No Escape (eBook)
384 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60579-3 (ISBN)
Lucy Clarke studierte Englische Literatur in Cardiff, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Ihre Romane, in denen sie atemberaubende Spannung mit den schönsten Urlaubsorten der Welt verbindet, haben sich millionenfach verkauft und wurden in über 20 Sprachen übersetzt. Wenn die Autorin nicht unterwegs ist, um in fernen Ländern zu recherchieren (der liebste Teil ihrer Arbeit!), lebt sie mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern an der Südküste Englands.
Lucy Clarke studierte Englische Literatur in Cardiff, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Ihre Romane, in denen sie atemberaubende Spannung mit den schönsten Urlaubsorten der Welt verbindet, haben sich millionenfach verkauft und wurden in über 20 Sprachen übersetzt. Wenn die Autorin nicht unterwegs ist, um in fernen Ländern zu recherchieren (der liebster Teil ihrer Arbeit!), lebt sie mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern an der Südküste Englands.
1
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Der Pinsel rutscht Lana aus den Fingern und dreht sich im Fallen. Als er am Fuß der Staffelei landet, spritzen winzige Flecken blauer Acrylfarbe an Lanas Knöchel.
Sie schaut nicht hin und bemerkt auch nicht, dass sich die Farbspritzer über die kleine Tätowierung, ein Flügel, an ihrem Knöchel verteilt haben. Ihr Blick bleibt auf das Radio auf der Fensterbank gerichtet, und ihre Finger ragen immer noch in die Höhe, als hielten sie den Pinsel an die Leinwand. Der silberne Kasten aus Metall und Drähten zieht ihre gesamte Aufmerksamkeit auf sich. Sie lauscht der Stimme des Nachrichtensprechers.
»… ist hundert Seemeilen vor der Nordküste Neuseelands gesunken. Die Jacht namens The Blue soll vor acht Tagen mit einer Besatzung von fünf Leuten, darunter zwei Neuseeländern, Fidschi verlassen haben. Der Seenotrettungsdienst in der Bay of Islands hat eine Rettungsaktion eingeleitet. Die Küstenwache beschreibt den Seegang als mäßig bewegt, mit Windstärken bis zu zwanzig Knoten.«
Lana blinzelt und bemüht sich, die Informationen aufzunehmen, die an ihr abzuprallen scheinen, wie Regen auf harter, verbrannter Erde. Ihr Blick bohrt sich in das Radio, als könne es dadurch mehr preisgeben, aber der Nachrichtensprecher ist schon beim nächsten Thema.
Sie hebt ihre Hand an den Kopf und spürt die kühle Seide des Kopftuchs, mit dem sie sich die Haare aus dem Gesicht gebunden hat. Acht Monate ist es nun her, dass Lana die Jacht verlassen hat, braun gebrannt, barfuß, einen großen Rucksack auf dem Rücken. Unter ihren Augen hatten tiefe Schatten gelegen, als sie am Strand entlanggegangen war, ohne sich noch einmal umzuschauen. Sie konnte es nicht.
Als sie sich jetzt umdreht, erblickt sie in dem großen Spiegel, der an der Wand lehnt, ihr Spiegelbild: Ihr Gesicht ist bleich, die großen grünen Augen sind weit aufgerissen und schauen sie fragend an. Ist Kitty nach all der Zeit immer noch an Bord gewesen? Ist sie tatsächlich geblieben, obwohl Lana fort war? Es ist nicht ausgeschlossen, dass Kitty nach England zurückgekehrt ist. Lana versucht, sich vorzustellen, wie sie mit einem Drehbuch in der Hand in der Londoner U-Bahn sitzt, die glänzenden Haare offen über den Schultern, die Lippen rot angemalt. Das Bild will aber nicht scharf werden, nicht wirklich. Sie weiß, dass Kitty die Jacht nicht freiwillig verlassen hätte. Wie könnte eine von ihnen heimkehren, nach allem, was passiert ist?
Seit acht Monaten haben sie sich nicht mehr gesehen – so lang waren sie seit Beginn ihrer Freundschaft noch nie getrennt gewesen. Sie denkt an Kittys E-Mails, die immer noch ungelesen im Posteingang warten. Erst waren fast täglich lange Mails eingetroffen, dann nur noch alle paar Tage, manchmal auch erst nach einer Woche. Bei der Lektüre hatte Lana sich vorgestellt, wie die Jacht an entlegenen Inselketten entlangsegelte, und sich gefragt, was wohl an Bord geschah und mit wem Kitty die Zeit verbrachte. Da ständig diese Bilder in ihrem Kopf umhergeschwirrt waren, hatte sie die E-Mails irgendwann nicht mehr geöffnet. Und Kitty aus ihren Gedanken verbannt.
Nun bricht sich plötzlich eine Erinnerung Bahn, wunderschön und bunt wie ein Drachen: Kitty und sie, die im Alter von elf Jahren im Schneidersitz auf dem Kinderzimmerboden hocken und Freundschaftsbändchen flechten. »Das ist für dich«, hatte Kitty gesagt und ein schmales Baumwollbändchen aus türkisfarbenen und gelben Fäden hochgehalten – Lanas Lieblingsfarben. Sie hatte es um Lanas Handgelenk gelegt und die Zähne zu Hilfe genommen, um es in der richtigen Position zu verknoten. Hinterher war auf Lanas Handrücken eine Spur Lipgloss mit Erdbeergeschmack zurückgeblieben.
Lana wiederum hatte für Kitty ein Bändchen aus pinkfarbenen und weißen Fäden geflochten. Sie hatten die Handgelenke aneinandergelegt und sich versprochen, für immer und ewig Freundinnen zu bleiben.
Achtzehn Monate lang trug Lana ihr Freundschaftsbändchen, das allmählich zerfranste und spülwassergrau wurde, bis es in der Badewanne schließlich riss. Sie fischte es aus dem Wasser und hängte es zum Trocknen über die Handtuchstange. Dann legte sie es in die Erinnerungsschachtel zu dem Foto ihrer Mutter.
Freundinnen für immer und ewig, hatten sie sich geschworen.
Heiße Schuldgefühle steigen in Lana auf, als sie an das gebrochene Versprechen denkt: Sie hat Kitty aus ihrem Leben verbannt, die Bugleine durchgeschnitten und das Boot aufs Meer hinaustreiben lassen.
Verzweifelt wartet Lana auf die nächsten Nachrichten. Sie muss wissen, was auf dem Wasser geschehen ist – ob sich die Besatzung auf ein Rettungsfloß flüchten konnte, ob jemand verletzt ist –, aber im Radio dudelt ein penetranter Softrock-Song. In wenigen Schritten ist sie am Fensterbrett und schaltet das Radio aus.
Am offenen Fenster bleibt sie stehen. Das Morgenlicht ist fahl und dunstig, eine salzige Brise weht herein. Lana stellt sich auf die Zehenspitzen und schaut über die Baumwipfel hinweg aufs Meer. Die Aussicht ist einer der Gründe, warum sie diese Wohnung überhaupt gemietet hat, trotz der schadhaften Dielen und der lautstarken Elektroöfen, an die man sich im strengen Neuseeländer Winter schmiegen muss, um ein bisschen Wärme zu verspüren.
Jetzt, da der Sommer naht, ist sie dankbar für die großen Fenster, die das Licht hereinfluten lassen. Sie kann ihre Staffelei davor aufbauen und vor der Arbeit noch ein wenig malen. Es ist fast eine Art von neuem Leben, das sie sich hier aufgebaut hat: Sie hat einen Job, eine Wohnung und ein gebrauchtes Auto. Ihre Tage mögen nicht mehr mit Freunden und Gelächter und Trubel angefüllt sein, aber das ist vielleicht auch besser so.
Manchmal denkt sie an ihren Vater in England, der jeden Abend allein in seinem heruntergewohnten Reihenhaus hockt, Kreuzworträtsel löst und fernsieht. Nachdem sie so lang gegen seinen gleichförmigen Alltag rebelliert hat, ist sie sich der Ironie durchaus bewusst, dass ihr eigenes Leben jetzt in denselben geruhsamen Bahnen verläuft. Alle paar Monate schreibt sie ihm – nur kurze Briefe, um ihn wissen zu lassen, dass es ihr gut geht –, aber sie notiert nie ihre Adresse auf dem Umschlag. Dazu ist sie noch nicht bereit.
Acht Monate ist Lana nun schon in Neuseeland. Als sie in ihrem sonnengebleichten Baumwollkleid aus dem Flugzeug stieg, hatte der Herbst bereits begonnen. Das salzverkrustete Haar war ihr offen auf die Schultern gefallen. Sie hatte lediglich einen großen Rucksack auf dem Rücken und die fünfhundert Dollar, die von ihren Ersparnissen noch übrig waren.
Die erste Nacht hatte sie im Auckland Hostel verbracht. Mit geschlossenen Augen lag sie auf der Matratze des Etagenbetts und wartete darauf, dass der Boden unter ihr zu schlingern und zu rollen begann. Wenn in diesem Moment jemand in den Schlafsaal gekommen wäre, ihr eine Hand auf die Schulter gelegt und gefragt hätte: Alles in Ordnung? Ist etwas passiert?, hätte sie es erzählt. Alles hätte sie erzählt: von dem Leinenrucksack, der über Bord geworfen wurde, und davon, wie eine Leiche im Meer trieb; vom Horizont, der schwankt und sich krümmt, wenn kein Land die Sicht begrenzt; von dem roten Sarong auf dem Kabinenboden, weicher Stoff unter Lanas Füßen; von einem Kuss in einer Kalksteinhöhle; davon, dass man seine beste Freundin anschauen und sie nicht wiedererkennen kann. Aber es kam niemand und fragte. Und als sich die Minuten in Stunden und die Stunden in eine ganze Nacht verwandelten, verdrängte Lana diese Erinnerungen und verschloss sie in ihrem Innern.
Als der Morgen anbrach, wusch sie sich das Salz von der Haut. Sie drehte das Wasser voll auf, ließ es sich lange Zeit über den Körper laufen und freute sich über die anscheinend endlosen Wasserreserven. Dann zog sie ihr Kleid an, nahm den Rucksack auf den Rücken und marschierte los. Ihre Flip-Flops scheuerten an den Zehen, da sie wochenlang barfuß gelaufen war. In einem Straßencafé ließ sie sich nieder und frühstückte. Nachdem sie einen salzigen Bagel mit Speck und Spiegelei verschlungen hatte, fuhr ein Wagen mit einem...
Erscheint lt. Verlag | 12.10.2023 |
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Übersetzer | Claudia Franz |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Bestseller • Claire Douglas • Frauenfreundschaft • Freundinnen • Freundschaft • Geheimnis • Globetrotter • Julie Clarke • Leiche • Luca Foley • Lügen • Meer • Misstrauen • one of the girls • Pageturner • Philippinen • psychologische Spannung • Psychospannung • Psychothriller • Reise • Segeljacht • Segeln • Segeltörn • Spannung • Spannungsroman • Südostasien • The Castaways • Thriller • Traumurlaub • Urlaubsbuch • Urlaubslektüre • Verfilmung |
ISBN-10 | 3-492-60579-6 / 3492605796 |
ISBN-13 | 978-3-492-60579-3 / 9783492605793 |
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