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Die dritte Jungfrau (eBook)

Kommissar Adamsberg ermittelt

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024
544 Seiten
Blanvalet Taschenbuch Verlag
978-3-641-31676-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die dritte Jungfrau - Fred Vargas
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Zwei Tote, die jeder für Drogenopfer hält. Nur Adamsberg ist sicher - hier treibt ein Serienmörder sein Unwesen ...
Doppelmord an der Porte de la Chapelle in Paris. Bei den Opfern handelt es sich um zwei Kleinkriminelle, denen mit einem Skalpell die Kehle durchgeschnitten wurde. Weil die Gegend für ihre Drogenszene bekannt ist, hat das Rauschgiftdezernat den Fall an sich genommen. Doch die Kollegen haben ihre Rechnung ohne Adamsberg gemacht. Was keiner außer ihm gesehen hat: Die Toten haben Erde unter den Fingernägeln, die von dem Friedhof stammt, auf dem kürzlich ein Grab unerlaubt aufgebrochen wurde. Die nachfolgenden Ermittlungen konfrontieren Adamsberg mit seiner eigenen Vergangenheit. Doch ist er schnell genug, um den nächsten Morden zuvorzukommen?

Wenn Ihnen die Krimis um Kommissar Adamsberg gefallen, lesen Sie auch die Evangelisten-Reihe unserer internationalen Bestseller-Autorin Fred Vargas!

Fred Vargas, geboren 1957, ist ausgebildete Archäologin und hat Geschichte studiert. Sie ist heute die bedeutendste französische Kriminalautorin mit internationalem Renommee. 2004 erhielt sie für »Fliehe weit und schnell« den Deutschen Krimipreis, 2012 den Europäischen Krimipreis für ihr Gesamtwerk und 2016 den Deutschen Krimipreis in der Kategorie International für »Das barmherzige Fallbeil«.

1


Wenn er die Gardine seines Fensters mit einer Wäscheklammer feststeckte, konnte Lucio den neuen Nachbarn besser beobachten. Es war ein kleiner, dunkelhaariger Kerl, der eine Steinmauer ohne Lot hochzog, noch dazu mit freiem Oberkörper im kühlen Märzwind. Nachdem er eine Stunde auf der Lauer gelegen hatte, schüttelte Lucio kurz den Kopf, wie eine Eidechse ihrem regungslosen Mittagsschlaf ein Ende setzt, und löste seine erloschene Zigarette von den Lippen.

»Der da«, sagte er und gab damit schließlich seine Diagnose ab, »kein Lot im Kopf und keins in den Händen. Der folgt seinem eigenen Kompass. Gerad wie’s ihm passt.«

»Na, dann lass ihn doch«, sagte seine Tochter ohne große Überzeugung.

»Ich weiß, was ich zu tun habe, Maria.«

»Vor allem nervst du gern alle Welt mit deinen Geschichten.«

Der Vater schnalzte mit der Zunge.

»Du würdest anders reden, wenn du an Schlaflosigkeit leiden würdest. Neulich Nacht hab ich sie gesehen, so wie ich dich jetzt sehe.«

»Ja, das hast du mir erzählt.«

»Sie ging an den Fenstern im Obergeschoss vorbei, gespenstisch langsam.«

»Ja«, wiederholte Maria teilnahmslos.

Auf seinen Stock gestützt, war der alte Mann aufgestanden.

»Man hätte meinen können, sie warte auf die Ankunft des Neuen, sie hielte sich für ihre Beute bereit. Für ihn«, fügte er hinzu und deutete mit dem Kinn auf das Fenster.

»Wenn du dem davon erzählst«, sagte Maria, »wird es ihm zum einen Ohr rein- und zum andern wieder rausgehen.«

»Was er damit anfängt, ist seine Sache. Gib mir eine Zigarette, ich mach mich auf den Weg.«

Maria steckte ihrem Vater die Zigarette direkt zwischen die Lippen und zündete sie an.

»Herrgott, Maria, mach den Filter ab.«

Maria gehorchte und half ihrem Vater in den Mantel. Dann schob sie ein kleines Radio in seine Tasche, aus dem knisternd kaum hörbare Worte drangen. Der Alte trug es immer bei sich.

»Sei nicht zu grob zu dem Nachbarn«, sagte sie, während sie ihm den Schal richtete.

»Der Nachbar hat schon Schlimmeres erlebt, glaub mir.«

Adamsberg hatte unter dem wachsamen Auge des Alten von gegenüber unbekümmert gearbeitet und sich immer wieder gefragt, wann er ihn wohl leibhaftig prüfen käme. Er sah, wie er mit wiegendem Gang den kleinen Garten durchquerte, groß und würdevoll, ein schönes, von Falten gefurchtes Gesicht, weißes, volles Haar. Adamsberg wollte ihm schon die Hand geben, als er merkte, dass der Mann keinen rechten Unterarm mehr hatte. Er hob seine Maurerkelle als Willkommensgruß und blickte ihn ruhig und ausdruckslos an.

»Ich kann Ihnen mein Lot borgen«, sagte der Alte höflich.

»Ich komme schon zurecht«, antwortete Adamsberg und passte einen neuen Mauerstein ein. »Bei uns hat man die Mauern immer nach Augenmaß hochgezogen und sie stehen noch. Schief zwar, aber sie stehen.«

»Sind Sie Maurer?«

»Nein, ich bin Bulle. Polizeikommissar.«

Der alte Mann lehnte seinen Stock gegen die neue Mauer und knöpfte seine Strickjacke bis zum Kinn zu, das gab ihm Zeit, die Information zu verarbeiten.

»Fahnden Sie nach Rauschgift? Solche Sachen?«

»Leichen. Ich bin bei der Mordbrigade.«

»Gut«, sagte der Alte nach einem leichten Schock. »Ich war beim Parkett.«

Er zwinkerte Adamsberg zu.

»Nicht beim Börsenparkett natürlich, nein, ich hab Parkettfußböden verkauft.«

Wohl ein Spaßvogel gewesen, früher, dachte Adamsberg, während er seinem neuen Nachbarn verständnisvoll zulächelte, der sich offenbar ohne Zutun anderer über eine Kleinigkeit amüsieren konnte. Ein Spieler, eine Frohnatur, aber schwarze Augen, die einen unverhohlen musterten.

»Eiche, Buche, Tannenholz. Im Bedarfsfall wissen Sie, an wen Sie sich wenden können. In Ihrem Haus gibt’s nur Terrakottafliesen.«

»Ja.«

»Das ist nicht so warm wie Parkett. Ich heiße Velasco, Lucio Velasco Paz. Firma Velasco Paz & Tochter.«

Lucio Velasco lächelte breit, ließ dabei aber Adamsbergs Gesicht nicht aus den Augen, das er Millimeter für Millimeter genau inspizierte. Dieser Alte druckste doch herum, der hatte ihm doch irgendwas zu sagen.

»Maria hat die Firma übernommen. Sie ist nicht auf den Kopf gefallen, erzählen Sie ihr also bloß keine Albernheiten, das mag sie gar nicht.«

»Was denn für Albernheiten?«

»Albernheiten über Gespenster zum Beispiel«, sagte der Mann und kniff seine schwarzen Augen zusammen.

»Keine Sorge, ich kenne keine Albernheiten über Gespenster.«

»Das sagt sich so und dann kennt man eines Tages doch welche.«

»Mag sein. Ihr Radio ist nicht richtig eingestellt. Soll ich das für Sie machen?«

»Wozu?«

»Damit Sie die Sendungen hören können.«

»Nein, hombre. Deren Quatsch will ich nicht hören. In meinem Alter hat man das Recht erworben, sich nicht mehr alles gefallen zu lassen.«

»Natürlich«, sagte Adamsberg.

Wenn der Nachbar unbedingt ein Radio ohne Ton in seiner Tasche herumschleppen und ihn hombre nennen wollte, bitte schön, es stand ihm frei.

Der Alte ließ wieder ein Weilchen vergehen, sah prüfend zu, wie Adamsberg seine Mauersteine aneinandersetzte.

»Sind Sie zufrieden mit diesem Haus?«

»Sehr.«

Lucio machte einen kaum hörbaren Scherz und fing laut an zu lachen. Adamsberg lächelte freundlich. Es lag etwas Jungenhaftes in seinem Lachen, während seine gesamte übrige Körperhaltung darauf hinzudeuten schien, dass er für das Schicksal der Menschen auf dieser Erde mehr oder weniger verantwortlich war.

»Hundertfünfzig Quadratmeter«, fuhr er fort. »Ein Garten, ein Kamin, ein Keller, ein Holzschuppen. So was gibt’s in Paris nicht mehr. Haben Sie sich nicht gefragt, wieso Sie es für ein Butterbrot gekriegt haben?«

»Weil es zu alt ist, nehme ich an, zu heruntergekommen.«

»Und Sie haben sich nicht gefragt, wieso es nie abgerissen wurde?«

»Es steht am Ende einer Gasse, es stört niemanden.«

»Trotzdem, hombre. Seit sechs Jahren kein einziger Käufer. Hat Sie das nicht stutzig gemacht?«

»Also eigentlich, Monsieur Velasco, macht mich kaum etwas stutzig.«

Adamsberg strich den überstehenden Mörtel mit der Kelle ab.

»Aber nehmen Sie mal an, es machte Sie stutzig«, beharrte der Alte. »Nehmen Sie mal an, Sie würden sich fragen, wieso das Haus nie einen Abnehmer fand.«

»Weil die Toilette draußen ist. Das ertragen die Leute nicht mehr.«

»Sie hätten eine Wand hochziehen können für einen Anbau, genau wie Sie es tun.«

»Ich tue es nicht für mich. Es ist für meine Frau und meinen Sohn.«

»Mein Gott, Sie werden doch nicht etwa eine Frau hier drin wohnen lassen?«

»Ich glaube nicht. Sie werden nur ab und zu vorbeikommen.«

»Aber sie? Sie wird doch hier nicht etwa schlafen, Ihre Frau?«

Adamsberg krauste die Stirn, während die Hand des Alten sich auf seinen Arm legte und seine Aufmerksamkeit suchte.

»Glauben Sie nicht, Sie seien stärker als andere«, sagte der alte Mann mit gesenkter Stimme. »Verkaufen Sie. Das sind Dinge, die wir nicht begreifen. Das geht über unseren Horizont.«

»Was?«

Lucio bewegte die Lippen, kaute auf seiner erloschenen Zigarette herum.

»Sehen Sie das?«, sagte er und hob seinen rechten Arm.

»Ja«, sagte Adamsberg ehrfurchtsvoll.

»Hab ich verloren, als ich neun Jahre alt war, im Bürgerkrieg.«

»Ja.«

»Und manchmal juckt es mich da. Es juckt mich auf meinem fehlenden Arm, neunundsechzig Jahre später. An einer ganz bestimmten Stelle, immer an derselben«, sagte der Alte und zeigte auf einen Punkt in der Luft. »Meine Mutter wusste, warum: Das ist der Spinnenbiss. Als ich meinen Arm verlor, kratzte ich ihn gerade und war noch nicht fertig. Darum juckt er mich noch immer.«

»Ja natürlich«, sagte Adamsberg und rührte lautlos in seinem Mörtel.

»Weil der Biss noch nicht aufgehört hatte zu leben, verstehen Sie? Er fordert, was ihm zusteht, er rächt sich. Erinnert Sie das nicht an irgendwas?«

»An die Sterne«, überlegte Adamsberg. »Sie leuchten noch, während sie schon längst erloschen sind.«

»Wenn Sie so wollen«, gab der Alte überrascht zu. »Oder ans Gefühl: Nehmen Sie einen Mann, der noch immer ein Mädchen liebt, oder umgekehrt, während doch alles längst kaputt ist, wissen Sie, was ich meine?«

»Ja.«

»Und warum liebt der Mann noch immer das Mädchen, oder umgekehrt? Wie erklärt sich das?«

»Ich weiß nicht«, sagte Adamsberg geduldig.

Zwischen zwei Windstößen wärmte die blasse Märzsonne ihm sanft den Rücken, er fühlte sich wohl, wie er hier in diesem verwilderten Garten eine Mauer hochzog. Lucio Velasco Paz mochte auf ihn einreden, soviel er wollte, es störte ihn nicht.

»Ganz einfach, weil das Gefühl noch nicht aufgehört hat zu leben. So was existiert außerhalb von uns. Man muss warten, bis es zu Ende geht, man muss an der Sache herumkratzen bis zuletzt. Und wenn man stirbt, bevor man aufgehört hat zu leben, ist es genauso. Die Ermordeten geistern weiter im Nichts herum, eine Brut, die uns unablässig juckt.«

»Spinnenbisse«, sagte Adamsberg und schloss so den Kreis.

»Gespenster«, sagte der Alte ernst. »Verstehen Sie jetzt, warum niemand Ihr Haus wollte? Weil es in ihm spukt,...

Erscheint lt. Verlag 22.5.2024
Reihe/Serie Kommissar Adamsberg ermittelt
Kommissar Adamsberg ermittelt
Übersetzer Julia Schoch
Sprache deutsch
Original-Titel Dans les bois éternels
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 2024 • Bei Einbruch der Nacht • Cay Rademacher • Das barmherzige Fallbeil • Der Zorn der Einsiedlerin • Die Nacht des Zorns • Drogenhandel • eBooks • Ermittlerkrimi • Es geht noch ein Zug von der Gare du Nord • Frankreich • Frankreich-Urlaub • Jean-Baptiste Adamsberg • Jean-Luc Bannalec • Kommissar • Krimi • Krimiklassiker • Kriminalromane • Krimireihe • Krimis • Mordserie • Neuerscheinung • Paris • Preisträgerin • Regiokrimi • Schatten der Vergangenheit • Sophie Bonnet • Spiegel-Bestsellerautorin • Urlaubskrimi • Urlaubslektüre
ISBN-10 3-641-31676-6 / 3641316766
ISBN-13 978-3-641-31676-1 / 9783641316761
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