Weihnachten mit Agatha Christie (eBook)
272 Seiten
Atlantik Verlag
978-3-455-01772-4 (ISBN)
Agatha Christie begründete den modernen britischen Kriminalroman und avancierte im Laufe ihres Lebens zur bekanntesten Krimiautorin aller Zeiten. Ihre beliebten Helden Hercule Poirot und Miss Marple sind - auch durch die Verfilmungen - einem Millionenpublikum bekannt. 1971 wurde sie in den Adelsstand erhoben. Agatha Christie starb 1976 im Alter von 85 Jahren.
Agatha Christie begründete den modernen britischen Kriminalroman und avancierte im Laufe ihres Lebens zur bekanntesten Krimiautorin aller Zeiten. Ihre beliebten Helden Hercule Poirot und Miss Marple sind - auch durch die Verfilmungen - einem Millionenpublikum bekannt. 1971 wurde sie in den Adelsstand erhoben. Agatha Christie starb 1976 im Alter von 85 Jahren.
Cover
Verlagslogo
Titelseite
Weihnachten auf Abney Hall
Die Versuchung
Die Pralinenschachtel
Der unfolgsame Esel
Eine Weihnachtstragödie
Die Fahrt auf der Themse
Ein Weihnachtsabenteuer
In der Abendkühle
Die Pfarrerstochter
Das Rote Haus
Die vierzehn Nothelfer
Das Geheimnis des Plumpuddings
Der Traum vom Glück
Die Insel
Die Ankunft des Mr Quin
Nachweise
Über Agatha Christie
Impressum
Weihnachten auf Abney Hall
Wir pflegten die Weihnachten in Cheshire bei den Watts zu verleben. Um diese Zeit bekam Jimmy seinen Urlaub, und dann fuhr er mit Madge auf drei Wochen nach St. Moritz. Er war ein sehr guter Eisläufer, und deshalb behagte ihm diese Art von Urlaub am besten. Mutter und ich pflegten nach Cheadle hinaufzufahren, und da ihr neues Haus, das Manor Lodge hieß, noch nicht fertig war, verbrachten wir die Weihnachtsfeiertage mit den alten Watts, ihren vier Kindern und Jack auf Abney Hall. Für ein Kind war es ein wunderbares Haus, um darin Weihnachten zu feiern. Es besaß nicht nur eine Unzahl von Zimmern, Gängen, unerwarteten Stufen, Vordertreppen, Hintertreppen, Alkoven, Erkern – alles, was ein Kind sich nur wünschen kann –, sondern auch eine Orgel und drei verschiedene Klaviere, welche man spielen konnte. Was dem Haus fehlte, war Tageslicht. Es war ziemlich dunkel, ausgenommen der große Salon mit seinen grünen Seidentapeten und den großen Fenstern.
Abney Hall war ein wahres Schlemmerparadies. Mrs Watts’ sogenannte Speisekammer grenzte an die Halle an. Sie hatte nichts mit Omas Speisekammer gemein, dieser uneinnehmbaren Festung, aus der nur zu gewissen Tageszeiten Lebensmittel ausgegeben wurden. Hier hatte jedermann freien Zutritt, und an den Wänden standen Regale voll mit Naschereien aller Art. Schokolade in Tafeln, Schokoladebonbons, Kekse, Pfefferkuchen, eingemachte Früchte, Marmeladen und so weiter.
Weihnachten war das Fest aller Feste; es wird mir immer unvergesslich bleiben. Das Frühstück, wo jedes Kind schon sein Geschenk vorfand. Dann eilig zur Kirche und schnell wieder zurück, um weitere Geschenkpakete zu öffnen. Um zwei Uhr das Weihnachtsessen bei zugezogenen Vorhängen, hellem Licht und glitzernden Ornamenten. Austernsuppe (die ich nicht mochte), Steinbutt, gekochter Truthahn, gebratener Truthahn und ein riesiges Stück Roastbeef. Anschließend Plumpudding, Fleischpasteten, einen Auflauf und zum Nachtisch natürlich eine Menge köstlicher Süßigkeiten. In meinem Buch Ein diplomatischer Zwischenfall habe ich solch ein Festmahl ausführlich beschrieben. Es ist eines von jenen Dingen, die man in dieser Generation bestimmt nicht mehr erleben wird. Und ich bezweifle auch, dass es die Verdauung eines Menschen von heute durchstehen könnte. Unsere Verdauung allerdings stand es ausgezeichnet durch. An Verfressenheit wetteiferte ich mit Humphrey Watts, der altersmäßig nach James kam. Mit seinen einundzwanzig oder zweiundzwanzig war er etwa zehn Jahre älter als ich. Er war ein sehr gut aussehender junger Mann, dazu noch ein guter Schauspieler, unterhaltend und ein wunderbarer Geschichtenerzähler. Sosehr ich dazu neigte, mich in Leute zu verlieben, in ihn verliebte ich mich nicht, was mich noch heute in Erstaunen setzt. Ich befand mich wohl noch in einem Stadium, in dem meine Affären ebenso romantisch wie unmöglich waren. Sie betrafen Personen des öffentlichen Lebens wie etwa den Bischof von London und König Alfons von Spanien, natürlich auch verschiedene Schauspieler. Ich weiß, dass ich mich unsterblich in Henry Ainley verliebte, als ich ihn in The Bondman erlebte.
Humphrey und ich aßen uns gewissenhaft durch das Weihnachtsdinner. Die Runde der Austernsuppe entschied er für sich, von da an aber ging es Kopf an Kopf. Beide aßen wir zuerst Truthahnbraten, dann gekochten Truthahn und schließlich vier oder fünf gewaltige Scheiben Roastbeef. Danach machten wir uns über den Plumpudding, die Fleischpasteten und den Auflauf her. Danach gab es Kekse, Trauben, Orangen und eingemachte Früchte. Am Nachmittag schließlich holten wir aus der Speisekammer noch einige Handvoll Pralinen, die uns besonders zusagten. War mir am nächsten Tag übel? Hatte ich Gallenbeschwerden? Nicht die Spur. Beschwerden hatte ich im September, wenn ich unreife Äpfel aß. Unreife Äpfel aß ich praktisch täglich, aber gelegentlich tat ich wohl des Guten zu viel.
Ich erinnere mich noch, welch ein Theater ich aufführte, als ich sechs oder sieben war und Pilze gegessen hatte. Um elf Uhr nachts wachte ich mit Schmerzen auf und stürzte in den Salon hinunter, wo meine Eltern mit Freunden zusammensaßen, und verkündete in dramatischem Ton: »Ich werde sterben! Ich habe mich mit Pilzen vergiftet!« Mutter beruhigte mich schnell, gab mir ein paar Schluck Brechwurzwein zu trinken – der in jenen Tagen in allen Medizinkästchen zu finden war – und versicherte mir, dass ich heute noch nicht sterben würde.
Jedenfalls erinnere ich mich nicht, zu Weihnachten jemals krank gewesen zu sein. Mit Nan Watts war es das Gleiche, sie hatte einen unverwüstlichen Magen. Und wenn ich so zurückdenke, muss ich sagen, dass damals alle Leute recht gute Mägen hatten. Ich nehme an, dass manche Menschen Magen- oder Zwölffingerdarmgeschwüre hatten und aufpassen mussten, aber ich kann mich nicht erinnern, dass einer nur von Fisch oder Milch gelebt hätte. Eine bäurische, gefräßige Zeit? Ja, aber auch eine Zeit des Lebensgenusses und der Lebensfreude. Wenn ich bedenke, was ich in meiner Jugend gefuttert habe – denn ich war immer hungrig –, kann ich einfach nicht verstehen, wie ich es schaffte, so mager zu bleiben – eine richtige Bohnenstange.
Nach der wohltuenden Untätigkeit des Weihnachtsnachmittags – Untätigkeit für die Älteren; die Jungen lasen, besahen sich ihre Geschenke, knabberten Schokolade – gab es einen herrlichen Tee mit einer großen, mit Zuckerglasur überzogenen Weihnachtstorte und alles Mögliche dazu und ein Abendessen, bestehend aus kaltem Truthahn und heißen Fleischpasteten. Gegen neun Uhr wurde der Weihnachtsbaum angezündet, an dem noch mehr Geschenke hingen. Ein wunderbarer Tag, an den man sich noch lange erinnerte – bis zum nächsten Weihnachtsfest.
Auch während des Jahres kam ich mit Mutter nach Abney Hall, und es war immer wunderschön. Im Garten, unter der Auffahrt, gab es einen Tunnel, der mir für das historische Drama, das ich gerade im Geiste über die Bühne gehen ließ, von großem Nutzen war. Gestikulierend stolzierte ich dort herum und murmelte vor mich hin. Sicherlich dachten die Gärtner, ich wäre nicht ganz normal, aber ich versuchte nur, mich in meine Rolle hineinzuversetzen. Es kam mir nie in den Sinn, etwas aufzuschreiben – und was die Gärtner von mir dachten, interessierte mich herzlich wenig. Gelegentlich spaziere ich auch heute noch in der Gegend herum und murmle vor mich hin – wobei ich versuche, ein Kapitel, das nicht so recht vorangeht, »hinzukriegen«.
Meine schöpferischen Kräfte entfaltete ich auch bei Sofakissen, die damals weitverbreitet waren. Daher waren bestickte Kissenüberzüge stets willkommen. In den Herbstmonaten war ich mit Feuereifer beim Sticken. Anfangs pflegte ich Abziehbilder zu kaufen, übertrug sie mit einem heißen Bügeleisen auf Satin und stickte dann mit Seide nach. Später kam ich von den Abziehbildern ab, weil es immer die gleichen Motive waren, und ich fing an, Blumenbilder von Porzellan zu kopieren. Wir hatten einige große Berliner und Dresdner Vasen mit wunderschönen Blumensträußen darauf; ich pauste sie ab, übertrug sie auf Satin und versuchte die Farben so getreu wie möglich nachzuahmen. Oma B. war sehr froh, als sie davon hörte; sie hatte in ihrem Leben so viel gestickt, dass ihr der Gedanke, eine Enkelin folge ihr auf diesem Wege, große Freude machte. Ihre eigene Kunstfertigkeit erlangte ich allerdings nicht, ich konnte nie so perfekt Landschaften und Figuren sticken wie sie. Ich besitze zwei Ofenschirme von ihr, beide exquisit gearbeitet: einen mit einer Schäferin, einen anderen mit einem Schäferpaar unter einem Baum, in dessen Rinde sie ein Herz schnitzen. Wie befriedigend muss doch diese Beschäftigung an den langen Winterabenden für die großen Damen zur Zeit der Wandteppiche von Bayeux gewesen sein!
Mr Watts, Jimmys Vater, war ein Mensch, in dessen Gegenwart mich eine seltsame Scheu befiel. Er pflegte mich »Traumkind« zu nennen – ich wand mich jedes Mal vor Verlegenheit. »Woran denkt jetzt unser Traumkind?«, pflegte er zu sagen. Ich wurde puterrot im Gesicht. Oft bat er mich, ihm irgendwelche sentimentalen Lieder vorzuspielen und vorzusingen. Ich konnte ganz gut Noten lesen, und so schleppte er mich zum Klavier, und ich musste ihm seine Lieblingslieder singen. Er war ein künstlerisch veranlagter Mensch und malte Landschaften mit Mooren und Sonnenuntergängen. Er war auch ein großer Möbelsammler, und seine Spezialität waren alte Eichenmöbel. Zusammen mit seinem Freund Fletcher Moss machte er auch gute Aufnahmen und veröffentlichte mehrere Bildbände mit Fotografien berühmter Häuser. Ich wollte, ich wäre ihm gegenüber nicht so schüchtern gewesen, aber ich war ja in einem Alter, in dem man ganz besonders gehemmt ist.
Viel lieber mochte ich Mrs Watts. Sie war ein erfrischend lebhafter, durch und durch wirklichkeitsnaher Mensch. Nan, die zwei Jahre älter war als ich, gefiel sich in der Rolle eines enfant terrible und hatte besondere Freude daran, zu schreien, ungezogen zu sein und hässliche Worte zu gebrauchen. Es schmerzte Mrs Watts, wenn Nan ihre »Verflucht!« und »Verdammt!« abfeuerte. Sie mochte es auch nicht leiden, wenn ihre Tochter auf Vorhaltungen mit »Ach, sei doch nicht so dumm, Mutter!« reagierte. Nie hätte sie sich gedacht, dass eine Tochter so zu ihrer Mutter sprechen könnte, aber in der Welt war eine Zeit angebrochen, wo man offen und unverblümt miteinander redete. Nun ja, die meisten Mütter müssen so ein Stadium durchmachen, in dem ihre Töchter sie auf diese oder jene Weise in eine harte Schule...
Erscheint lt. Verlag | 5.10.2023 |
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Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Advent • Agatha Christie • England • Hercule Poirot • Miss Marple • Weihnachten • Weihnachtsanthologie • Weihnachtsgeschichten |
ISBN-10 | 3-455-01772-X / 345501772X |
ISBN-13 | 978-3-455-01772-4 / 9783455017724 |
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