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Böse Täuschung (eBook)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
592 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-2613-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Böse Täuschung -  Christopher Reich
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Wann ist deine Frau nicht deine Frau? Und wenn sie nicht deine Frau ist, wer ist sie dann?

Eine Lawine in den Schweizer Alpen reißt Jonathan Ransom und seine Frau Emma in die Tiefe. Jonathan überlebt, Emma verschwindet spurlos. Sie wird für tot erklärt. In einem Schließfach entdeckt Jonathan Beweise dafür, dass seine Frau seit Jahren ein Doppelleben führte. Und je mehr er über ihre geheime Identität erfährt, desto weniger glaubt er, dass sie wirklich tot ist ...

Das Buch erschien vormals unter dem Titel 'Geblendet'.



Christopher Reich (* 12. November 1961 in Tokio) ist ein US-amerikanischer Autor. Seine Bücher wurden in 20 Sprachen übersetzt und waren mehrfach New York Times-Bestseller.

1


Jonathan Ransom klopfte sich das Eis von der Skibrille und warf einen prüfenden Blick zum Himmel. Wenn sich das Wetter weiter verschlechtert, dachte er, kommen wir in ernsthafte Schwierigkeiten. Ein beißender Wind schleuderte ihm Schnee und Kies gegen die Wangen. Die ihm vertrauten zerklüfteten Bergspitzen, welche die Hochgebirgsschlucht in den Schweizer Alpen säumten, waren von einer Armee unheilverkündender Wolken eingehüllt.

Er neigte sich beim Hangaufstieg nach vorne, hob die Füße bei jedem Schritt leicht an. Die Nylon-Seehundhäute unter seinen Skiern sorgten für festen Halt auf dem Schnee, spezielle Bindungen für den Tourenskilauf dafür, dass er zügig vorankam. Er war ein hochgewachsener Mann, siebenunddreißig Jahre alt, mit schmalen Hüften und breiten Schultern. Eine gut sitzende Wollmütze verbarg sein volles, frühzeitig angegrautes Haar. Die Skibrille verdeckte seine blau-schwarzen Augen. Nur sein entschlossener Mund und seine von einem Zweitagebart stoppeligen Wangen waren unbedeckt. Er trug seine alte Bergwachtjacke. Ohne sie ging er niemals auf die Piste.

Hinter ihm kämpfte sich Emma, seine Frau, die mit einem roten Parka und einer schwarzen Hose bekleidet war, den Berghang hinauf. Sie tat sich sichtlich schwer mit dem Aufstieg, machte drei Schritte vorwärts und legte dann eine Pause ein. Zwei Schritte vorwärts, Pause. Sie hatten gerade einmal die halbe Strecke zurückgelegt, doch sie schien mit ihren Kräften bereits am Ende zu sein.

Jonathan richtete seine Skier quer zum Hang aus und rammte die Stöcke in den Schnee. »Bleib, wo du bist«, rief er Emma durch seine trichterförmig um den Mund gelegten Hände zu. Er wartete auf eine Reaktion, doch seine Frau hatte ihn im heulenden Wind nicht gehört. Mit gesenktem Kopf setzte sie ihren schwerfälligen Aufstieg fort.

Mit seitlich gestellten Skiern bewegte sich Jonathan wieder den Hang hinunter. Er war steil und schmal, mit nacktem Felsgestein auf der einen und einer tiefen Schlucht auf der anderen Seite. Tief unter ihnen lag an einem geschwungenen Berghang des Kantons Graubünden die Gemeinde Arosa. Das Dorf war jedoch nur schemenhaft unter den schnell aufziehenden Wolkentürmen zu erkennen.

»War der Aufstieg schon immer so anstrengend?«, fragte Emma, als er sie erreicht hatte.

»Beim letzten Mal hast du mich auf dem Weg zum Gipfel abgehängt.«

»Das letzte Mal liegt acht Jahre zurück. Ich werde eben alt.«

»Klar, zweiunddreißig, ein wahrhaft biblisches Alter. Was soll ich denn sagen? Glaub mir, wenn du die fünfunddreißig erst mal überschritten hast, geht’s nur noch bergab.« Er kramte in seinem Rucksack nach einer Flasche Wasser und reichte sie ihr. »Wie fühlst du dich?«

»Halbtot«, sagte sie und stützte sich schwer auf ihre Skistöcke. »Ist wohl an der Zeit, die Sherpas zu rufen.«

»Falsches Land. Hier gibt’s nur Bergmännchen. Die sind zwar gewitzter, aber leider auch nur halb so kräftig. Ich fürchte, wir sind auf uns allein gestellt.«

»Irrtum ausgeschlossen?«

Jonathan nickte. »Du bist nur überhitzt. Nimm für einen Moment deine Mütze ab, und trink so viel du kannst.«

»In Ordnung, Doktor. Wird sofort erledigt.« Emma entledigte sich ihrer Mütze und trank mit gierigen Schlucken aus der Flasche.

Jonathan erinnerte sich daran, wie er und seine Frau vor acht Jahren ihren ersten gemeinsamen Aufstieg auf demselben Berg unternommen hatten. Damals war er ein frischgebackener Chirurg gewesen, der gerade von seinem ersten Afrika-Einsatz bei Ärzte ohne Grenzen zurückgekehrt war, sie eine zupackende englische Krankenschwester, die er von dort als seine Braut mitgebracht hatte. Kurz vor ihrem Aufbruch hatte er sie gefragt, ob sie bereits Erfahrungen mit dem Bergsteigen gesammelt hätte. »Einige wenige«, hatte sie darauf erwidert. »Kaum der Rede wert.« Und dann hatte sie ihn auf dem Weg zum Gipfel einfach abgehängt und ihm gezeigt, dass sie eine erfahrene Alpinistin war.

»Jetzt ist’s besser«, sagte Emma und fuhr sich mit der Hand durch ihr zerzaustes rotbraunes Haar.

»Bist du sicher?«

Emma lächelte, doch aus ihren haselnussbraunen Augen sprach die blanke Erschöpfung. »Tut mir leid«, sagte sie.

»Was denn?«

»Dass ich nicht so fit bin, wie ich’s hätte sein sollen. Dass wir wegen mir nicht so schnell vorankommen. Dass ich dich in den letzten Jahren nicht hierher begleitet habe.«

»Sei nicht albern. Ich bin froh, dass du hier bist.«

Emma reckte ihm ihr Gesicht entgegen und küsste ihn. »Ich auch.«

»Hör mal«, sagte er und wurde ernst. »Hier wird’s bald sehr ungemütlich. Ich frage mich, ob wir nicht lieber umkehren sollten.«

Emma warf ihm die Flasche zu. »Keine Chance, mein Lieber. Ich hab dich schon einmal auf dem Weg zum Gipfel geschlagen, und ich bin fest entschlossen, es wieder zu tun.«

»Willst du dein Geld darauf verwetten?«

»Ich dachte an was viel Besseres.«

»Ach wirklich?« Jonathan trank einen Schluck und freute sich, von ihr mal wieder eine zweideutige Bemerkung zu hören. Wie lange war es her, dass sie so etwas zu ihm gesagt hatte? Sechs Monate? Oder war sogar schon ein Jahr vergangen, seit bei ihr die Kopfschmerzen eingesetzt hatten und sie sich für viele Stunden am Tag in abgedunkelte Räume zurückzog? Er konnte sich nicht mehr an das genaue Datum erinnern. Lediglich daran, dass die Sache kurz vor Paris angefangen hatte. Und Paris, das war im Juli gewesen.

Er schob seinen Ärmel hoch und prüfte die Daten auf seiner Suunto-Armbanduhr. Höhe: 2 804 Meter. Temperatur: -10° C. Barometer: 900 Millibar, Tendenz fallend. Er starrte auf die Zahlen und wusste nicht, ob er seinen Augen trauen konnte. Der Luftdruck fiel rapide.

»Was ist los?«, wollte Emma wissen.

Jonathan verstaute die Wasserflasche in seinem Rucksack. »Der Sturm wird noch mal zulegen, bevor das Wetter sich schließlich beruhigt. Wir müssen zusehen, dass wir hier wegkommen. Bist du sicher, dass du nicht umkehren willst?«

Emma schüttelte den Kopf. Kein verletzter Stolz diesmal. Nur Entschlossenheit.

»In Ordnung«, sagte er. »Du gehst voran. Ich folge dir. Lass mich nur eben rasch meine Bindungen kontrollieren.«

Als er sich hinkniete, sah Jonathan, wie etwas Schnee auf seine Skispitzen purzelte. Kurz darauf waren seine Skier komplett mit Schnee bedeckt, und die Skispitzen erzitterten fast unmerklich.

Jonathan ließ die Bindungen Bindungen sein und richtete sich alarmiert auf. Hinter ihm türmte sich die Furkanordwand auf, ein dreihundert Meter hohes Massiv aus Felsgestein und Eis mit einem zerklüfteten Kalksteingipfel. Die vorherrschenden Winde hatten losen Schnee gegen den unteren Teil der Wand geweht, sodass ein hoher, breiter Schneewall entstanden war, der gestaucht und instabil wirkte.

Jonathans Kehle war wie ausgedörrt. Er war ein erfahrener Bergsteiger. Hatte Klettertouren in den Alpen, den Rockys und auch auf dem Himalaya unternommen und dabei einige Blessuren davongetragen. Er war mit einem blauen Auge davongekommen, wo andere auf der Strecke geblieben waren. Kurz: Er wusste, wann er sich Sorgen machen musste.

»Spürst du das auch?«, fragte er. »Die Schneedecke ist drauf und dran, sich zu lösen.«

»Hast du irgendwas gehört?«

»Nein. Noch nicht. Aber …«

Von irgendwoher … irgendwo über ihnen … konnten sie das Grollen eines herannahenden Donners hören. Der Berg erzitterte. Er dachte an den Schnee auf dem Furka. Die tagelange Kälteperiode hatte ihn zu einer gigantischen Platte zusammenfrieren lassen, die mehrere tausend Tonnen wog. Das war kein Donnergrollen, das er gehört hatte, sondern das Geräusch der auseinanderbrechenden Schneeplatte, die sich von dem darunterliegenden, alten, festen Schnee löste.

Jonathan blickte zum Berg auf. Er war schon einmal von einer Schneelawine überrollt worden. Elf Minuten lang hatte er unter der weißen Last gelegen, begraben in der Dunkelheit, unfähig, eine Hand zu bewegen oder auch nur einen Finger, zu betäubt von der Kälte, um zu spüren, dass sein Bein aus dem Hüftgelenk gerissen worden war, sodass sich sein Knie nur wenige Zentimeter von seinem Ohr befunden hatte. Am Ende hatte er überlebt, weil einem Freund das Kreuz auf seiner Bergwachtjacke ins Auge gefallen war, kurz bevor die Lawine Jonathan unter sich begraben hatte.

Zehn Sekunden verstrichen. Der Donner verhallte. Der Wind ließ nach, und eine unheimliche Stille breitete sich aus. Wortlos löste Jonathan das Seil, das um seine Taille gebunden war, und schlang das eine Ende um Emmas Körper. An einen Rückzug war nun nicht mehr zu denken. Sie mussten so schnell wie möglich aus dem Lawinengebiet heraus. Mit einigen knappen Handsignalen gab er Emma zu verstehen, dass sie auf direktem Wege bergauf laufen würden und sie ihm ohne großen Abstand folgen sollte. »Okay?«, fragte er sie per Handzeichen.

»Okay«, lautete die Antwort.

Jonathan brachte seine Skier in Position und ging los. Die Bergwand war steil und ähnelte in ihrem Verlauf der Bergseite. Er kam zügig voran. Alle paar Meter warf er einen Blick über die Schulter und sah, dass Emma mit ihm Schritt hielt und ihm in etwa anderthalb Metern Abstand folgte. Der Wind nahm wieder zu und drehte in östliche Richtung. Dicke Schneeflocken fielen senkrecht vom Himmel und setzten sich auf ihre Kleidung. Seine Zehen wurden gefühllos, seine Finger taub und steif. Die Sicht verschlechterte sich von sechs auf drei Meter, und schon bald konnte er den Weg vor seiner Nasenspitze nicht mehr erkennen. Allein seine schmerzenden Oberschenkel verrieten ihm, dass er immer noch bergauf ging und sich von der Schlucht entfernte.

Eine Stunde später erreichte er das Felsplateau....

Erscheint lt. Verlag 15.8.2023
Reihe/Serie Jonathan Ransom Thriller Serie
Jonathan Ransom Thriller Serie
Übersetzer Damaris Brandhorst
Sprache deutsch
Original-Titel RULES OF DECEPTION
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Christopher Reich • Don Winslow • Doppelleben • John Grisham • Lawine • Richard Pobi • Thriller
ISBN-10 3-8412-2613-2 / 3841226132
ISBN-13 978-3-8412-2613-6 / 9783841226136
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