Der Königsmord von Bamberg (eBook)
368 Seiten
Emons Verlag
978-3-98707-133-1 (ISBN)
Anna Degen ist das Pseudonym der Historikerin Karin Dengler-Schreiber. Sie promovierte über die mittelalterlichen Handschriften des Klosters Michelsberg. Sie beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Bamberger Geschichte und den Häusern der Stadt und dem, was sie erzählen. Für ihre umfangreiche ehrenamtliche Tätigkeit erhielt sie 2004 das Bundesverdienstkreuz. Sie lebt in Bamberg.
Anna Degen ist das Pseudonym der Historikerin Karin Dengler-Schreiber. Sie promovierte über die mittelalterlichen Handschriften des Klosters Michelsberg. Sie beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Bamberger Geschichte und den Häusern der Stadt und dem, was sie erzählen. Für ihre umfangreiche ehrenamtliche Tätigkeit erhielt sie 2004 das Bundesverdienstkreuz. Sie lebt in Bamberg.
SOPHIES KLEINE WELT
Bamberg, 20. Juni 1208
An diesem Freitag, dem Tag vor St. Alban des Jahres 1208, war Bischof Ekbert mit seiner gesamten Familie, mit den Herren des Domkapitels und einem prächtigen Gefolge zahlreicher Ritter am frühen Nachmittag den Berg hinaufgeritten, um König Philipp zu begrüßen. Dort oben, kurz vor dem Wildensorger Pass, hatte mein Vater ein großes Zelt aufstellen lassen, in dem Philipp und seine Gemahlin Irene-Maria ihre Reisekleidung gegen die feierlichen Staatsgewänder für den Einzug in die Stadt wechseln konnten.
Vater hatte den Platz sorgfältig gewählt, denn von dort aus hatte man den ersten Blick auf Bamberg, das sich am Fuß der Hügel unten im Flusstal ausbreitet. Vor gut hundert Jahren soll unser wunderbarer heiliger Bischof Otto an dieser Stelle vom Pferd gestiegen sein, um barfuß durch den Schnee bis zum Dom zu gehen. Diese Geschichte wurde uns Kindern immer wieder erzählt.
Vater hatte wirklich ein Gespür für Orte und Zeiten. Das war sicher einer der Gründe, warum Bischof Ekbert ihn zum Kämmerer machte, dem der gesamte bischöfliche Haushalt unterstand. Mit seinem Organisationstalent und seiner freundlichen Autorität hatte er sich allgemeine Anerkennung erworben. Das spürte ich von klein auf, wenn die Hofbediensteten mich auf den Arm nahmen oder mit mir spielten.
Den Ablauf des Festes hatte Vater seit Monaten geplant, denn die Hochzeit von Bischof Ekberts Bruder, Herzog Otto I. von Meranien, und König Philipps Nichte Beatrix, der Erbin von Burgund, war sowohl für den Bischof als auch den König selbst ein überaus bedeutsames und vor allem hochpolitisches Ereignis.
Vor acht Wochen war sogar der Reichstruchsess von König Philipp hier gewesen, und Vater war gemeinsam mit ihm sämtliche Stationen des feierlichen Einzugs abgegangen.
Und doch war trotz der guten Vorbereitung an diesem Tag einiges schiefgelaufen, wie man sich später erzählte. Das Pferd, das die Kinder dem König überbringen sollten, war, von einem besonders freudigen Trompetenstoß erschreckt, durchgegangen und durch die Menschenmenge geprescht. Es hatte einige Zeit gebraucht, das Tier wieder einzufangen und zurückzubringen. Den achtundvierzig Stiftsherren und Mönchen, die den König vor dem Burgtor begrüßen sollten, war die Warterei in der Hitze zu lang geworden, weshalb sie sich in die kühle Jakobskirche geflüchtet hatten. Vater musste sie erst wieder herbeiholen, damit sie sich neu aufstellten. Die Menschen, die schon seit Stunden in der heißen Sonne auf dem Domplatz und entlang der Straßen standen, um ihrem König zu huldigen, schwitzten, und die Blumen in ihren Händen ließen schon die Köpfe hängen.
Dennoch war die Stimmung gut. Ganz Bamberg hatte sich für den Empfang versammelt, denn es war schon sieben Jahre her, seit König Philipp das letzte Mal die Stadt mit seinem Besuch beehrt hatte, zum Fest der Heiligsprechung von Kaiserin Kunigunde. Die Feierlichkeiten hatten über eine Woche gedauert, und Vater hatte alle Mühe gehabt, für all die Gäste genügend Essen und Getränke herbeizuschaffen. Ich war damals erst fünf Jahre alt, aber ich kann mich noch genau an die Aufregung erinnern, die den ganzen Bischofshof in einen Ameisenhaufen verwandelt hatte.
Natürlich wollten jetzt alle den König, seine Gemahlin und ihre vier Töchter sehen, aber die Geduld der Menschen wurde auf eine harte Probe gestellt. Allmählich wurde es unten auf dem Domplatz unruhig, viele Leute suchten sich eine der spärlichen Schattenstellen, um sich hinzusetzen.
Ich dagegen war, wie schon oft, in mein Versteck geklettert, ein dämmriges Refugium hoch oben über dem Domplatz. Noch heute rieche ich den warmen Harzduft der Dachbalken und spüre in meinem Haar den leichten Luftzug, der dort immer zwischen den Mauern entlangstrich. Mein geheimes Reich lag in der Kuhle zwischen dem steilen Dach der Andreaskapelle und der weit überstehenden Traufe der Pfalz, und ich nannte es »meine kleine Welt«.
Zwischen dem achten Eck der Kapelle und der Pfalz gibt es nämlich einen dreieckigen Raum, der unten als Sakristei genutzt wird und im Obergeschoss als Lagerraum dient, für Putzsachen, Streusand und die Tischtafeln aus dem großen Saal. Dort sind in die Wand Metallkrampen eingelassen, damit die Dachdecker durch eine Luke aufs Dach steigen können. Sonst nutzt sie eigentlich keiner, und ich achtete stets sehr darauf, dass niemand mich sah, wenn ich hinaufkletterte. Auf diesem Weg entkam ich immer wieder für kurze Zeit meinen Pflichten, um zu träumen oder auch um zu beobachten, was unten auf dem Domplatz passierte. Dort lag ich dann unter dem schützenden Rand des Dachs auf dem zerrissenen Rest eines alten Teppichs, den Mutter hatte wegwerfen wollen, und konnte über das Tal der Regnitz hinweg bis hinüber zur Giechburg schauen.
In einer kleinen Holzkiste, die ich zwischen die Sparren geklemmt hatte, steckten all meine Schätze: ein paar Münzen, die mir Gäste des Bischofs beim Aufwarten zugesteckt hatten, eine winzige hölzerne Marienfigur, die Mutter von einer Pilgerreise mitgebracht hatte, mein schönstes, leuchtend blaues Haarband, das ich mir gern in den langen Zopf flocht, und, als Wertvollstes von allem, eine Wachstafel mit einem Griffel. Ich konnte mit meinen zwölf Jahren nämlich nicht nur lesen, sondern sogar schreiben, und darauf war ich unbändig stolz. Das können eigentlich nur adelige Mädchen; sogar die meisten Männer müssen, wenn sie einen Brief bekommen, ja immer noch ihren Kaplan herbeirufen, damit er ihnen das Schriftstück vorliest.
Aber ich hatte großes Glück gehabt. Meine Mutter war vor ihrer Hochzeit Zofe bei der Gräfin Nicole gewesen, einer Hofdame von Kaiserin Beatrix. Als Beatrix Kaiser Friedrich Barbarossa heiratete, war die Gräfin zu ihrer Begleitung aus Burgund mit nach Deutschland gekommen. Mutter bekam immer ganz leuchtende Augen, wenn sie von ihrer »Comtesse« erzählte, die sie fast wie eine Freundin behandelt und ihr Lesen und Schreiben beigebracht hatte.
In ihrer Gegenwart war es Pflicht gewesen, sich »höfisch« zu benehmen, so wie das in Frankreich der Brauch war – Sauberkeit, feine Tischsitten und maßvolles Verhalten waren Voraussetzung, um in den engeren Kreis der Gräfin aufgenommen zu werden; dort hatte keiner abgenagte Knochen auf den Tisch gespuckt oder sich ins Tischtuch geschnäuzt.
Einen Abglanz dieser guten Sitten hatte Mutter, die die Küche und die gesamte Dienerschaft unter ihrer Fuchtel hatte, auch auf den Bamberger Bischofshof übertragen. Und natürlich brachte sie auch ihrer Tochter »feines Benehmen« bei. In diesem Punkt machte ich ihr die Erziehung allerdings leicht: Ich sog jede ihrer Geschichten über die »Comtesse« in mich auf und wollte sie wieder und wieder hören, übte Schreiben wie eine Besessene und las alles, was ich in die Finger bekam. Es war wenig genug. Ach, was war das für eine Freude, als ich einmal eines der Ritterbücher, die Bischof Ekbert so gern las, beim Saubermachen in seinem Zimmer fand und für ein paar Stunden in mein Reich mitnehmen konnte. Die Aufregung war riesig, als man den Verlust entdeckte, und nur mit Mühe gelang es mir, das Buch heimlich ins Zimmer zurückzubringen und es dann wie zufällig hinter einer Truhe »wiederzufinden«.
Ich glaube, das war die glücklichste Zeit meines Lebens. Meine größte Sorge war, dass ich hoffentlich nicht so bald meine Rosen bekam, damit sie sich mit Heiratsplänen für mich noch Zeit ließen. Damals interessierten Männer mich überhaupt noch nicht, außer Bischof Ekbert natürlich. Für den schwärmte ich seit meinem achten Lebensjahr, als er mich einmal vorn auf sein Pferd genommen hatte und mit mir über den Burghof geritten war. Seine schönen schmalen Hände waren zwar hart und schwielig vom Reiten und Kämpfen, hatten mir aber erstaunlich sanft übers Haar gestrichen. Seitdem war er mein Abgott.
Er sah ja auch wirklich sehr gut aus, groß und schlank – ja, damals war er noch schlank –, mit strahlend blauen Augen unter hochgeschwungenen Augenbrauen. Vor allem aber sein Lächeln – da wurden allen Mädchen die Knie weich. Als dritter Sohn hatte er Geistlicher werden müssen, aber eigentlich war er seiner Natur nach ein Kriegsmann, ein Ritter, wie er im Buche steht. Und mächtig stolz auf den Aufstieg seiner Familie.
Dazu hatte er ja auch gerade zu der Zeit, von der ich erzähle, allen Grund: Am nächsten Tag würde sein Bruder Otto, der Herzog von Meranien, die Nichte des Königs heiraten. Damit wurde Ekbert ein enger Verwandter des deutschen Königs, er, der schon der Schwager des französischen und des ungarischen Königs war. Seine Familie gehörte so zu den höchsten Adelsfamilien Europas. Darauf konnte man schon stolz sein.
Aber Stolz ist eine gefährliche Sache, denn der Schritt zum Hochmut ist klein. Und Hochmut kommt vor dem Fall, wie das Sprichwort sagt. Manchmal taucht ganz plötzlich vor dem hellen Hintergrund das große Rad der Fortuna auf, das die Menschen auf der einen Seite emporhebt und sie auf der anderen hinabschleudert. Ich frage mich immer wieder, wer an diesem Rad wohl dreht.
Sophies Notizen
Bamberg, im Juli 1248
Vorhin ist Ela vorbeigekommen und hat mir ein Körbchen voll Himbeeren und außerdem – oh, welche Freude! – die Bedenken ihrer Familie mitgebracht. Alle würden sich aufregen über meinen Entschluss, meine Erinnerungen aufzuschreiben. Vor allem ihre Mutter, meine Tochter Barbara, mache sich ›solche Sorgen‹, ich sei doch nicht gesund und die Anstrengung würde mir sicher schaden. »Morgen will Mutter dich besuchen, sobald sie die große Wäsche hinter sich hat. Sie wird versuchen, dir das Schreiben auszureden.« Ela fasste meine Hand. »Lass das nicht...
Erscheint lt. Verlag | 27.6.2024 |
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Reihe/Serie | Historischer Roman | Historischer Roman |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Schlagworte | 1200 • 13. Jahrhundert • Bamberg • historisch • Historischer Roman • Königsmord • Minnesang • Mittelalter • Mittelalterroman • Mord • politisch • Rittertum • spannend • Spannung |
ISBN-10 | 3-98707-133-8 / 3987071338 |
ISBN-13 | 978-3-98707-133-1 / 9783987071331 |
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Größe: 3,9 MB
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