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Tanz der Furien - Wiener Abgründe (eBook)

Historischer Kriminalroman | Ermittlerkrimi in Wiens düsterer Unterwelt zur Jahrhundertwende

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
400 Seiten
Piper Verlag
978-3-377-90046-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Tanz der Furien - Wiener Abgründe -  Peter Lorath
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Im Wien der Ringstraßen-Zeit und der Belle Epoque ermittelt Leopold Kern, ein geheimer Sonderermittler mit engen Kontakten zur Halbwelt, in seinem neuesten Fall.  »Zum ersten Mal in seinem Leben verspürte der blade Ferdl so etwas wie Todesangst. Er kämpfte die Übelkeit nieder, die sich seiner zu bemächtigen drohte und unterdrückte das übermächtige Verlangen, einfach davonzulaufen.« Während die Wiener den Feierlichkeiten zum 50. Geburtstag Kaiser Franz Josefs entgegenfiebern, hat Sonderermittler Leopold Kern nur eines im Sinn. Allen Verboten zum Trotz will er Rache für die Intrige nehmen, die zu seinem Ausschluss aus der Polizei geführt hat. Und tatsächlich scheint ihm der Zufall in die Hände zu spielen. Da bricht das Inferno in Form eines Bandenkriegs über die Leopoldstadt herein. Plötzlich befindet sich der Sonderermittler im Brennpunkt des Geschehens. Doch aus dem Jäger wird ein Gejagter und die Angst wird Kerns ständiger Begleiter. Als die Schockwellen des Verbrechens sogar die Hofburg erreichen, gerät selbst Polizeipräsident Marx unter nie gekannten Druck.

Der gebürtige Wiener Peter Lorath pendelt zwischen seiner Bleibe am Rhein und seinem Zuhause in seiner Geburts- und Heimatstadt Wien. Schon sein schlesischer Großvater war Schriftsteller und populärer Theaterautor. Lorath beschäftigt sich seit einigen Jahren mit den politischen und gesellschaftlichen Zuständen im Wien des Fin-de-Siècle. 2022 erschien sein erster historischer Kriminalroman um den Sonderermittler Leopold Kern, der es gleich auf die Shortlist des Leo-Perutz-Preis geschafft hat. Im Hauptberuf ist Lorath passionierter Arzt, seine vielfältigen Hobbies gelten der Geschichtskunde, Musik, Literatur und Psychologie, was sich auch in seinem Roman widerspiegelt. Am Schreiben reizt ihn die detailgetreue Zeichnung der Figuren und deren Seelenleben im Spannungsfeld der speziellen Anforderungen ihrer Epoche.  

Der gebürtige Wiener Peter Lorath pendelt zwischen seiner Bleibe am Rhein und seinem Zuhause in seiner Geburts- und Heimatstadt Wien. Schon sein schlesischer Großvater war Schriftsteller und populärer Theaterautor. Lorath beschäftigt sich seit einigen Jahren mit den politischen und gesellschaftlichen Zuständen im Wien des Fin-de-Siècle. 2022 erschien sein erster historischer Kriminalroman um den Sonderermittler Leopold Kern. Im Hauptberuf ist Lorath passionierter Arzt, seine vielfältigen Hobbies gelten der Geschichtskunde, Musik, Literatur und Psychologie, was sich auch in seinem Roman widerspiegelt. Am Schreiben reizt ihn die detailgetreue Zeichnung der Figuren und deren Seelenleben im Spannungsfeld der speziellen Anforderungen ihrer Epoche.  

1
Steininger


In seinem schäbigen dunkelblauen Anzug – der einzige, den er besaß – wirkte Rudolf Steininger an diesem sonnigen Augusttag des Jahres 1880 in der Hauptallee ein wenig deplatziert. Das hier war der Nobelprater, die Straße der Reichen und Schönen, einfache Menschen wie er hatten hier eigentlich nichts verloren, es sei denn als Kindermädchen oder Dienstboten. Die Luft war angenehm mild, der leichte Wind sorgte für Erfrischung. Gelächter und Geplapper erfüllten die Luft, während die Kapellen der Kaffeehäuser ihre Walzer und Märsche erklingen ließen.

Seinen richtigen Vornamen Roderich hatte er nach seiner Rückkehr nach Wien abgelegt. Er war Teil einer Vergangenheit, die er hinter sich lassen wollte. Damals hatten sie ihn respektvoll »Rodrigo« genannt, aber das lag bereits sechs Monate zurück. Seine Arbeit als Kellner im Balkaneser auf dem Karmeliterplatz erschien ihm der optimale Neubeginn, weit weg von den Geistern der Vergangenheit, auch wenn der karge Lohn kaum zum Überleben reichte.

Obwohl groß gewachsen, machte seine hagere Gestalt mit den langen, dünnen Armen und Beinen einen eher zerbrechlichen Eindruck. Der vielfach geflickte Anzug saß schlecht und schlotterte an ihm. Das magere Gesicht mit den geschwungenen Augenbrauen und dem schmalen Oberlippenbärtchen strahlte Offenheit aus, in den braunen Augen schimmerte ein Hauch von Melancholie. Feine graue Strähnen durchzogen das dunkle, pomadisierte Haar und ließen ihn älter wirken als die dreißig Jahre, die er tatsächlich war. Die Vergangenheit hatte ihre Spuren hinterlassen.

Der Jahrmarkt der Eitelkeiten, durch den er sich im Schatten der mächtigen Kastanienbäume bewegte, versetzte ihn jedes Mal aufs Neue in Erstaunen. Kopfschüttelnd betrachtete er die lange Reihe eiserner Stühle vor den drei, wie Perlen aneinandergereihten Kaffeehäusern. Für einen Kreuzer konnte man von hier aus die Jeunesse d’orée kritisch beäugen, nach Herzenslust neuesten Tratsch austauschen und – was am wichtigsten war – selbst gesehen werden. Reife Damen in protzigen Garderoben weideten sich an der Luftnot der jungen Frauen in ihren eng geschnürten Miedern und kommentierten kritisch kleinste Fehler in Haltung oder Kleidung.

Die koketten Schönheiten, die an ihnen vorbeistolzierten, waren sich dessen durchaus bewusst und hielten die bunten Sonnenschirme extra hoch, um die kunstvollen Frisuren und kecken Hüte mit den bunten Federn und Bändern besser zur Geltung zu bringen. Arme Dinger, dachte Steininger, wenn sie sich so viel Mühe geben müssen, um Aufmerksamkeit zu erregen. Ein bisschen Verachtung schwang dabei mit. Die Offiziere in ihren bunten Ausgehuniformen, die in den schmachtenden Blicken der jungen Damen badeten, waren für ihn nur aufgeplusterte Gockel mit geschwollenen Kämmen. Steininger hasste das Militär. Er hatte zu viel Grauen gesehen, das auf Befehl von Offizieren verübt worden war.

Freitag war Ruhetag im Balkaneser und er befand sich auf dem Weg zu Resi. Vor ein paar Wochen war sie in sein Leben getreten und hatte innerhalb kurzer Zeit sein Gefühlsleben komplett auf den Kopf gestellt. Jetzt waren sie zusammen und trafen sich einmal in der Woche zum gemeinsamen Abendessen in der Leopoldstadt. Danach ging es zum Fünfkreuzertanz im Prater, mit romantischem Abschluss in den Tiefen der Praterauen. Da er sich keinen Fiaker leisten konnte, begleitete er Resi selbstverständlich auf ihrem nächtlichen Heimweg in die »Waschburg« in der Sechsschimmelgasse, wo sie als Wäschermädel lebte. Es war ein weiter Weg, von dem er erst im Morgengrauen zurückkehrte.

Es war für ihn selbstverständlich, dass er das alles bezahlte. Und da sein Lohn dafür nicht ausreichte, war er ständig auf der Suche nach neuen Verdienstmöglichkeiten. Erst vor kurzem hatte ihn ein Gast im Balkaneser in ein Gespräch verwickelt. Als Steininger in einer unbedachten Bemerkung seine Vergangenheit erwähnte, bot ihm der Fremde einen lukrativen Auftrag an, den er dankbar angenommen hatte. Und so hatte seine dunkle Vergangenheit erneut ihre Krallen nach ihm ausgestreckt.

Heute war das Essen ausgefallen. Resi hatte ihm mit einem Dienstmann eine Nachricht geschickt, dass sie sich direkt vor dem Tanzsaal vom »Bunten Vogel« treffen würden. Er hatte die gewonnene Zeit genutzt und den halben Tag in der Leopoldstädtischen Bade- und Waschanstalt verbracht, wo er sogar eine der dreißig Badewannen für männliche Besucher ergattert hatte, ein unvorstellbarer Luxus, den er in vollen Zügen genossen hatte.

Hinter dem »3. Café« – auf eine Namensgebung der drei Kaffeehäuser in der Hauptallee hatte man verzichtet – ragte in der Ferne die gewaltige Kuppel der Rotunde in den Himmel. Die Wiener nannten diesen größten Kuppelbau der Welt respektlos den »Gugelhupf« und Steininger fand, dass kein Begriff die Form der Kuppel besser hätte beschreiben können. Er bog allerdings schon nach dem »1. Café« in Richtung Wurschtelprater ab, wo bereits die Hölle los war. Das Geplärr der Ausrufer vermengte sich mit den Schreien der Straßenhändler, dem Gequengel der Kinder, der Ringelspiel- und Leierkastenmusik und dröhnenden Paukenschlägen. Auf seinem Weg bestaunte er die Dame ohne Unterleib, den Rumpfmenschen, Riesinnen, Fettwänste, Krüppel, Artisten und sogar einen Wassertank mit einem Taucher in Gummianzug und Kupferhaube – lediglich ein Bruchteil der dargebotenen Sensationen. Geschickt Dirnen und Taschendiebe abwehrend, drang er zum Gastgarten vom »Bunten Vogel« vor, wo ihn der Geruch nach Bier, gebratenem Fleisch und Paprika empfing und Zigarrenjungen und »Brotschanis« in weißen Umhängen ihre Waren anpriesen.

Scharen junger Menschen warteten mit hoffnungsvollen glitzernden Augen vor dem Tanzsaal auf den Beginn des Fünfkreuzertanzes. Die Luft war von einem babylonischen Sprachgewirr erfüllt. Von den vielen Landestrachten gefielen ihm am besten die jungen Hanakinnen in ihren kurzen, bunt gemusterten Röcken, den schwarzen kniehohen Stiefeln, den blütenweißen farbenfroh bestickten Hemden und den prachtvollen Kopftüchern über den geölten schwarzen Haaren. Natürlich wusste er, dass die Trachten nur dazu dienten, Landsleute zu finden, mit denen man in der Muttersprache reden und das bittere Heimweh ein wenig lindern konnte.

Plötzlich schlangen sich von hinten zwei braun gebrannte nackte Arme um seinen Hals, zwei Hände legten sich auf seine Wangen. Er spürte die harte rissige Haut der Finger. »Servus Rudi! Mmmhm, riechst du gut nach Seife!«

Eine zierliche junge Frau zog ihn an sich und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. Sie mochte um die Zwanzig sein und trug ein leuchtend blaues, kurzärmeliges Kleid mit buntem Blumenmuster. Ihr rundes, sonnengebräuntes Gesicht hatte strahlende Züge und einen vollen, geschwungenen Mund. Das lange, dunkle Haar war unter einem nach hinten gebundenen, knallroten Kopftuch nach oben gesteckt.

»Ich hab schon geglaubt, du kommst nicht mehr! Was war los?«, begrüßte er sie ein wenig argwöhnisch.

»Hab noch eine Ladung Wäsche ausliefern müssen. Deswegen musste ich unser Essen absagen. Die Butte im Wirtshaus darf ich nicht vergessen.« Kaum begann die Kapelle zu spielen, drängten die jungen Menschen in den Tanzsaal.

»Bei wem warst du denn?«

Sie lachte. »Kannst dich noch an den unglaublich g’füllten Herrn im Wirtshaus erinnern, kurz nachdem wir uns kennengelernt haben? Der hat ein Vergnügungsetablissement! Vor drei Tagen kommt der zu mir und sagt, ich soll die ganze Wäsche waschen, angefangen von den Tischtüchern, Bettwäsche, Vorhänge, Servietten, einfach alles!«

Steininger stand mit offenem Mund da. Was hatte das Schicksal nur dazu bewogen, diesen unglaublichen Zufall herbeizuführen? Hatte der Teufel die Hand im Spiel? Aber er konnte nicht mehr zurück, er benötigte dringend das Geld. Allein der Ring, den er ihr geschenkt hatte, hatte ein Vermögen gekostet.

Resi bemerkte seinen gehetzten Blick. »Passt was nicht?«

Schnell hatte er sich wieder im Griff. »Gemma tanzen.«

Die Luft auf der Tanzfläche war heiß und stickig. Es roch nach Schweiß und Zigarrenrauch. Das bunte Potpourri aus böhmischen, ungarischen und galizischen Melodien drang tief in die Herzen und entfachte quälendes Heimweh. Im rasenden Polkarhythmus flogen die Paare dahin und der Tanzboden erbebte unter den lauten Tritten. Am Ende eines jeden Liedes gab es...

Erscheint lt. Verlag 28.9.2023
Reihe/Serie Leopold Kern
Leopold Kern
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Altes Wien • Babylon Berlin • Ermittler • Fin de siècle • historisch • Historischer Krimii Wien • Kaiser Franz Joseph • Kaiserzeit • Kriminalroman • K und K Monarchie • Mord • Österreich • Polizeiagent • Polizeipräsident Marx • Ringstraße • Rotlichtmilieu • Sisi • Sissi • spannende Bücher • Spannung • Verschwörung • Wien
ISBN-10 3-377-90046-2 / 3377900462
ISBN-13 978-3-377-90046-3 / 9783377900463
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