Die Mission des Kochs (eBook)
255 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7517-5567-2 (ISBN)
Giovanni Trincanato ist Alleinerbe der gleichnamigen sizilianischen Bootswerft und wirft als mondäner Playboy das Geld zum Fenster hinaus. Der Firma droht der Ruin, und Commissario Montalbano ist zur Stelle, als einer der Arbeiter sich erhängt. Kurz darauf wird Giovanni ermordet aufgefunden, zeitgleich mit der Ankunft einer mysteriösen Segeljacht im Hafen. Steht das Auftauchen des mondänen Schiffs in Zusammenhang mit Giovannis gewaltsamem Tod? Schon bald kommt Montalbano einem Komplott auf die Spur, das ihn vor neue Herausforderungen stellt: Um einem internationalen Verbrecherring das Handwerk zu legen, begibt er sich inkognito an Bord des Luxusliners - mit ungeahnten Folgen ...
<p><strong>Andrea Camilleri </strong>(1925-2019) ist der erfolgreichste zeitgenössische Autor Italiens und begeistert mit seinem vielfach ausgezeichneten Werk ein Millionenpublikum. Ob er seine Leser mit seinem unwiderstehlichen Helden Salvo Montalbano in den Bann zieht, ihnen mit kulinarischen Köstlichkeiten den Mund wässrig macht oder ihnen unvergessliche Einblicke in die mediterrane Seele gewährt: Dem Charme der Welt Camilleris vermag sich niemand zu entziehen.</p>
Eins
Fein herausgeputzt und wie aus dem Ei gepellt tanzte er Walzer am Rand eines Swimmingpools. Er wusste, dass die Frau in seinen Armen Livia war, die er vor wenigen Stunden geheiratet hatte. Ihr Gesicht konnte er nicht sehen, es war von einem dichten weißen Schleier verhüllt.
Plötzlich kam starker Wind auf, der Schleier hob sich ein wenig, und da erkannte er, dass darunter nicht Livia, sondern die Maestra Costantino war, seine Lehrerin in der dritten Grundschulklasse, mit Schielaugen und Damenbart. Der Schock war so groß, dass ihm die Sinne schwanden und er die Augen schloss.
Als er sie wieder aufschlug, lag er in einem Ruderboot, das inmitten meterhoher Brecher gefährlich schaukelte. Das Boot hatte sich zur Seite geneigt und konnte jeden Moment kentern. Er musste also unverzüglich handeln.
Er trug immer noch seine Festtagskleidung, auch die elegante Krawatte, aber der Anzug war vom Regen so vollgesogen, dass er keinen Tropfen mehr aufnehmen konnte.
Die Wolken hingen grau und tief, als senkte sich ein Leichentuch herab, das gleich alles einhüllen würde. Ein Zeichen, dass der Sturm noch gar nicht richtig begonnen hatte.
Er hatte nicht die leiseste Ahnung, wie er in diese Situation geraten war. Nur vage erinnerte er sich, dass er sich für seine Hochzeit fein gemacht hatte.
Plötzlich sah er, dass eines der Ruder aus der Dolle herauszurutschen und ins Wasser zu gleiten drohte. Das musste er verhindern, sonst würde er das Boot nicht mehr steuern können.
Er wollte sich aufrichten, aber die klatschnassen Kleider hielten ihn am Boden und machten jede Bewegung unmöglich.
In einem weiteren Versuch umklammerte er den Rand des Boots, sodass er sich aufsetzen, einen Arm ausstrecken und mit den Fingerspitzen das Ruder berühren konnte, das ihm jedoch entglitt und ins Wasser fiel.
Wie sollte er aus dieser Situation heil herauskommen? Er musste das Ruder wiederhaben, koste es, was es wolle.
Mit einem schmerzhaften Ruck richtete er sich auf, aber der Wind traf ihn wie ein Faustschlag, dass es ihn umhaute und er die Augen schließen musste.
Sie brannten heftig, und als er sie wieder aufschlug, sah er den gewaltigen Bug eines riesigen Segelschiffs, das direkt auf ihn zusteuerte. Es schien zu fliegen.
Wie war das möglich? Eine Minute zuvor war es noch nicht da gewesen. Wo kam es auf einmal her?
In panischer Angst erkannte er, dass er sich ins Meer stürzen und versuchen musste, so weit wie möglich vom Schiff wegzuschwimmen, eine andere Wahl hatte er nicht.
Und so stürzte er sich in die Fluten, doch die Wucht der Brecher und seine zentnerschweren Kleider machten ihm das Schwimmen fast unmöglich.
Zutiefst verzweifelt schaffte er ein paar Meter.
Dann hörte er das harte Knacken des hölzernen Bootskörpers, der unter dem Bug des Schiffes barst.
Vielleicht hatte er es doch geschafft.
Doch nun, angetrieben durch die Bewegung der Schiffsschraube, schlugen die Wellen noch höher.
Eine erste zog ihn in die Tiefe, aber irgendwie gelang es ihm, wieder an die Oberfläche zu kommen. Zeit zum Luftholen blieb ihm jedoch nicht, denn eine zweite Welle riss ihm fast den Kopf ab.
Er verlor das Bewusstsein und sank tiefer und tiefer …
In seinem Bett halb aufgerichtet, kam er keuchend wieder zu sich. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, und mit offenem Mund rang er nach Luft.
Gegen die Scheiben des Fensters, dessen Läden offen standen, prasselten kichererbsengroße Tropfen. Kein Licht drang herein, er konnte nicht erkennen, ob es Nacht oder Tag war.
Er sah auf die Uhr. Halb sieben.
Eigentlich Zeit aufzustehen.
Aber wozu bei diesem Dreckswetter das Haus verlassen und ins Kommissariat fahren, wenn ihn dort nur Papierkram erwartete?
Missgelaunt stand er auf, öffnete das Fenster, zog die Läden zu, schloss das Fenster, kroch wieder ins Bett und machte die Augen zu.
»Dottori, es ist neun vorbei, soll ich Ihnen den Kaffee bringen?«
Adelinas Stimme war wie die Posaune des Jüngsten Gerichts, um die Toten zu wecken.
Er schnellte erneut hoch. Schon neun?!
Gewiss, es stand nichts Besonderes an, aber wie sah das aus, erst am späten Vormittag im Kommissariat zu erscheinen?
»Ja, bring ihn mir, schnell.«
Es hatte aufgehört zu regnen, aber das Unwetter hatte sich noch nicht verzogen.
Die Haushälterin brachte ihm eine dampfend heiße Tasse Espresso, die er bis zum letzten Tropfen leerte.
»Es gibt kein Wasser«, verkündete Adelina.
Montalbano reagierte unwirsch.
»Wie, es gibt kein Wasser?! Das kann doch nicht sein! Nach dieser Sintflut in den letzten Tagen!«
»Dottori, was soll ich dazu sagen? Es gibt keins.«
»Und wie kann ich mich waschen?«
»Ich habe ein bisschen Wasser aufgefangen und ins Waschbecken und ins Bidet geschüttet. Sehen Sie zu, dass es Ihnen reicht.«
»Und wo hast du es aufgefangen?«
»Ich bin seit einer Stunde hier, der Regen hat ja nicht aufgehört, und da hab ich drei Töpfe und einen Eimer unter die Dachrinne gestellt und volllaufen lassen. Ist sauberes Wasser, kommt ja vom Himmel.«
Von wegen sauber!
Das Wasser war durch die Dachrinne geflossen, und die war voller Mäuse-, Möwen- und Taubenkot …
»Weißt du was? Ich wasch mich im Kommissariat. Und dort zieh ich mir dann auch frische Sachen an.«
Schlecht gelaunt verließ er das Haus.
Vor der Tür hatte sich ein See gebildet, und als er die vier Schritte bis zum Auto geschafft hatte, waren seine Schuhe völlig verdreckt.
Und wenn er etwas nicht ausstehen konnte, dann waren es schmutzige Schuhe.
Er hätte ins Haus zurückkehren und ein Paar saubere Schuhe holen können. Aber mit Schuhen in der einen und einer Plastiktüte mit frischer Unterwäsche in der anderen Hand im Kommissariat zu erscheinen, das kam nicht infrage.
Er drehte den Schlüssel, um den Wagen zu starten, aber der Motor sprang nicht an. Er versuchte es noch einmal. Nichts. Der Motor schien den Geist aufgegeben zu haben.
Es hatte keinen Sinn auszusteigen, die Motorhaube zu öffnen und einen Blick hineinzuwerfen, er verstand ja nichts von Autos.
Stattdessen legte er den Kopf auf das Lenkrad und betete fünf Minuten lang eine Litanei von Flüchen herunter. Dann stieg er aus und kehrte ins Haus zurück.
»Haben Sie etwas vergessen?«
»Nein. Aber das Auto …«
Er wollte gerade im Kommissariat anrufen, um sich abholen zu lassen, als Adelina sagte:
»Das Wasser ist wieder da.«
Das Wasser! Ihm kam ein Gedicht in den Sinn, das er im Französischunterricht in der Schule gelernt hatte:
Eau si claire et si pure,
bienfaisante pour tous …
Er stürzte ins Bad. Gut möglich, dass das Wasser gleich wieder weg war, er durfte also keine Zeit verlieren. Außerdem war es besser, zu spät ins Büro zu kommen, als wie ein Obdachloser dort aufzutauchen.
Und da wollen sie das Wasser auch noch privatisieren, diese Idioten!
Aber knapp werden würde es trotzdem, so viel stand fest, und sie würden pro Tropfen einen Euro kassieren.
Frisch gewaschen und rasiert verließ er das Haus, machte einen großen Bogen um den See herum und schaffte es ins Auto, ohne sich die Schuhe schmutzig zu machen.
Erst als er den Schlüssel ins Schloss steckte, fiel ihm wieder ein, dass der Wagen ja gar nicht ansprang.
Aber nun sprang er an.
In einer Demokratie ist der Mensch frei, heißt es. Wirklich?
Was ist, wenn das Auto nicht anspringt, das Telefon nicht funktioniert, Strom, Wasser und Gas nicht fließen und Computer, Fernseher und Kühlschrank streiken?
Vielleicht sollte man besser sagen: Der Mensch ist zwar frei, aber diese Freiheit ist von den Launen der Dinge abhängig, auf die er nicht mehr verzichten kann.
Und wie zum Beweis, dass er recht hatte, blieb das Auto stehen, sobald er Vigàta erreicht hatte.
Es wollte sich offenbar über ihn lustig machen.
Er stieg aus und ging zu Fuß ins Kommissariat.
»Catarè, schick Fazio zu mir«, sagte Montalbano, als er an der Telefonzentrale vorbeiging.
»Er ist nicht vor Ort, Dottori.«
»Dann schick Dottor Augello zu mir.«
»Er ist auch nicht vor Ort.«
Alle ausgeflogen? Was war denn passiert? Der Commissario ging zwei Schritte zurück.
»Und wo sind sie?«
»Sie wurden von Signor Drincananato gerufen, das ist der …«
»Ich weiß, wer das ist. Und weswegen?«
»Weil die Arbeiter vor der Werkshalle randalieren.«
Der Commissario traf eine schnelle Entscheidung.
»Ich fahr hin.«
Aber dann fiel ihm ein, dass er kein Auto hatte.
»Ist Gallo da?«
»Er ist vor Ort, Dottori.«
»Ruf ihn an und sag ihm, er soll mich hinbringen.«
»Dottori, vielleicht hab ich mich nicht richtig ausgedrückt. Gallo ist nicht hier vor Ort, sondern dort vor Ort, in der Drincananato, mit Dottori Augello.«
»Haben wir einen Dienstwagen?«
»Haben tun wir schon einen, Dottori. Aber er ist nicht fahrbereit, insofern, als er kein Benzin hat. Wenn Sie wollen, können Sie mit meinem Auto fahren, ich gebe Ihnen den Schlüssel.«
Während der Commissario den Motor startete, überlegte er, dass er vielleicht ein Plakat drucken lassen sollte mit der Aufschrift:
In Anbetracht der staatlichen Kürzungen wird jeder Bürger, der Sicherheit wünscht,...
Erscheint lt. Verlag | 30.8.2024 |
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Reihe/Serie | Commissario Montalbano | Commissario Montalbano |
Übersetzer | Rita Seuß, Walter Kögler |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Il cuoco dell'Alcyon |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Commissario Montalbano • Dolce Vita • Jacht • Kriminalroman • Krimis • Kulinarik • Liebe • Sicilianità • sizilianische Küche • sizilianische Lebensart • Sizilien • Spiegel Bestseller Autor • Spionage • undercover • Urlaubskrimi |
ISBN-10 | 3-7517-5567-5 / 3751755675 |
ISBN-13 | 978-3-7517-5567-2 / 9783751755672 |
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