Glutmoor (eBook)
368 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3149-2 (ISBN)
Lars Engels, Jahrgang 1992, ist Werbetexter und Autor.So oft wie möglich zieht es ihn vom Schreibtisch weg in die Natur, um neue Inspiration zu sammeln. Er lebt in Neuss, doch die Geschichten von der Moorlandschaft an der Rhön haben ihn schon immer fasziniert.
Lars Engels, Jahrgang 1992, ist Werbetexter und Autor.So oft wie möglich zieht es ihn vom Schreibtisch weg in die Natur, um neue Inspiration zu sammeln. Er lebt in Neuss, doch die Geschichten von der Moorlandschaft an der Rhön haben ihn schon immer fasziniert.
AUSGELÖSCHT
25. August 2022
06:32 Uhr
39 JAHRE SPÄTER …
Das Moor brannte seit Tagen.
Am Horizont schraubten sich tiefschwarze Rauchsäulen in den Purpur des Morgengrauens. Kilometerweit sah man das unheilvolle Glühen, ein sich schier endlos ausdehnender Scheiterhaufen, in dem dieser Spätsommer langsam in Flammen aufging. Feuerwehr, Bundeswehr, THW – sie alle schienen machtlos gegen die entfesselte Wut der Moorbrände.
Der beißend-modrige Rauchgestank machte sich im Auto breit. Carina kurbelte das Fenster ihres altersschwachen Peugeots hoch. Die Klimaanlage funktionierte schon ewig nicht mehr, also ließ sie sich nach einer langen Nachtschicht immer den Fahrtwind um die Nase wehen. Ein probates Mittel gegen ihre bleierne Müdigkeit.
Sie konnte es kaum erwarten, zu Hause ihre Verdunklungsvorhänge zuzuziehen, sich die Ohren zu verstöpseln und ordentlich Schlaf nachzuholen.
Abends wollte sie mit ihren Eltern, ihrem Bruder und ihrem Neffen auf die Schützenkirmes. Da musste sie fit sein!
An diesen Heimweg werde ich mich nie gewöhnen, dachte sie, als sie das Ortsschild von Grimmbach passierte. Auch nach zwei Monaten fühlte es sich noch immer genauso seltsam an wie am ersten Tag: nicht nach Hause zu Cedric zu fahren, sondern stattdessen zu ihren Eltern.
Aber sie hatte einen Schlussstrich ziehen müssen. Wie sagte Papa immer? Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.
Ihre Eltern waren sowieso nie große Fans von Cedric gewesen.
Jetzt wohnte sie wieder übergangsmäßig auf den zwölf Quadratmetern ihres alten Kinderzimmers. Das Zusammenleben mit ihren Eltern gestaltete sich zum Glück ohne größere Konflikte, trotzdem wollte sie sich langsam mal um eine eigene Wohnung kümmern.
»Ich ziehe aus, Cedric, so geht es nicht mehr weiter.«
Es war die richtige Entscheidung gewesen. Das meinten alle.
Vielleicht würde es sich auch irgendwann so anfühlen.
Ihr Magen knurrte und zog sich zusammen. Gleich würde sie noch gemeinsam mit den anderen frühstücken, bevor sie sich ins Bett legte. Eigentlich war es für Carina eher ein Abendessen. Sie freute sich darauf. Es würde ein richtig schönes großes Sonntagsfrühstück werden. Mit dem Rührei, das nur ihre Mama so cremig hinbekam, warmen Brötchen und frisch gepresstem Orangensaft. Ihr Bruder Maximilian und sein Sohn Paul hatten bei ihnen übernachtet.
Komisch, dachte sie bei einem Seitenblick auf ihr Handy. Ihr Papa – der notorische Frühaufsteher – schrieb ihr eigentlich immer um sechs Uhr die gleiche Textnachricht: »was darfs vom bäcker sein?«
Heute hatte er noch nichts geschickt. Vielleicht war er ausnahmsweise mal länger im Bett liegen geblieben.
Bereits so früh am Morgen war die Hitze erdrückend und ließ für den Rest des Tages nichts Gutes erahnen. Mal sehen, ob heute ein neuer Hitzerekord aufgestellt werden würde.
Auf ihrer Station häuften sich die Fälle von Kreislaufkollaps und Hitzschlag. Unter den Patienten waren auch immer mehr Jüngere.
»Ich liebe meinen Job, aber ich hasse die Begleitumstände.«
Das war ihr Standardspruch, wenn jemand sie auf ihren Beruf ansprach. Carina war Krankenpflegerin aus Überzeugung. Sie wollte Menschen helfen, das war schon immer ihre Erfüllung gewesen. Doch gerade die letzten Jahre hatten es ihr nicht leicht gemacht, diese Leidenschaft aufrechtzuerhalten.
Viele Kollegen hatten aus Enttäuschung oder Erschöpfung (oder einer Kombination aus beidem) das Handtuch geworfen. Oft genug hatte auch sie sich schon bei dem Gedanken daran ertappt, hinzuschmeißen. Momentan rollte wieder eine mittlere Ausfallwelle über sie hinweg. Einige Kollegen waren krank, andere im Urlaub oder wie ihre Freundin Helen in Mutterschutz, und schon kam die Station an ihre Belastungsgrenze.
Auch heute war Carina wieder länger geblieben, um ihre Patienten halbwegs anständig übergeben zu können.
Auf der Grimmbacher Hauptstraße bog sie ab ins Komponistenviertel, so schimpfte sich das Neubaugebiet, das Anfang der 2000er erschlossen worden war – damals, als ein Hausbau noch nicht ein völlig utopisches Vorhaben gewesen war.
»Was für eine langweilige Spießer-Ecke«, hatte Cedric gespöttelt, als sie ihn das erste Mal zu ihren Eltern mitgenommen hatte. Zugegeben, die Dichte an Gabionen, Carports, Heckenrosen und kleinlichen Nachbarschaftsstreits war hier wirklich bestürzend hoch.
Aber selbst hier gelang es nicht, die penibel gestutzten Rasenflächen grün zu halten – trotz reichlichem Einsatz von minutiös getimten Rasensprengern. Wohin sie auch sah, überall in den Vorgärten zeigten sich braune Flächen. Sie konnte sich nicht einmal daran erinnern, wann es das letzte Mal geregnet hatte.
Sie parkte auf dem Gehweg vor dem Haus. Papas Wagen stand in der Garage, Maximilians Volvo in der Einfahrt. Zum Glück gab es hier keinen Mangel an Parkplätzen. Sie gähnte einmal herzhaft, nahm ihre Handtasche vom Beifahrersitz und stieg aus.
»Ach, die junge Frau Sander! Guten Morgen!«
Herr Krey, der Nachbar ihrer Eltern, hob seine Schirmmütze zum Gruß. Sein weißer West Highland Terrier Titus trippelte schwanzwedelnd auf sie zu und sprang an ihren Beinen hoch.
»Hey, Titus! Aus! Das sollst du doch nicht machen!«, rief Krey. »Wozu gehen wir eigentlich zur Hundeschule?«
Carina kicherte und kraulte den jungen Hund hinter den Ohren. »Das macht doch nichts!«
»Wir drehen heute Morgen auch nur eine ganz kurze Runde. Die Hitze ist ja schon jetzt kaum auszuhalten. Die bekommt dem Kleinen nicht. Und mir in meinem Alter erst recht nicht.«
Herr Krey musste Anfang sechzig sein, ungefähr im gleichen Alter wie Papa. Er hatte früher mal eine IT-Firma gehabt und half ihren Eltern manchmal bei Computerproblemen aus.
»Sie kommen von der Arbeit, nicht wahr? Dann will ich Sie auch gar nicht lange aufhalten«, sagte Krey. »Richten Sie Ihren Eltern meine Grüße aus.«
»Mache ich!«, sagte sie dankbar und öffnete das Gartentor.
Schnellen Schrittes durchquerte sie den Vorgarten und kramte ihren Schlüsselbund heraus. Auf der Türschwelle lag noch die Sonntagsausgabe der Rhön-Nachrichten. Papa hatte die Zeitung noch nicht reingeholt? Was war denn heute bitte mit ihm los?
Sie drehte den Schlüssel im Schloss und drückte mit der Schulter die schwere Glastür auf.
Aus dem Nichts beschleunigte sich ihr Herzschlag, und ein Frösteln überkam sie.
Irgendetwas stimmte nicht.
Es war still. Viel zu still.
Bestimmt gab es eine ganz einfache Erklärung. Papa schlief wahrscheinlich noch. Doch bisher war er immer schon wach gewesen, wenn sie nach Hause gekommen war. Sie wusste noch nicht, warum, aber etwas in ihrem Inneren, in ihrem Unterbewusstsein wechselte in Alarmbereitschaft.
Sie stellte die Handtasche auf der Kommode im Flur zwischen einer Brigade aus Froschfiguren ab (eine Sammelleidenschaft ihrer Mutter).
Es war sieben Uhr an einem Sonntag. Die anderen schliefen wahrscheinlich noch. War Papa gerade beim Bäcker? Sie schaute aufs Schuhregal – seine ausgelatschten Turnschuhe waren an ihrem gewohnten Platz.
Das Ziehen in ihrer Brust verstärkte sich. Als würde jemand ihr Herz zerknüllen wie einen alten Notizzettel.
Sie lief ins Wohnzimmer. Die Terrassentür stand einen Spaltbreit offen. Carina atmete tief durch. Puh, alles gut! Papa war bestimmt nur hinten im Garten und versuchte seine Blumen vor dem Verdursten zu retten. Sie wollte die Tür weiter aufschieben und in den Garten treten, da fiel ihr auf, dass das Schloss völlig zerstört war. Herausgebrochene Metallstücke lagen verstreut auf dem Laminat zu ihren Füßen.
Ihr wurde schwindlig. Sie musste sich am Glas abstützen.
Aufgebrochen! Die Tür war aufgebrochen worden!
Papa hatte mal davon erzählt, dass in der Nachbarschaft eingebrochen worden war, sogar am helllichten Tag. Waren ihre Eltern Opfer irgendeiner Diebesbande geworden?
»Hallo!?«, rief sie. »Mama? Papa?«
Keine Antwort.
Außer dem Schloss deutete nichts auf einen Einbruch hin. Wohnzimmer und Küche schienen völlig unangetastet. Keine herausgerissenen Schubladen, nichts, was offensichtlich gestohlen war, der Fernseher und auch sonst alle elektronischen Geräte standen an ihrem Platz, selbst Mamas Geldbörse lag auf der Theke der Durchreiche.
Sie erklomm die Treppe nach oben. Sie hielt sich am Geländer fest, so wacklig war sie auf den Beinen. Was war geschehen? Was war hier nur geschehen?
»MAMA? PAPA?«, rief sie.
Immer wieder.
Immer wieder keine Antwort.
Alle schlafen noch.
Sie schlafen einfach alle tief und fest.
Sie erreichte den Treppenabsatz. Die Holzjalousien waren heruntergelassen, der Flur, von dem die Schlafzimmer und Papas Arbeitszimmer abgingen, war in Zwielicht getaucht.
Und dort, auf dem rutschfesten Kurzflor-Läufer,...
Erscheint lt. Verlag | 1.7.2024 |
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Reihe/Serie | Janosch Janssen ermittelt | Janosch Janssen ermittelt |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Cold Case • DDR • Deutscher Ermittler • Deutschland • Dreiländereck • Ermittler • Ermittlerkrimi • Flucht in den Westen • klassisch • Kommissar • Kriminalroman • krimi serie • Leiche • Moor • Mord • Polizeiarbeit • Polizeikrimi • Rache • Rhön • Rotes Moor • Todesstreifen |
ISBN-10 | 3-8437-3149-7 / 3843731497 |
ISBN-13 | 978-3-8437-3149-2 / 9783843731492 |
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