Unruhe im Dorf (eBook)
576 Seiten
Kampa Verlag
978-3-311-70437-9 (ISBN)
Louise Penny, 1958 in Toronto geboren, arbeitete nach ihrem Studium der Angewandten Kunst achtzehn Jahre lang als Rundfunkjournalistin und Moderatorin in ganz Kanada. Mit dem Schreiben begann sie erst spät. Ihr erster Roman Das Dorf in den roten Wäldern wurde 2005 weltweit als Entdeckung des Jahres gefeiert, und auch die folgenden Gamache-Krimis wurden vielfach ausgezeichnet und eroberten die Bestsellerlisten in zahlreichen Ländern. Louise Penny lebt in Sutton bei Que?bec, einem kleinen Städtchen, das Three Pines zum Verwechseln ähnelt.
Louise Penny, 1958 in Toronto geboren, arbeitete nach ihrem Studium der Angewandten Kunst achtzehn Jahre lang als Rundfunkjournalistin und Moderatorin in ganz Kanada. Mit dem Schreiben begann sie erst spät. Ihr erster Roman Das Dorf in den roten Wäldern wurde 2005 weltweit als Entdeckung des Jahres gefeiert, und auch die folgenden Gamache-Krimis wurden vielfach ausgezeichnet und eroberten die Bestsellerlisten in zahlreichen Ländern. Louise Penny lebt in Sutton bei Québec, einem kleinen Städtchen, das Three Pines zum Verwechseln ähnelt.
1
»Ich habe ein ungutes Gefühl, patron.« Isabelle Lacostes Stimme in seinem Headset klang besorgt und eindringlich.
Chief Inspector Gamache ließ den Blick über die aufgeregte Menge schweifen. Der Lärm in der Halle schwoll immer weiter an.
Noch vor einem Jahr wäre eine Versammlung dieser Größe nicht nur undenkbar, sondern verboten gewesen. Man hätte sie aufgelöst und jeden Einzelnen getestet. Aber dank des Impfstoffs war das tödliche Virus nun keine Bedrohung mehr. Eine Bedrohung ging nur noch von den potenziellen Ausschreitungen aus.
Niemals würde Armand Gamache den Tag vergessen, als ihn sein Freund, der Premierminister von Québec, angerufen und ihm gesagt hatte, dass ein Impfstoff gefunden sei. Er sprach unter Tränen, brachte kaum ein Wort heraus.
Als Gamache auflegte, war er leicht benommen, spürte einen Anflug von Hysterie. So hatte er sich noch nie gefühlt, jedenfalls nicht mit solcher Intensität. Es war mehr als Erleichterung, fühlte sich fast wie eine Wiedergeburt an. Auch wenn nicht jeder wiederauferstehen, nicht alles wieder zum Leben erweckt werden würde.
Nachdem die Pandemie endlich offiziell für beendet erklärt worden war, hatten sich die Bewohner von Three Pines, wo die Gamaches lebten, auf dem Dorfanger versammelt und die Namen der Toten verlesen. Die Hinterbliebenen pflanzten Bäume auf der Lichtung bei der kleinen Kirche und nannten sie von nun an den Neuen Wald.
Anschließend schloss Myrna mit großer Feierlichkeit den Buchladen auf, und Sarah öffnete wieder ihre Bäckerei. Monsieur Béliveau hängte das Ouvert-Schild in die Tür des Gemischtwarenladens, und Jubel brach los, als Olivier und Gabri den Bistrobetrieb wieder aufnahmen.
Reihenweise wurden Grills auf den Dorfanger geschoben und Burger, Hotdogs und Steaks gebraten. Sogar ein auf Zedernholz gegrillter Lachs war dabei. Sarah drapierte Gebäck, Kuchen und Butter Tarts auf einem langen Tisch, während Billy Williams half, Clara Morrows selbst gemachte Limonade eimerweise herbeizuschleppen.
Es gab Spiele für die Kinder, und später wurde auf dem Dorfanger ein großes Feuer entfacht und getanzt.
Freunde und Nachbarn lagen sich in den Armen, küssten sich sogar zur Begrüßung. Obwohl es sich komisch anfühlte, wie etwas Verbotenes. Manche zogen immer noch einen Ellbogenstoß vor. Andere trugen weiterhin Mund-Nasen-Schutz, als wäre er eine Art Glücksbringer; ein Rosenkranz, ein Hasenfuß oder ein Christophorus-Anhänger.
Als Ruth hustete, wichen alle zurück, aber das hätten sie wahrscheinlich so oder so getan.
Natürlich waren Spuren geblieben. Die zurückliegende schlimme Zeit zog einen langen Schwanz hinter sich her.
Und die Veranstaltung in der ehemaligen Universitätssporthalle unweit von Three Pines war ein Glied dieses Schwanzes.
Chief Inspector Gamache sah zu den Eingangstüren auf der gegenüberliegenden Seite der großen Halle, durch die immer noch Zuhörer hereinströmten.
»Diese Veranstaltung hätte gar nicht erst genehmigt werden dürfen«, sagte Lacoste.
Er widersprach nicht. Seiner Meinung nach war alles an der Veranstaltung der reinste Wahnsinn. Aber es nahm seinen Lauf. »Ist so weit alles unter Kontrolle?«
Lacoste antwortete nicht sofort. »Ja. Aber …«
Aber …
Gamache stand seitlich auf der Bühne und ließ den Blick durch die Halle schweifen, bis er Isabelle Lacoste entdeckte. Sie war schlicht gekleidet, der Ausweis der Sûreté du Québec hing gut sichtbar an ihrer Jacke.
Sie stand auf einer Setzstufe, um einen besseren Blick auf die wachsende Menge zu haben und die anwesenden Polizisten zu möglichen Krisenherden dirigieren zu können.
Obwohl erst Anfang dreißig, war Isabelle Lacoste eine der Erfahrensten in Gamaches Team. Sie war bei Ausschreitungen und Schießereien im Einsatz gewesen, bei Geiselnahmen und taktischen Belagerungen. Sie hatte Terroristen und Mördern gegenübergestanden. War schwer verwundet und beinahe getötet worden.
Es brauchte einiges, um Isabelle in Unruhe zu versetzen. Aber jetzt war sie eindeutig beunruhigt.
Die Zuhörer rangelten sich um die Plätze mit der besten Sicht aufs Rednerpult. Überall in der Halle kam es zu Auseinandersetzungen. Ein bisschen Gedrängel und Geschubse war in einer Ansammlung von Menschen mit gegensätzlichen Ansichten ganz normal. Das Team der Sûreté war schon mit Schlimmerem klargekommen, die Agents waren gut ausgebildet und konnten Situationen schnell entschärfen.
Aber …
Noch bevor Isabelle es ausgesprochen hatte, hatte er es selbst gespürt. Dieses Gefühl in der Magengegend. Dieses Kribbeln auf der Haut. Dieses Stechen in den Daumen …
Er sah, dass Isabelles Blick auf einen älteren Mann und eine junge Frau mitten in der Menge gerichtet war. Sie stießen sich gegenseitig die Ellbogen in die Rippen.
Nichts Gewalttätiges. Noch nicht. Außerdem bahnte sich bereits ein Polizist den Weg durch die Menge, um sie zu beschwichtigen. Warum ließ Lacoste also ausgerechnet diese beiden nicht aus den Augen?
Gamache sah genauer hin. Und spürte Gänsehaut im Nacken.
Der Mann und die Frau trugen beide den gleichen großen Button mit der Aufschrift Alles wird gut an ihren Wintermänteln.
Es war ein Slogan, der während der Pandemie aufgekommen war und inzwischen verschiedene Bedeutungen angenommen hatte. Nicht alle davon gesund, wenn man Gamache fragte.
Er stand unbeweglich da.
Während seiner dreißigjährigen Laufbahn hatte der Chief Inspector schon viele Demonstrationen und so manche Ausschreitung miterlebt. Er kannte die potenziellen Krisenherde. Die Vorboten. Und er wusste, wie schnell alles außer Kontrolle geraten konnte.
Aber so etwas hatte er in seiner gesamten Zeit als leitender Ermittler der Sûreté du Québec noch nicht gesehen.
Diese beiden, der Mann und die Frau, standen auf derselben Seite. Das zeigten die Buttons. Und dennoch richtete sich ihr Zorn, der normalerweise »den anderen« galt, auf ihr Gegenüber. Wut hing in der Luft und traf wahllos den Nächststehenden.
Die Luft in der Halle war stickig. Die Leute waren passend für die extreme Kälte draußen angezogen und schwitzten jetzt hier drinnen in ihren Parkas, Winterstiefeln, Schals und Handschuhen. Sie zogen sich die Wollmützen vom Kopf und stopften sie in die Taschen, sodass sonst gut frisierte Menschen mit ihren zerzausten Haaren aussahen, als wären sie gerade zu Tode erschrocken oder hätten einen sensationellen Geistesblitz gehabt.
Die Menge stand dicht an dicht und drohte, nicht nur körperlich, sondern auch emotional zu überhitzen. Chief Inspector Gamache konnte die angesengten Nervenenden förmlich riechen.
Frustriert blickte er auf die großen Fenster hinter Lacoste. Sie waren so mit Farbe zugekleistert, dass sie sich nicht mehr öffnen ließen, um frische Luft hereinzulassen. Sie hatten es versucht.
Gamaches geübter Blick schweifte weiter über die Menge. Registrierte, was zu sehen war und was nicht. Sein Gefühl sagte ihm, dass der Siedepunkt, der Kipppunkt noch nicht erreicht war. Als Einsatzleiter war er dafür verantwortlich, dass es dazu auch nicht kam.
Sobald sie sich dem Kipppunkt näherten, würde er die Veranstaltung abbrechen. Ihm war bewusst, dass auch das ein Risiko barg, ganz zu schweigen von der Problematik, eine Zusammenkunft aufzulösen, die nicht rechtswidrig war. Doch für ihn stand die allgemeine Sicherheit an oberster Stelle.
Die Veranstaltung zu beenden, könnte allerdings genau die Gewalt entfachen, die es zu vermeiden galt.
Eine Menschenmenge so zu lenken, dass sie sich nicht in einen Mob verwandelte, war keine Wissenschaft. Es gab Strategien; er selbst hatte Rekruten an der Sûreté-Akademie gelehrt, wie man große Veranstaltungen mit Gewaltpotenzial managte. Doch am Ende kam es immer darauf an, die Situation richtig einzuschätzen. Und auf Disziplin.
Polizeibeamte mussten nicht nur die Menge unter Kontrolle halten, sondern auch sich selbst. Als Kadett war Gamache selbst einmal Zeuge geworden, wie erfahrene Polizisten während einer Demonstration in Panik geraten waren, ausrasteten und anfingen, auf Mitbürger einzuschlagen.
Es war entsetzlich gewesen. Abscheulich.
Unter seiner Leitung war es zu so etwas noch nie gekommen, aber ausschließen ließ es sich unter den entsprechenden Umständen nicht. Den Wahnsinn von Massen mitanzusehen, war furchtbar. Der Wahnsinn von Polizisten, mit ihren Schlagstöcken und Pistolen, war noch schlimmer.
Jetzt bat Gamache die leitenden Beamten über sein Headset der Reihe nach um ihre Lageeinschätzung. Seine Stimme klang dabei ruhig und Respekt heischend.
»Inspector Lacoste, wie ist Ihre Einschätzung?«
Eine kurze Pause, während sie ihre Antwort abwägte. »Unsere Leute haben die Lage unter Kontrolle. Ich glaube, zum jetzigen Zeitpunkt wäre es riskanter, die Veranstaltung abzubrechen, als sie weiterlaufen zu lassen.«
»Merci«, sagte Gamache. »Inspector Beauvoir, wie ist die Lage draußen?«
Über Funk war er immer förmlich und sprach seine Leute mit ihrem Rang statt mit Vornamen an.
Gegen seinen Willen war Inspector Beauvoir der Posten am Eingang zugeteilt worden. Aufgebrummt, wenn man ihn fragte.
Beauvoir war Ende dreißig und durchtrainiert, auch wenn er hier und da allmählich etwas Speck ansetzte. Er teilte sich den Stellvertreterposten mit Isabelle Lacoste und war außerdem Gamaches Schwiegersohn.
»Wir werden die Raumkapazität überschreiten, patron«, berichtete er von der umgedrehten Kiste aus, auf der er stand.
Jean-Guy schirmte die Augen mit der behandschuhten...
Erscheint lt. Verlag | 21.9.2023 |
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Reihe/Serie | Ein Fall für Gamache | Ein Fall für Gamache |
Übersetzer | Nora Petroll |
Verlagsort | Zürich |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Ahorn • Bestseller • Corona • Gamache • Kanada • Pandemie • Quebec • Québec • Three Pines • Verschwörungstheorie |
ISBN-10 | 3-311-70437-1 / 3311704371 |
ISBN-13 | 978-3-311-70437-9 / 9783311704379 |
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