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Der Stich (eBook)

Thriller

*****

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7517-4783-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Stich -  Thilo Winter
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Quito Mantezza kann es nicht fassen, als ihm das Stipendium am College in Key West, Florida, fristlos gestrichen wird. Jemand scheint verhindern zu wollen, dass sich der Biologiestudent gegen Freilandversuche mit gentechnisch veränderten Moskitos einsetzt. Er klagt gegen die Kündigung und muss miterleben, wie sein Anwalt im Gerichtssaal tot zusammenbricht. Als Augenblicke später auch die Richterin ohnmächtig wird, bricht Panik im Justizgebäude aus. Während die Behörden noch rätseln, was die Ursache für die Todesfälle ist, gelingt es Quito herauszufinden, was wirklich hinter der rätselhaften Seuche steckt: der Stich einer bislang unbekannten Mückenart ...



<p><strong><strong>Thilo Winter </strong></strong>ist ein deutscher Schriftsteller und Wissenschaftsjournalist. Seine Reportagen berichten über den Einsatz von Gentechnik in der Archäologie, über die Anpassung von Tieren an die Welt der Menschen und über die Suche nach den ältesten Bakterien der Erde. Winter arbeitet u.a. für SPIEGEL GESCHICHTE, BILD DER WISSENSCHAFT und SPEKRUM DER WISSENSCHAFT. Er studierte Ur- und Frühgeschichte, Klassische Archäologie und Ethnologie.</p>

Thilo Winter ist das Pseudonym eines deutschen Schriftstellers und Wissenschaftsjournalisten. In seinen Reportagen berichtet er über Unterwasserforschung mit Tauchrobotern, archäologische Funde in abtauenden Gletschern, den Klimawandel als Ursache für den Untergang früher Kulturen und die Zukunft der Polargebiete. Winter arbeitet u. a. für die Zeitschriften SPIEGEL GESCHICHTE, BILD DER WISSENSCHAFT und SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT.

Kapitel 2


Key West, Monroe County Courthouse


Das Sirren sägt durch den Gerichtssaal. Es kommt näher, wird lauter, ein grelles Geräusch wie ein Warnsignal. Erst ist es an Quitos linkem Ohr, dann am rechten. Aufs Geratewohl schlägt er nach der Mücke, zerteilt aber nur die Luft. Der Angriff lenkt seine Aufmerksamkeit von der dunkelhaarigen Frau in der schwarzen Robe ab, die sich am Richtertisch leise mit seinem Anwalt bespricht.

Es ist heiß im Gericht von Key West, und es ist gerade mal Mitte Mai. Die Morgensonne brennt durch die hohen Fenster und malt die Schatten der Fensterkreuze auf den Fliesenboden. Jetzt ist Quito froh, dass er Bermudas zu seinem hellen Sportsakko trägt – trotzdem fühlt er sich unwohl in dem Aufzug, ruckelt mit den Schultern und zupft an dem dünnen Jackett. Dadurch verrutscht das steife Hemd, und nun muss er dessen Sitz ebenfalls korrigieren. Er verändert seine Haltung auf dem kleinen Holzstuhl und wünscht sich seine gewohnte Kleidung, ein T-Shirt und Flipflops.

Das Sirren verstummt. An der rechten Wade kribbelt Quitos Haut. Er schlägt zu. Das Klatschen explodiert im Saal und trägt ihm einen tadelnden Blick von Richterin van Beuren ein. Er hebt die Hand, um nachzusehen, ob er den Quälgeist erwischt hat, aber es ist kein zermalmtes Insekt zu entdecken und auch nicht die verräterische Rötung eines Einstichs an seinem Bein.

In diesem Augenblick wiederholt sich das Klatschen. Josh Mangiardi, Quitos Anwalt, reibt sich den Hals, schaut prüfend in seine Handfläche und wischt sich die Finger an der Krawatte ab. Unbeeindruckt redet er weiter auf Richterin van Beuren ein.

An ihrem Gesichtsausdruck versucht Quito zu erkennen, wie die Richterin seinem Anliegen gegenüber eingestellt ist: ob sie dafür sorgen wird, dass er das Stipendium zurückbekommt, das die Bennerley-Stiftung ihm gestrichen hat.

Weil er etwas Gerechtes getan hat!

Erneut durchflutet ihn Empörung, als er daran denkt, was DNArtists vorhaben. Jemand musste etwas dagegen unternehmen, und da weder der Gouverneur des Staates Florida noch die Polizei von Monroe County auf seine Hinweise reagiert haben, blieb ihm nichts anderes übrig, als die Angelegenheit selbst in die Hand zu nehmen.

»Dauert die Besprechung da vorne noch lange?« Rechtsanwalt Melvin Ross, der die Stiftung vertritt, schiebt seinen Stuhl zurück und schaut demonstrativ auf seine protzige Armbanduhr. »Sonst bestelle ich mir schon mal einen Lunch hierher.«

Van Beuren sieht an Josh Mangiardi vorbei. »Dies ist kein Schnellimbiss. Wir nehmen uns Zeit für alle Einwände«, weist sie Ross zurecht. Während Josh leise weiterspricht, wandert ihr Blick scheinbar ziellos umher. Das ist kein gutes Zeichen, denkt Quito. Die Richterin ist unkonzentriert – vermutlich, weil sie längst zu einer Entscheidung gekommen ist und ihr Urteil gefällt hat. Sie schiebt den linken Ärmel ihrer Robe hoch, schaut auf die dunkle Haut ihres Arms und fährt mit der rechten Hand darüber. Ein Juckreiz am langen Arm des Gesetzes, Quito kann ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Josh redet unterdessen weiter. Van Beuren schüttelt den Kopf, wischt an ihrem Gesicht entlang und prustet wie jemand, der ein Haar von seinen Lippen wegblasen will. Während ihr Blick nun auf dem Tisch vor ihr ruht, streckt sie die Hand nach dem Richterhammer aus. Langsam hebt sie das allmächtige Werkzeug des US-amerikanischen Rechtswesens.

Quito vergeht das Schmunzeln. Was hat sie vor? Verkündet sie ihre Entscheidung, ohne noch einmal das Wort an ihn zu richten? Hat Josh vergeblich versucht …?

Einen Moment zögert Van Beuren, dann schlägt sie zu. Der Hammer knallt auf den Resonanzblock. Ein Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus, als sie das kreisrunde Holzstück hochhebt und Josh präsentiert.

»Erwischt!«, stellt die Richterin fest. »So geht man mit Gewalttätern um.« Sie kramt ein Taschentuch aus ihrer Robe hervor und wischt das Holz ab, ein kleiner roter Fleck verschmiert darauf.

»Todesstrafe mit sofortiger Exekution«, pflichtet Josh bei. Erstaunlicherweise trifft der geschmacklose Scherz den Humor von Richterin van Beuren, und beide lachen in lautstarkem Einvernehmen.

Die Mücke ist tot.

»Nichts anderes habe ich getan«, ruft Quito. Er steht auf.

»Sie bleiben sitzen, bis das Hohe Gericht Sie aufruft«, verlangt einer der Gerichtsdiener neben der Tür. Bis auf die beiden Uniformierten, Quito, die Richterin und die Anwälte ist der Saal leer.

Das Lachen in Richterin van Beurens Gesicht erlischt. Sie legt den Hammer beiseite. »Mister Mantezza«, sagt sie in vorwurfsvollem Ton zu Quito, »Sie haben nicht ein einzelnes Insekt getötet, sondern Zehntausende, indem Sie das Wasser aus den Brutbehältern haben ablaufen lassen, sodass die Larven vertrocknet sind. Diese Larven waren das Eigentum von jemand anderem. Sie haben es zerstört, und dafür sind Sie bestraft worden. Die Bennerley-Stiftung hat Ihr Stipendium gestrichen, und ich sehe keine Veranlassung, Ihren Widerspruch gegen diese Entscheidung anzuerkennen.«

Abgelehnt. Quito fühlt sich wie die Mücke unter van Beurens Hammer. Als er einen Schritt zurückweicht, stößt er gegen den Stuhl und wirft ihn um. Das Poltern klingt wie der Donner in seinem Herzen, wie die Fäuste, die er jetzt gern auf den Richtertisch schlagen würde. »Verstehen Sie nicht?«, ruft er. »Hat Mister Mangiardi denn nicht ausführlich erklärt, warum diese Larven nicht schlüpfen durften? Josh!«

Aber nun ist die Reihe an dem Anwalt, unaufmerksam zu sein. Mangiardi verzieht das Gesicht und hält sich den Hals. Als er die Hand wegnimmt, ist da eine Schwellung von der Größe eines Taubeneis zu erkennen. Die Haut glänzt in Schlammfarbe.

»Es ist die Tat, die das Gericht zu beurteilen hat, weniger das Motiv, das dazu führte«, belehrt ihn Richterin van Beuren. Auf ihrem Gesicht glänzt Schweiß. Sie rutscht auf ihrem Stuhl hin und her, scheint sich in dem Talar ebenso unwohl zu fühlen wie Quito in seinem Aufzug.

Er hat genug von dieser Farce, öffnet den Knopf seines Jacketts und zieht es aus. Augenblicklich fühlt er sich freier. Er wird sich nicht geschlagen geben. Er steht vor genau der Instanz, die DNArtists noch Einhalt gebieten kann. Alles, was er tun muss, ist, Richterin van Beuren auf seine Seite zu ziehen. Jetzt geht es nicht mehr nur um sein Stipendium, jetzt geht es um mehr.

»Hohes Gericht«, Quito räuspert sich und streicht sich die Haare nach hinten, spürt ihre Wellen an der Innenfläche der Hand. »DNArtists ist im Begriff, die Natur unserer Heimat zu zerstören.«

»Quito, nicht!« Josh kommt auf ihn zu, mit verzogenem Gesicht, vermutlich will er seinen Mandanten beruhigen. Doch dazu ist es zu spät. Quito drückt ihm das Jackett in die Hand und redet weiter. »Diese Leute setzen gentechnisch veränderte Lebewesen in freier Wildbahn aus, und das zu fragwürdigen Zwecken. Niemand kann abschätzen, was das nach sich zieht, niemand weiß …«

Der Hammer knallt, zermalmt seine Worte. »Mister Mantezza«, blafft die Richterin, »ich rufe Sie zur Ordnung. Dies ist ein ordentliches Gericht der Vereinigten Staaten von Amerika. Wir sind hier nicht auf Kuba. Merken Sie sich das.«

Etwas in Quito wird zu Beton. Gleichzeitig spürt er das Blut seiner Vorfahren in sich rauschen, kubanisches Blut, damit haben seine Großeltern einen hohen Preis für ihren Kampf gegen die Kommunisten gezahlt. »Ich bin amerikanischer Staatsbürger«, bringt er hervor, »ich dachte, vor dem Gesetz dieses Landes seien alle gleich.«

Van Beuren lehnt sich zurück und lächelt süffisant. »Ich hätte nicht gedacht, dass mich ein junger Mann wie Sie über meine Arbeit belehren muss. Offenbar habe ich mich geirrt.« Jetzt funkelt sie ihn an. »Bis das amerikanische Rechtssystem zulässt, dass der Angeklagte die Verhandlung führt, handeln wir nach dem, was am heutigen Tag Recht und Gesetz ist. Und das vertrete in diesem Fall ich.« Sie stützt die Ellbogen auf den Tisch und lehnt sich nach vorn, dabei verliert sie den Halt auf ihrem linken Arm und knickt ein wenig zur Seite weg. »Quito Mantezza«, sagt sie, darum bemüht, den Lapsus zu überspielen, »ich lehne Ihren Widerspruch ab. Die Bennerley-Stiftung hat Ihr Stipendium zu Recht beendet. Sie können von Glück reden, dass DNArtists Sie nicht auf Schadensersatz verklagen, denn das hätte ich getan.«

Der Beton in Quitos Innerem bekommt Risse, daraus quillt etwas hervor. »Mein Name wird Kito ausgesprochen, K-I-T-O, nicht Kwito. Und Sie sollten Ihr Rechtsverständnis noch einmal überdenken«, er spricht jetzt lauter, »denn nach den Gesetzen der Natur sind wir mittlerweile alle Verbrecher.« Plötzlich findet er sich vor dem Richtertisch wieder.

Van Beuren ruft nach den Gerichtsdienern, Josh fasst nach seinem Arm, doch Quito befreit sich aus dem laschen Griff und stößt den Anwalt zurück. Im nächsten Moment liegt Mangiardi am Boden, und der Schatten des Fensterkreuzes malt sich auf seinem Körper ab.

»Hilfe!« Van Beurens Stimme ist schrill.

Hände fassen nach Quitos Schultern, ein Arm, breit wie ein Oberschenkel, legt sich um seine Kehle, zieht ihn nach hinten und drückt ihm die Luft ab. Quito versucht sich zu befreien. Die Gerichtsdiener bellen Befehle, aber er versteht die Worte nicht, denn er kann den Blick nicht von seinem Anwalt nehmen.

Josh Mangiardi liegt mit durchgedrücktem Rücken auf den Fliesen und paddelt mit den Füßen, dabei versucht er, Luft durch seinen aufgerissenen Mund einzusaugen. Seine Augen sind geweitet, er...

Erscheint lt. Verlag 26.1.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Biotech • DNA • Elsberg • Florida • Gelbfieber • Gentechnik • Insekten • Key West • Moskitos • Mücken • Naturschutz • Realität • Schwarm • Seuche • Spannung • Takano • Thriller • Umweltschutz • Verhaltensforschung • Wissenschaft • Wissenschaftsthriller
ISBN-10 3-7517-4783-4 / 3751747834
ISBN-13 978-3-7517-4783-7 / 9783751747837
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