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Die Brücke im Dschungel (eBook)

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
272 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-61386-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Brücke im Dschungel -  B. Traven
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Eine Ansammlung von Hütten im mexikanischen Dschungel. Ein Fluss voller Krokodile, darüber eine wacklige Brücke, die zwei Welten verbindet: auf der einen Seite die moderne Technik der weißen Siedler, auf der anderen das einfache, traditionelle Leben der Indianer. »Travens bedeutendster Roman ist die Geschichte einer einzigen Nacht, in der ein Kind während einer Festlichkeit im Fluss ertrinkt. Unerbittlich, farbig, strömend und alle vier Seiten eine unvergessliche Wendung.« Kurt Tucholsky

B. Traven (1882-1969), war bis 1915 unter dem Pseudonym Ret Marut als Schauspieler und Regisseur in Norddeutschland tätig. Es folgte der Umzug nach München, wo er 1917 die radikal-anarchistische Zeitschrift ?Der Ziegelbrenner? gründete und sich an der bayerischen Räteregierung beteiligte, die 1919 gestürzt wurde. Es gibt heute Hinweise, dass er der uneheliche Sohn des AEG-Gru¨nders Emil Rathenau und damit der Halbbruder von Walther Rathenau war, der 1922 als deutscher Außenminister ermordet wurde. Nach seiner Flucht nach Mexiko 1924 schrieb er unter dem Namen B. Traven 12 Bücher (darunter sein wohl bekanntester Roman ?Das Totenschiff?) und zahlreiche Erzählungen, die in Deutschland Bestseller waren und in mehr als 40 Sprachen veröffentlicht und weltweit über 30 Millionen Mal verkauft wurden. Viele davon wurden verfilmt, so ?Der Schatz der Sierra Madre? (Hollywood 1948), ?Das Totenschiff? (Deutschland 1959) und ?Macario? (Mexiko 1960). 1951 wurde er mexikanischer Staatsbürger, heiratete 1957 Rosa Elena Luján, seine Übersetzerin und Agentin, und starb am 26. März 1969 in Mexiko-Stadt.

Ein Jahr später unternahm ich zu Pferd einen ziemlich schwierigen Ritt nach den Dschungelgebieten am Huayalexzo-Strom. Ich wollte Alligatoren fangen, deren Häute damals gerade recht hoch im Kurs standen. Die Sache war weit mühsamer, als ich angenommen hatte. Stellenweise war der Dschungel an den Flussufern so dicht, dass man tagelang mit einheimischen Arbeitskräften hätte roden müssen. Andere Gegenden waren wieder so versumpft, dass man überhaupt nicht ans Ufer heran konnte. So beschloss ich, weiter stromabwärts zu reiten; denn ich hoff‌te, doch noch ein gutes Jagdgebiet zu finden. Die Indianer hatten mir von Nebenflüssen erzählt, in denen es zu jener Zeit des Jahres von Alligatoren wimmele.

Auf diesem Ritt kam ich eines Tages an eine Pumpstation; sie war Eigentum der Bahn. Man pumpte das Wasser aus dem Strom nach einer zweiten, viele Meilen entfernten Pumpstation, und von dort aus wurde es zur nächsten Bahnstation weitergeleitet. An der Bahnstrecke gab es auf einem ungefähr hundertsechzig Kilometer langen Stück kein Wasser. Folglich musste welches zur Bahnstation hinaufgepumpt werden. Zum Teil wurde es für die Lokomotiven gebraucht; das meiste jedoch wurde mit Spezialtankwagen zu den anderen Bahnstationen und Siedlungen an der Strecke gebracht; denn die Leute, die dort wohnten, hätten die Stationen und ihre kleinen Dörfer einfach verlassen müssen, wenn sie in der trockenen Jahreszeit kein Wasser bekommen konnten.

Der Pumpmeister oder, wie er sich gern titulieren ließ, el Maestro maquinista war Indianer. Bei der Arbeit half ihm ein Indianerjunge, sein Ayudante. Der Kessel wurde mit Holz geheizt, das indianische Holzhacker auf dem Rücken ihrer Burros aus dem Dschungel herbeischaff‌ten. Das übrige Heizmaterial – altes, unbrauchbar gewordenes Bauholz und vermoderte Bahnschwellen – stammte von der Bahnstation.

Der Kessel sah aus, als wolle er jeden Augenblick bersten. Die Pumpe erweckte den Eindruck, als sei sie schon über hundert Jahre in Gebrauch; man konnte sie kilometerweit hören. Sie quietschte, heulte, zischte, fauchte, blubberte und ratterte an allen Ecken und Enden. Jede Schraube, jeder Bolzen, jedes Gelenk machte Lärm. In den ersten Tagen hielt ich mich in sicherer Entfernung, weil ich fürchtete, diese ausgeleierte, malträtierte Sklavenmühle könne jeden Augenblick in die Luft fliegen.

Die Bahn wusste natürlich sehr gut, warum sie diese alte Pumpe noch immer arbeiten ließ, bis sie eines Tages tatsächlich auseinanderfiel. Hätte man sie abmontieren, zur Bahnstation und dann weiter zum nächsten Montage- und Schrottplatz schaffen wollen, so hätte das fast so viel gekostet wie eine neue Pumpe. Da war es billiger, das Ding stehen zu lassen, wo es stand. Angesichts der Transport- und Montageschwierigkeiten wäre es für die Eisenbahn auch sehr unwirtschaftlich gewesen, zum damaligen Zeitpunkt eine neue Pumpe anzuschaffen. Rechnete man doch damit, dass die amerikanische Gesellschaft, die in der Gegend arbeitete, über kurz oder lang Öl finden und dann bestimmt die Wasserversorgung der Bahnstrecke und des angrenzenden Gebietes selbst übernehmen würde.

Ungefähr siebzig Meter oberhalb der Pumpe führte eine Brücke aus roh behauenen, schweren Balken über den Fluss. Sie gehörte der Ölgesellschaft, und die hatte sie auch gebaut. Sie war breit genug für Lastkraftwagen, doch hatte sie kein Geländer. Das war der Ölgesellschaft als unnötige Ausgabe erschienen. Hätte die Brücke ein Geländer gehabt, wäre diese Geschichte vielleicht niemals geschrieben worden.

»Alligatoren gibt es hier im Fluss genug, montones de lagartos, Señor, darauf können Sie sich verlassen«, berichtete der Pumpmeister. »Natürlich werden Sie begreifen, dass sie nicht direkt hier bei der Pumpe sind.«

Das konnte ich allerdings sehr gut begreifen. Kein anständiger Alligator, der etwas auf sich hält, könnte jemals in der Nähe dieser lärmenden Pumpe leben und dabei mobil genug bleiben, um mit den Tücken des Lebens fertig zu werden.

»Sehen Sie, Señor, ich würde die Biester ja hier herum auch gar nicht dulden, nie im Leben. Sie würden mir meine Schweine und Hühner wegholen, und ob Sie es nun glauben oder nicht: Wahr ist es jedenfalls, dass sie sogar kleine Kinder schnappen, wenn man sie zu lange allein lässt.

Nein, nein, hier herum gibt es sehr wenige, vielleicht gar keine, und auch die wenigen sind nur sehr klein, viel zu jung, als dass sich die Kugel lohnte. Weiter unten und auch stromaufwärts, so fünf, sechs Kilometer von hier – da werden Sie sie zu Hunderten finden, ganze Rudel, und Bullen dabei, mein lieber Mann, ich glaube, die müssen dreihundert Jahre alt sein, so groß sind die Biester.«

Ich deutete mit einer Kopfbewegung zum anderen Ufer hinüber. »Wer lebt dort? Ich meine, gleich da drüben, wo die Hütten vorgucken.«

»Ach dort meinen Sie. Da ist Prärie, mucha pastura. Es ist eigentlich eine Art Viehranch. Ohne Zaun. Alles offen. Sie gehört einem Americano. Hinter der Prärie kommt gleich wieder dichter Dschungel. Reiten Sie noch weiter, immer durch den Dschungel, so ungefähr zehn bis dreizehn Kilometer, dann kommen Sie an ein Ölcamp. Dort wird gebohrt. Versuchsbohrungen. Die Leute probieren, ob sie irgendwo Öl finden. Bisher haben sie noch keines, und wenn Sie mich fragen, nun, ich glaube, sie werden auch keines finden. Es sind die Leute, die die Brücke hier gebaut haben. Um nach Öl bohren zu können, müssen sie nämlich die ganzen Maschinen von der Bahnstation herunterbringen. Ohne Brücke kämen sie mit schweren Lasten gar nicht über den Fluss. In der Trockenzeit haben sie es ein paarmal versucht, aber die Laster blieben stecken. Es dauerte fast eine Woche, bis sie die wieder flott hatten. Die Brücke hat eine Menge Geld gekostet, weil das Holz zweitausendvierhundert Kilometer weit herangeschafft werden musste, und das kostet keine Kleinigkeit, das können Sie mir glauben, Señor.«

»Wer lebt auf dem Rancho da drüben?«

»Ein Gringo wie Sie.«

»Das habe ich schon gehört. Ich meine, wer nach dem Vieh sieht.«

»Habe ich es nicht gerade gesagt? Ein Gringo.«

»Wo wohnt der?«

»Gleich hinter dem Gebüsch dort.«

Ich ritt über die Brücke und zog mein Tragtier hinter mir her. Hinter einer dichten Wand von tropischen Sträuchern und Bäumen stieß ich auf ungefähr zehn indianische Chozas oder Jacales der üblichen Bauart; mit Palmblättern gedeckte Hütten.

Wo ich hinsah, hockten Frauen mit dicken Zigarren im Mund auf dem blanken Erdboden, auch bronzebraune, zumeist unbekleidete Kinder. Ein paar hatten auch Hemden oder zerrissene Hosen an. Von den kleinen Mädchen war allerdings keines nackt, aber auch sie waren nur dürftig mit fadenscheinigen Röckchen bekleidet.

Von hier aus konnte ich das Weideland übersehen, das der Pumpmeister als Prärie bezeichnet hatte.

Die Fläche war ungefähr fünfzehnhundert Meter lang und zwölfhundert Meter breit, auf allen Seiten vom Dschungel eingefasst. Man konnte noch die Spuren der Lastwagen sehen, die über die Prärie gefahren waren.

Kein Wunder, dass hier eine Indianersiedlung lag. Die Weide war gut, Wasser gab es das ganze Jahr, und mehr braucht der Indianer nicht. Die Weide gehörte zwar nicht ihm, aber das störte ihn nicht. Jede Familie hatte zwei bis drei Ziegen, ebenso viele magere Schweine, ein bis zwei Burros und ein Dutzend Hühner. Der Strom versorgte sie mit Fischen und Krebsen.

Die Männer hatten bis vor einiger Zeit den Boden um ihre Hütten bestellt, wo sie Mais, Bohnen und Paprika zogen. Seit die Ölgesellschaft angefangen hatte zu bohren, hatten viele Männer in den Camps Arbeit gefunden. Die Männer, die diese Arbeit nicht mochten oder auch keine bekommen konnten, brannten im Busch Holzkohle. Sie stopf‌ten ihre Ware in alte Säcke und transportierten sie mit Burros zur Bahnstation, wo die Holzkohle an Agenten verkauft wurde, die einmal wöchentlich alle Stationen abklapperten.

Weder die Frauen, denen ich begegnete, noch die Kinder beachteten mich sonderlich. Sie hatten sich im Laufe der letzten zwei Jahre an die Fremden gewöhnt; denn alle, die mit Last- oder Personenautos oder zu Pferd nach den Ölcamps unterwegs waren, machten in diesem Nest oder an der Pumpstation Halt; manchmal nur für ein bis zwei Stunden, doch blieben sie auch häufig länger, wenn sie erst am späten Nachmittag an der Brücke ankamen. Oft sogar über Nacht. Selbst die abgebrühtesten Lastwagenfahrer vermieden es nach Möglichkeit, den Dschungel bei Nacht zu durchqueren.

Eine der Hütten war, wenn auch nach indianischer Art gebaut, so doch höher und geräumiger als die übrigen. Sie lag am Ende der Siedlung und hatte einen primitiv angelegten Korral.

Ich ritt heran und zügelte, wie es der Landesbrauch erheischt, mein Pferd in respektvoller Entfernung. Dann wartete ich, bis einer der Bewohner von mir Notiz nehmen würde.

Wie all die anderen Jacales auch, hatte diese Hütte keine Tür, nur einen offenen Eingang, der bei Nacht mit einer Art Gitter aus Zweigen und Knüppeln verrammelt wurde, das man an den Pfosten verankerte. Die Wände bestanden aus Stangen, die mit Bast und Lianen zusammengebunden waren. Wenn der Neuankömmling also nicht ein Stückchen vom Hause weg wartete, bis man ihn hereinbat, konnte es passieren, dass er die Bewohner gerade in recht peinlichen Situationen überraschte.

Ich hatte kaum eine Minute gewartet, da trat eine Indianerfrau heraus.

Sie musterte mich von oben bis unten.

»Buenas tardes, Señor!«, und dann: »Pase, Señor, unser bescheidenes Haus ist das Ihre.«

Ich saß ab, band Pferd und Maultier an einen Baum und...

Erscheint lt. Verlag 13.12.2023
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alkohol • Armut • Ausbeutung • Brücke • Dorf • Dorfgemeinschaft • Dschungel • Ertrinken • Feier • Fluss • gales • Gesellschaftskritik • hochaktuell • Indigene • Indigene Kultur • Indios • informativ • Kapitalismus • Kind • Klassenkampf • Klassiker • Kolonialismus • Kultur • Kulturforscher • Mexiko • Moderne • Rassismus • Ret Marut • Ritual • Sitten • Suche • Südamerika • Tragödie • Trauer • Trauerbewältigung • Unfall • Unterdrückung • Ursprünglichkeit • weiße Siedler
ISBN-10 3-257-61386-5 / 3257613865
ISBN-13 978-3-257-61386-5 / 9783257613865
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