Die Familie (eBook)
640 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46421-2 (ISBN)
John Katzenbach, geboren 1950, war ursprünglich Gerichtsreporter für den »Miami Herald« und die »Miami News«. Bei Droemer Knaur sind inzwischen zahlreiche Kriminalromane von ihm erschienen, darunter die Bestseller »Die Anstalt«, »Der Patient«, »Der Professor« und »Der Bruder'. Zweimal war Katzenbach für den Edgar Award, den renommiertesten Krimipreis der USA, nominiert. Er lebt mit seiner Familie in Amherst im Westen des US-Bundesstaates Massachusetts. Weitere Informationen unter www.john-katzenbach.de und www.johnkatzenbach.com
John Katzenbach, geboren 1950, war ursprünglich Gerichtsreporter für den »Miami Herald« und die »Miami News«. Bei Droemer Knaur sind inzwischen zahlreiche Kriminalromane von ihm erschienen, darunter die Bestseller »Die Anstalt«, »Der Patient«, »Der Professor« und »Der Bruder". Zweimal war Katzenbach für den Edgar Award, den renommiertesten Krimipreis der USA, nominiert. Er lebt mit seiner Familie in Amherst im Westen des US-Bundesstaates Massachusetts. Weitere Informationen unter www.john-katzenbach.de und www.johnkatzenbach.com
KAPITEL EINS
Zwei, von denen Dr. Starks
nicht sofort erfuhr.
Und ein dritter, von dem er wusste.
Bevor er vor den versammelten Medizinern und Fachstudenten mit seinem flammenden Plädoyer für die ungebrochene Bedeutung der Psychoanalyse zum Ende kam, legte Dr. Frederick Starks eine wirkungsvolle Pause ein. Im grellen Licht auf dem Podium konnte er unter den Zuhörern nur schwer Gesichter erkennen, doch er wusste, dass Roxy irgendwo in der Nähe saß, wahrscheinlich in der ersten oder zweiten Reihe, inmitten seiner Kollegen und ihrer Kommilitonen. Er wusste, dass sich Charlie an diesem Tag wahrscheinlich etwas früher freigenommen, aber im vollen Hörsaal wohl nur noch auf den hintersten Rängen Platz gefunden hatte. Gerade weil er dem Auditorium wichtige Einsichten vermitteln wollte, fürchtete er, in offensichtliche Klischees zu verfallen. Vor allem richtete er seine Worte an die beiden jungen Menschen, die zu einem wichtigen Teil seines Lebens geworden waren. Zehn Jahre zuvor – mitten in seinem zweiten Kampf mit der Familie, die ihn tot sehen wollte – hatte Charlie, ein immer wiederkehrender Patient, der mit einer bipolaren Erkrankung kämpfte, ihm das Leben gerettet, und Roxy, damals ein verängstigtes und verwaistes dreizehnjähriges Kind, war sein Mündel geworden. Mehr als irgendjemand sonst lagen Ricky diese beiden jungen Menschen am Herzen.
An die Frage, wer sonst noch zur Vorlesung gekommen sein könnte, verschwendete er keinen Gedanken.
»Ich fasse zusammen«, sagte er, hielt kurz inne und fuhr dann fort: »Es mag Ihnen antiquiert erscheinen in dieser schnelllebigen, hoch technisierten Welt mit ihrer Sensationsgier und Reizüberflutung – doch an einer Wahrheit ist nicht zu rütteln, sie bildet das Fundament der Psychoanalyse …«
Wieder blickte er schweigend in den Saal.
»… Ich spreche von der Erkenntnis, dass wir die Vergangenheit, ob gut oder schlecht, niemals gänzlich hinter uns lassen können. Sie begleitet uns weiter und gibt die Richtung für die Zukunft vor. Wenn wir uns unsere früheren Schritte vor Augen halten und verstehen, wie über die Jahre jeder davon in uns nachhallt, dann wird jeder Schritt nach vorn wesentlich leichter und hoffnungsvoller. Dies gilt auch im Umkehrschluss: Wenn wir unsere persönliche Geschichte nicht begreifen, werden wir wahrscheinlich stolpern und straucheln. Und emotional gefährdet bleiben.«
Ricky lächelte die Menschen an, die er vom Podium aus nicht sehen konnte, und klappte den Notizblock mit seinem Vortrag zu. Der Beifall war nicht ohrenbetäubend, kam jedoch von Herzen, mit Ausnahme zweier Personen, die er nicht auf Anhieb erkannt hätte, und von zwei weiteren, die er umso besser hätte einordnen können, hätten sie sich nicht davongeschlichen, bevor das Licht im Saal anging.
Er spürte, wie ihn die vertrauten, widerstrebenden Gefühle beschlichen: lähmende Angst und grenzenlose Energie. Erstere lauerte irgendwo tief in seiner Erinnerung. Letztere drängte ihn einzutreten, wie ein übereifriger Türsteher vor einer gewagten Sexshow. Die Manie beginnt mit einem wohligen Erregungskitzel – Ich brauche nicht zu schlafen. Alles, was ich will, kann ich in kürzerer Zeit erreichen als jeder andere auf der Welt. Ich bin unschlagbar. Ich mach das mit links. Charlie hatte sich beigebracht, derlei Gedanken als das zu entlarven, was sie waren: Hochstapler, mythische Sirenen, die ihn auf die Überholspur in den Wahnsinn lockten. Die unzähligen Stunden, die er in Dr. Starks’ Praxis verbracht hatte, um über ebendiese Anzeichen zu sprechen, die Dosierung seiner Medikamente abzustimmen und seine bipolare Störung in Schach zu halten, hatten Charlie für seine lebenslange Gratwanderung gewappnet.
Es war, als bekriegten sich in seinem Kopf zwei Engel, ein guter und ein böser. Tu dies. Tu das. Setz die Medikamente ab, sie machen dich nur träge, dumm und fett. Du brauchst sie nicht, um toll zu sein.
Oder:
Gib nicht nach. Sei kein Narr. Nimm die Tabletten weiter, sie sorgen dafür, dass du bei klarem Verstand bleibst und froh bist, dazuzugehören. Nur mit den Tabletten hast du einen Job. Hast du Freunde. Hast du eine Zukunft.
Als sich an diesem Tag die ersten Anzeichen der Krankheit bemerkbar machten und gegen die Vernunft Sturm liefen, blieb Charlie länger an seinem Arbeitsplatz. In der Abteilung für digitale Grafik der kleinen Werbeagentur in Miami war er einer von nur vier Angestellten, und er registrierte, wie sie ihm einer nach dem anderen zuwinkten und »Bis morgen!« sagten, bevor sie ihren Schreibtisch verließen. Von seinem Platz aus konnte er sehen, wie auch die anderen Mitarbeiter der Firma Feierabend machten, die smarten Führungskräfte in ihren eleganten Leinenanzügen ebenso wie die langhaarigen Kollegen in Jeans aus der Produktion. Vor dem Fenster zog die Dunkelheit herauf, doch Charlie rührte sich nicht vom Fleck. Die Manie schwappte über ihn hinweg wie eine Brandungswoge. In seinem klimatisierten Kokon wurde ihm noch heißer als anderswo. Er griff nach seinem Handy in der Hosentasche.
Ruf Dr. Starks an.
Geh zu ihm in die Praxis und sag ihm, was los ist. Er hilft dir. Macht er doch immer.
Er legte das Handy vor sich auf den Tisch.
Vergiss es.
Dir geht’s gut.
Du schaffst das auch allein.
Charlie wusste sehr wohl, dass sich irgendwo in seinem Kopf Lügen als Wahrheit tarnten und ihm Wahrheiten wie Lügen erschienen. Er verstand, dass ihm das eigentlich hätte zu denken geben müssen.
Tat es aber nicht.
Charlie wandte sich wieder seinem Schreibtisch zu, drehte sich auf seinem Stuhl mal links-, mal rechtsherum, lehnte sich vor, dann zurück, fuhr seinen Computer hoch und stürzte sich in das Projekt, an dem er und die anderen in der Agentur gerade arbeiteten. Er ging so nah heran, als wollte er jede Linie auf dem Bildschirm mit Händen greifen, und zeichnete mit der Maus so schnell, dass es unter seinem rechten Zeigefinger nur so klickte. Vor seinen Augen entfaltete sich ein verführerischer Tanz aus Farben und Formen.
Um 21:00 Uhr glaubte er, das Pensum des Teams für den Rest der Woche erledigt zu haben. Um Mitternacht schienen neben seiner eigenen Arbeit auch die Aufgaben seiner Kollegen fertig zu sein. Aus seiner Sicht war alles brillant. Weitblickend. Originell. Um ein Uhr nachts starrte er auf seinen Monitor und stellte ein wenig enttäuscht fest, dass es nichts mehr zu tun gab. Widerstrebend stand er auf.
Die Büros waren dunkel, nur bei ihm war noch Licht. Charlie überlegte, ob er direkt zu seiner Wohnung fahren oder vielleicht erst noch bei einer Pizzeria am Rande von Coconut Grove haltmachen sollte, die um diese Zeit noch geöffnet war, obwohl er zu seiner Verwunderung keinen großen Hunger hatte. Er könnte natürlich auch den Rest der Nacht im Bayside Park verbringen und spazieren gehen, überlegte er. Bevor er sich entschieden hatte, beschlich ihn jedoch ganz plötzlich das Gefühl, nicht allein zu sein. Er fuhr herum und starrte in die Dunkelheit rings um den Lichtkegel seiner Lampe.
Er reckte das Ohr in die Richtung, aus der er schweren Atem zu hören glaubte. Und Fauchen?
Da ist einer.
Jemand beobachtet mich.
Er war starr vor Schreck, bis ihm dämmerte, dass er seinen eigenen Atem hörte.
Charlie hielt die rechte Hand vors Gesicht. Er wollte sehen, ob sie zitterte. Er war sich nicht sicher. Einen Moment wirkte sie ruhig, dann wieder schien sie zu beben. Ihm lief der Schweiß in die Augen.
»Wer ist da?«, fragte er leise.
»Wer ist da?«, wiederholte er laut und deutlich.
Keine Antwort.
»Wer ist da?«, brüllte er.
Das Echo seiner eigenen Stimme schlug ihm aus jeder Ecke des verlassenen Büros entgegen.
Er blickte nach links und rechts. Oben und unten. Überall schienen Schatten aus der Dunkelheit zu treten, immer größer und bedrohlicher. Unwillkürlich duckte sich Charlie weg.
Reiß dich zusammen!, befahl er sich und konnte nicht sagen, ob laut oder leise. Wieder griff er nach seinem Handy. Ruf Dr. Starks an!
Aber anstatt zu wählen, starrte er auf die Zeitanzeige. Er wusste, es war schon nach ein Uhr früh, und doch fragte er sich plötzlich, ob es vielleicht ein Uhr nachmittags sei. Obwohl er beim Blick durchs Fenster die dunkle Nacht von Miami vor sich hatte, brauchte er einige Sekunden, um sich bei der Tageszeit sicher zu sein.
Nichts wie weg!, sagte er sich und wusste diesmal wenigstens, dass es nur in Gedanken war. Er griff zu seinem Rucksack und eilte zum Fahrstuhl. Er drückte mehrmals auf den Rufknopf. »Komm schon, komm schon«, murmelte er. »Ich muss hier raus …«
Vor wem oder was er fliehen musste, wusste er nicht, sondern nur, dass die Bedrohung sehr real war und irgendwo unsichtbar im Dunkeln lauerte.
Er stürzte in den Lift, drückte auf den Knopf zum Erdgeschoss und spürte einen kalten Luftzug, als sich etwas oder jemand...
Erscheint lt. Verlag | 1.8.2024 |
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Reihe/Serie | Dr. Frederick Starks | Dr. Frederick Starks |
Übersetzer | Anke Kreutzer, Dr. Eberhard Kreutzer |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Abschluss Trilogie Katzenbach • amerikanische Psychothriller • amerikanische thriller autoren • amerikanische thriller bücher • amerikanische thriller deutsch • beste psychothriller • Bestsellerautor • bücher thriller und psychothriller • Der Patient • Der Verfolger • Dr. Frederick Starks • Frederick Starks • John Katzenbach Bücher • john katzenbach bücher reihenfolge • john katzenbach der patient • john katzenbach der patient fortsetzung • john katzenbach der verfolger • john katzenbach der verfolger fortsetzung • John Katzenbach neues Buch • john katzenbach reihenfolge • Katz- und Mausspiel • Psychiater • Psychiater Miami • psycho Thriller • Psychothriller bücher • psychothriller mit plot twist bücher • Psychothriller Neuerscheinungen 2024 • psychothriller reihe • psychothriller USA • serie thriller • Thriller Bücher • thriller buchreihe bestseller • thriller für männer • thriller mit plot twist buch • thriller neuerscheinungen 2024 |
ISBN-10 | 3-426-46421-7 / 3426464217 |
ISBN-13 | 978-3-426-46421-2 / 9783426464212 |
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