Verborgen (eBook)
368 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31221-8 (ISBN)
Eva Björg Ægisdóttir ist Jahrgang 1988 und lebt mit ihrem Partner und drei Kindern in Reykjavík. Sie ist in Akranes geboren und aufgewachsen, der Stadt, in der ihre Krimis spielen. Nach ihrem Abschluss in Soziologie zog sie nach Trondheim in Norwegen, wo sie einen Master in Globalisierung machte. Für ihren ersten Krimi wurde sie mit dem renommierten isländischen Blackbird-Award ausgezeichnet.
Eva Björg Ægisdóttir ist Jahrgang 1988 und lebt mit ihrem Partner und drei Kindern in Reykjavík. Sie ist in Akranes geboren und aufgewachsen, der Stadt, in der ihre Krimis spielen. Nach ihrem Abschluss in Soziologie zog sie nach Trondheim in Norwegen, wo sie einen Master in Globalisierung machte. Für ihren ersten Krimi wurde sie mit dem renommierten isländischen Blackbird-Award ausgezeichnet. Freyja Melsted ist in Österreich und Island aufgewachsen. Sie übersetzt aus dem Englischen, Spanischen und Isländischen.
Sonntag
Ævar sah das Feuer, als er vom Badezimmerfenster aus einen seltsamen Schimmer über dem Nachbarhaus bemerkte. Erst dachte er, die Sonne würde mitten in der Nacht hinter dem Haus untergehen, doch dann durchdrang ein lauter Heulton die nächtliche Stille, und er verstand, was Sache war. Schnell zog er seine Pyjamahose hoch und eilte hinaus, kam nicht einmal auf die Idee, Rósa zu wecken oder sich wärmer anzuziehen.
Die Äste kratzten an seiner Haut, als er sich einen Weg durch die Hecke zwischen den beiden Grundstücken bahnte. Das Feuer brannte auf der Vorderseite des Hauses, aber Ævar ging sofort zur Hintertür und versuchte, sie zu öffnen. Als es nicht gelang, hämmerte er gegen die Scheibe.
»Hallo«, rief er und legte die Stirn ans Fenster. »Ist jemand da drinnen?«
Er erwartete, dass die Bewohner schreien oder herauslaufen würden, aber nichts passierte. In dem Haus lebte ein Ehepaar mit zwei Kindern. Eigentlich waren sie keine Kinder mehr, sie waren beide um die zwanzig, wohnten aber immer noch bei ihren Eltern.
Ævars Herz pochte unter seinem Pyjama, aber die Kälte spürte er nicht. Er überlegte, ob er die Tür aufbrechen sollte. In Kinofilmen sah das immer so einfach aus, aber er wusste genau, dass es in Wirklichkeit deutlich schwieriger war.
Er lief um die Ecke des Hauses und stellte bestürzt fest, dass ein Auto in der Einfahrt stand. Vermutlich war jemand zu Hause.
»Was ist los?«
Ævar drehte sich um. Es war sein Nachbar. Wie hieß er noch mal? Jón? Jens? Irgend so etwas.
»Es brennt«, sagte Ævar außer Atem. »Ich komme nicht rein. Ich weiß nicht, ob jemand zu Hause ist. Ich …«
»Ich rufe die Feuerwehr«, sagte Jón oder Jens, der so schlau gewesen war, eine Jacke anzuziehen und ein Handy mitzunehmen. Ævar selbst hatte keine Schuhe und nur einen Schlafanzug an, aber jetzt war nicht die Zeit, sich darüber Gedanken zu machen.
»Ruf an, ich probier’s an der Eingangstür«, rief er und eilte los. Die Kieselsteine bohrten sich in seine Fußsohlen, und er verzog das Gesicht vor Schmerzen.
Die Eingangstür war auch abgeschlossen, und trotz angestrengter Versuche bekam er sie nicht auf. Ein lauter Knall erklang, und er sah, dass die Fensterscheibe von einem der Zimmer zerschellt war.
Ævar versuchte noch einmal, laut zu rufen.
»Ist da jemand?«, schrie er ins Feuer, bekam aber keine Antwort.
Die Hitze und der Rauch versperrten ihm den Weg. Er hielt die Hand vor den Mund und hustete. Dann hörte er Sirenen und wusste, dass er nichts mehr tun konnte.
Unnar wachte vollständig angezogen in seinem Bett auf. Das weiße Hemd klebte an seinem Körper, und die Anzughose war aufgeknöpft, sodass die Unterhose zu sehen war. Sein Mund war staubtrocken, und er schmatzte ein paarmal, um Speichel zu produzieren, dann hielt er sich die Augen zu, denn die Sonne knallte durch das Fenster.
Er versuchte, sich aufzurichten, aber die Kopfschmerzen waren so stark, dass er sich sofort wieder hinlegte und die Augen schloss. Nach einer Weile kroch er aus dem Bett und schaffte es mit Mühe und Not zum Bad, wo die Überreste der Nacht in der Kloschüssel landeten.
Unnar war zu alt für diese Dinge. Auch wenn er regelmäßig trank, ließ er sich nur selten so gehen.
Unter der Dusche versuchte er, sich die Geschehnisse des Vorabends ins Gedächtnis zu rufen. An das gemeinsame Abendessen mit ihren Freunden erinnerte er sich noch gut. Den Bollinger-Champagner, den sie dazu getrunken hatten, das sous-vide gegarte Steak, das im Mund zerschmolz, und die Hasselback-Kartoffeln. Das Essen war gut angekommen, und Villi hatte für danach zehn Jahre alten Whiskey mitgebracht.
Aber dann verschwammen die Erinnerungen, und als Unnar aus der Dusche stieg, wusste er immer noch nicht, wie er vollständig angezogen im Bett gelandet war. Ein unbehagliches Gefühl ließ ihn nicht los, aber je angestrengter er versuchte, aus dem vergangenen Abend schlau zu werden, desto wirrer kam ihm alles vor.
Im Wohnzimmer machte seine siebenjährige Tochter Turnübungen.
Sie hob beide Hände hoch und streckte einen Fuß aus, bevor sie den Rücken nach hinten beugte und sich irgendwie verdrehte. Das Kind schien keine Gelenke zu haben.
»Wow«, sagte Unnar beeindruckt. »Was hab ich nur für eine talentierte Tochter.«
Anna strahlte vor Stolz und rümpfte dann die Nase. »Papa, du stinkst.«
Im Arbeitszimmer sah er Laufey, die mit der Brille auf der Nase vor dem Computer saß. Als sie ihn bemerkte, schloss sie das offene Browserfenster.
»Buchst du etwa einen Flug?« Im Augenwinkel hatte er das Logo einer Fluggesellschaft gesehen.
Laufey drehte sich zu ihm um und lächelte. »Ja«, sagte sie. »Ich hatte den Flug nach Schweden noch nicht gebucht.«
»Noch nicht? Das ist schon in zwei Wochen.«
»Ja, ich weiß, ich bin ziemlich spät dran.« Laufey setzte die Brille ab und rieb sich die Augen. Sie sah ihn an, und ein kleines Lächeln huschte über ihre Lippen. »Wie geht es dir eigentlich?«
»Gut«, log Unnar.
»Du hast gestern ganz schön viel getrunken.«
»Du auch.«
Laufey sagte nichts weiter.
In Wahrheit wusste Unnar nicht mehr, ob Laufey viel getrunken hatte. Er hatte sie kaum wahrgenommen, wusste nur noch, dass sie sich mit den anderen Frauen unterhalten hatte, als er mit seinen Freunden die Erinnerungen an ihre gemeinsame Grundschulzeit hatte aufleben lassen. Und er erinnerte sich an ihren bösen Blick, als er nach dem Essen nicht sofort die Teller weggeräumt hatte.
Er versuchte, aus ihrem Gesichtsausdruck herauszulesen, ob noch mehr passiert war, aber sie ließ sich nicht durchschauen und fragte nur, ob er Kaffee wolle.
»Nein«, sagte Unnar. »Nein, danke.«
Er blickte ihr hinterher, als sie in die Küche ging und Kaffeebohnen in den Vollautomaten füllte, den sie letztes Jahr zu Weihnachten gekauft hatten.
Seine Frau war einmal schön gewesen, aber jetzt achtete sie kaum noch auf ihr Aussehen. Vor ein paar Jahren hatte sie sich die Haare kurz geschnitten und angefangen, Brille zu tragen. Wie sehr er diese Brille hasste. Sie ließ sie mindestens zehn Jahre älter wirken.
Als sie sich kennengelernt hatten, war sie fünfzehn Jahre alt gewesen und hatte davon geträumt, Friseurin zu werden. Anfangs waren sie richtig scharf aufeinander gewesen; hatten Sex im Hinterhof einer Diskothek, im Bett seiner Eltern und auf einem spanischen Hotelbalkon. Mittlerweile war sie zweiundvierzig und saß im Gemeinderat, gab Yogakurse und studierte irgendetwas an der Uni. Wenn sie in der Öffentlichkeit den Mund aufmachte, schämte er sich für ihre schrille Stimme. Sie schliefen nur noch selten miteinander, und wenn, war es immer schnell wieder vorbei.
Die meisten Frauen seiner Arbeitskollegen sahen deutlich besser aus und schienen sich mehr Gedanken um ihr Äußeres zu machen. Keine von ihnen konnte es aber mit Helena aufnehmen. Helena war die neue Freundin von Tommi, der mit ihm in der Exportabteilung arbeitete. Tommi hatte sich vergangenes Jahr von seiner Frau scheiden lassen, ihre Kinder waren bereits Teenager, und er sah sie nur sehr selten. Helena hatte dunkle Haare, eine schmale Taille und große Brüste. Vor Kurzem hatte sie einen Abschluss in Tourismuswissenschaften gemacht, und sie ging liebend gern wandern. Sie zerrte Tommi mit auf Bergtouren, und Unnar erkannte ihn kaum wieder. Als er Tommi darauf ansprach, meinte er, das liege nicht an den Bergtouren, sondern an dem vielen Sex. Er zeigte ihm ein Bild von Helena, wie sie nackt auf dem Bett schlief, und lachte laut.
Unnar war bewusst, dass seine Gedanken oberflächlich waren. Nach einer langen Ehe sollten diese Dinge keine Rolle spielen, aber sie taten es doch. Und es war nicht nur Laufeys Aussehen, das ihn störte, sondern auch, wie sehr sie sich verändert hatte. Sie war nicht mehr so interessant wie früher, so abenteuerlustig und unbekümmert.
Manchmal wirkte es, als hätten sie nichts mehr gemeinsam, abgesehen von den Kindern, und die würden irgendwann ausziehen. Dann würden sie wieder allein sein, und er wusste nicht einmal, worüber sie dann reden sollten.
»Was?«, fragte Laufey, als sie seinen Blick bemerkte. Sie tauchte einen halben Keks in die Tasse und steckte ihn in den Mund.
»Nichts«, sagte Unnar.
»Bist du so verkatert?«
»Sicher, dass du diesen Keks essen willst?«, fragte er im Gegenzug. »Ich dachte, du wärst auf Diät.«
Laufey sah ihn genervt an und wandte sich ab.
Ein langes und eindringliches Geräusch riss sie aus dem traumlosen Schlaf. Elma vergrub das Gesicht im Kissen, sie war noch nicht bereit aufzustehen. Das Geräusch erklang erneut, und Elma stellte fest, dass es die Türklingel war. Sie kroch aus dem Bett, warf sich einen Bademantel über und ging zur Tür. Auf dem Weg dahin sah sie in den Spiegel und verzog das Gesicht. Die Haare waren platt gedrückt, sie hatte Schlupflider und Augenringe, die bis zu den Wangen hinunterreichten.
Dagnýs Blick nach zu urteilen, bemerkte sie ihren Zustand auch.
»Was ist passiert?«, fragte sie besorgt, als Elma sie und ihre Söhne, Alexander und Jökull, hineingelassen hatte. »Bist du krank? Oder … warst du gestern etwa aus?«
»Bist du jetzt erst aufgewacht?«, fragte Alexander, bevor Elma antworten konnte. »Es ist...
Erscheint lt. Verlag | 8.2.2024 |
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Reihe/Serie | Mörderisches Island | Mörderisches Island |
Übersetzer | Freyja Melsted |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | aegis dottir • Aegisdottir • Akranes • Anne Mette Hancock • Arnaldur Indriðason • Au-pair • Band 3 • Beste isländische Krimi-Schriftsteller • Beste skandinavische Krimi-Schriftsteller • Brand • Debüt • Island • isländischer Krimi • Johanna Mo • Jussi Adler-Olsen • Krimiserie aus Island • neue Krimireihe • Nordic-Crime • Nordic Noir • Psychologischer Krimi • Ragnar Jonasson • Reykjavik • Scandi-Crime • Skandi-Crime • Skandi-Krimi • Skandinavien-Krimi • Skandinavische Krimis • Spannung • Tove Alsterdal • Viveca Sten • Yrsa Sigurðardóttir |
ISBN-10 | 3-462-31221-9 / 3462312219 |
ISBN-13 | 978-3-462-31221-8 / 9783462312218 |
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