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Sonne über Gudhjem (eBook)

Spiegel-Bestseller
Ein Bornholm-Krimi

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023
416 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-30510-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Sonne über Gudhjem -  Michael Kobr
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Weiße Strände, goldgelbe Felder, idyllische Küstendörfer und Sonne rund ums Jahr: Die beschauliche dänische Urlaubsinsel Bornholm scheint der ideale Platz, um das Leben ein wenig ruhiger angehen zu lassen. Das denkt sich auch der hochdekorierte Kriminalpolizist Lennart Ipsen, als er - frisch geschieden - bei der überschaubaren Insel-Kripo anheuert. Doch statt Angelfahrten und Joggen am Strand wartet gleich sein erster Mordfall auf ihn: Schweinebauer Kristensen wird tot in der eigenen Räucherkammer aufgefunden. Schnell wird klar, dass Kristensen ein unangenehmer Zeitgenosse war, mit dem viele eine Rechnung offen hatten. Und dass eine Mordermittlung auch auf Dänemarks Sonneninsel so manche Schattenseite ans Licht zu bringen vermag ...

Er ist einer der erfolgreichsten deutschen Bestsellerautoren der letzten Jahre: Michael Kobr wurde in Kempten geboren, studierte in Erlangen Germanistik und Romanistik und arbeitete dann als Realschullehrer. 2003 veröffentlichte er zusammen mit Volker Klüpfel den ersten Fall für den Allgäuer Kommissar Kluftinger, »Milchgeld«. Beginn einer beispiellosen Erfolgsgeschichte, die bis heute anhält - mit »Affenhitze« eroberte 2022 auch der zwölfte Teil der Reihe wieder Platz 1 der Bestsellerliste. Im Laufe der Jahre erhielten die Autoren zahlreiche Auszeichnungen für ihr Werk. Michael Kobr reist leidenschaftlich gern, eines seiner erklärten und langjährigen Lieblingsziele ist die dänische Ostseeinsel Bornholm. Dort spielt auch »Sonne über Gudhjem«, der Start seiner ersten Solo-Krimireihe um den Ermittler Lennart Ipsen. Der Autor lebt mit seiner Familie im Unterallgäu und in Österreich.

PROLOG


Der kalte Nieselregen, der Lennart Ipsen aus einem grauen Himmel ins Gesicht wehte, war die passgenaue meteorologische Entsprechung seiner Laune. Wie immer war seine Reihe die letzte gewesen, die man am Fährhafen aufgerufen hatte. Kein Platz mehr in der Lounge, kein Tisch mehr im Restaurant, sogar der Ruhebereich platzte schon aus allen Nähten. Zwar war inzwischen Nachsaison, die angeblich die ruhige Zeit auf Bornholm einläutete. Doch davon schienen die hier versammelten deutschen Rentner noch nichts gehört zu haben. Überwiegend in Campingmobilen besuchten sie nach den Schulferien in großer Zahl die dänische Insel mitten in der Ostsee, auf der Lennart von jetzt an arbeiten und leben würde. Für immer? Mal sehen. Zumindest bis heute Morgen war das noch sein Plan gewesen. Mehr noch: sein Traum, makellos, strahlend. Und nun hatte der schon nach den ersten zwei Stunden beachtliche Kratzer abbekommen. Trotzdem: Es war entschieden, und er musste da durch. Wenigstens für die Dauer eines Jahres, in dem er abschalten, runterkommen, sein Leben maximal entschleunigen würde. Danach könnte er weitersehen. Lennart zog seine Kapuze in die Stirn, hob den Blick zum Horizont. Rügen war längst außer Sichtweite, der Hafen von Rønne noch weit entfernt. Niemandsland. Er dachte an seine Abreise, bei der ihm Freunde und seine beiden Töchter Glück gewünscht hatten. Glück für seinen Neuanfang in der alten Heimat Dänemark. Heimat? Sicher, er war dänischer Staatsbürger, war gleich hinter der deutschen Grenze auf dänischem Gebiet geboren, auch wenn seine Mutter Hamburgerin und Flensburg immer seine Stadt gewesen waren. »Den Deutschen« hatten sie ihn deshalb beim Studium in Kopenhagen immer genannt. An dessen Ende hatte er dann Andrea kennengelernt, auch sie eine Deutsche, aber eine richtige. Sie hatte damals nach ihrem zweiten Lehramts-Examen ein Auslandsjahr gemacht, war schließlich geblieben und hatte begonnen, als Lehrerin zu arbeiten.

Lennart hingegen war inzwischen schon seit über zwanzig Jahren Beamter bei der dänischen Polizei, erst bei der Kripo in Kopenhagen, dann auf internationaler Ebene in Lyon und Brüssel. Und das mit vollem Einsatz: hochdekoriert, hochgelobt – und dennoch tief gefallen. Gefallen in ein Loch, das sich mit einem Mal vor ihm aufgetan hatte. Ohne Vorwarnung. Ohne Leiter, um herauszuklettern. Nichts hatte darauf hingedeutet, und doch hatte es ihn eingesaugt, ihm mit einem Schlag nicht nur sein Lächeln geraubt, sondern jegliche Energie und Lebensfreude. Still war es geworden in ihm. Still und grau und einsam. Seine Ärztin hatte das als Burnout, seine frischgebackene Ex-Frau Andrea hingegen lapidar als sein nerviges Miesdraufsein tituliert, das sie nicht mehr ertragen könne. Dann eben nicht. Eine Weile hatte er geglaubt, für immer in diesem Loch festzusitzen, doch dann hatte er alle Kräfte aufgeboten, um sich daraus zu befreien. Und es hatte geklappt. Zwar war er noch nicht ganz wieder auf dem Stand von vorher – aber er würde wieder rauskommen aus dieser Scheiße. Wenn es überhaupt eine Sache gab, auf die er stolz war an sich, dann auf seinen unerschütterlichen Mut weiterzumachen, den Kopf freizubekommen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.

Er lehnte sich weit über die Reling und ließ die feuchte Luft in seine Lungen strömen. Es roch nach Meer, nach Jod, nach Algen, dem Dieselqualm aus dem Schornstein über ihm. Nein, korrigierte er sich innerlich: Es roch nach Freiheit.

Frei würde er sich fühlen. Das vor allem. Frei. Ungebunden. Leicht. Keine internationalen Meetings mehr, keine »Dossiers zur inneren Sicherheit moderner Demokratien«, keine langweiligen Abendessen mit irgendwelchen Staatssekretären, leitenden Beamten und Europaabgeordneten, mit Hilfe derer die sich letztlich nur ihrer eigenen Relevanz versicherten. Und auch keine Ehefrau mehr, die abends schon im Bett war, wenn er heimkam, die ihm ständig vorhielt, den Beruf über die Familie zu stellen, der er zu sehr Technokrat und zu wenig Hausmeister, Vater, Liebhaber und Abenteurer in einer Person war. Die beiden Mädchen waren bei ihr geblieben, darauf hatte sie bestanden. Ida war dreizehn, Magda mit fünfzehn schon fast erwachsen. Es war bestimmt besser so. Für sie. Ihm allerdings würden sie furchtbar fehlen.

Immerhin: Andrea hatte eine Stelle an einem Gymnasium auf Rügen angenommen. In Binz, ihrer Heimatstadt und dem Wohnort ihrer Eltern. Auch wenn Lennart nicht gerade ein Faible für die deutsche Ferieninsel hatte: Die Mädchen konnten von dort aus ganz einfach die Fähre nehmen und ihn in seinem kleinen Paradies besuchen – und umgekehrt. Die beiden hatten natürlich gemosert. Dass sie nach Wohnorten wie Lyon, wo Lennart eine Weile bei Interpol gearbeitet hatte, und der Metropole Brüssel – hierhin hatte man ihn als Referent für innere Sicherheit bei der EU abgeordnet – jetzt den Rest ihrer Schulzeit in der deutschen Provinz zuzubringen hatten, war ein Schock für sie gewesen. Und als sie dann noch erfuhren, dass sie an derselben Schule sein würden wie ihre Mutter, hätten sie sich am liebsten an Amnesty International gewandt.

Lennart hob seinen Blick. Aus dem Dunst war überraschend nah ein großer Offshore-Windpark aufgetaucht. Langsam und stetig drehten sich die Rotorblätter an den mächtigen Masten. Kraftvoll und stoisch, als könne kein Sturm, kein Gewitter sie aus dem Takt bringen. Lennart nickte und zündete sich eine Zigarette an. Zwei Züge, dann warf er sie über Bord. Sie schmeckte schal und eklig, wie ein Eindringling aus seinem alten Leben. Lennart brauchte das nicht länger. Er schenkte einem der ohnehin kettenrauchenden Angeltouristen an Deck die restliche Packung Gauloises samt Feuerzeug, zog die Kabinentür auf und wollte gerade nach drinnen gehen, da bemerkte er im Augenwinkel das riesige Kampfflugzeug am Himmel, gefolgt von zwei kleineren Militärjets links und rechts. Die Maschinen rasten erstaunlich tief über das Schiff hinweg, begleitet vom ohrenbetäubenden Lärm der Triebwerke. Die restlichen Passagiere an Deck wandten wie Lennart den Kopf. Russische Flugzeuge, ohne Zweifel. Wie auf Kommando drehten die drei Jets nun scharf nach rechts ab und verschwanden aus Lennarts Sichtfeld. Ein ungutes Gefühl stieg in ihm auf. Er konnte dieses Säbelrasseln, das sich hier an einem der Außenposten der NATO immer mal wieder abspielte, nicht ausstehen. Zumal im Moment die politische Lage in Europa einem Pulverfass glich und jegliche Provokation weitreichende Folgen haben konnte. Folgen, an die Lennart im Moment lieber gar nicht denken wollte.

Seufzend ging er nach drinnen. Ein kurzer Blick in den Ruhebereich verriet ihm, dass mittlerweile wieder einige der wie kleine Stockbetten angeordneten Pritschen frei waren. Auf ihnen konnte man sich ausstrecken und durchs Fenster aufs Meer sehen, ohne dass einem der Nieselregen ins Gesicht peitschte. Er zog die Tür hinter sich zu. Im Raum herrschte wunderbare Ruhe – das leise Schnarchen einiger Reisender störte nicht weiter, im Gegenteil, es lockerte das allgegenwärtige Brummen des mächtigen Schiffsdiesels sogar ein wenig auf. Lennart schwang sich auf eines der oberen Betten, schob seine Jacke als Kissen unter den Hinterkopf. Er holte sein Smartphone aus der Hosen­tasche, stöpselte sich die drahtlosen Kopfhörer in die Ohren und stellte Entre dos Tierras, seinen Lieblingssong, dessen spanischen Text er allerdings nie wirklich verstanden hatte, auf Endlosschleife. Dann schloss er die Augen, und schon nach den ersten Takten konnte er sich entspannen.

Wundervoll würde es werden, sein neues Leben auf der beschaulichen Insel mitten in der Ostsee. »Sonneninsel« wurde sie im Rest von Dänemark und auf den kitschigen Souvenirtassen genannt. Es sah zwar heute beileibe nicht danach aus, aber Bornholm war für sein fast mediterranes Klima berühmt. Zumindest im Sommer, der sich allerdings seinem Ende zuneigte. Er öffnete die Augen, um auf dem Smartphone noch einmal die Fotos zu betrachten, die ihm der Vermieter des kleinen Hauses geschickt hatte. Seines kleinen Hauses. Lennart hatte es unbesehen im Internet für die Dauer von zwölf Monaten gemietet. Für einen guten Preis und mit der Bedingung, den Garten zu pflegen und nach den Bienenstöcken zu sehen. Nicht gerade seine bevorzugten Hobbys, aber auf diesen Deal hatte er sich einlassen müssen, um das putzige gelbe Häuschen sein Eigen nennen zu dürfen. Ein einfacher Riegel, zwei Stockwerke, zwei Gästezimmer, eine schlichte Küche, eine schöne Terrasse, irgendwo in den Feldern oberhalb der Küste zwischen den beiden verträumten Örtchen Svaneke und Gudhjem.

Nichts als verschwommene Erinnerungen hatte er an diese Namen. Als Kind war er zwei- oder dreimal auf Bornholm gewesen, im Sommerhaus einer befreundeten Familie. Und hatte stets das Gefühl gehabt, auf dem Eiland auf unsagbar angenehme Weise aus der Zeit gefallen zu sein. Ein vager Eindruck des Glücks, der kindlichen Unbeschwertheit, weiter nichts. Und dennoch so stark, dass er nie verschwunden war. All die Jahre hatte er es nicht gewagt, erneut dorthin zu fahren, damit die Realität sich nicht korrigierend einmischen konnte. So war Bornholm zu einer Art heiligem Gral für ihn geworden, einem zeitlosen Ort der Freiheit und Ruhe.

Dort würde er von nun an leben. Alle hatten ihn für verrückt erklärt, als er seine Entscheidung im Freundes- und Familienkreis publik gemacht hatte. Von »Abstellgleis« hatten sie gesprochen. Doch er hatte nicht nur blind ein Haus gemietet, sondern sich auch blind auf seine neue Stelle beworben, die er schon morgen antreten würde: Leiter des polizeilichen Ermittlungsdienstes für personengefährdende Kriminalität im Polizeiposten der...

Erscheint lt. Verlag 30.8.2023
Reihe/Serie Lennart Ipsen
Lennart Ipsen
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 2023 • Bestseller-Autor • Bornholm • Burnout • Cozy Crime • Dänemark • Dorfkrimi • eBooks • hygge • Inselkrimi • iselkrimi • Kommissar Kluftinger • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Neuerscheinung • sympathischer Ermittler • Urlaubsinsel • Urlaubskrimi • Whodunit
ISBN-10 3-641-30510-1 / 3641305101
ISBN-13 978-3-641-30510-9 / 9783641305109
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