Nur für dein Leben (eBook)
432 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-30614-4 (ISBN)
David, Cheryl und ihr dreijähriger Sohn Matthew sind die perfekte Familie - bis sie eines Nachts durch eine schreckliche Tragödie brutal auseinandergerissen werden. Fünf Jahre später verbüßt der traumatisierte David eine lebenslange Haftstrafe für den angeblichen Mord an seinem Sohn. Da zeigt ihm seine Schwägerin Rachel während der Besuchszeit das vor Kurzem zufällig aufgenommene Foto einer Menschenmenge. Im Hintergrund ein ungefähr achtjähriger Junge mit einem unverwechselbaren Muttermal: Matthew. Zutiefst erschüttert beschließt David herauszufinden, was in jener Nacht tatsächlich geschah. Und seinen Sohn zurückzuholen. Um jeden Preis ...
»Cobens Romane sind Meisterwerke der Spannung.« Sebastian Fitzek
»Coben ist einfach einer der ganz, ganz Großen.« Gillian Flynn
Harlan Coben wurde 1962 in New Jersey geboren. Nachdem er zunächst Politikwissenschaft studiert hatte, arbeitete er später in der Tourismusbranche, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Seine Thriller wurden bisher in 45 Sprachen übersetzt, erobern regelmäßig die internationalen Bestsellerlisten und wurden zu großen Teilen verfilmt. Harlan Coben, der als erster Autor mit den drei bedeutendsten amerikanischen Krimipreisen ausgezeichnet wurde - dem Edgar Award, dem Shamus Award und dem Anthony Award -, gilt als einer der wichtigsten und erfolgreichsten Thrillerautoren seiner Generation. Er lebt mit seiner Familie in New Jersey.
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Paperback (Nr. 42/2023) — Platz 14
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Paperback (Nr. 41/2023) — Platz 14
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- Spiegel Bestseller: Belletristik / Paperback (Nr. 37/2023) — Platz 14
Eins
Ich verbüße das fünfte Jahr einer lebenslangen Haftstrafe für den Mord an meinem eigenen Kind.
Spoiler-Alarm: Ich war es nicht.
Mein Sohn Matthew war drei Jahre alt, als er brutal ermordet wurde. Er war das Beste, was mir im Leben passiert ist, dann habe ich ihn verloren, und dafür büße ich lebenslang. Nicht im übertragenen Sinne. Oder besser gesagt: nicht nur im übertragenen Sinne. Die Strafe wäre auf jeden Fall lebenslang gewesen, selbst wenn man mich nicht verhaftet, angeklagt und verurteilt hätte.
Aber in meinem Fall, in diesem ganz konkreten Fall, ist es eine lebenslange Strafe, sowohl im übertragenen Sinne als auch ganz real.
Aber wie, werden Sie sich fragen, kann es sein, dass ich unschuldig bin?
So ist es einfach.
Aber habe ich mich denn nicht gewehrt und mit aller Kraft dafür gekämpft, meine Unschuld zu beweisen?
Nein, das habe ich nicht. Und das hat mit der Strafe zu tun, die ich im übertragenen Sinne erdulde. Es interessierte mich einfach nicht sonderlich, dass ich verurteilt wurde. Ich weiß, das mag schockierend klingen, aber das ist es nicht. Mein Sohn ist tot. So lautet die Überschrift, das ist die Schlagzeile, in Großbuchstaben, auf der Titelseite. Er ist tot, ich habe ihn für immer verloren, und daran ändert auch ein Urteil der Jury nichts, egal ob es auf schuldig oder nicht schuldig lautet. Schuldig oder nicht schuldig, ich habe meinen Sohn im Stich gelassen. So oder so – Matthew wäre auch dann nicht wieder lebendig, wenn die Geschworenen die Wahrheit erkannt und mich freigesprochen hätten. Ein Vater muss seinen Sohn beschützen. Das ist seine wichtigste Aufgabe. Selbst wenn ich also nicht die Waffe geführt hatte, die die schöne Gestalt meines Jungen in die blutige Masse verwandelte, die ich in jener schrecklichen Nacht vor fünf Jahren vorfand, habe ich es eben auch nicht verhindert. Ich habe meine Aufgabe als Vater nicht erfüllt. Ich habe ihn nicht beschützt.
Ganz egal, ob ich die Schuld an dem Mord trage oder nicht, es war mein Fehler, und daher muss ich meine Strafe verbüßen.
Und so habe ich auch kaum eine Reaktion gezeigt, als die Sprecherin der Jury das Urteil verkündete. Beobachter kamen zu dem Schluss, dass ich ein Soziopath, ein Psychopath, geisteskrank oder sonst wie schwer gestört sein müsste. Ich hätte keine Gefühle, behaupteten die Medien. Mir würde ein Empathie-Gen fehlen, ich könnte keine Reue empfinden, ich hätte tote Augen, oder mit welchen Begriffen und Formulierungen auch immer man mich zum Mörder abstempelte. Nichts davon entsprach der Wahrheit. Ich sah nur einfach keinen Sinn darin, irgendeine Reaktion zu zeigen. Der Schlag, den es mir versetzt hatte, als ich meinen Sohn Matthew in jener Nacht in seinem Marvel-Helden-Pyjama fand, hatte mich niedergestreckt, und ich kam nicht wieder auf die Beine. Damals nicht. Heute nicht. Keine Chance.
Die lebenslange Strafe, die ich im übertragenen Sinne verbüßen musste, hatte sofort begonnen.
Wenn Sie jetzt glauben, dass ich Ihnen eine Geschichte über einen Mann erzählen möchte, dem Unrecht angetan wurde und der seine Unschuld beweisen will, dann liegen Sie falsch. Das wäre keine gute Geschichte. Denn im Endeffekt macht es keinen Unterschied. Aus diesem Höllenloch einer Zelle entlassen zu werden, wäre für mich keine Erlösung. Mein Sohn wäre auch dann noch tot.
Eine Erlösung ist in meinem Fall ausgeschlossen.
Zumindest dachte ich das bis zu dem Moment, in dem der etwas sonderbare Wärter, den wir hier Curly nennen, vor meiner Zelle erscheint und sagt: »Besuch.«
Ich rühre mich nicht, weil ich davon ausgehe, dass ich nicht gemeint bin. Ich bin seit fünf Jahren hier und hatte in dieser Zeit nicht einen einzigen Besucher. Im ersten Jahr wollte mein Vater ein paarmal herkommen. Auch Tante Sophie und eine Handvoll Verwandte, enge Freunde und Bekannte, die mich für unschuldig oder zumindest für nicht richtig schuldig hielten, hatten sich angemeldet. Ich habe nicht mit ihnen gesprochen. Matthews Mutter Cheryl, meine damalige Ehefrau (die heute – keineswegs überraschend – meine Ex-Frau ist), hatte es auch versucht, wenn auch nur halbherzig, aber auch sie habe ich nicht zu mir gelassen. Ich habe allen klipp und klar gesagt: Keine Besucher. Ich versank weder in Selbstmitleid noch in irgendein anderes Mitleid. Besuche helfen weder dem Besucher noch dem Besuchten. Ich sah und sehe keinen Sinn darin.
Ein Jahr verging. Dann das zweite. Danach hat sich kein Besuch mehr für mich angekündigt. Nicht, dass irgendjemand, außer vielleicht Adam, so meschugge gewesen wäre, nach Maine raufzukommen, aber Sie verstehen, was ich meine. Und jetzt ist also zum ersten Mal seit langer Zeit wieder jemand hierher ins Briggs Penitentiary gekommen, um mich zu besuchen.
»Burroughs«, faucht Curly, »auf geht’s. Du hast Besuch.«
Ich verziehe das Gesicht. »Wer ist es?«
»Seh ich aus wie dein Privatsekretär?«
»Der war gut.«
»Was?«
»Der Spruch mit dem Privatsekretär. Sehr witzig.«
»Willst du mich verscheißern?«
»Ich hab keine Lust auf Besuch«, sage ich. »Schick ihn bitte weg.«
Curly seufzt. »Burroughs.«
»Was ist?«
»Erheb deinen Arsch von der Pritsche. Du hast die Formulare nicht ausgefüllt.«
»Welche Formulare?«
»Man muss Formulare ausfüllen«, sagt Curly, »wenn man keinen Besuch will.«
»Ich dachte, ich müsste eine Gästeliste führen.«
»Gästeliste«, wiederholt Curly und schüttelte den Kopf. »Glaubst du, das hier ist ein Hotel?«
»Führen Hotels inzwischen Gästelisten?«, erwidere ich. »Na ja, jedenfalls hab ich irgendwelche Zettel ausgefüllt, auf denen steht, dass ich keinen Besuch will.«
»Als du hier angekommen bist?«
»Genau.«
Wieder seufzt Curly. »Das muss man jedes Jahr erneuern.«
»Was?«
»Hast du dieses Jahr ein Formular ausgefüllt, in dem steht, dass du keinen Besuch willst?«
»Nein.«
Curly breitet die Arme aus. »Na siehst du. Und jetzt hoch mit dir.«
»Kannst du den Besuch nicht einfach wieder nach Hause schicken?«
»Nein, Burroughs, das kann ich nicht, und ich sag dir auch warum. Das würde mir mehr Arbeit machen, als deinen Arsch in den Besuchsraum zu schleifen. Weißt du, wenn ich das tue, muss ich erklären, warum du nicht da bist, und vielleicht stellt dein Besuch noch irgendwelche Fragen, und hinterher muss ich womöglich selbst noch ein Formular ausfüllen, was ich hasse, und später musst du auch noch ein Formular ausfüllen, und ich renne dauernd hin und her, und weißt du, auf den Ärger kann ich verzichten. Und du kannst auch drauf verzichten. Also, es läuft jetzt folgendermaßen: Du kommst mit und kannst von mir aus einfach dasitzen und kein Wort sagen. Hinterher kannst du dann die richtigen Formulare ausfüllen, die Sache ist erledigt, und weder du noch ich müssen das noch mal durchmachen. Alles klar?«
Ich bin schon lange genug hier, um zu wissen, dass zu viel Widerstand nicht nur sinnlos ist, sondern einem richtig schaden kann. Und ehrlich gesagt, bin ich auch neugierig. »Alles klar«, sage ich.
»Cool. Dann los.«
Ich weiß natürlich, wie das abläuft. Ich erlaube Curly, mir erst die Handschellen, dann die Bauchkette anzulegen, mit denen er meine Hände an der Taille fixiert. Die Fußfesseln spart er sich, vor allem, weil es ihm zu anstrengend ist, sie mir anzulegen und dann wieder abzunehmen. Der Weg vom Sicherheitstrakt mit den Einzelzellen zum Besuchsbereich ist ziemlich lang. Wir sind derzeit achtzehn Männer, gegen die eine besondere Sicherungsmaßnahme angeordnet wurde – sieben Kinderschänder, vier Vergewaltiger, zwei kannibalische Serienmörder, zwei ›normale‹ Serienmörder, zwei Polizistenmörder und natürlich ein kindermordender Ex-Polizist, meine Wenigkeit. Was für ein Panoptikum.
Curly mustert mich mit einem strengen Blick, was ungewöhnlich ist. Die meisten Wärter sind gelangweilte Möchtegern-Polizisten und/oder Muskelprotze, die uns Insassen mit erstaunlicher Gleichgültigkeit betrachten. Ich will ihn fragen, was los ist, weiß aber, wann ich den Mund halten muss. Das lernt man hier drinnen. Auf dem Weg zittern meine Beine ein wenig. Ich bin eigenartig nervös. Es ist einfach so, dass ich mich hier eingelebt habe. Es ist schrecklich hier – schlimmer, als Sie sich vorstellen können –, aber an diese spezielle Ausprägung der Schrecklichkeit habe ich mich eben gewöhnt. Der Besuch, wer auch immer es nach all den Jahren sein mag, ist gekommen, um eine Nachricht zu überbringen, die meine Welt erschüttert.
Das gefällt mir nicht.
Ich habe das Blut aus jener Nacht wieder vor Augen. Ich denke oft an das Blut. Ich träume auch davon. Wie oft, weiß ich nicht. Anfangs jede Nacht. Jetzt vielleicht einmal in der Woche, aber ich führe nicht Buch darüber. Im Gefängnis vergeht die Zeit nicht wie gewöhnlich. Sie bleibt stehen, rast los, gerät ins Stocken, bewegt sich im Zickzack. Ich weiß noch, dass ich blinzelnd aufgewacht bin in jener Nacht, im Bett neben mir meine Frau Cheryl. Ich habe nicht auf die Uhr gesehen, aber für alle, die zu Hause mitrechnen: Es war gegen vier Uhr morgens. Im Haus war es still, alles war ruhig, und doch spürte ich, dass etwas nicht stimmte. Aber vielleicht stimmt ja auch das nicht, vielleicht bilde ich mir das im Nachhinein ein. Die Erinnerung kann ein extrem fantasievoller Geschichtenerzähler sein. Vielleicht habe ich also gar nichts »gespürt«. Ich weiß es nicht mehr. Es war nicht so, dass ich mich im Bett aufgerichtet hätte...
Erscheint lt. Verlag | 23.8.2023 |
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Übersetzer | Gunnar Kwisinski |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | I Will Find You |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | 2023 • auf der Flucht • Bestseller-Autor • eBooks • entführtes Kind • Familientragödie • Gefängnisausbruch • i will find you • Muttermal • Neuerscheinung • New York • Psychothriller • spannend • Spannung • Spiegel Bestsellerliste aktuell • Thriller • totgeglaubt • Unschuldig im Gefängnis • unter Verdacht • vater ermittelt |
ISBN-10 | 3-641-30614-0 / 3641306140 |
ISBN-13 | 978-3-641-30614-4 / 9783641306144 |
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