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Playback (eBook)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
240 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-61389-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Playback -  Raymond Chandler
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Eigentlich sollte Marlowe nur eine junge Frau im Bahnhof von Los Angeles ausfindig machen: »Es war kein Kunststück. Der ?Super Chief? war pünktlich, wie fast immer, und meine Zielperson stach heraus wie ein Känguru im Smoking.« Doch kaum beschattet er die Dame, jagt eins das andere: falscher Name, Erpressung, Verfolger, Gangster. Ja, die attraktive Rothaarige wird wie in einem Playback so fatal von ihrer Vergangenheit eingeholt, dass Marlowe schwach wird und ihr beizustehen beginnt ... In der brillanten Neuübersetzung von Ulrich Blumenbach.

Raymond Chandler, geboren 1888 in Chicago, wuchs in England auf. Er übte verschiedenste Berufe aus, bevor er ab 1932 ernsthaft zu schreiben begann. Chandler wurde nicht nur mit seinen Romanen um den Privatdetektiv Philip Marlowe zum Klassiker der Kriminalliteratur. Er verfasste auch berühmte Drehbücher für Billy Wilder und Alfred Hitchcock. Raymond Chandler starb 1959 in La Jolla, Kalifornien.

Es war kein Kunststück. Der Super Chief kam pünktlich an, wie fast immer, und meine Zielperson stach heraus wie ein Känguru im Smoking. Sie hatte kein Gepäck, nur ein Taschenbuch, das sie in den erstbesten Papierkorb warf. Sie setzte sich in der Wartehalle und sah zu Boden. Der Inbegriff der unglücklichen Frau. Nach einer Weile stand sie auf und ging zum Bücherdrehständer. Ohne etwas herauszunehmen, wandte sie sich wieder ab, warf einen Blick auf die große Wanduhr und trat in eine Telefonzelle. Nachdem sie ein paar Silbermünzen in den Schlitz gesteckt hatte, sprach sie mit jemandem. Ihre Miene änderte sich nicht. Sie hängte ein, ging zum Zeitungsständer, nahm einen New Yorker heraus, sah auf ihre Armbanduhr, setzte sich wieder und schlug die Zeitschrift auf.

Sie trug ein nachtblaues Kostüm, über das der Kragen einer weißen Bluse herausragte, und eine große saphirblaue Reversnadel, die wahrscheinlich zu ihren Ohrringen passte, nur konnte ich ihre Ohren nicht sehen. Sie hatte dunkelrote Haare. Sie sah aus wie auf ihrem Foto, war aber etwas größer, als ich erwartet hatte. An ihrem eleganten dunkelblauen Hut war ein kurzer Schleier befestigt. Sie trug Handschuhe.

Nach einer Weile ging sie durch die Arkaden nach draußen zum Taxistand. Sie sah nach links zum Café, wandte sich ab, ging in die große Wartehalle zurück, musterte den Drugstore und den Zeitungskiosk, den Auskunftsschalter und die Menschen auf den blank polierten Holzbänken. Die Fahrkartenschalter waren nur teilweise besetzt. Die interessierten sie nicht. Sie nahm wieder Platz und sah zur großen Wanduhr hoch. Sie zog den rechten Handschuh ab und stellte ihre Armbanduhr, ein schlichtes, kleines Platinspielzeug ohne Edelsteine. Im Geist setzte ich Miss Vermilyea neben sie. Sie wirkte weder empfindlich noch zimperlich oder prüde, doch Vermilyea wirkte im Vergleich zu ihr wie ein Flittchen.

Auch diesmal blieb sie nicht lange sitzen, sondern stand wieder auf und schlenderte durch die Halle, ging in den Patio hinaus, kam zurück, ging in den Drugstore und blieb dann eine Weile am Taschenbuchgestell stehen. Zweierlei war offensichtlich. Wenn sie verabredet war, dann nicht zur Ankunftszeit des Zuges. Und sie wirkte vielmehr wie eine Frau, die auf ihren Anschlusszug wartete. Sie ging ins Café, setzte sich an einen der Plastiktische, las das Menü und dann ihre Zeitschrift. Eine Kellnerin kam mit dem obligatorischen Glas Eiswasser und der Speisekarte. Die Zielperson bestellte. Die Kellnerin ging, die Zielperson las weiter ihre Zeitschrift. Es war ungefähr 9.15 Uhr.

Ich ging durch die Arkaden nach draußen, wo ein Gepäckträger am Taxistand auf Kundschaft wartete. »Sind Sie für den Super Chief zuständig?«, fragte ich.

»Ja. Auch.« Ohne großes Interesse sah er zu, wie ich mit einem Eindollarschein herumspielte.

»Ich warte auf jemanden aus dem Kurswagen Washington–San Diego. Ist da jemand ausgestiegen?«

»Meinen Sie endgültig, mit Gepäck und allem?«

Ich nickte.

Er dachte nach und betrachtete mich mit intelligenten kastanienbraunen Augen. »Ein Passagier ist ausgestiegen«, sagte er schließlich. »Wie sah Ihr Bekannter denn aus?«

Ich beschrieb einen Mann, der Edward Arnold ähnelte. Der Gepäckträger schüttelte den Kopf.

»Tut mir leid, Mister. So sah derjenige überhaupt nicht aus. Wahrscheinlich ist Ihr Freund noch im Zug. Aus dem Kurswagen müssen sie nicht aussteigen. Der wird an den Vierundsiebziger umgehängt und fährt hier um halb zwölf ab. Noch sind sie nicht so weit.«

»Danke«, sagte ich und gab ihm den Dollar. Sie hatte ihr Gepäck also im Zug gelassen; mehr hatte ich nicht wissen wollen.

Ich ging zum Café zurück und sah durch die Scheibe hinein.

Die Zielperson las ihre Zeitschrift und widmete sich einem Kaffee und einer Schnecke. Ich ging zu einer der Telefonzellen und gab der Werkstatt meines Vertrauens Anweisung, meinen Wagen abzuholen, wenn ich bis Mittag nicht wieder anrief. Das machten die öfter und hatten einen Zweitschlüssel. Ich ging zum Wagen raus, holte meine Reisetasche und verstaute sie in einem billigen Schließfach. In der großen Wartehalle kaufte ich mir eine Fahrkarte L.A.–San Diego hin und rück und trabte wieder ins Café.

Die Zielperson hatte sich nicht von der Stelle bewegt, war aber nicht mehr allein. Ein Mann saß ihr gegenüber, grinste, sülzte ihr die Hucke voll. Schon auf den ersten Blick stand fest, dass sie ihn kannte und das bedauerte. Er war ein typischer Kalifornier, von den Spitzen der portweinfarbenen Loafer bis zum zugeknöpf‌ten und ohne Krawatte getragenen, braun-gelb karierten Hemd unter der derben cremeweißen Sportjacke. Er war vielleicht 1,85 groß, schlank, hatte ein schmales, selbstgefälliges Gesicht und zu viele Zähne. Er zerknitterte ein Blatt Papier in der Hand.

Das gelbe Einstecktuch in seiner Brusttasche war gefächert wie ein Narzissensträußchen. Und eins war so klar wie destilliertes Wasser: Die Frau wünschte ihn dahin, wo der Pfeffer wächst.

Er redete weiter und zerknitterte das Blatt weiter. Schließlich stand er achselzuckend auf. Fuhr ihr mit einer Fingerspitze über die Wange. Sie zuckte zurück. Dann strich er das Blatt glatt und legte es ihr sorgfältig hin. Wartete grinsend.

Ihr Blick senkte sich sehr, sehr langsam auf das Papier. Sie wollte es an sich nehmen, aber er war schneller, steckte es ein und grinste immer noch. Dann zog er ein Notizbuch mit perforierten Seiten aus der Tasche, schrieb mit einem Kuli etwas hinein, riss das Blatt heraus und gab es ihr. Das konnte sie haben. Sie nahm es, las es und schob es in ihre Handtasche. Jetzt sah sie ihn das erste Mal an. Und lächelte. Für meinen Geschmack fiel ihr das ganz schön schwer. Er tätschelte ihr die Hand, drehte sich um und ging hinaus.

Er trat in eine Telefonzelle, schloss die Tür hinter sich, wählte und redete eine Weile. Als er wieder herauskam, rief er einen Gepäckträger und ging mit ihm zu einem Schließfach. Er entnahm ihm einen leichten perlweißen Koffer und eine dazu passende Reisetasche. Der Gepäckträger folgte ihm damit zu einem schnittigen, zweifarbigen Buick Roadmaster, dem Cabriotyp mit hartem Verdeck, das sich gar nicht aufklappen lässt. Dort verstaute er das Gepäck hinter dem vorgeklappten Fahrersitz, nahm sein Geld und ging. Der Mann in der Sportjacke mit dem gelben Einstecktuch stieg ein, setzte zurück und hielt dann noch einmal an, um eine Sonnenbrille aufzusetzen und sich eine Zigarette anzuzünden. Dann fuhr er davon. Ich notierte mir sein Kennzeichen und ging wieder in den Bahnhof.

Die nächste Stunde dehnte sich wie drei Stunden. Die Frau verließ das Café und las ihre Zeitschrift in der Wartehalle. Sie war nicht bei der Sache. Immer wieder blätterte sie zurück und las etwas noch einmal. Manchmal las sie auch gar nicht, hielt die Zeitschrift nur in der Hand und sah ins Leere. Ich hatte eine Morgenausgabe der Abendzeitung dabei, konnte sie ungesehen beobachten und sortieren, was mir durch den Kopf ging. Nackte Tatsachen waren nicht dabei. Aber es vertrieb mir die Zeit.

Der Mann, der bei ihr am Tisch gesessen hatte, hatte den Zug verlassen, denn er hatte sein Gepäck dabei. Es konnte ihr Zug gewesen sein, und er konnte der Reisende gewesen sein, der aus dem Kurswagen ausgestiegen war. Ihr Verhalten machte deutlich, dass sie ihn nicht in ihrer Nähe haben wollte, und seines, dass er das zwar jammerschade fand, doch sowie sie das Stück Papier sah, das er ihr hinhielt, würde sie es sich anders überlegen. Und das tat sie offenbar auch. Dass er ihr das Stück Papier nicht in aller Ruhe im Zug gezeigt hatte, hieß, dass er das Blatt im Zug noch nicht gehabt hatte.

An diesem Punkt stand die Frau plötzlich auf, ging zum Zeitungskiosk und kam mit einem Päckchen Zigaretten zurück. Sie riss es auf und steckte sich eine an. Sie rauchte ungelenk, als wäre sie es nicht gewohnt, und beim Rauchen änderte sich ihr Auftreten, sie wurde halbseidener und härter, als wollte sie aus irgendeinem Grund bewusst gewöhnlicher erscheinen. Ich sah auf die Wanduhr: 10.47 Uhr. Ich überlegte weiter.

Das Blatt hatte wie ein Zeitungsausriss ausgesehen. Sie hatte danach gegriffen, aber er hatte es weggezogen. Dann hatte er ein paar Worte auf ein leeres Stück Papier geschrieben, ihr das gegeben, und sie hatte ihn angelächelt. Ergo: Der Traumprinz wusste etwas über sie, und sie musste so tun, als gefiele ihr das.

Weiter: Vorher hatte er den Bahnhof verlassen und war irgendwo hingegangen. Vielleicht hatte er seinen Wagen geholt, vielleicht den Zeitungsausschnitt, vielleicht sonst was. Er war sich also sicher, sie würde ihm nicht weglaufen, und das bestätigte meine Annahme, dass in dem Moment noch nicht alle Karten auf dem Tisch lagen. Vielleicht traute er dem Braten noch nicht. Wollte sich absichern. Jetzt, wo alle Karten aufgedeckt waren, war er mit seinem Gepäck in einem Buick weggefahren. Also hatte er keine Angst, sie zu verlieren. Was sie zusammenschweißte, reichte, um sie auch weiterhin zusammenzuschweißen.

Um 11.05 Uhr warf ich das alles über Bord und fing mit neuen Annahmen von vorne an. Weit kam ich nicht. Um 11.10 Uhr wurde durchgegeben, Zug Nr. vierundsiebzig an Gleis elf mit Halt in Santa Ana, Oceanside, Del Mar und San Diego sei jetzt zum Einsteigen bereit. Mehrere Leute, darunter auch die Frau, verließen die Wartehalle. Andere gingen schon durch die Sperre. Ich sah ihr nach und ging zu den Telefonzellen zurück. Ich warf einen Dime ein und wählte die Nummer von Clyde Umneys Kanzlei.

Miss Vermilyea hob ab und meldete...

Erscheint lt. Verlag 23.8.2023
Reihe/Serie Philip Marlowe
Philip Marlowe
Übersetzer Ulrich Blumenbach
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Gesellschaftsroman • Hard Boiled • Kalifornien • Klassiker • Krimi • Krimiklassiker • Kriminalroman • Kult • Kultdetektiv • Neuübersetzung • Philip Marlowe • Privatdetektiv • Serie
ISBN-10 3-257-61389-X / 325761389X
ISBN-13 978-3-257-61389-6 / 9783257613896
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