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Otfried Preußler (eBook)

Ein Leben in Geschichten
eBook Download: EPUB
2023 | 1., Auflage
304 Seiten
Thienemann in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
978-3-522-62201-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Otfried Preußler - Tilman Spreckelsen
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Die erste vollständige Biografie von Otfried Preußler: tiefe Einblicke in Leben und Werk des großen Geschichtenerzählers.  Wussten Sie, dass Otfried Preußler eine Geschichte plante, in der die kleine Hexe auf den Räuber Hotzenplotz treffen sollte? Und dass Michael Ende gerne bei Familie Preußler zu Besuch war? Immerhin hatten Preußler und Ende ein großes gemeinsames Interesse: Zauberei und Hexenkünste. Nach intensiven Recherchen gibt Tilman Spreckelsen tiefe Einblicke in Leben und Werk des bekannten Kinderbuchautors. Er überrascht mit völlig neuen Erkenntnissen, zeigt berührende Ausschnitte aus dem Privatleben Otfried Preußlers und lässt die Entstehung der bekannten Klassiker lebendig werden. Eine Biografie, die sich ebenso informativ wie unterhaltsam liest. So nah sind Leser*innen dem berühmten Autor bisher nicht gekommen!  - Die einzige Biografie von Otfried Preußler, die sein ganzes Leben und sein Gesamtwerk in den Blick nimmt - Überraschende und faszinierende Erkenntnisse und Analysen vom Preußler-Experten Tilman Spreckelsen - Eine Hommage und intensive Auseinandersetzung mit dem bekannten Schriftsteller

Tilman Spreckelsen, Jahrgang 1967, ist Literaturredakteur der FAZ und dort unter anderem für Kinder- und Jugendliteratur zuständig. Er hat bereits zahlreiche Romane, Erzählungen und Essays veröffentlicht, die mehrfach ausgezeichnet wurden. Für die Jubiläumsausgabe von Otfried Preußlers 'Krabat' schrieb er das Nachwort.

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Ankunft in Westdeutschland


Als Arno Schmidt, Jahrgang 1914 und fast zehn Jahre älter als Otfried Preußler, 1973 den Goethepreis der Stadt Frankfurt erhielt, sprach er in seiner Dankesrede über sich und die Schriftsteller seiner Generation: Es »stand über unserem Start – ja, über der ganzen Laufbahn – ein böses ›Zu spät!‹.«113 Schmidt, auch er ein Flüchtling (aus Schlesien) und ebenfalls in Kriegsgefangenschaft geraten, berichtet vom Mangel an buchstäblich allem, nicht zuletzt an Schreibpapier, in der unmittelbaren Nachkriegszeit. »Hinzu kam die unwahrscheinliche Energieleistung, mit 35 noch einmal neu anzufangen; und die fehlenden Jahre, um die man uns betrogen hatte, möglichst wieder einzubringen.« Seinen Weg dazu skizziert Schmidt im selben Text. Bei einem Treffen mit Alfred Döblin habe dieser ihm »besorgt« gesagt: »Sie werden viel arbeiten müssen.« Schmidts Resümee: »Das habe ich getan.«114

Die Situation, die Schmidt beschreibt, und der Auftrag, den er daraus ableitet – all dies hätte Otfried Preußler bestätigt, es betraf ihn genauso. Vor allem der Gedanke an ein durch die Zeitläufte bedingtes »Zu spät« war ihm vertraut. Er war kürzer als Schmidt Soldat, aber wesentlich länger Kriegsgefangener gewesen, und musste nun immerhin mit knapp sechsundzwanzig Jahren in Westdeutschland neu anfangen. Noch sechs Jahre später, als er schon zahlreiche Texte in Zeitungen und im Rundfunk veröffentlicht hatte, setzte er der Thienemanns-Verlegerin Lotte Weitbrecht, der er das Manuskript seines ersten Kinderbuchs Der kleine Wassermann angeboten hatte und die ihn wegen der Prüfung des Textes um Geduld bat, ausdrücklich einen Termin für ihre Entscheidung. Das ist ungewöhnlich genug für einen unbekannten Autor. Preußler aber begründete das mit einem Schmidt’schen »Zu spät«: Er hätte »durch den Krieg und fünf volle Jahre russischer Gefangenschaft schon so viel wertvolle Zeit verloren, dass es mir eigentlich auf zwei Monate mehr oder weniger auch nicht mehr ankommen sollte«, schreibt er mit einem Anflug von Sarkasmus; er befürchte aber bei einer Ablehnung durch Lotte Weitbrecht »den Verlust eines ganzen Produktionsjahres«.115 Dazu kam es zum Glück nicht.

Jedenfalls zog er aus der Situation den selben Schluss wie Schmidt: Ungeheuer fleißig war er auch. Und vielleicht wird man Preußlers Entscheidung ausgerechnet für Witikos Bertha als Lieblingsfigur der Dichtung vor diesem Hintergrund noch in einem anderen Sinn verstehen: In Stifters Roman hat das Mädchen den Liebsten gefunden und wartet nun unverbrüchlich darauf, dass er zurückkehrt. Aber dafür verlangt sie auch etwas von ihm: »Ich will, dass dir keiner gleich ist«, sagt Bertha, als sich die beiden im Wald miteinander verloben.116 Sie will den Besten. Witiko schüchtert das nicht ein – es spornt ihn an.

Zwar deutet nichts darauf hin, dass Annelies Kind den seit jeher ehrgeizigen Preußler noch eigens dazu hätte anstacheln müssen, sich seinen Platz in der jungen Bundesrepublik zu erobern. Dennoch wird die Tatsache, dass sie an seiner Seite und bereit war, mit ihm nach der Verlobung nun den nächsten Schritt zu tun, ihn darin bestärkt haben. Er wusste genau, dass ihm nichts in den Schoß fallen würde, dass andere die langen Jahre seiner Gefangenschaft genutzt hatten, um sich in der entstehenden westdeutschen Nachkriegsgesellschaft zu positionieren, auch im Kulturbetrieb. In seinen Briefen beklagt er das – wie er es wahrnimmt – »Cliquenwesen« im literarischen Leben und ästhetische Konventionen, in die er sich nicht fügen wolle. Die Nische, die er dann findet und zum Teil neu definiert, das literarisch ernsthafte und zugleich von spielerischer Erzählfreude erfüllte Kinderbuch, bereitet er in diesen Jahren vor – es ist kein Zufall, dass sich schon in seinen Radioarbeiten Figuren und Themen finden, die später in die Kleine Hexe eingehen sollten wie der Pfingstochse Korbinian, der Rabe Abraxas oder die Wetterhexe Rumpumpel.

Und, bei allem Aufbruchsdrang: Für Preußler war auch die Vergangenheit höchst präsent, er brachte die Erinnerung an die Jahre im Lager mit, die er in Briefen und auch in einigen wenigen literarischen Texten dieser Ankunftszeit auszudrücken versuchte. Die Journalistin Sybil Gräfin Schönfeldt beschreibt die Begegnung mit Preußler in den Sechzigerjahren als eine Art sofortiges, blindes Verstehen, was sie auf die beiderseitige Erfahrung von Lagerhaft in der Zeit des Zweiten Weltkriegs zurückführt: »Es gibt Menschen, die sehen Sie zum ersten Mal, und haben das Gefühl: den kennen Sie schon hundert Jahre. So war das bei ihm. Es war diese Erfahrung, in einem Lager nicht nur eingesperrt zu sein – du warst eigentlich gar kein Mensch mehr.« Über die Haft selbst hätten sie kaum miteinander gesprochen, nur »gelegentlich haben wir eine Kleinigkeit ausgetauscht und haben dann gelacht wie die Füchse, weil wir gar nicht weiter zu reden brauchten – es ist ja überall dasselbe.«117 Jahrzehnte später beschreibt Preußler wiederkehrende Albträume, die von einer jähen Rückkehr ins Lager handeln und alles, was seit der Entlassung geschehen war, jede Normalität als bloß trügerisch entlarven.

Die noch immer präsenten Schrecken, die Ohnmacht, die Angst ums eigene Leben, die Willkür der Wärter – das ist das eine; und es färbt auch einige der Texte ein, die Preußler nun verfasst.

Doch es gibt auch eine andere Seite, und Preußler schreibt etwa am 9. November 1950 an den ehemaligen Lagerkameraden Kurt Pöndl: »Seltsam, wie oft man sich doch all der kleinen und größeren Erlebnisse erinnert, wie rasch man dazu kommt, auch die Jahre der Gefangenschaft unter einem ähnlichen Blickwinkel zu betrachten wie die Militärzeit. Jedenfalls ertappe ich mich viel öfter dabei, die netten Stunden (...) heraufzubeschwören, als dass ich an das Schwere und Widerliche dieser Gefangenschaft denken will.«118

Wie andere westdeutsche Städte hat auch das oberbayerische Rosenheim nach dem Zweiten Weltkrieg zahlreiche Vertriebene aufgenommen – so wuchs die Stadt zwischen 1939 und 1949 von gut 20.000 auf etwa 30.000 Einwohner. Das gilt auch für das Umland, in dem sich nach 1945 viele ehemalige Sudetendeutsche versammelten, darunter ein großer Anteil Reichenberger. So war um 1950 im nahen Stephanskirchen auf der anderen Innseite jeder vierte Einwohner ein Vertriebener.

Eine wichtige Rolle spielte dabei auch die Nährmittelfabrik, die 1947 in Stephanskirchen entstand – nicht nur für die Gemeinde insgesamt, sondern vor allem auch für die Familien Preußler und Kind, die sich im Umfeld dieses Betriebs wiederfanden. Sehr wahrscheinlich wäre der Neubeginn im Westen für sie ohne diese Fabrik – in der Funktion als Arbeitgeber, aber auch und gerade als Sammelort der vertriebenen Reichenberger – wesentlich schwieriger gewesen. Jahre später, als niemand von ihnen mehr beruflich mit der Fabrik zu tun hatte, baute sich Otfried Preußlers Familie in der unmittelbaren Nachbarschaft ein Haus.

Ihr Gründer Otto Hoffmann (1901—1969) hatte schon in Reichenberg als sehr junger Mann mit einer Zweigstelle der österreichischen Firma Haas einen weithin bekannten Betrieb mit mehreren Hundert Angestellten geleitet, der Backpulver, Tortenguss, Puffreis, Bonbons, Lutscher und Ähnliches herstellte. 1945 befürchtete er, als Fachmann auf einem für die Versorgung der Bevölkerung äußerst wichtigen Gebiet in die Sowjetunion verschleppt zu werden, und floh mit seinem ältesten Sohn nach Bayern; die übrige Familie kam später nach, erinnert sich sein 1938 geborener Sohn Rainer.119

Otto Hoffmann etablierte 1947 auf dem zu Stephanskirchen gehörenden Gelände einer ehemaligen Flakanlage die Firma Pit – den Namen »Haidholzen« trägt die Siedlung, die dann auf der Anlage entstand, erst seit 1953.120 Dafür konnte Hoffmann Hallen nutzen, die zum Flakgelände gehörten und in denen kurz vor Kriegsende Munition hergestellt worden war – auch Häftlinge aus dem KZ Dachau mussten hier im Winter 1944/45 arbeiten; nach der deutschen Niederlage wurden dort dann NS-Funktionäre interniert. Das Stabsgebäude, das wie die Hallen noch heute erhalten ist, stand Hoffmann ebenfalls zur Verfügung. Während aber die mittlerweile modernisierten Hallen noch immer von der Firma Pit mit ihren derzeit etwa siebzig Mitarbeitern genutzt werden, ist in einen Teil der ehemaligen Offiziersunterkunft inzwischen ein Kindergarten eingezogen – mit dem schönen Namen »Räuber Hotzenplotz«.

In seinem Nachruf auf Otto und Erna Hoffmann hebt Otfried Preußler das soziale Engagement des Ehepaares für die vertriebenen Landsleute hervor, von denen viele bei Pit Arbeit und Unterkunft gefunden hätten.121 Gemeinsam mit dem Reichenberger Architekten Ludwig Kautzky entwickelte Hoffmann im Oktober 1948 sogar die Idee für eine Siedlung »Neu-Reichenberg« auf dem weitläufigen Flakgelände für 900 Familien; der Plan wurde allerdings nie verwirklicht. Bei der späteren Bebauung erhielten immerhin die Straßen...

Erscheint lt. Verlag 30.8.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte Autor • Autorenbiografie • Autorenleben • berühmter autor • Bestseller • Biografie • Biographie • Das kleine Gespenst • Der kleine Wassermann • Die kleine Hexe • Kinderbuchautor • Krabat • Lebenswerk • Lehrer • Räuber Hotzenplotz • Reichenberg • Schriftsteller
ISBN-10 3-522-62201-4 / 3522622014
ISBN-13 978-3-522-62201-1 / 9783522622011
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