Der goldene Tod (eBook)
256 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31053-5 (ISBN)
Florian Wacker, geboren 1980 in Stuttgart, studierte Heilpädagogik und am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Bisherige Veröffentlichungen: »Albuquerque«, »Dahlenberger«, »Stromland« und »Zebras im Schnee«. Für seinen Roman »Weiße Finsternis« wurde er mit dem Robert Gernhardt Preis ausgezeichnet. 2023 erschien mit »Die Spur der Aale« der erste Band um die Frankfurter Staatsanwältin Greta Vogelsang. Wacker lebt mit seiner Familie in Frankfurt am Main und schreibt Prosa, Dramatik und Code.
Florian Wacker, geboren 1980 in Stuttgart, studierte Heilpädagogik und am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Bisherige Veröffentlichungen: »Albuquerque«, »Dahlenberger«, »Stromland« und »Zebras im Schnee«. Für seinen Roman »Weiße Finsternis« wurde er mit dem Robert Gernhardt Preis ausgezeichnet. 2023 erschien mit »Die Spur der Aale« der erste Band um die Frankfurter Staatsanwältin Greta Vogelsang. Wacker lebt mit seiner Familie in Frankfurt am Main und schreibt Prosa, Dramatik und Code.
1
Richard
Er stand an einem der Stehtische, die im Garten verteilt worden waren, und trank sein zweites Glas. Er spürte ein angenehmes Kribbeln auf der Zunge, merkte, wie die Umgebung langsam weicher wurde, die Geräusche und Stimmen geschmeidiger und genoss das wohlige Gefühl, das der Champagner auslöste. Das Gefühl, aufgenommen worden zu sein, jetzt und hier, er war einer von ihnen.
Der Garten war weitläufig und nach irgendeinem Prinzip gestaltet, vielleicht Feng Shui; jedenfalls gab es einen Teich, in dessen Mitte ein kleines Häuschen stand, eine Art Pagode, es gab einen kleinen Bachlauf, der sich durch das Gelände schlängelte, und über diesen spannte sich ein übertrieben ausgestalteter Holzsteg, es gab riesige Findlinge, kugelig geschnittene Pflanzen, seltene Bäume, die schmalen Wege waren weiß geschottert. Zum Haus hin stieg das Gelände an, war üppig bepflanzt, Wasser rieselte über Gestein, Treppen führten auf eine Holzterrasse, in deren Mitte ein Pool eingelassen war. Er entdeckte kleine Buddhafiguren zwischen den Pflanzen, eine Gartenbank, Vogelgezwitscher war zu hören, von dem er nicht wusste, ob es echt war oder aus verborgenen Lautsprechern kam. Er und die anderen Gäste befanden sich auf einer ovalen Freifläche, die von allerlei Pflanzen und auf einer Seite vom kleinen Bach begrenzt wurde. Am Rand hatte man ein Festzelt in chinesischem Stil errichtet, daneben fachten gerade zwei Angestellte der Cateringfirma den Grill an. Alles war auf eine Art übertrieben und atemberaubend, aber nicht protzig, sondern fein und ästhetisch gestaltet.
Er sah sich um. Seine gute Stimmung hatte nur kurz angehalten, jetzt hatte ihn erneut eine fahrige Unruhe ergriffen. Er zog sein Smartphone aus der Hosentasche und überlegte, ob er Frank schreiben und ihm von seinem Verdacht erzählen sollte. Aber er wollte ihm nicht das Gefühl geben, abhängig von ihm zu sein. Außerdem wollte er sich nicht lächerlich machen – auch wenn er sich beobachtet vorkam, wirkliche Anhaltspunkte hatte er keine. Es war nur so eine vage Ahnung gewesen, die er seit der Trennung von Ines schon einige Male verspürt hatte. Er machte sich gerade, sah sich um. Vorhin hatte er kurz geglaubt, unter den Servicemitarbeitern ein bekanntes Gesicht entdeckt zu haben. Wahrscheinlich eine Täuschung. Zumal er es nicht hatte zuordnen können und der Typ auch nicht wieder aufgetaucht war.
Er schlenderte bemüht locker zum nächsten Stehtisch. Besonders viel war noch nicht los, die Gäste trafen erst nach und nach ein, und immer wieder hörte er die Stimme von Marc Bretone, dem Gastgeber und Jubilar, hörte sein helles Lachen. Er kannte ihn nicht besonders gut und war einigermaßen erstaunt gewesen, als er vor ein paar Wochen die Einladung im Briefkasten gefunden hatte. Frank hatte ihn auf irgendeiner Party mit Marc bekannt gemacht, es musste letzten Sommer gewesen sein, er erinnerte sich nicht mehr. Schon damals hatte er sich gefragt, woher sich die beiden wohl kannten, und es hatte ihn länger beschäftigt, als ihm lieb war. Frank war nicht mehr der zurückhaltende, schmächtige Junge, wie er ihn aus ihrer gemeinsamen Schulzeit in Erinnerung hatte. Er war immer noch schmächtig, aber auf eine athletische Art, sein Körper war trainiert und gebräunt, seine Stimme warm und tief, was für einen Psychologen sicher von Vorteil war. Frank war außerdem – das hatte er schnell begriffen, als sie sich vor über sieben Jahren auf einem Klassentreffen zum ersten Mal wiedergesehen hatten – sehr gut vernetzt, er kannte wichtige und reiche Leute, ging auf ihre Partys, traf sich mit ihnen zum Lunch und in Hotellobbys. Und nachdem Frank die Firma gegründet und sie ihre Zusammenarbeit beschlossen hatten, nahm er ihn einfach mit zu den Partys, stellte ihn vor, machte sein Gesicht bekannt. Im ersten Moment schauten die Leute meist leicht belustigt wegen seines Namens, aber dann nickten sie anerkennend. Oberstaatsanwalt.
Eine Servicekraft kam an seinen Tisch, nahm sein fast leeres Glas und reichte ihm ein neues. Er hielt kurz inne. Es war der Typ, den er vorhin schon kurz wahrgenommen hatte. Er trug die Dienstkleidung des Caterers, weißes Hemd, schwarze Hose, und hatte sich seine Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Der Typ überragte ihn um einen halben Kopf. Und plötzlich war er sich sicher, dass er ihn kannte. Aber woher? Hastig nahm er einen Schluck, der Mann entfernte sich. Wieder war da dieser kurze Moment der Unsicherheit, es flackerte ihm vor den Augen, er spürte ein sanftes Ziehen in der Brust. Er machte einen kleinen Schritt zur Seite, der Rasen federte unter seinen Schuhsohlen leicht. Aber auch nach dem zweiten Schluck verschwand das mulmige Gefühl nicht. Mit seinem Blick folgte er der Servicekraft, die zurück zum Zelt ging, dort mit einem Kollegen sprach und dann hinter einer der Pflanzen verschwand.
Er merkte, wie er zu schwitzen begann. Wo blieb Frank bloß? Er war eigentlich nicht der Typ, der sich schnell in die Hosen machte, gehörte vielmehr zu denen, die die Dinge in die eigenen Hände nahmen, die alles unter Kontrolle hatten und es auch so aussehen lassen konnten, als koste sie dies kaum Mühe. Zumindest hatte er das bislang von sich geglaubt. Aber seit Ines ihm bei ihrem letzten Treffen unverhohlen damit gedroht hatte, er werde schon noch sehen, was er von seiner Arschlochhaftigkeit habe (sie hatte genau dieses Wort benutzt, Arschlochhaftigkeit), hatte sich etwas verändert. Ihre Wut hatte ihn anfangs belustigt, er war sich überlegen vorgekommen, aber nach und nach war ihm klar geworden, dass Ines tatsächlich Mittel hatte, um Frank und ihn gehörig in die Scheiße zu reiten. Er hatte mehrfach versucht, sie anzurufen, aber sie ging nicht ran, und reagierte auch auf seine Nachrichten nicht. Sie fahre ins Ausland, das war das Letzte, was sie ihm zugerufen hatte, bevor sie seine Wohnung verließ. Das war jetzt gut drei Wochen her. Aber was wusste sie schon, was konnte sie schon tun? Wem würden die Leute eher glauben? Einer gekränkten Angestellten oder ihm, dem Oberstaatsanwalt mit Reputation und besten Verbindungen? Wenn sie ihm blöd kam, würde er sie mit Verleumdungsklagen überziehen und sie so zum Schweigen bringen.
Er sah wieder auf sein Smartphone. Den ganzen Morgen hatte er darüber nachgedacht, dass sie die Sache mit dem Geld ändern mussten. Frank sollte es ihm künftig in bar geben und das Konto schnellstmöglich auflösen. Aber er sah schon Franks Grinsen vor sich, ein Grinsen, das sagte: Jetzt krieg dich wieder ein, werd mal nicht paranoid. Und wahrscheinlich hatte Frank recht, wahrscheinlich hatte Ines nur nach irgendwas gesucht, um ihn erschüttern zu können, denn wenn sie irgendwem von der Sache erzählte, wäre sie genauso dran.
Er sah zu den anderen Gästen, inzwischen waren weitere dazugekommen, der Garten füllte sich allmählich. Die meisten kannte er nicht, einige Gesichter hatte er schon einmal gesehen, man nickte sich zu. Er sah Marc Bretone, der sich langsam seinen Weg durch die Gäste bahnte, immer wieder stehen blieb und Hände schüttelte, einen kurzen Small Talk führte. Ihm folgte ein Typ, der neben Marc geradezu lächerlich klein aussah, dafür breite Schultern hatte, wahrscheinlich mal Boxer gewesen war oder irgendeinen Kampfsport machte. Er hatte ihn schon früher mit Bretone gesehen, es war Ivo Klasić, der sich um die Organisation der Security kümmerte. Ihm fiel jetzt auf, dass sich zusätzlich zum Personal vom Catering-Service auch ein paar Security-Mitarbeiter unter die Gäste gemischt hatten, er erkannte sie an ihren strengen Blicken, daran, dass sie nichts tranken und verkabelt waren. Er nahm sich zusammen und versuchte, die Gedanken an Ines abzuschütteln.
Er merkte, dass er Hunger hatte, der Duft von Gegrilltem lag in der Luft. Bretone kam jetzt direkt auf ihn zu, wollte anscheinend auch zur Bar. Er war schlicht, aber elegant gekleidet, weißes Hemd, dunkelblaues Jackett, links trug er eine Patek Philippe, wahrscheinlich das Model Nautilus, die mehr gekostet hatte, als er selbst im Jahr verdiente.
»Alles Gute zum Geburtstag«, sagte er, als Marc ihn erreicht hatte, sie gaben sich die Hand.
»Danke, danke, du bist der Freund von Frank, stimmt’s? Der Staatsanwalt, oder?«
Er nickte nur und verkniff es sich, Bretone zu korrigieren, denn eigentlich legte er großen Wert darauf, dass man ihn als Oberstaatsanwalt ansprach. Als er seine Hand zurückzog, achtete er darauf, dass seine Uhr unter dem Hemd verschwand, ein Ausstellungsstück vom Wempe, mit dem er neben Bretone wie ein Schuljunge wirkte. Als Oberstaatsanwalt stand er mindestens auf einer Stufe mit ihm, und trotzdem fehlte ihm die Gelassenheit, mit der Bretone seinen Reichtum zelebrierte und genoss.
Er selbst kam aus keinem armen Haushalt. Sein Vater war ebenfalls Anwalt gewesen, er hatte sein Studium damals sogar mit Auszeichnung abgeschlossen, es am Ende dann aber doch nicht bis ganz nach oben geschafft, hatte eine kleine Kanzlei betrieben und sich um Verkehrsdelikte und Nachbarschaftsstreitereien gekümmert. Seine Mutter hatte seinem Vater dieses Versagen immer wieder vorgeworfen und sich schlussendlich von ihm getrennt, hatte ihrem Sohn eingeschärft, etwas aus sich und seinen Talenten zu machen, sie nicht so leichtfertig zu verschwenden. Und obwohl seine Eltern nicht mehr lebten, hörte er manchmal noch immer die Stimme seiner Mutter, die mit einem leisen Seufzer ihre Mittelmäßigkeit beklagte.
Er machte noch eine Anmerkung zum Garten, zur Party, aber Bretone hörte ihm schon nicht mehr zu, hatte sich von ihm abgewendet, da unter den Gästen gerade ein Gemurmel und Getuschel anhob, hier und da Applaus. Eine Frau im eng anliegenden...
Erscheint lt. Verlag | 4.7.2024 |
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Reihe/Serie | Staatsanwältin Vogelsang ermittelt | Staatsanwältin Vogelsang ermittelt |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Artenschutz • Die Greta-Vogelsang-Reihe • Ermittlerin • Ermittlung • Fahndung • Florian Wacker • Frankfurt • Frankreich • Greta Vogelsang • Justiz • Klassismus • linke Szene • Main • NSU 2.0 • Polizei • Polizeiarbeit • Rechte Szene • Rechtsextremismus • Staatsanwältin • Tatort • Umweltschutz • Wolfgang Schorlau • Zoe Beck |
ISBN-10 | 3-462-31053-4 / 3462310534 |
ISBN-13 | 978-3-462-31053-5 / 9783462310535 |
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