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Das Schloss (eBook)

Reclam Taschenbuch

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
368 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-962183-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Schloss -  Franz Kafka
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Der unvollendet gebliebene Roman um den Landvermesser K., der sich beim Versuch, Zutritt zu einem Schloss zu bekommen, in einem absurden, labyrinthischen Verwaltungsapparat verirrt, war der letzte Roman Franz Kafkas. Eine rätselhafte Geschichte über die Unsicherheit des Individuums in einer immer undurchschaubarer werdenden Welt.

1 Ankunft


Es war spät Abend, als K. ankam. Das Dorf lag in tiefem Schnee. Vom Schlossberg war nichts zu sehn, Nebel und Finsternis umgaben ihn, auch nicht der schwächste Lichtschein deutete das große Schloss an. Lange stand K. auf der Holzbrücke, die von der Landstraße zum Dorf führt, und blickte in die scheinbare Leere empor.

Dann ging er ein Nachtlager suchen; im Wirtshaus war man noch wach, der Wirt hatte zwar kein Zimmer zu vermieten, aber er wollte, von dem späten Gast äußerst überrascht und verwirrt, K. in der Wirtsstube auf einem Strohsack schlafen lassen, K. war damit einverstanden. Einige Bauern saßen noch beim Bier, aber er wollte sich mit niemandem unterhalten, holte selbst den Strohsack vom Dachboden und legte sich in der Nähe des Ofens hin. Warm war es, die Bauern waren still, ein wenig prüfte er sie noch mit den müden Augen, dann schlief er ein.

Aber kurze Zeit darauf wurde er schon geweckt. Ein junger Mann, städtisch angezogen, mit schauspielerhaftem Gesicht, die Augen schmal, die Augenbrauen stark, stand mit dem Wirt neben ihm. Die Bauern waren auch noch da, einige hatten ihre Sessel herumgedreht, um besser zu sehn und zu hören. Der junge Mann entschuldigte sich sehr höflich, K. geweckt zu haben, stellte sich als Sohn des Schlosskastellans vor und sagte dann: »Dieses Dorf ist Besitz des Schlosses, wer hier wohnt oder übernachtet, wohnt oder übernachtet gewissermaßen im Schloss. Niemand darf das ohne gräfliche Erlaubnis. Sie aber haben eine solche Erlaubnis nicht oder haben sie wenigstens nicht vorgezeigt.«

K. hatte sich halbaufgerichtet, hatte die Haare zurechtgestrichen, blickte die Leute von unten her an und sagte: »In welches Dorf habe ich mich verirrt? Ist denn hier ein Schloss?«

»Allerdings«, sagte der junge Mann langsam, während hier und dort einer den Kopf über K. schüttelte, »das Schloss des Herrn Grafen Westwest.«

»Und man muss die Erlaubnis zum Übernachten haben?«, fragte K., als wollte er sich davon überzeugen, ob er die früheren Mitteilungen nicht vielleicht geträumt hätte.

»Die Erlaubnis muss man haben«, war die Antwort und es lag darin ein grober Spott für K., als der junge Mann mit ausgestrecktem Arm den Wirt und die Gäste fragte: »Oder muss man etwa die Erlaubnis nicht haben?«

»Dann werde ich mir also die Erlaubnis holen müssen«, sagte K. gähnend und schob die Decke von sich, als wolle er aufstehn.

»Ja von wem denn?«, fragte der junge Mann.

»Vom Herrn Grafen«, sagte K., »es wird nichts anderes übrigbleiben.«

»Jetzt um Mitternacht die Erlaubnis vom Herrn Grafen holen?«, rief der junge Mann und trat einen Schritt zurück.

»Ist das nicht möglich?«, fragte K. gleichmütig. »Warum haben Sie mich also geweckt?«

Nun geriet aber der junge Mann außer sich, »Landstreichermanieren!«, rief er, »ich verlange Respekt vor der gräflichen Behörde! Ich habe Sie deshalb geweckt, um Ihnen mitzuteilen, dass Sie sofort das gräfliche Gebiet verlassen müssen.«

»Genug der Komödie«, sagte K. auffallend leise, legte sich nieder und zog die Decke über sich, »Sie gehn, junger Mann, ein wenig zu weit und ich werde morgen noch auf Ihr Benehmen zurückkommen. Der Wirt und die Herren dort sind Zeugen, soweit ich überhaupt Zeugen brauche. Sonst aber lassen Sie es sich gesagt sein, dass ich der Landvermesser bin, den der Graf hat kommen lassen. Meine Gehilfen mit den Apparaten kommen morgen im Wagen nach. Ich wollte mir den Marsch durch den Schnee nicht entgehn lassen, bin aber leider einige Mal vom Weg abgeirrt und deshalb erst so spät angekommen. Dass es jetzt zu spät war, im Schloss mich zu melden, wusste ich schon aus Eigenem noch vor Ihrer Belehrung. Deshalb habe ich mich auch mit diesem Nachtlager hier begnügt, das zu stören Sie die – gelinde gesagt – Unhöflichkeit hatten. Damit sind meine Erklärungen beendet. Gute Nacht, meine Herren.« Und K. drehte sich zum Ofen hin.

»Landvermesser?«, hörte er noch hinter seinem Rücken zögernd fragen, dann war allgemeine Stille. Aber der junge Mann fasste sich bald und sagte zum Wirt in einem Ton, der genug gedämpft war, um als Rücksichtnahme auf K.’s Schlaf zu gelten, und laut genug, um ihm verständlich zu sein: »Ich werde telefonisch anfragen.« Wie, auch ein Telefon war in diesem Dorfwirtshaus? Man war vorzüglich eingerichtet. Im Einzelnen überraschte es K., im Ganzen hatte er es freilich erwartet. Es zeigte sich, dass das Telefon fast über seinem Kopf angebracht war, in seiner Verschlafenheit hatte er es übersehn. Wenn nun der junge Mann telefonieren musste, dann konnte er bei bestem Willen K.’s Schlaf nicht schonen, es handelte sich nur darum, ob K. ihn telefonieren lassen sollte, er beschloss es zuzulassen. Dann hatte es freilich aber auch keinen Sinn den Schlafenden zu spielen und er kehrte deshalb in die Rückenlage zurück. Er sah die Bauern scheu zusammenrücken und sich besprechen, die Ankunft eines Landvermessers war nichts Geringes. Die Tür der Küche hatte sich geöffnet, türfüllend stand dort die mächtige Gestalt der Wirtin, auf den Fußspitzen näherte sich ihr der Wirt, um ihr zu berichten. Und nun begann das Telefongespräch. Der Kastellan schlief, aber ein Unterkastellan, einer der Unterkastellane, ein Herr Fritz war da. Der junge Mann, der sich als Schwarzer vorstellte, erzählte, wie er K. gefunden, einen Mann in den Dreißigern, recht zerlumpt, auf einem Strohsack ruhig schlafend mit einem winzigen Rucksack als Kopfkissen, einen Knotenstock in Reichweite. Nun sei er ihm natürlich verdächtig gewesen, und da der Wirt offenbar seine Pflicht vernachlässigt hatte, sei es seine, Schwarzers Pflicht gewesen der Sache auf den Grund zu gehn. Das Gewecktwerden, das Verhör, die pflichtgemäße Androhung der Verweisung aus der Grafschaft habe K. sehr ungnädig aufgenommen, übrigens wie sich schließlich gezeigt hat vielleicht mit Recht, denn er behaupte ein vom Herrn Grafen bestellter Landvermesser zu sein. Natürlich sei es zumindest formale Pflicht diese Behauptung nachzuprüfen und Schwarzer bitte deshalb Herrn Fritz sich in der Zentralkanzlei zu erkundigen, ob ein Landvermesser dieser Art wirklich erwartet werde, und die Antwort gleich zu telefonieren.

Dann war es still, Fritz erkundigte sich drüben und hier wartete man auf die Antwort, K. blieb wie bisher, drehte sich nicht einmal um, schien gar nicht neugierig, sah vor sich hin. Die Erzählung Schwarzers in ihrer Mischung von Bosheit und Vorsicht gab ihm eine Vorstellung von der gewissermaßen diplomatischen Bildung, über die im Schloss selbst so kleine Leute wie Schwarzer leicht verfügten. Und auch an Fleiß ließen sie es dort nicht fehlen, die Zentralkanzlei hatte Nachtdienst. Und gab offenbar sehr schnell Antwort, denn schon klingelte Fritz. Dieser Bericht schien allerdings sehr kurz, denn sofort warf Schwarzer wütend den Hörer hin. »Ich habe es ja gesagt«, schrie er, »keine Spur von Landvermesser, ein gemeiner lügnerischer Landstreicher, wahrscheinlich aber Ärgeres.« Einen Augenblick dachte K., alles, Schwarzer, Bauern, Wirt und Wirtin würden sich auf ihn stürzen, um wenigstens dem ersten Ansturm auszuweichen verkroch er sich ganz unter die Decke, da – er steckte langsam den Kopf wieder hervor – läutete das Telefon nochmals und wie es K. schien, besonders stark. Trotzdem es unwahrscheinlich war, dass es wieder K. betraf, stockten alle und Schwarzer kehrte zum Apparat zurück. Er hörte dort eine längere Erklärung ab und sagte dann leise: »Ein Irrtum also? Das ist mir recht unangenehm. Der Bureauchef selbst hat telefoniert? Sonderbar, sonderbar. Wie soll ich es aber jetzt dem Herrn Landvermesser erklären?«

K. horchte auf. Das Schloss hatte ihn also zum Landvermesser ernannt. Das war einerseits ungünstig für ihn, denn es zeigte, dass man im Schloss alles Nötige über ihn wusste, die Kräfteverhältnisse abgewogen hatte und den Kampf lächelnd aufnahm. Es war aber andererseits auch günstig, denn es bewies seiner Meinung nach, dass man ihn unterschätzte und dass er mehr Freiheit haben würde, als er hätte von vornherein hoffen dürfen. Und wenn man glaubte, durch diese geistig gewiss überlegene Anerkennung seiner Landvermesserschaft ihn dauernd in Schrecken halten zu können, so täuschte man sich, es überschauerte ihn leicht, das war aber alles.

Dem sich schüchtern nähernden Schwarzer winkte K. ab; ins Zimmer des Wirtes zu übersiedeln, wozu man ihn drängte, weigerte er sich, nahm nur vom Wirt einen Schlaftrunk an, von der Wirtin ein Waschbecken mit Seife und Handtuch und musste gar nicht erst verlangen, dass der Saal geleert werde, denn alles drängte mit abgewendeten Gesichtern hinaus, um nicht etwa morgen von ihm erkannt zu werden, die Lampe wurde ausgelöscht und er hatte endlich Ruhe. Er schlief tief, kaum ein- zweimal von vorüberhuschenden Ratten flüchtig gestört, bis zum Morgen.

Nach dem Frühstück, das wie überhaupt K.’s ganze Verpflegung nach Angabe des Wirts vom Schloss bezahlt werden sollte, wollte er gleich ins Dorf gehn. Aber da der Wirt, mit dem er bisher in Erinnerung an sein gestriges Benehmen nur das Notwendigste gesprochen hatte, mit stummer Bitte sich immerfort um ihn herumdrehte, erbarmte er sich seiner und ließ ihn bei sich für ein Weilchen sich niedersetzen.

»Ich kenne den Grafen noch nicht«, sagte K., »er soll gute Arbeit gut bezahlen, ist das wahr? Wenn man wie ich so weit von Frau und Kind reist, dann will man auch etwas heimbringen.«

»In dieser Hinsicht muss sich der Herr keine Sorgen machen, über schlechte Bezahlung hört man keine Klage.«

»Nun«, sagte K., »ich gehöre ja nicht zu den Schüchternen und kann auch einem Grafen meine Meinung sagen, aber in...

Erscheint lt. Verlag 13.10.2023
Reihe/Serie Reclam Taschenbuch
Nachwort Michael Müller
Verlagsort Ditzingen
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 20. Jahrhundert • Belletristik • Expressionismus • Klassische Belletristik • Literatur • Prosa
ISBN-10 3-15-962183-9 / 3159621839
ISBN-13 978-3-15-962183-8 / 9783159621838
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