Die Strafe (eBook)
384 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01522-7 (ISBN)
Hubertus Borck, geboren 1967 in Lübeck, war der kreative Kopf des Hamburger Musik-Kabarett-Duos Bo Doerek. Er arbeitet heute als Theater- und Drehbuchautor und schrieb u. a. für «Gute Zeiten, schlechte Zeiten», «Wege zum Glück» und die NDR-Produktion «Rote Rosen». Hubertus Borck lebt in Hamburg.
Hubertus Borck, geboren 1967 in Lübeck, war der kreative Kopf des Hamburger Musik-Kabarett-Duos Bo Doerek. Er arbeitet heute als Theater- und Drehbuchautor und schrieb u. a. für «Gute Zeiten, schlechte Zeiten», «Wege zum Glück» und die NDR-Produktion «Rote Rosen». Hubertus Borck lebt in Hamburg.
2 Dienstag, 5. September
Margarete stand auf ihrem kleinen Balkon im zehnten Stock eines Hochhauses im Hamburger Stadtteil Billstedt und schaute in die dunkle Nacht hinaus. Sie leerte den Rest Spezi aus der Jumboflasche und zündete sich zufrieden eine Zigarette an, die sie fast ohne hinzugucken gedreht hatte. Den Tabak und das Einwegfeuerzeug steckte sie zurück in die Kängurutasche ihres Hoodies. Sie spürte, wie die Süße der Limo unangenehm unter die Krone ihres linken Backenzahns zog. Irgendwo in der Nachbarschaft schrie eine Frau ihren Freund an, der brüllte zurück.
Sie genoss die Zigarette. Eigentlich war das Nikotin genauso Gift für ihr Rheuma wie der Zucker in der Limo. Aber heute hatte sie sich beides verdient. Zufrieden lehnte sie sich gegen das Balkongeländer und schaute durch die geputzte Scheibe ins frisch gestrichene Wohnzimmer hinein. Die neue Wandfarbe sah auch im Schein der Deckenlampe wirklich toll aus.
Margarete hatte die Klassenfahrt ihrer Tochter Kathleen dazu genutzt, die Wände der zweiundsechzig Quadratmeter großen Dreizimmerwohnung hellblau zu streichen. Und weil sie im Baumarkt nicht nur Wand-, sondern auch Lackfarbe günstig geschossen hatte, hatte sie gleich alles angeschliffen und lackiert, was einen frischen Look benötigte. Daher strahlten nun auch die Türen und Fensterrahmen, die Fronten der Küchenschränke und das kleine Schuhregal im Flur in mattem Weiß. Obwohl sie öfter eine Pause hatte einlegen müssen, weil ihre Fingergelenke wieder schmerzten, hatten die Renovierungsarbeiten Margarete erstaunlich viel Spaß gemacht. Sie massierte sich die Hände, wobei sie der Ring am linken Ringfinger an Kathis Vater erinnerte. Die Liebe ihres Lebens war vor sechs Jahren verstorben. Aber es hatte weitergehen müssen.
Über zwanzig Jahre hatte sich Margarete in der Reinigung in der Steinfurther Allee krummgelegt, bis ihr das Rheuma vor vier Jahren endgültig einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte. Unter diesem Gesichtspunkt war sie noch etwas stolzer auf sich, die anstrengenden Streicharbeiten ganz alleine bewerkstelligt zu haben.
Auch wenn Margarete jeden Euro zweimal umdrehen musste, tat sie alles, damit es Kathi gut ging. Na, die würde Augen machen, wenn sie morgen früh aus Grömitz zurückkäme. Wie oft hatte Kathi sich einen neuen Anstrich für die Wohnung gewünscht. Und Hellblau war ihre Lieblingsfarbe.
Unten, auf dem Havighorster Redder, saß eine Gruppe Teenager auf einer Bank unter einer Laterne. Sie kannte die Truppe. Einige harmlose Jungs, die breitbeinig durch die Gegend mackerten, aber keiner Fliege etwas zuleide taten. Der jüngste Sohn von Kieslings war siebzehn und war Margarete sogar hin und wieder mit den Einkäufen behilflich, wenn sie mal wieder nicht richtig tragen konnte. Nun flippte er seine brennende Kippe auf die Straße, die der Wind über die Fahrbahn rollte. Selbst von hier oben sah Margarete die kleine Glut aufspritzen.
Sie fühlte sich wohl in diesem Stadtteil. Das Leben in der Mümmel, wie viele von ihnen die in den Siebzigerjahren erbaute Hochhaussiedlung liebevoll nannten, war besser als sein Ruf, besonders, wenn man sich aus dem Ärger heraushielt.
Als sie ihre Zigarette fast aufgeraucht hatte, betrachtete Margarete die Sammlung leerer Farbeimer und Lackdosen, die auf dem Balkon zusammengekommen war. Wenn sie Kathi morgen früh vom Bahnhof abholen wollte, wie sie es ihr vorhin am Telefon versprochen hatte, müsste sie heute noch den ganzen Müll entsorgen und die Wohnung wieder picobello herrichten. Zu Kathis Rückkehr sollte alles perfekt sein.
Farinaz war schon gestern Nachmittag beeindruckt die Kinnlade heruntergeklappt, dabei war der Flur noch nicht einmal fertig gestrichen gewesen. Die Nachbarin aus dem Elften hatte spontan auf ein Schwätzchen vorbeigeschaut. Was den neusten Klatsch anbelangte, war Farinaz Baumann wie ein Kiosk, wie die Barfrau selbst über sich sagte. Margarete hatte gestern wieder einmal festgestellt, dass man sie lieber zur Freundin als zur Feindin hatte.
Langsam wurde es kühl hier draußen. Der Spätsommer fühlte sich Anfang September bereits nach Herbst an. Margarete drückte ihre Kippe in dem kleinen Aschenbecher aus, der auf dem wackeligen Holztisch stand. Dann nahm sie den letzten Schluck und stellte die leere Speziflasche auf das Fensterbrett neben das große Gurkenglas mit dem benutzten Terpentinöl. Mehrere Pinsel in verschiedenen Größen weichten darin ein. Insgesamt waren in der letzten Woche vier solcher Gefäße mit altem Lösungsmittel zusammengekommen. Darüber, wo sie diese Brühe entsorgen sollte, hatte Margarete sich bisher keine Gedanken gemacht. Wahrscheinlich müsste sie zum Recyclinghof fahren. Aber dafür war es heute bereits zu spät, es war ja schon nach Mitternacht. Sie war sicher, dass es Leute gab, die in einer solchen Situation alles einfach in den Ausguss kippten und ihr ökologisches Gewissen gleich hinterher, so sie denn eins hatten. Margarete würde das aber nicht tun. Sie schaute zur leeren Jumboflasche. Ob da alles hineinpasste? Wenige Minuten später hatte sie das Terpentin problemlos umgefüllt und sammelte in der Wohnung noch das bekleckerte Zeitungspapier vom Fußboden. Da kam einiges an Papiermüll zusammen, auf dem teils handtellergroße Placken Lackfarbe getrocknet waren. Zu ihrem eigenen Erstaunen brauchte Margarete vier riesige Tüten dafür.
Schließlich schaute sie auf die Uhr. So spät nachts war nicht anzunehmen, dass sie noch jemanden im Keller antreffen würde, der sich über den Lösungsmittelgestank ihres Mülls beschwerte – und darüber, dass sie die Flasche mit dem benutzten Terpentin einfach neben einen der Müllcontainer stellte. Margaretes schlechtes Gewissen meldete sich erneut, denn sie wusste natürlich, dass der Müllkeller kein Recyclinghof war. Aber die Stadtreinigung würde die Flasche ganz sicher nicht einfach stehen lassen. Oder? Sie beruhigte sich mit einer Geschichte, die Farinaz gestern erzählt hatte. Zwei ihrer Bekannten hatten ihre alte Waschmaschine nach unten in den Müllraum transportiert, und die Nachbarin ging ganz selbstverständlich davon aus, dass der Hausmeister einen städtischen Entsorger rief, wie er es immer tat, vermutlich aus Notwehr, damit der Keller nicht im Sperrmüll versank. Dass das nicht zu seinen Pflichten gehörte, schien Farinaz egal zu sein. Was war da schon Margaretes eine Flasche Terpentinöl?
Bevor sie die Tür im zehnten Stock hinter sich zuzog, befühlte sie noch die Taschen ihrer Jogginghose. Links hatte sie ihr Handy eingesteckt, rechts schob sie den Schlüsselbund hinein. Dann schlüpfte sie mit nackten Füßen in ihre Gummisandalen und schleppte den Müll zum Fahrstuhl.
Die Türen öffneten sich. Der Geruch, der Margarete entgegenschlug, war eine Mischung aus gebratenen Zwiebeln unten vom Croqueladen und altem Katzenstreu.
Das Licht in der Kabine flackerte mal wieder. Margarete streckte sich und schlug von unten gegen die weiße Kunststoffverkleidung der Lampe, wobei sich die toten Insekten darin kurz zu bewegen schienen. Der Wackelkontakt war jedenfalls behoben.
Dann drückte Margarete auf U. Die verbeulten Schiebetüren fuhren zusammen, und vor ihrer Nase erschien ein frisch ins Metall geritztes Hakenkreuz. Darunter hatte jemand mit Edding einen alten Spruch geschmiert: Du bist scheiße, ich bin cool. Rudolf Hitler ist ein schwul.
Im Keller angekommen, trat Margarete hinaus in den schmalen Gang. Ein Bewegungsmelder ließ die Leuchtstoffröhren an der weiß gestrichenen Decke eine nach der anderen anspringen. Wie ein kippender Dominostein den nächsten umwarf, schien eine Lampe die nächste einzuschalten. Vor Jahren hatte man das Haus einer Grundsanierung unterzogen. Hier unten war davon nichts mehr zu erkennen. Die Wände waren längst wieder mit Graffitis und Parolen überzogen, die sich die Verfasser wohl nur im Verborgenen an die Wände zu schmieren trauten. Margarete gruselte es hier immer ein wenig. Irgendwo fiel eine Metalltür ins Schloss. Sie horchte auf. War sie um diese Uhrzeit doch nicht alleine?
«Hallo?»
Schritte entfernten sich. Noch eine Tür klappte. Dann war nur noch das monotone Brummen aus dem Raum der Haustechnik zu hören.
Der leichte Luftzug, der stetig durch die Belüftungsschlitze in den Wänden zog, roch immer etwas modrig. Hinter der Tür am Ende des Gangs ging es links zu den Kellerverschlägen. Bog man nach rechts, erreichte man den fensterlosen Raum mit fünf rollbaren Müllcontainern für die insgesamt fünfundfünfzig Wohnungen.
Margarete hängte sich die vier Tüten über den Rücken und griff mit der anderen Hand die Bügel der zwei großen Farbeimer, in denen sie die leeren Lackdosen verstaut hatte. Die Jumboflasche Terpentin zog ihr den Arm zusätzlich nach unten.
So beladen erreichte sie kurz darauf den Müllraum. Na toll! Der Container mit Hausmüll war mal wieder bis zur Oberkante voll, der Deckel war schon nicht mehr zugegangen. Hier drinnen stank es entsetzlich nach Babywindel. Farinaz’ Waschmaschine stand vor dem schweren Rolltor auf der gegenüberliegenden Seite der Kellertür. Daneben lehnte eine versiffte Matratze.
Margarete bugsierte ihre Mülltüten und die Farbeimer in den Raum, als über ihr das Licht ausging. Wie wild fuchtelte sie mit beiden Armen durch die Dunkelheit – aber der Bewegungsmelder reagierte nicht. Was war denn nun los? Sie winkte erneut durch das Schwarz und fluchte. Doch die Lampe wollte einfach nicht wieder anspringen. Dafür hörte sie, wie die Tür hinter ihr ins Schloss fiel. Nur das leise Grundrauschen der Entlüftung war zu hören. Das durfte doch jetzt wohl nicht wahr sein!
So stand...
Erscheint lt. Verlag | 1.12.2023 |
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Reihe/Serie | Franka Erdmann und Alpay Eloğlu | Franka Erdmann und Alpay Eloğlu |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Aktivismus • Arno Strobel • beste thriller • Bestseller • Buch Thriller • crimethrill • Das Profil • Deutscher Thriller • Die Klinik • Die letzte Generation • Ermittlerduo • Fridays For Future • Hamburg • Killer • Klimakleber • Klimawandel • Krimibestseller • Krimi Bestseller • Krimi Neuererscheinungen • Krimi Neuerscheinung 2024 • krimis Hamburg • letzte Generation • Mordserie • Mülltrennung • Neue Thriller • Neuheiten Thriller • Ökoterrorismus • Psychothriller • Rachekrimi • Rachethriller • Sebastian Fitzek • Serienkiller • Serienmörder • spannende Thriller • Spannung pur • taschenbücher thriller • Thriller • Thriller Bücher • Thriller deutscher Autor • Thriller neuerscheinung 2024 • Umweltaktivist • Umweltgruppe • Umweltinitiative • Umweltkrimi • Umweltschutz • Umweltsünden • Umweltthriller • Winkelmann |
ISBN-10 | 3-644-01522-8 / 3644015228 |
ISBN-13 | 978-3-644-01522-7 / 9783644015227 |
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