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Auf der Suche (eBook)

Short Stories
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
144 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-3288-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Auf der Suche - Theodor Fontane
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Fontanes »Short Stories« als Gegengift für den gestressten Menschen von heute 

»Der moderne Mensch, angestrengter wie er wird, bedarf auch größerer Erholung. Findet er sie?« Mit dieser verblüffenden Frage schlägt Fontane 1873 neue erzählerische Wege ein. Entstanden sind kluge, vergnügliche Geschichten, die er selbst als »Short Stories« bezeichnete. Die schönsten sind hier versammelt und laden dazu ein, aus dem alltäglichen Wahnsinn herauszutreten und sich auf die Suche nach dem Glück zu machen.

Die brillanten Beobachtungen eines wachen Zeitzeugen, der sein bis heute gültiges Plädoyer zum Besten gibt. 

»Man soll den Augenblick ergreifen. Ist es der rechte, so bedeutet es das Glück.« Theodor Fontane



Theodor Fontane wurde am 30. Dezember 1819 im märkischen Neuruppin geboren. Nach vierjähriger Lehre arbeitete er in verschiedenen Städten als Apothekergehilfe und erwarb 1847 die Zulassung als »Apotheker erster Klasse«. 1849 gab er den Beruf auf, etablierte sich als Journalist und freier Schriftsteller und heiratete 1850 Emilie Rouanet-Kummer. 1855 bis Anfang 1858 hielt er sich in London auf, u. a. als »Presseagent« des preußischen Gesandten. Zwischen 1862 und 1882 kamen die »Wanderungen durch die Mark Brandenburg« heraus. Neben seiner umfangreichen Tätigkeit als Kriegsberichterstatter und Reiseschriftsteller war Fontane zwei Jahrzehnte Theaterkritiker der »Vossischen Zeitung«. In seinem 60. Lebensjahr trat er als Romancier an die Öffentlichkeit. Dem ersten Roman »Vor dem Sturm« (1878) folgten in kurzen Abständen seine berühmt gewordenen Romane und Erzählungen sowie die beiden Erinnerungsbücher »Meine Kinderjahre« und »Von Zwanzig bis Dreißig«. Fontane starb am 20. September 1898 in Berlin.

Auf der Suche


Eduard Hildebrandt: Sonnenuntergang in Siam, 1863

Ich soll Ihnen etwas schreiben, wenn es auch nur eine »Wanderung« wäre. Nun so sei’s denn; und wenn nicht eine Wanderung durch die Mark, was zu weitschichtig werden könnte, so doch wenigstens eine Wanderung durch Berlin W. Aber wohin? Ich war tagelang auf der Suche nach etwas Gutem und wollt’ es schon aufgeben, als mir der Gedanke kam, mein Auge auf das Exterritoriale zu richten, auf das Nicht-Berlin in Berlin, auf die fremden Inseln im heimischen Häusermeer, auf die Gesandtschaften. Das Neue darin erfüllte mich momentan mit Begeisterung und riss mich zu dem undankbaren Zitate hin, undankbar gegen unsere gute Stadt: »Da, wo du nicht bist, ist das Glück.«

Also Gesandtschaften! Herrlich. Aber wie sollte sich das alles in Szene setzen? Wollt ich interviewen? Ein Gedanke, nicht auszudenken. Und so stand ich denn in der Geburtsstunde meiner Begeisterung auch schon wieder vor einer Ernüchterung, der ich unterlegen wäre, wenn ich mich nicht rechtzeitig einer mehr als 30 Jahre zurückliegenden Ausstellung erinnert hätte, die der damals von seiner Weltreise zurückkehrende Eduard Hildebrandt vor dem Berliner Publikum zu veranstalten Gelegenheit nahm. Wie wenn es gestern gewesen wäre, steht noch der Siam-Elefant mit der blutrot neben ihm untergehenden Sonne vor mir; was mir aber in der Reihe jener damals ausgestellten Aquarelle mindestens ebenso schön oder vielleicht noch schöner vorkam, waren einige farbenblasse, halb hingehauchte Bildchen, lang gestreckte Inselprofile, die, mit ihrem phantastischen Felsengezack in umschleierter Morgenbeleuchtung, vom Bord des Schiffes her aufgenommen worden waren. Nur vorübergefahren war der Künstler an diesen Inseln, ohne den Boden derselben auch nur einen Augenblick zu berühren, und doch hatten wir das Wesentliche von der Sache, die Gesamtphysiognomie. Das sollte mir Beispiel, Vorbild sein, und in ganz ähnlicher Weise wie Hildebrandt an den Seychellen und Komoren wollt’ ich an den Gesandtschaften vorüberfahren und ihr Wesentliches aus ehrfurchtsvoller und bequemer Entfernung studieren.

Aber mit welcher sollt’ ich beginnen? Ich ließ die Gesamtheit der Gesandtschaften Revue passieren, und da mir als gutem Deutschen der Zug innewohnt, alles, was weither ist, zu bevorzugen, entschied ich mich natürlich für China, Heydt-Straße 17. China lag mir auch am bequemsten, an meiner täglichen Spaziergangslinie, die, mit der Potsdamer Straße beginnend, am jenseitigen Kanalufer entlangläuft und dann unter Überschreitung einer der vielen kleinen Kanalbrücken von größerem oder geringerem (meist geringerem) Rialtocharakter am Tiergarten hin ihren Rücklauf nimmt, bis der Zirkel an der Ausgangsstelle sich wieder schließt.

Eine Regenwolke stand am Himmel; aber nichts schöner als kurze Aprilschauer, von denen es heißt, dass sie das »Wachstum« fördern; und so schritt ich denn »am leichten Stabe«, nur leider um einiges älter als Ibykus, auf die Potsdamer Brücke zu, deren merkwürdige Kurvengeleise, darauf sich die Pferdebahnwagen in fast ununterbrochener Reihe heranschlängeln, immer wieder mein Interesse zu wecken wissen. Und so stand ich auch heute wieder an das linksseitige Geländer gelehnt, einen rotgestrichenen Flachkahn unter mir, über dessen Bestimmung eine dicht neben mir angebrachte Brückentafel erwünschte Auskunft gab: »Dieser Rettungskahn ist dem Schutze des Publikums anempfohlen.« Ein zu schützender Retter; mehr bescheiden als vertrauenerweckend.

Von meinem erhöhten Brückenstand aus war ich aber nicht bloß in der Lage, den Rettungskahn unter mir, sondern auch das schon jenseits der Eisenschienen gelegene Dreieck überblicken zu können, das, zunächst nur als Umspann- und Rasteplatz für Omnibusse bestimmt, außerdem noch durch zwei jener eigenartigen und modernster Zeit entstammende Holzarchitekturen ausgezeichnet ist, denen man in den belebtesten Stadtteilen Berlins trotz einer gewissen Gegensätzlichkeit ihrer Aufgaben so oft nebeneinander begegnet. Der ausgebildete Kunst- und Geschmackssinn des Spree-Atheners, vielleicht auch seine Stellung zu Literatur und Presse, nimmt an dieser provozierenden Gegensätzlichkeit so wenig Anstoß, dass er sich derselben eher erfreut als schämt; und während ihm ein letztes dienstliches Verhältnis der kleineren Bude zur größeren außer allem Zweifel ist, erkennt er in dieser größeren, mit ihren schräg aufstehenden Schmal- und Oberfenstern zugleich eine kurzgefasste Kritik all der mehr dem Idealen zugewandten Aufgaben der Schwesterbude.

Dieser Letzteren näherte ich mich jetzt, und zwar in der bestimmten Absicht (es war gerade Erscheinungstag der neuen Nummer), ein Exemplar der »Freien Bühne« zu erstehen, der »Freien Bühne«, deren grünen Umschlag einschließlich seiner merkwürdigen Titelbuchstaben im Stile von »Neue Lieder, gedruckt in diesem Jahr« ich schon von fernher erkannt hatte. Wissend, dass dieser Aufsatz bestimmt sei, in einem der nächsten Hefte besagter Wochenschrift zu erscheinen, hielt ich es für eine Anstandspflicht, durch Selbstbesteuerung meine staatliche Zugehörigkeit auszudrücken, und richtete deshalb, als ich nahe genug heran war, um bequem auf den grünen Umschlag hindeuten zu können, an die dame de comptoir die herkömmlich Frage: »Wie viel?« »Vierzig Pfennig.« »Und wird viel gekauft?« »Ja«, sagte sie freundlich und zugleich verschmitzt genug, um mir ihre Mitverschworenschaft außer Zweifel zu stellen.

Das Heft vorsichtig unter den Rock knöpfend, war ich inzwischen bis an den Anfang jener Straßenlinie vorgedrungen, die sich unter verschiedenen Namen bis zu dem Zoologischen Garten hinaufwindet, die ganze Linie eine Art Deutz, mit Köln am anderen Ufer, dessen Dom denn auch von der Matthäikirchstraße her herrlich herübersah und die Situation beherrschte. Nun kam »Blumes Hof« und gleich danach die Genthiner Straße mit ihrem Freiblick auf den Magdeburger Platz; und abermals eine Minute später stand ich vor Lützowufer 6–8, oder was dasselbe sagen will, vor dem drei Häuserfronten in Anspruch nehmenden »Statistischen Amt« – einem ganz eigenartigen Bau, der sich nur zu sehr mit den grundlegenden Prinzipien der Baukunst, wonach Großes und Kleines, und wenn es die Statistik wäre, seiner speziellen Bestimmung gemäß gestaltet werden muss, zu decken scheint.

Und nun war der Brückensteg da, der mich nach China hinüberführen sollte. So schmal ist die Grenze, die zwei Welten voneinander scheidet. Eine halbe Minute noch, und ich war drüben.

Kieswege liefen um einen eingefriedeten lawn, den an dem einen Eck ein paar mächtige Baumkronen überwölbten. Da nahm ich meinen Stand und sah nun auf China hin, das chinesisch genug dalag. Was da vorüberflutete, gelb und schwer und einen exotischen Torfkahn auf seinem Rücken, ja, war das nicht der Yang-tse-kiang oder wenigstens einer seiner Arme, seiner Zuflüsse? Am echtesten aber erschien mir das gelbe Gewässer da, wo die Weiden sich überbeugten und ihr Gezweig eintauchten in die heilige Flut. Merkwürdig, es war eine fremdländische Luft um das Ganze her, selbst die Sonne, die durch das Regengewölk durchwollte, blinzelte chinesisch und war keine richtige märkische Sonne mehr. Alles versprach einen überreichen Ertrag, ein Glaube, der sich auch im Näherkommen nicht minderte; denn an einer frei gelegten Stelle, will sagen da, wo die Maschen eines zierlichen Drahtgitters die chinesische Mauer durchbrachen, sah ich auf einen Vorgarten, darin ein Tulpenbaum in tausend Blüten stand und ein breites Platanendach darüber. Alle so echt wie nur möglich, und so war es denn natürlich, dass ich jeden Augenblick erwartete, den unvermeidlichen chinesischen Pfau von einer Stange her kreischen zu hören.

Aber er kreischte nicht, trat überhaupt nicht in Erscheinung, und als mein Hoffen und Harren eine kleine Viertelstunde lang ergebnislos verlaufen war, entschloss ich mich, ein langsames Umkreisen des chinesischen Gesamt-Areals eintreten zu lassen. Ich rückte denn auch von Fenster zu Fenster vor, aber wiewohl ich, laut Wohnungsanzeiger, sehr wohl wusste, dass, höherer Würdenträger zu geschweigen, sieben Attachés ihr Heimstätte hier hatten, so wollte doch nichts sichtbar werden, eine Tatsache, die mir übrigens nur das Gefühl einer Enttäuschung, nicht aber das einer Missbilligung wachrief. Im Gegenteil. »Ein Innenvolk«, sagte...

Erscheint lt. Verlag 19.9.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Berlin • Brandenburg • Effi Briest • Erholung • Erzählungen • Flaneur • Gelassenheit • Geschenkbuch • Kaiserzeit • Reiseerzählungen • Reisen • Short Stories • Stressbewältigung • Wanderungen durch die Mark Brandenburg • Weihnachten
ISBN-10 3-8412-3288-4 / 3841232884
ISBN-13 978-3-8412-3288-5 / 9783841232885
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