Rügentod (eBook)
304 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-3331-8 (ISBN)
Das Feuer von Rügen.
Rügen in den zwanziger Jahren. Das Kurhaus in Binz ist das erste Haus am Platz. Hier steigt die erfolgreiche Krimiautorin Dorothee von Stresow ab. Seit ihre Eltern bei einem Brand auf dem Gut ihrer Familie vor achtzehn Jahren ums Leben kamen, ist Dorothee nicht mehr auf der Insel gewesen. Nun trifft sie auf einem Empfang ihre Freundin Margarethe wieder, die Andeutungen macht, sie wisse etwas über das Feuer von damals. Schon am nächsten Tag wird ein Anschlag auf Dorothee verübt - und ihre Freundin liegt tot in einer Jagdhütte ...
Ein Mordfall in Binz im Jahr 1920 - mit Lokalkolorit und einer ungewöhnlichen Ermittlerin.
Sylvia Frank ist das Pseudonym eines erfolgreichen deutschen Schriftstellerehepaares, das auf der Insel Rügen lebt. Sylvia Vandermeer, geboren 1968, studierte Biologie, Psychologie und Bildende Kunst. Heute ist sie freiberuflich als Schriftstellerin und Malerin tätig. Frank Meierewert, geboren 1967, ist promovierter Ethnologe und seit 2016 als freier Autor tätig. Im Aufbau Taschenbuch ist von ihnen lieferbar: »Das Haus der Winde«, »Gala und Dalí - Die Unzertrennlichen« sowie »So long, Marianne - Leonard Cohen und seine große Liebe«. Mehr Informationen unter https://sylviafrank.myportfolio.com/home
Prolog
Rügen, 1905
Das Kindermädchen klopfte in Dorothees Rücken die Kissen auf.
»Gerda? Möchten Sie wissen, wofür ich vorhin gebetet habe, ich meine zusätzlich, außer der Reihe?«
Das von einer weißen Haube gesäumte gutmütige Gesicht der Frau erschien in ihrem Blickfeld.
»Um gute Schulnoten?«
»Ach, wie langweilig! Doch nicht so was.« Dorothee schüttelte die langen braunen Locken und ließ ihren Kopf ins Kissen sinken.
Die Frau legte die Stirn in Falten, als müsste sie angestrengt nachdenken, während sie die Zudecke bis an das Kinn des Mädchens zog. »Vielleicht um viele Geschenke? Schließlich ist morgen Ihr Geburtstag.«
Dorothee spürte, wie ihr bei dem Gedanken das Herz freudig schneller schlug. Sie wurde zwölf, und einen Moment lang dachte sie an den Besuch in der Schneiderei, die sie am Nachmittag in Begleitung ihrer Mutter aufgesucht hatte, um ihr neues Kleid abzuholen. Taubenblaue Seide mit gestickten Silberfäden. Es war das Schönste, das sie je besessen hatte.
»Nein. Sie erraten es nicht.« Dorothees Blick streifte kurz den Sekretär, wo sie in einer geheimen Schublade ihr Tagebuch wusste. »Wenn sich der Wunsch erfüllt hat, werde ich es Ihnen sagen.«
»Gut.«
Das Mädchen musterte die Kinderfrau. Ihr dunkles Kleid war frisch gebügelt und hatte einen neuen weißen Kragen.
»Sie haben sich aber fein gemacht«, stellte sie fest.
»Heute Abend ist Tanz in der Pommernkate.«
»Da ist Ihr Franz bestimmt auch da«, neckte Dorothee.
»Na, dir will ich helfen …«, drohte Gerda, aber Dorothee wusste, dass sie es nicht ernst meinte.
»Und Sie haben wirklich keine Idee, was es sein könnte, worum ich gebetet habe?«
Gerda lächelte. »Nein, wirklich nicht. Da müssen Sie mir schon einen Hinweis geben.« Das Kindermädchen erhob sich vom Rand des Bettes und drehte den Docht der Petroleumlampe herunter.
Dorothee spürte, wie sie verlegen wurde. »Das kann ich nicht.«
Als Gerda gegangen war, wanderten ihre Gedanken hinaus zum Bodden. Wieder versteckte sie sich hinter dem Stamm einer Buche, von wo aus sie Albert, den Sohn des Verwalters, beobachtete, wie er am Ufer stand und mit einer weit ausholenden Bewegung die Angel auswarf. Sonnenflecken standen auf dem Wasser und spiegelten sich auf seinem braun gebrannten Gesicht. Doch dann wurde aus dem schimmernden Wasser die Silberborte ihres neuen Kleides, alles verschwamm ineinander, und sie schlief ein.
Mitten in der Nacht erwachte sie aus einem Traum. Zuletzt hatte er etwas Bedrohliches bekommen. Als Dorothee die Augen aufschlug, konnte sie sich nur noch vage an die Bilder erinnern. Die Mutter stand in einem wunderschönen Abendkleid auf einer Bühne, um den Hals das Collier aus Gold und Elfenbein mit dem Shintō-Schrein als Anhänger, und sang, während sie neben ihrem Vater saß und sie beide ihr von einer Loge aus zusahen. Das Theater war bis auf den letzten Platz gefüllt. Als die Leute anfingen, zu klatschen, mischte sich ein Knacken und Knistern in den Applaus, das sich nicht zuordnen ließ, jedoch immer lauter wurde und sie am Ende weckte.
Dorothee spürte eine Unruhe und horchte in die Dunkelheit hinein.
Irgendetwas war anders. Aber sie konnte nicht sagen, was es war.
Vorsichtig tastete sie mit der Hand nach dem Docht der Petroleumlampe, drehte ihn höher und stützte sich auf ihre Ellenbogen.
Alles im Zimmer schien vertraut. Schemenhaft zeichneten sich die Konturen der Möbelstücke ab, nur unter dem schweren Brokatvorhang vor dem Fenster sickerte ein schwacher Streifen gelbroten Lichts.
Wo kam dieses Licht her? Es war doch mitten in der Nacht.
Sie legte den Kopf in den Nacken und starrte zur Zimmerdecke hinauf, wo vergoldete Stuckleisten geometrische Muster bildeten.
Da war es wieder, dieses Knacken.
Dorothee wollte den Blick abwenden, als sie einen dünnen Rauchwirbel bemerkte, der hinter einer der breiten Zierleisten am Rand der Decke hervorquoll. Zuerst glaubte sie, dass sie sich den Qualm nur einbildete, dass ihr die Müdigkeit einen Streich spielte. Sie schloss die Lider, holte tief Luft und öffnete sie wieder.
Sie erstarrte.
Der Rauchwirbel war immer noch da … und er hatte sogar an Intensität gewonnen. Wie ein grauer Vorhang breitete er sich im Zimmer aus. Die Luft schmeckte plötzlich eigenartig bitter, biss und kratzte im Hals.
Hastig schlug Dorothee die Zudecke zurück, getrieben von Furcht und dem Wunsch, zu den Eltern zu eilen und ihnen davon zu berichten. Sie schlüpfte in ihre Hausschuhe und wollte nach dem Morgenmantel greifen, als sich über ihr ein Stück Putz von der Decke löste. Einen Meter entfernt krachte es auf die Dielen. Es gab einen ohrenbetäubenden Knall.
Entsetzt prallte sie zurück, und als ihr verängstigter Blick endlich nach oben wanderte, sah sie lodernde Flammen, die um die gezackte Öffnung tanzten.
Dorothee entfuhr ein schriller Schrei. Sie stürzte zur Tür und riss sie auf.
Der hohe geräumige Flur, der sonst die beiden Seitenflügel des Gutshauses mit den Wohnräumen in der ersten Etage verband und der die Ahnengalerie, eine Sammlung wertvoller Wandteppiche, sowie Mutters italienische Möbel beherbergte, war kaum wiederzuerkennen.
Das Feuer musste diesen Raum schon früher erreicht haben, denn von der Decke hingen brennende Balken, und unerbittlich fraßen sich Flammen durch die Stofftapeten, züngelten gierig an den Vorhängen empor.
Die Schlafzimmer ihrer Eltern lagen im Westflügel. Dafür musste sie dem Korridor folgen, dann die hintere Flügeltür passieren.
Dorothee prallte zurück, so glühend heiß war die Luft.
Kurz überlegte sie, zurück in ihr Zimmer zu laufen, verwarf den Gedanken aber sofort wieder, als sie über ihrem Kopf erneut ein bedrohliches Knacken vernahm, dem ein furchtbarer Donnerschlag folgte. Unter ihren Füßen erzitterte der Dielenboden.
Dorothee rannte los.
Die Hitze war grauenhaft. Aber noch schlimmer als die Hitze war der Qualm, der sie jeden Augenblick zu ersticken drohte.
Sie zog ihr Nachthemd bis über die Nase, zum Glück war es aus weißem, dicht gewebtem Stoff und bot ein wenig Schutz.
Trotzdem fiel ihr das Atmen schwer, und es gestaltete sich zunehmend schwieriger, den schweren Möbelstücken, die ohne Vorwarnung aus dem Dunst auftauchten, rechtzeitig auszuweichen.
Als sie sich heftig das Knie anstieß, schlug sie der Länge nach hin und biss sich die Lippen blutig. Verzweifelt rappelte sie sich auf und humpelte weiter, ihr blieb keine andere Wahl.
Die lodernden Flammen, die sie umgaben und die sie zu verfolgen schienen, als wären sie lebendige, gewaltbereite Wesen, darauf aus, sie zu töten, waren so hoch und gleichförmig, dass Dorothee für eine Sekunde überrascht innehielt. Lag es daran, dass dieses ungezügelte Feuer so viel Nahrung fand?
Endlich erreichte sie die Flügeltür.
Die Türblätter waren aus den Angeln gerissen, die Scheiben zersplittert. Plötzlich trat sie mit dem Fuß auf etwas Schlaffes, Weiches. Es dauerte einen Augenblick, bis sie begriff, dass es ein ausgestreckter Arm war. Entsetzt wich sie zurück.
An der Uniform erkannte sie, dass es Hans war, der alte Diener ihres Vaters. Aus seinem Ohr sickerte Blut.
Sie wollte die Hand ausstrecken, zuckte jedoch sofort zurück, als eine heiße Flüssigkeit ihr die Finger verbrühte.
Geschmolzenes Kristall tropfte von einem Lüster an der Decke.
Dorothee versuchte, es mit einer schnellen Bewegung abzuwischen, dabei starrte sie auf die gewaltige Mauer aus Feuer, die sich vor den Zimmern der Eltern aufgebaut hatte.
Der Anblick lähmte sie, dann fasste sie einen Entschluss. Sie musste umkehren. Möglicherweise konnte sie im Erdgeschoss das Feuer umgehen, um so in den Westflügel zu gelangen. Noch hegte sie die Hoffnung, dass das Feuer nicht im ganzen Haus ausgebrochen war. Dass die Feuerwand irgendwo zu Ende war …
Sie hetzte zurück in den Korridor. Das verletzte Knie spürte sie kaum noch.
Dafür traf sie jetzt hier auf dasselbe Inferno, dem sie eben noch...
Erscheint lt. Verlag | 8.12.2023 |
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Reihe/Serie | Dorothee von Stresow ermittelt | Dorothee von Stresow ermittelt |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Binz • Brandstiftung • Dorothee von Stresow • Krimiautorin • Kurort • Ostsee • Ostseekrimi • Regionalkrimi • Rügen • Rügenkrimi • Urlaubskrimi • Weimarer Republik • Zwanziger |
ISBN-10 | 3-8412-3331-7 / 3841233317 |
ISBN-13 | 978-3-8412-3331-8 / 9783841233318 |
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