Ein Fall von Majestätsvergiftung (eBook)
448 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46654-4 (ISBN)
Chris McGeorge erzählte schon als Kind mit Begeisterung Geschichten und zeichnete seine eigenen Comics. Er studierte Creative Writing an der City University London. Seinen ersten Thriller, »Dead Room«, reichte er dort als Master-Arbeit ein. Er ist ein großer Bewunderer von Klassikern wie Agatha Christie oder Arthur Conan Doyle und legt seine Geschichten gern als packende Mischung aus Alt und Neu an. Verwinkelte Plots mit überraschenden Wendungen sind seine Spezialität.
Chris McGeorge erzählte schon als Kind mit Begeisterung Geschichten und zeichnete seine eigenen Comics. Er studierte Creative Writing an der City University London. Seinen ersten Thriller, »Dead Room«, reichte er dort als Master-Arbeit ein. Er ist ein großer Bewunderer von Klassikern wie Agatha Christie oder Arthur Conan Doyle und legt seine Geschichten gern als packende Mischung aus Alt und Neu an. Verwinkelte Plots mit überraschenden Wendungen sind seine Spezialität.
Zehn Stunden zuvor …
I
Ein bescheidenes Frühstück
Verlangt einem nach der Aufmerksamkeit jener hinter einer Tür, kann man mit drei kräftigen Schlägen nichts falsch machen. Nicht mehr, nicht weniger. Zwei Schläge bergen die Möglichkeit, missverstanden zu werden, während vier Schläge unnötig übertrieben erscheinen. Das war die Devise von Jonathan Alleyne, dem königlichen Leibkoch, und das änderte sich auch nicht um fünf Uhr morgens in den hallenden Fluren von Balmoral Castle.
Balmoral Castle, ein illustrer Landsitz in den abgelegenen Highlands von Schottland, kam Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in den Besitz der Krone, als es von Prinz Albert für Königin Victoria erworben wurde. Königin Victoria liebte feucht-kaltes Wetter, und Balmoral lag wahrscheinlich in der feuchtesten und kältesten Gegend der britischen Inseln. Den Großteil des Jahres herrschen hier raue Bedingungen mit peitschendem Wind und unablässigem Regen. Die Einheimischen bezeichnen den Regen als »wüst« und sind der Meinung, er falle nicht auf sie, sondern durch sie hindurch. Nicht unbedingt ein Ort für königliches Geblüt, aber Victoria und Albert waren glücklich über ihre Erwerbung. Nachdem sich das ursprüngliche Schloss als zu klein erwies, wurde es nach ihren Maßgaben umgebaut − weiterer Beweis dafür, dass sie das Gebäude wegen seines Standorts ausgesucht hatten.
Balmoral fungierte aktuell als Sommerresidenz des gegenwärtigen Monarchen, König Eric, und seiner Familie − der Sommer ist die einzige Jahreszeit, in der die Sonne das Land mit ihrer Anwesenheit beehrt. Hätte man aber in diesem Moment einen Blick durch die Schlossfenster nach draußen geworfen, hätte man meinen können, der Begriff Sommer sei nichts weiter als die Ausgeburt eines kollektiven Hirngespinsts. Denn über dem größeren Teil des Vereinigten Königreichs ging ein heftiger Schneesturm nieder, der die Meteorologen nicht sonderlich überrascht hatte, das Getriebe einer semi-funktionalen Gesellschaft aber zum Erliegen brachte. Das Schloss wie das Land befanden sich im Belagerungszustand. Jon hörte den pfeifenden Wind, der in die Gemäuer einzufallen und Schnee mit sich zu bringen drohte. Doch das würde nie geschehen − Balmoral hatte schon Schlimmerem standgehalten und würde auch jetzt standhalten. Das Wetter war oft heftig. Der Fluss Dee, der sich durch das Anwesen zog, trat regelmäßig über die Ufer, und das Schloss hatte Wirbelstürme, Weltkriege und zerstörerische Zeitenläufe überdauert. Balmoral stand noch immer; kaum zu glauben, dass dies irgendwann nicht mehr so sein sollte.
Der Schneesturm hatte nahezu exakt eine Stunde nachdem alle abgereist waren, eingesetzt. Der Massenexodus des Dienstpersonals von Balmoral war ein besonderer Anblick, fast so, als hätten die Bediensteten im Schloss gesehen, was auf sie zukommen würde, und daraufhin die Flucht ergriffen. Jons Armada von Köchen war bis zum bitteren Ende geblieben und hatte ihm bei den Vorbereitungen geholfen, bevor sie der Reihe nach die Küche verlassen und ihre Anspannung und Besorgnis zu verbergen versucht hatten, dass ihr Kommandeur damit überfordert sein würde, die Mammutaufgabe allein zu vollenden. Jon konnte es ihnen nicht verdenken – er hielt es ja selbst kaum für möglich.
Diese Zweifel zeigten sich jetzt an Jons Tränensäcken und seiner Kurzatmigkeit sowie der klammen Schweißschicht, die seine Haut überzog wie Tau den morgendlichen Rasen. Wie anscheinend immer in den Nächten vor wichtigen Ereignissen hatte der Schlaf ihn gemieden. Jon hatte sich hin und her geworfen, hatte unwillkürlich im Kopf die Liste der schon erledigten Aufgaben aufgezählt und wurde von der unbestimmten Sorge geplagt, dass er etwas schrecklich Wichtiges vergessen hatte. Schließlich fand er eine Mütze voll dessen, was man in solchen Nächten ersehnte − etwas, das der Erholung zwar nahe, aber nie nah genug kam. Und es war nur von kurzer Dauer. Jon war wach, bevor der Wecker ihn wecken konnte. Der Tag hatte begonnen. Die Zeit hatte die lästige Angewohnheit, weiter zu rasen.
Jonathan Alleyne, gefangen in dem Gefühl, einerseits schon zu lange und andererseits nicht lange genug gelebt zu haben, war viel zu vertraut mit den Tücken und Fallstricken der Zeit. Er war ein schwermütiger Mann von fünfundfünfzig Jahren, von denen er dreiunddreißig im Dienst der Krone verbracht hatte. Als königlicher Leibkoch war er der königlichen Familie zu ihren diversen Wohnsitzen gefolgt und hatte sie mit allem, wonach ihnen der Sinn stand, verwöhnt. Seine Gerichte waren Premierministern, Präsidenten, Delegierten und Würdenträgern serviert worden − und manche von ihnen hatten ihm sogar Komplimente ausgesprochen. Er durchmaß die Korridore der Macht und füllte die Mägen der Mächtigen. Wie liebte er seine Arbeit – ein wichtiges Rädchen in einer Riesenmaschine.
Am Weihnachtsmorgen war dem König eine einzige, leicht getoastete Weißbrotscheibe vorzubereiten, bestrichen mit fettreduzierter Butter und einer großzügigen Schicht Himbeermarmelade. Dazu Kaffee − zwei Teelöffel Premium-Instant-Kaffee von Kenco (auf strikte Anweisung − »Instantkaffee ist meiner Meinung nach stärker − als hätte er sich zu beweisen«) und ein Spritzer Halbfettmilch. Jon hatte das, unter einer kleinen Glasglocke, den ganzen Weg von der großen Küche zum wichtigsten der 52 Schlafzimmer getragen.
Er kannte den Weg so gut, dass er ihn mit verbundenen Augen hätte zurücklegen können. Wegstrecken, Kalender, Speisenabfolgen, Geburtstage und vieles andere hatte sich im Lauf seiner Dienstzeit in sein Gehirn eingebrannt − und alles hatte mit einer Familie zu tun, die nicht seine war und nie sein würde. Manchmal, in kalten Nächten, fragte sich Jon, was er tun würde, wenn alles vorbei wäre, wenn er seiner Pflicht entbunden und ihm gesagt würde, er könne nun endgültig nach Hause gehen. Wenn die gewaltige Masse an Wissen für überflüssig erklärt würde, dann würde er hinaustreten auf die kalte Kopfsteinpflasterstraße − frei zu tun, was immer er wollte − und feststellen, dass sein eigenes Leben an ihm vorbeigezogen, dass es zu einer bloßen Fußnote im Leben eines anderen zusammengeschrumpft wäre.
Würde es das wert gewesen sein? Oft lautete die Antwort darauf Ja − in neun von zehn Fällen. Leider schien die Welt in exakt diesem zehnten Fall zu verharren. Jon hatte ein Geheimnis. Kein schönes Geheimnis – so wie das Wissen, wo die Weihnachtsgeschenke versteckt waren oder dass es den Weihnachtsmann tatsächlich gab –, sondern ein dunkles, persönliches Geheimnis, das sein Herz verbrannte, wenn er nur daran dachte, und das sich in stechenden Bauchschmerzen äußerte. Aber vielleicht kamen die Schmerzen auch gar nicht von der Heimlichtuerei.
Bevor John sich weiter seinen Gedanken hingeben konnte, ertönte von drinnen ein lautes »Herein«. Dreimal angeklopft. Perfekt. Jon kam der Aufforderung nach.
In dem großen Schlafzimmer prasselte das offene Feuer, das Himmelbett war leer, das Bett selbst perfekt gemacht, als wären die Zimmermädchen noch anwesend. Churchill, eine der dreifarbigen Katzen des Königs, lag auf einem der aufgebauschten Kissen und schnurrte vor sich hin. König Eric saß an seinem Schreibtisch und ordnete einen Stapel Weihnachtskarten ihren entsprechenden scharlachroten Umschlägen zu. Gelegentlich sah er zum Fenster und hinaus in den Schneesturm, lächelte und fuhr mit seiner Arbeit fort. Als er Jon sah, erhob er sich − als wäre der Koch der König und umgekehrt. »Jon. Frohe Weihnachten.«
»Frohe Weihnachten, Eure Majestät. Ich bringe Ihnen Ihr Frühstück.«
Jon war nicht überrascht, dass der König am Weihnachtsmorgen schon auf war. Der Monarch war nach wie vor eine beeindruckende Erscheinung, selbst mit seinen fünfundachtzig Jahren, selbst in seinem leider leicht fusseligen lila Morgenmantel. Auf seinen Schultern ruhte die Last des gesamten Landes, aber es waren Schultern, die diese Last zu tragen vermochten. Dennoch, vor allem in letzter Zeit kam man nicht umhin zu bemerken, dass die Jahre ihren Tribut gefordert hatten. Wenn Jon den betagten Mann betrachtete, konnte er immer noch den alten Eric Windsor vor sich sehen – voll nassforscher Energie (traute er sich zu sagen) und rechtschaffener Empörung, die sich irgendwie perfekt zu dem Wunsch gesellte, die Grundfeste der Monarchie aufrechtzuerhalten. Er war nach wie vor dieser Mann – es war sein Körper, der ihn im Stich ließ. Eric Windsor zerfiel und verwelkte und hatte nichts mehr von dem, was ihn einst ausgezeichnet hatten. Am traurigsten aber war: Er sah es selbst. Der gute König war Abbild dafür, dass letztlich immer die Zeit gewann, sogar gegen einen Gott. Wenn selbst der König von der Zeit in die Knie gezwungen wurde, welche Chance hatte dann Jon?
Er ging zum Tisch vor dem offenen Kamin und stellte sein Tablett ab; er wusste, es würde noch dauern, bis der König Zeit für den Toast fand. Er würde dann eiskalt sein, aber damit musste jeder rechnen, der auf Toast bestand. Jon brachte dem König seinen Kaffee, machte einen kleinen Umweg, um Churchill hinter den Ohren zu kraulen, und kam neben dem Monarchen zu stehen.
Zusammen mit seinem König sah Jon aus dem Fenster. Vor ihnen präsentierte sich eine fahle weiße Landschaft. Das Anwesen lag unter einer dicken Schneedecke verborgen, weiteren Schnee trug der stürmische Wind heran. Der Himmel war wolkenverhangen und versprach kein Nachlassen in nächster Zeit.
Mit zitternder Hand führte der König die Tasse an...
Erscheint lt. Verlag | 2.10.2023 |
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Übersetzer | Karl-Heinz Ebnet |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Advent und Weihnachten • Balmoral Castle • britische Krimis • britischer König tot • Britisches Königshaus • british royals • Chris McGeorge • Cosy Crime • Cosy Crime Bücher • cosy crime deutsch • cosy crime england • Cosy Krimi • cosy krimi deutsch • cosy Krimi England • Cozy Crime • cozy krimis • Der Tunnel • Ein Fall von Majestätsvergiftung • englische Krimis • englische krimis mit humor • Escape Room • Escape Time • Four Walls • Geschenk Buch Weihnachten • Geschenk Weihnachten • Giftmord • Glass Onion Knives out • Großbritannien • humorvolle Krimis • humorvoller Krimi • Knives out mystery • Königsfamilie unter Mordverdacht • Königsmord • König vergiftet • Krimi britischer Witz • Krimi Großbritannien • Krimi Humor • Krimi humorvoll • Krimis aus England • Krimi Schottland • Krimis mit Humor • Krimi Weihnachten • Krimi zum Miträtseln • lustige Krimis • lustige krimis bücher • Mord am König • Mord an Weihnachten • Rätselkrimi • Royals • schwarzer humor krimi • S J Bennett • The Crown • toter englischer König • Weihnachtskrimi |
ISBN-10 | 3-426-46654-6 / 3426466546 |
ISBN-13 | 978-3-426-46654-4 / 9783426466544 |
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