Der Tote im Pool (eBook)
208 Seiten
Tropen (Verlag)
978-3-608-12251-0 (ISBN)
Jean-Christophe Rufin, geboren 1952, ist einer der renommiertesten Autoren Frankreichs. Sein Debütroman wurde mit dem Prix Goncourt du premier roman und dem Prix Méditerranée ausgezeichnet, 2001 erhielt er den Prix Goncourt. Er war langjähriger Vizepräsident der Organisation Ärzte ohne Grenzen und außerdemStaatssekretär im französischen Verteidigungsministerium und beim Roten Kreuz. 2007 wurde er französischer Botschafter im Senegal. Rufin ist Mitglied der Académie française.
Jean-Christophe Rufin, geboren 1952, ist einer der renommiertesten Autoren Frankreichs. Sein Debütroman wurde mit dem Prix Goncourt du premier roman und dem Prix Méditerranée ausgezeichnet, 2001 erhielt er den Prix Goncourt. Er war langjähriger Vizepräsident der Organisation Ärzte ohne Grenzen und außerdemStaatssekretär im französischen Verteidigungsministerium und beim Roten Kreuz. 2007 wurde er französischer Botschafter im Senegal. Rufin ist Mitglied der Académie française.
»Ein kluges, vielschichtiges, leise humorvolles, aber auch kritisches Buch mit der Rahmen-handlung einer spannenden Ermittlungsarbeit an einem den meisten von uns wohl wenig vertrauten Ort der Welt.«
Norma Kolb, Ü60 Gute Zeiten, Mai 2024
»Wenn Leser noch nicht wissen sollten, was Weißwein mit Mord zu tun hat, sollten sie dieses Buch lesen. Ein sehr unterhaltsamer und teils humorvoller Roman für kurzweilige Leseerlebnisse.«
Horst Tress, Magazin Köllefornia, 18. Mai 2024
I
Eigentlich verwunderte es niemanden, dass man ihn ertrunken in seinem Swimmingpool gefunden hatte.
Schon lange hatte Béliot, der alte Béliot, wie er sich gern selbst nannte, um sich herum Hass geschürt. Da musste es irgendwann zu einem Gewaltausbruch kommen. Unter den Auswanderern in Mosambik war er zwar bekannt, doch hielten sich alle nach Möglichkeit von ihm fern. Selbst die vor Ort lebenden Franzosen, von denen es in dieser ehemaligen portugiesischen Kolonie ohnehin nicht viele gab, gingen ihm aus dem Weg. Durchreisende, Touristen, internationale Beamte oder leitende Angestellte, die hier für ihre Firmen tätig waren, verirrten sich nur selten in sein Haus.
Dabei war sein Hotel, die Residenz dos Camarões, günstig in der Nähe des Stadtzentrums und des Hafens gelegen. Doch es kursierten zu viele Gerüchte, die dem Ruf des Hotels geschadet hatten. Die wenigen Gäste, die sich dennoch hierher trauten, wurden schnell Zeugen peinlicher Szenen.
Béliot verbrachte seine Tage in einem Korbsessel mit abgenutzten Kissen, von dem aus er den Garten und den Pool im Blick hatte. Auf dem Tischchen vor ihm lagen verstreut Zeitungen, daneben stand zumeist ein Glas Whisky mit halb geschmolzenen Eiswürfeln. Mit einem kleinen Knopf, der unter dem Tisch angebracht war, konnte er eine der Bedienungen rufen. Diese Aufgabe wurde abwechselnd von zwei oder drei jungen Afrikanerinnen übernommen. Wenn der Klingelton ertönte – nie weniger als fünfmal in Folge – näherte sich die jeweils Zuständige widerwillig. Béliot erteilte ihr knappe Befehle, die wie Peitschenhiebe knallten.
Die Mädchen waren daran gewöhnt. Und sie hatten ein probates Mittel gefunden, um den Chef zu besänftigen: Sie zwängten ihr Hinterteil in einen hautengen Rock und knöpften die Bluse bis zum Bauchnabel auf. Wenn sie Béliot dann den georderten Whisky servierten, beugten sie sich tief zu ihm hinab und ließen eine schwarze, samtige Brustwarze vor seinen Augen schwingen, die ihn beschwichtigte. Anschließend kehrten sie hüftwiegend in den Dienstbotenbereich zurück. Auch wenn die Zeit verging, das Alter kam und der Körper schwächer wurde, so war der alte Béliot doch nicht von fleischlichen Begierden befreit. Noch immer war sein vom Verlangen getrübter Blick auf die sich entfernenden Hinterteile und Schenkel geheftet. Bisweilen erlaubte er sich sogar, zuzulangen, was die Mädchen vertragsgemäß akzeptierten. Sie wussten, dass der alte Weiße nicht weitergehen würde, da seine angetrauten Frauen um ihn herum über ihn wachten.
Die Residenz dos Camarões war ein altes Herrenhaus, das aufgestockt und seitlich erweitert worden war. Béliot hatte es in Eigenregie umgebaut. Als ehemaliger Bauleiter hatte er einige Projekte verantwortet – Brücken, Flughäfen, Bürogebäude. Viele offizielle Bauwerke der mosambikanischen Hauptstadt und anderer Städte auf dem gesamten afrikanischen Kontinent waren sein Werk. Doch auf keines war er so stolz wie auf sein Anwesen. Nach der Entkolonialisierung von Mosambik im Jahr 1975 hatte er es sehr günstig erworben. Es handelte sich um das Eigentum eines wenig begüterten Portugiesen, der geflohen war. Der eigentliche Wert lag in dem großen tropischen Garten, der mit einheimischen Mangobäumen und Palmen bepflanzt war, aber auch mit aus Brasilien importierten Arten wie Jakarandas und Paubrasilias. Die dichte Vegetation sorgte für kühlen Schatten, der nun, da sich Maputo in eine verstopfte und laute Hauptstadt verwandelt hatte, besonders wertvoll war.
Beim Kauf des Anwesens hatte Béliot nicht recht gewusst, was er damit anfangen sollte, da er sich zu jener Zeit wegen seiner Bauprojekte häufig im Ausland aufhielt. Damals hieß der Ort noch Lourenço Marques und wirkte wie eine kleine, verschlafene portugiesische Kreisstadt. Der Bauunternehmer machte hier, wo er später auch seinen Ruhestand verbringen wollte, zunächst Urlaub. Nach und nach war das Haus immer größer geworden, und schließlich hatte Béliot es in ein Hotel umgewandelt.
Auf der überdachten Terrasse gegenüber dem Pool verbrachte er jetzt seine Tage. Dieses schattige Plätzchen zwischen quadratischen Säulen war seit der Zeit des kleinen Kolonialpavillons unverändert geblieben: dieselben Stoffkissen in unmodernem Orange, derselbe eiserne Vogelkäfig für den Beo, dieselben Hängetöpfe mit tropischen Pflanzen, die nach modrigem Schwamm rochen. Nur die weiblichen Bedienungen wurden regelmäßig ausgetauscht.
Die anderen Gebäude, die auf dem Grundstück errichtet worden waren – das Hotel, das Restaurant mit den um den Pool verstreuten Tischen, das Büro, das Buchhaltung und Rezeption beherbergte –, schienen nicht zu derselben Welt zu gehören wie der einfache Gartenpavillon. Hier fühlte sich Béliot immer noch ganz zu Hause. Letztlich tolerierte er lediglich die indiskrete Anwesenheit der Gäste und des Personals – soweit ihm das bei seinen Launen möglich war.
In der ersten Zeit genossen es die wenigen Unerschrockenen, die in diesem Etablissement abstiegen, sich wie zu Hause zu fühlen. Weit von der Heimat entfernt oder zu Beginn der schwierigen Auswanderungsphase war die familiäre Atmosphäre eines Privathauses für Reisende angenehm. Doch schon bald verwandelte sich dieser Vorzug in einen Albtraum.
Es begann, wenn Béliot im Laufe des Vormittags aufstand. Mit einem viel zu weiten Unterhemd bekleidet, das seine mageren Arme enthüllte, trat er aus seinem im Erdgeschoss hinter der Terrasse gelegenen Schlafzimmer. Um den Bauch trug er ein breites Bruchband, das dazu diente, mehrere Hernien einzudämmen. Seine dürren, von Krampfadern überzogenen Beine boten sich den Blicken der Gäste dar, die, umrahmt von den leuchtenden Hibiskus- und Tamariskenblüten, im Schatten der Sonnenschirme ihr Frühstück beendeten. Wenn er zu seinem Stammsessel gegenüber dem Pool ging, um sich ein erstes Gläschen zu genehmigen, beglückte er sie sogar mit dem indiskreten Anblick seiner Intimteile, die aus der schlabbrigen Unterhose hingen. Dieses Schauspiel erregte bei den Gästen zunächst Verlegenheit, die jedoch rasch in Abscheu umschlug.
Wenn dann die ersten lauten Rufe ertönten und Béliot begann, sein Personal zu beschimpfen, ergriffen die Eindringlinge die Flucht. Dies war auch den Verfassern von Reiseführern zu Ohren gekommen. Der wichtigste von ihnen lobte Béliots Haus zwar wegen der Schönheit seines Gartens und der Qualität der Zimmer, fand aber sehr strenge Worte für den Charakter des Chefs, die viele Reisende von einem Besuch abhielten.
Also stand das Hotel größtenteils leer. Vor dem Pool sitzend, verbrachte Béliot seine Tage damit, Patiencen zu legen, Zeitungen durchzublättern und zu trinken. Mit zunehmender Anzahl an Whiskys sackte er immer mehr in seinem Sessel zusammen.
Bei Einbruch der tropischen Nacht – um achtzehn Uhr, egal zu welcher Jahreszeit – flammte die Beleuchtung des Schwimmbads auf, und Béliot hielt wie ein König Audienz. Nacheinander besuchten ihn stets dieselben Persönlichkeiten, Afrikaner und Weiße. Sie kamen allein, höchstens mal zu zweit. Béliot besaß eine kleine Fernsteuerung, mit der er die Farbe der Poolbeleuchtung verändern konnte. Waren die Besucher gegangen, spielte er noch lange damit und betrachtete jede Nuance des Wassers. Der Anblick versetzte ihn in eine Träumerei, deren Reiz auch im Laufe der Jahre nicht nachgelassen hatte. Wenn er schließlich eingeschlafen war, fassten ihn zwei Bedienungen unter den Armen und brachten ihn ins Bett.
#
Als Aurel Timescu, stellvertretender Konsul der französischen Botschaft in Maputo, sechs Monate zuvor seinen Dienst in der Hauptstadt antrat, hatte er keine andere Wahl gehabt. Wegen des Afrika-Cups stand nicht ein einziges bezahlbares Zimmer mehr in der Metropole zur Verfügung. Und so hatte er vierzehn Tage in der Residenz dos Camarões beim alten Béliot verbracht, bis die Wohnung seines Vorgängers neu gestrichen und die sanitären Anlagen überholt worden waren. Aurel hatte das Hotel ganz für sich allein, da es außer ihm keine weiteren Gäste gab.
Letzten Endes hatte es ihm dort sehr gut gefallen. Die Kühle und die Ruhe des Gartens mit seinen zarten Farben hatten ihn positiv für das Land eingenommen. Dabei war Aurel Timescu tief betrübt gewesen, anlässlich seiner Versetzung nach Mosambik nach Afrika zurückkehren zu müssen. Nach seinen früheren Erfahrungen war dieser Kontinent ein Synonym für Lärm, Hitze und Staub. Vom Hotelgarten aus wagte er sich in die Umgebung vor und entdeckte, dass das Klima gemäßigter war, als er befürchtet hatte, selbst wenn die Sonne für seinen Geschmack zu intensiv schien. In Mosambik herrschte eine Art ewiger Frühling, der natürlich nicht den Charme eines mitteleuropäischen Herbstes hatte, aber doch erträglicher war als das feuchtwarme Klima der Sahelzone.
Der zweite Grund für seine Vorliebe für die Residenz dos Camarões war die Abwesenheit des Hotelbesitzers während nahezu seines gesamten Aufenthaltes. Am Abend von Aurels Ankunft war Béliot wegen einer der zahlreichen Krankheiten – die ihn plagten, ohne ihn je umzubringen – ins Krankenhaus eingeliefert worden. Auf dem Wege der Besserung war er zwei Tage vor der Abreise des Konsuls zurückgekehrt, hatte aber sein Zimmer nicht verlassen. So hatte Aurel den Mann, den man jetzt in seinem Swimmingpool gefunden hatte, nur flüchtig als abgemagerte, in einem Rollstuhl zusammengesunkene Silhouette wahrgenommen. Vom Garten aus hatte er die Ankunft des Hotelmonarchen beobachtet und auch, wie seine französische Ehefrau in Begleitung einer jungen Afrikanerin aufgetaucht war, um ihn zu Bett zu bringen. Etwas später, als die beiden wieder verschwunden waren, hatte eine Mosambikanerin um die fünfzig – schmuckbehangen, festlicher Boubou, sorgfältig geflochtene Zöpfe – dem...
Erscheint lt. Verlag | 18.5.2024 |
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Übersetzer | Barbara Reitz, Eliane Hagedorn |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Afrika • Antiheld • Ärzte ohne Grenzen • Aurel Timescu • Bestsellerautor • Buch • Bücher wie Alexander McCall-Smith • Bücher wie Colin Cotterill • Cozy Crime • Diplomatie • Frankreich • Gute Laune • Hitze • Humor • Indischer Ozean • Konsul • Krimi • Maputo • Meer • Mordfall • Mosambik • neue krimis 2024 • Neuer Krimi 2024 • Ostafrika • Preisgekrönt • Prix Goncourt • schräg • Sommer • Sommerbücher • Sonne • Urlaubsbücher • Urlaubslektüre • Weißwein • witzig • Wohlfühlkrimi |
ISBN-10 | 3-608-12251-6 / 3608122516 |
ISBN-13 | 978-3-608-12251-0 / 9783608122510 |
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