Der Mondmann - Rote Spur (eBook)
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7517-4776-9 (ISBN)
Fynn Haskin wurde im rauen Winter 1969 geboren - vielleicht ist das der Grund, warum er schon früh eine Vorliebe für Schnee und Eis entwickelt hat. Seinen Urlaub verbringt der Reisejournalist und Weltenbummler bis zum heutigen Tag auf Bergeshöhen oder in den kühlen Regionen dieser Erde. Kaum eine Gegend hat ihn so begeistert wie Grönland. Besonders die spektakuläre Landschaft und die Kultur der Inuit haben ihn nachhaltig beeindruckt und zu DER MONDMANN inspiriert.
1
»Ich sollte mich bei dir melden?«
Kommissar Jens Lerby hatte die Tür zu Sørensens Büro einen Spalt weit geöffnet, gerade so, dass er den Kopf hineinstecken und einen Blick ins Büro seines Vorgesetzten werfen konnte.
In seinem braunen Maßanzug hinter dem großen Eichenholzschreibtisch sitzend, hob Chefpolitiinspektør Birger Sørensen den Blick von den Akten, die er inspiziert hatte. Über den Rand seiner Lesebrille hinweg sah er Lerby an.
»In der Tat«, bestätigte er dann und winkte ihn mit einer Hand herein, während er mit der anderen die Brille abnahm und sich die Nasenwurzel massierte.
»Gibt’s Probleme?« Lerby trat ein und schloss die Tür hinter sich, dann nahm er unaufgefordert auf dem Besucherstuhl Platz. Sørensen und er waren im gleichen Alter. Sie kannten einander praktisch schon eine Ewigkeit, hatten gemeinsam die Polizeiakademie besucht. Danach allerdings hatten sich ihre Laufbahnen recht unterschiedlich entwickelt. Während Birgers Karrierekurve steil nach oben verlaufen war – nicht von ungefähr besetzte er dieses museal anmutende holzgetäfelte Büro im ehrwürdigen Politigård von Kopenhagen –, hatte sich Lerbys Laufbahn eher verhalten entwickelt. Und das, obwohl er als Fallanalytiker der Mordkommission auf eine durchaus stolze Aufklärungsrate verweisen konnte.
Das Problem bestand darin, dass Jens Lerby schon immer etwas an sich gehabt hatte, was sich mit dem regelbestimmten Dasein eines Staatsdieners nur schwer in Einklang bringen ließ – auch wenn er sich in letzter Zeit redlich bemühte, seine rebellische, zum Widerspruch neigende Seite zu beherrschen.
»Warum fragst du das? Erwartest du Ärger?« Sørensen sah Lerby forschend an, während er den Aktendeckel zuklappte und den Ordner beiseiteschob. »Wie geht es dir, Jens?«
Lerby schürzte die Lippen. Mit manchem hatte er gerechnet, aber nicht damit, dass sich der sonst eher auf seine eigene Person bedachte Birger nach seinem Befinden erkundigen würde. »Kann nicht klagen«, erwiderte er lakonisch. »Und selbst?«
»Nicht zu glauben.« Sørensen lehnte sich in seinem ledergepolsterten Schreibtischstuhl zurück, dabei strich er die grün gestreifte Krawatte über seinem ansehnlichen Bauch glatt. »Gerade mal achtzehn Monate ist es her, dass ich dich in dieses Büro zitiert und dir die Leviten gelesen habe – und nun sieh dich an. Du bist ein wahrer Musterpolizist geworden!«
Lerby lächelte dünn. »Du warst eben sehr überzeugend.«
»Blödsinn. Du warst am Ende, in so ziemlich jeder Hinsicht: Deine Karriere hattest du an die Wand gefahren, mit den meisten Kollegen standest du auf Kriegsfuß, die eigene Familie hielt dich für einen Idioten und du hingst entschieden zu oft an der Wodkaflasche.«
»Danke für die Zusammenfassung.« Lerby nickte. Es war zwar keine besonders schmeichelhafte, dafür aber durchaus zutreffende Beschreibung des Mannes, der er noch vor eineinhalb Jahren gewesen war.
»Ich hätte keine fünf Kronen mehr auf dich gesetzt, als ich dich nach Grönland schickte, schließlich hast du eine Aversion gegen Eis und Schnee, und gegen Autoritäten sowieso. Und dann klärst du nicht nur diese mysteriösen Mordfälle auf, sondern kehrst auch noch als geläuterter Mann zurück.«
»So geläutert nun auch wieder nicht«, versicherte Lerby. »Es sind immer noch genügend Laster übrig.«
»Was ist da oben im Norden passiert? Hat irgendein Schamane dir das Hirn auf Eis gelegt?«
Lerby lächelte matt. Er hatte sich daran gewöhnt, dass Kollegen und Vorgesetzte Scherze über den Wandel machten, den er durchlaufen hatte und der ihnen ziemlich seltsam vorkommen musste. Für ihn dagegen war es die konsequente Folge dessen, was er bei den Inuit gesehen und erlebt hatte.
Und was er von ihnen gelernt hatte …
»Wie oft willst du mir diese Frage noch stellen?«, fragte er achselzuckend. »Es ist gar nichts passiert, Birger. Ich habe nur die Chance erhalten, das Leben aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Solltest du vielleicht auch mal probieren.«
»Ja, vielleicht sollte ich das«, erwiderte Sørensen schnaubend. »Immerhin hast du noch Kontakt zu deinen Kindern und bist auch wieder mit deiner Frau zusammen. Meine dagegen sieht mich nicht mal mehr mit der Kehrseite an.«
»Weil du dich mehr für die Kehrseiten anderer Frauen interessiert hast, wenn ich mich recht erinnere.«
»Richtig.« Sørensen schnaubte abermals und zuckte mit den breiten Schultern. »Jeder tut eben das, was für ihn am besten ist, nicht wahr? Damit habe ich grundsätzlich kein Problem, musst du wissen – aber was ist das hier für eine Scheiße?«, hob er unvermittelt an und wandte sich dem Bildschirm auf seinem Schreibtisch zu. »Du hast einen Versetzungsantrag gestellt? Zum Erkennungsdienst?«
»Bin ich deshalb hier?«, wollte Lerby wissen.
»Darauf kannst du wetten. Warum, verdammt nochmal, wusste ich nichts davon?«
»Weil du nur versucht hättest, es mir auszureden.«
»Verdammt richtig. Ich kann doch nicht tatenlos zusehen, wie einer meiner besten Ermittler einfach kneift und sich in den Innendienst versetzen lässt!«
»Es wird dir nichts anderes übrigbleiben«, konterte Lerby gelassen. »Außerdem hast du diesen Schritt doch schon vor zwanzig Jahren vollzogen.«
»Das stimmt. Allerdings bin ich niemals auch nur halb so gut wie du gewesen.«
»Was dich nicht davon abgehalten hat, Karriere zu machen«, konnte Lerby sich nicht verkneifen zu erwidern, schließlich hatte er nicht alle seine alten Gewohnheiten abgelegt. Außerdem kannte er Birger lange genug, um zu wissen, dass ein Kompliment aus seinem Mund nur dann zu hören war, wenn er etwas damit bezweckte. In diesem Fall vermutlich, einen Mitarbeiter in seiner Abteilung zu halten, dessen hohe Aufklärungsquote auch ihm selbst gut zu Gesicht stand.
»Ist das der Grund für das Versetzungsgesuch?«, fragte Sørensen gereizt. »Bist du neidisch auf meinen Posten?«
Lerby zuckte mit den Schultern. »Noch vor ein paar Jahren hätte ich wahrscheinlich Ja gesagt, aber darauf kommt es mir inzwischen nicht mehr an. Manche Dinge sind nun einmal, wie sie sind, Birger, und es hat keinen Sinn, sich darüber aufzuregen. Auch das habe ich übrigens von den Inuit gelernt. Ich habe keine Lust mehr, zu nachtschlafender Zeit aus dem Bett geklingelt und an einen Tatort bestellt zu werden. Ich habe meinen Beitrag geleistet und mehr als genug krankes Zeug gesehen. Sollen sich in Zukunft andere an die Front begeben. Ich werde ihnen gerne zuarbeiten und ihnen meine Erfahrung zur Verfügung stellen, aber …«
»Blödsinn«, fiel sein Vorgesetzter ihm barsch ins Wort. »Das allein ist es nicht. Was steckt wirklich dahinter?«
Lerby sah Sørensen an. Eine Weile hielt er seinem prüfenden Blick stand. dann hob er resignierend die Hände. »Also schön, du hast mich erwischt«, gab er sich seufzend geschlagen. »Ich will auch kürzertreten. Eva ist erneut befördert worden und wird künftig die Kopenhagener Kanzlei leiten.«
»Was willst du tun?« Der Spott in Birger Sørensens Stimme war unüberhörbar. »Den Hausmann spielen?«
»Ihr den Rücken freihalten«, fuhr Lerby unbeirrt fort. »Mich ein wenig mehr um die Dinge kümmern, die in meinem Leben bislang zu kurz gekommen sind. Und um die Menschen«, fügte er etwas leiser hinzu.
»Was redest du da? Deine Kinder sind beide erwachsen! Dein Sohn ist schon lange ausgezogen und lebt in Hamburg, und deine Tochter wird zum Wintersemester nach Aarhus ziehen, um dort ihr Studium fortzusetzen. So jedenfalls hast du es mir erzählt.«
»Zugegeben.«
»Also was soll der Blödsinn? Du kannst nicht einfach den Schwanz einziehen und hinschmeißen. Oder hast du deine Eier bei den Eskimos gelassen?«
»Inuit«, verbesserte Lerby, alles andere schlicht überhörend. »Ich gehe also davon aus, dass mein Antrag bewilligt wurde? Andernfalls wärst du wohl nicht so sauer.«
»Haarscharf kombiniert.« Sørensen gab ein Knurren von sich, das auch aus der Kehle eines Wolfs hätte stammen können. »Mit Wirkung vom ersten November arbeitest du nicht mehr in meiner Abteilung. Es sei denn, du widerrufst deinen Antrag.«
»Habe ich nicht vor«, versicherte Lerby.
»Du würdest auch ein eigenes Büro bekommen.«
»Klingt reizvoll. Aber danke, nein.«
»Stures Arschloch.«
»Vorsicht«, warnte Lerby, während er sich aus dem Besucherstuhl erhob und zum Gehen wandte. »Als ich das letzte Mal ein solches Kompliment vom Stapel ließ, hat es mir eine zeitweilige Versetzung nach Grönland eingetragen.«
»Sehr witzig.« Sørensen blies die Wangen auf und atmete geräuschvoll ein und aus. Dann wechselte er abrupt das Thema. »Wollen wir wenigstens nach Dienstschluss noch einen heben gehen? In der Bar um die Ecke, wie in alten Zeiten? Ich würde dir gerne Lana vorstellen.«
Lerby war schon an der Tür. Mit hochgezogenen Brauen wandte er sich noch einmal um. »Hieß sie nicht Lena?«
»Das ist vorbei.« Sørensen grinste. »Lena arbeitet bei Starbucks, Lana ist Fitnesstrainerin. Sie sagt, sie will sich um meinen Körper kümmern.«
»Ach du Scheiße.«
»Und? Bist du dabei?«
»Nein danke.« Lerby schüttelte den Kopf. »Es ist Freitagabend, ich habe eine Verabredung mit Eva. Teures Restaurant in Carlsberg. Romantischer Abend und so.«
»Verstehe.« Sørensen nickte, das anzügliche Grinsen verschwand aus seinem roten Gesicht. »Du hast wirklich Glück, weißt du das?«, fragte er.
»Stimmt«,...
Erscheint lt. Verlag | 29.9.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Aussiedlung • Eiswüste • Ermittlerduo • Fräulein Smillas Gespür für Schnee • Grönland • Inuit • Inuit-Mythen • Profiler • Rache • Serienkiller • skandinavische Spannung • Umsiedlung |
ISBN-10 | 3-7517-4776-1 / 3751747761 |
ISBN-13 | 978-3-7517-4776-9 / 9783751747769 |
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