschnittsanwältin oder ein Durchschnittsanwalt. Was sie dagegen besaß, war diese beständige Siegeslust.
Schon früh im Leben hatte sie begriffen, dass sie weder bei sportlichen noch bei akademischen Wettbewerben je mehr als den zweiten Platz erringen würde. Also fand sie andere Möglichkeiten, um ihren Drang, sich mit anderen zu messen, zu befriedigen: bei den Cheerleaderinnen, in der Theater-AG, im Debattierklub. Die juristische Fakultät war eine natürliche Folge, die Strafprozessarbeit der krönende Abschluss. Die meisten ihrer Fälle erledigte sie zügig und ohne großes Aufheben, doch zwei, drei Mal pro Jahr brachte sie sie vor Gericht. Stets im Interesse ihrer Mandanten, wie sie behauptete, doch zugegebenermaßen auch, um ihren Ruf als Spitzenanwältin hochzuhalten. Und genauso fühlte sie sich im Augenblick: Sie stand an der Spitze.
»Ich möchte mich bei den Geschworenen für ihren Einsatz bedanken!«, rief sie. »Sie haben mehr als drei Wochen ihres Lebens geopfert, haben endlose Stunden der Zeugenaussagen und noch mehr Stunden sorgfältiger Beratungen auf sich genommen. Doch am Ende haben sie Dr. Benedict zur Gerechtigkeit verholfen und damit all den Menschen auf der ganzen Welt die Hoffnung zurückgegeben, die auf Dr. Benedict und seine lebensrettende Arbeit angewiesen sind!«
Der Jubel wurde noch lauter, so laut, dass er die Proteste der Gegendemonstranten und -demonstrantinnen erstickte.
»Dank dieser Geschworenen und ihres herausragenden Einsatzes muss Dr. Benedict nun nicht länger schweigen. Doktor?«
George Carlson Benedict, Doktor der Medizin, schlurfte nach vorn, um Kellys Platz am oberen Treppenabsatz einzunehmen – ein fünfzigjähriger, grauhaariger Mann mit Brille in einem leicht zerknitterten grauen Anzug. Seine Schultern waren gebeugt, zweifelsohne von der jahrelangen Arbeit am Mikroskop.
Er sah nicht aus wie ein Multimillionär, aber als Mehrheitsaktionär von UniViro Pharmaceuticals fiel er mit Sicherheit in diese Kategorie. Er sah auch nicht aus wie eine internationale Berühmtheit, wenngleich er eine war. Es kam selten vor, dass einem Wissenschaftler so viel Anerkennung gezollt wurde, doch Dr. Benedict hatte es geschafft. Er war der Mann, dem es vielleicht, hoffentlich, gelungen war, die meistgefürchtete Krankheit der Welt zu heilen. Dafür hatte man ihm schon die Presidential Medal of Freedom...
Erscheint lt. Verlag | 2.12.2024 |
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Übersetzer | Kristina Lake-Zapp |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Amerikanischer Thriller • Anwältin • beste psychothriller • Bonnie Kistler • Boston • female revenge • female revenge thriller • gute psychothriller • Her • Justice • krimi thriller bücher • lawyer • must read thriller • neue thriller bücher • Pageturner • Philadelphia • psychological thrillers • Psychothriller • Psychothriller bücher • psychothriller USA • Rache • Rache Thriller • revenge • Sexual assault • spannende Bücher • Spannende Bücher für Frauen • spannende Thriller • Thriller • Thriller Bücher • thriller neuerscheinungen 2024 • too • USA • Verfolgungsthriller |
ISBN-10 | 3-426-44646-4 / 3426446464 |
ISBN-13 | 978-3-426-44646-1 / 9783426446461 |
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