Die letzte Nacht (eBook)
560 Seiten
HarperCollins eBook (Verlag)
978-3-7499-0571-3 (ISBN)
Vor fünfzehn Jahren veränderte sich Sara Lintons Leben schlagartig, als nach einem Barbesuch brutal überfallen wurde. Mittlerweile hat sie es geschafft, das Trauma hinter sich zu lassen: Sara ist erfolgreiche Ärztin und mit einem Mann verlobt, den sie liebt.
Doch eines Nachts, während sie in der Notaufnahme arbeitet, verändert sich alles. Eine junge Frau wird nach einem Überfall schwer verletzt eingeliefert, und Sara muss um ihr Leben kämpfen. Je weiter die Ermittlungen unter der Leitung von Will Trent fortschreiten, umso klarer wird es, dass das, was dieser Frau zugestoßen ist, auf grausame Weise mit Saras eigenem Schicksal zusammenhängt.
Sara Linton muss sich ihrer Vergangenheit stellen ...
Karin Slaughter ist eine der weltweit berühmtesten Autorinnen und Schöpferin von über 20 New York Times-Bestseller-Romanen. Dazu zählen »Cop Town«, der für den Edgar Allan Poe Award nominiert war, sowie die Thriller »Die gute Tochter« und »Pretty Girls«. Ihre Bücher erscheinen in 120 Ländern und haben sich über 40 Millionen Mal verkauft. Ihr internationaler Bestseller »Ein Teil von ihr« ist 2022 als Serie mit Toni Collette auf Platz 1 bei Netflix eingestiegen. Eine Adaption ihrer Bestseller-Serie um den Ermittler Will Trent läuft derzeit erfolgreich auf Disney+, weitere filmische Projekte werden entwickelt. Slaughter setzt sich als Gründerin der Non-Profit-Organisation »Save the Libraries« für den Erhalt und die Förderung von Bibliotheken ein. Die Autorin stammt aus Georgia und lebt in Atlanta. Mehr Informationen zur Autorin gibt es unter www.karinslaughter.com
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»Dr. Linton.« Maritza, die Anwältin von Dani Coopers Familie, näherte sich dem Zeugenstand. »Können Sie uns sagen, was als Nächstes geschah?«
Sara holte Luft, dann sagte sie: »Ich kniete auf der Rollbahre und fuhr mit in den OP hinauf, damit ich Danis Herz ohne Unterbrechung weiter massieren konnte. Ich wurde den üblichen Hygienemaßnahmen unterzogen, dann übernahmen die Chirurgen.«
»Und dann?«
»Ich beobachtete die Operation.« Sara blinzelte. Auch drei Jahre später sah sie Dani noch vor sich, wie sie auf dem OP-Tisch lag, die Augen mit Klebeband verschlossen, ein Schlauch ragte aus ihrem Mund, die Brust war aufgespreizt, weiße Bruchstücke von Rippen waren wie Konfetti im Brustraum verteilt. »Die Chirurgen taten, was sie konnten, aber Dani war nicht mehr zu retten. Sie wurde gegen zwei Uhr fünfundvierzig für tot erklärt.«
»Danke.« Maritza kehrte zu den Unterlagen auf ihrem Tisch zurück und blätterte darin. Ihr Mitarbeiter beugte sich zu ihr und flüsterte etwas. »Euer Ehren, wenn ich mir einen Moment Zeit nehmen dürfte?«
»Beeilen Sie sich«, sagte Richterin Elaina Tedeschi.
Es wurde still im Gerichtssaal, man hörte nur die Geschworenen auf ihren Stühlen herumrutschen und gelegentlich ein Husten oder Schniefen aus dem halb vollen Zuschauerraum. Sara holte erneut tief Luft. Sie war bereits drei Stunden lang im Zeugenstand gewesen. Eben waren sie von der Mittagspause zurückgekehrt, und alle waren müde. Dennoch saß sie aufrecht und blickte geradeaus auf die Uhr an der Rückseite des Saals.
Eine Reporterin im Zuschauerraum tippte in ihr Handy, aber Sara ignorierte die Frau, so gut es ging. Sie konnte Danis Eltern nicht ansehen, denn der Schmerz der beiden war fast so niederschmetternd wie ihre Hoffnung, auf irgendeine Weise einen Schlussstrich ziehen zu können. Auch durfte sie die Jury nicht ansehen. Sara wollte mit niemandem Augenkontakt herstellen und keinesfalls eine falsche Botschaft übermitteln. Es war heiß und stickig im Gerichtssaal. Prozesse schritten nie so zügig voran oder waren so interessant, wie es im Fernsehen den Anschein hatte. Die medizinischen Fakten konnten in ihrer Fülle verwirrend sein. Die Geschworenen sollten sich konzentrieren und zuhören und sich nicht fragen, warum Sara sie komisch angesehen hatte.
Es ging in diesem Gerichtsverfahren nicht um Sara. Es ging darum, das Versprechen zu halten, das sie Dani Cooper gegeben hatte. Der Mann, der sie vergewaltigt hatte, musste aufgehalten werden.
Sie ließ ihren Blick zu Thomas Michael McAllister IV. wandern. Der Zweiundzwanzigjährige saß zwischen seinen teuren Anwälten am Tisch der Verteidigung. Seine Eltern, Mac und Britt McAllister, waren direkt hinter ihm im Zuschauerraum. Gemäß Richterin Tedeschis Anweisungen war Tommy als der Beklagte und nicht als der Angeklagte zu bezeichnen, damit für die Geschworenen klar war, dass es sich hier um einen Zivilprozess und nicht um ein Strafverfahren handelte. Es ging nicht um Gefängnis oder Freiheit, sondern vielmehr um Millionen von Dollar für die widerrechtliche Tötung von Daniella Cooper. Mac und Britt konnten es sich problemlos leisten, zu bezahlen, aber noch etwas anderes stand auf dem Spiel, etwas, das selbst ihr enormer Reichtum ihnen nicht garantieren konnte: der gute Ruf ihres Sohnes.
Bisher hatten sie alles zu Tommys Schutz unternommen, was sie konnten, angefangen von einem PR-Manager, den sie engagiert hatten, um das Narrativ in den Medien zu gestalten, bis zu Douglas Fanning, einem bekannten Anwalt, dessen Dienste sie sich gesichert hatten. Fanning wurde wegen seiner Art, Zeugen im Zeugenstand zu zerfleischen, »der Hai« genannt.
Das Verfahren war erst zwei Tage alt, und es war Fanning bereits gelungen, einiges von dem herauszuhalten, was er als Tommys »jugendliche Unbesonnenheiten« bezeichnete. Als wäre praktisch jeder Heranwachsende mit elf verhaftet worden, weil er den Hund des Nachbarn gequält hatte, in seinem vorletzten Highschool-Jahr der Vergewaltigung bezichtigt und eine Stunde vor seiner Abschlussfeier mit einem Partyvorrat Ecstasy erwischt worden. Das erkaufte man sich eben mit einem Anwalt, der zweitausendfünfhundert Dollar die Stunde kostete – er verwandelte ein Raubtier in einen Chorknaben.
Tommy war fraglos der Rolle entsprechend gekleidet und hatte den maßgeschneiderten Anzug, den er im Jahr zuvor in einer Klatschkolumne zur Schau gestellt hatte, gegen einen schwarzen Anzug von der Stange mit einer zart hellblauen Krawatte und einem weißen Oxfordhemd eingetauscht – all das wahrscheinlich von einem Geschworenenberater ausgesucht, der seit Monaten die vorteilhaftesten Schlüsselbegriffe und Strategien gebündelt und dann eng mit Fanning zusammengearbeitet hatte, um die optimalen Geschworenen auszuwählen, und der jetzt irgendwo in der Nähe des Gerichts eine Schatten-Jury tagen ließ, der man dieselben Beweismittel präsentierte, um die Verteidigung bei ihrer Herangehensweise zu unterstützen.
Trotz alledem ließ sich das arrogant gereckte Kinn von Tommy McAllister nicht verbergen. Er hatte sein ganzes Leben in den hermetischen gesellschaftlichen Zirkeln Atlantas verbracht. Sein Urgroßvater, ein Chirurg, war nicht nur ein Pionier auf dem Feld künstlicher Gelenke gewesen, er hatte außerdem mitbegründet, was später eine der großen orthopädischen Kliniken Atlantas werden sollte. Tommys Großvater, ein Vier-Sterne-General im Ruhestand, hatte die Erforschung von Infektionskrankheiten am CDC geleitet. Mac, sein Vater, war einer der angesehensten Kardiologen im Land. Britt hatte eine Ausbildung zur Geburtshelferin absolviert. Es war keine Überraschung, dass Tommy das Familienunternehmen fortführte. Er stand im Begriff, ein Medizinstudium an der Emory University zu absolvieren.
Er war außerdem der Mann, der Dani Cooper unter Drogen gesetzt und vergewaltigt hatte.
Zumindest nach Saras Überzeugung.
Tommy hatte Dani Cooper fast sein ganzes Leben lang gekannt. Sie hatten dieselben Privatschulen besucht, waren Mitglied im selben Country Club gewesen, hatten in denselben sozialen Kreisen verkehrt, und zum Zeitpunkt von Danis Tod waren sie beide an derselben Universität in Vorbereitungskurse für ein Medizinstudium eingeschrieben gewesen. In der Nacht, in der Dani starb, war Tommy gesehen worden, wie er auf der Party einer Studentenverbindung mit ihr stritt. Er hatte Dani am Arm gepackt. Sie hatte sich losgerissen. Niemand konnte sagen, was danach geschah, aber es war Tommys hundertfünfzigtausend Dollar teurer Mercedes Roadster gewesen, den Dani fuhr, als sie in den vor dem Krankenhaus abgestellten Rettungswagen krachte. Es war sein Sperma, das man bei der Obduktion in ihr fand. Es war Tommy McAllister, der kein Alibi für die Zeit hatte, nachdem Dani die Party verlassen hatte und bevor sie im Grady eintraf. Es war ebenfalls Tommy McAllister, der die intimen Details in den Drohnachrichten kannte, die Dani in der Woche vor ihrem Tod erhalten hatte.
Leider konnte der Staatsanwalt von Fulton County nur aufgrund von Beweisen handeln, nicht aufgrund einer Überzeugung. In einem Strafverfahren musste die Schuld ohne begründeten Zweifel bewiesen werden. Sara hätte freimütig eingeräumt, dass es in diesem Fall Zweifel gab. Bei der Studentenparty waren jede Menge andere junge Männer gewesen, die Dani nahestanden. Niemand konnte Tommys Behauptung widersprechen, dass der Streit beigelegt worden war. Niemand konnte Tommys Behauptung widerlegen, Dani hätte sich seinen Mercedes ausgeliehen. Niemand konnte seine Behauptung widerlegen, sein Sperma sei in Dani gewesen, weil sie zwei Nächte zuvor einvernehmlichen Sex gehabt hatten. Niemand konnte mit Bestimmtheit sagen, dass Tommy die Party an jenem Abend zusammen mit Dani verlassen hatte. Viele Leute auf der Party hatten die intimen Details in Danis Leben gekannt. Was noch wichtiger war: Niemand konnte das Prepaid-Handy ausfindig machen, von dem die Drohnachrichten abgeschickt wurden.
Zum Glück wurde in einem Zivilprozess nicht zweifelsfrei, sondern aufgrund eines Übergewichts der Beweise entschieden. Die Coopers hatten eine Menge Indizienbeweise auf ihrer Seite. In dem Prozess wegen widerrechtlicher Tötung, den sie gegen Tommy McAllister angestrengt hatten, verlangten sie Schadenersatz in Höhe von zwanzig Millionen Dollar. Das war eine Irrsinnssumme, aber es ging ihnen nicht um das Geld. Im Gegensatz zu Mac und Britt hatte es sie ihre gesamten Ersparnisse gekostet, den Fall vor Gericht zu bringen. Die Coopers hatten alle Angebote eines außergerichtlichen Vergleichs abgelehnt, denn was sie wollten, was sie brauchten, damit sie den tragischen Tod ihrer Tochter begreifen konnten, war, dass jemand öffentlich dafür verantwortlich gemacht wurde.
Sara hatte sie gewarnt, dass sie wahrscheinlich nicht gewinnen würden. Maritza hatte das Gleiche gesagt. Beide wussten, wie das System funktionierte, und es begünstigte selten die Leute, die kein Geld hatten. Vor allem aber hing der ganze Fall daran, ob die Geschworenen Sara für eine glaubwürdige Zeugin hielten. In der Notaufnahme war es in der Nacht, in der Dani starb, turbulent zugegangen. Außer Sara hatte niemand die junge Frau sagen hören, dass sie unter Drogen gesetzt und vergewaltigt worden war. Aufgrund der Natur des Falls hieß das, Saras Leben würde unter einem Mikroskop betrachtet werden. Um ihre Zeugenaussage zu zerlegen, mussten sie ihren Charakter zerlegen. Alles, was sie je getan, alles, was ihr widerfahren war, würde seziert, analysiert und – am erschreckendsten für Sara – kritisiert werden.
Sie wusste nicht, ob es ihr mehr Angst...
Erscheint lt. Verlag | 25.7.2023 |
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Reihe/Serie | Georgia-Serie | Georgia-Serie |
Übersetzer | Fred Kinzel |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | After That Night |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Autorin • Band 11 • Bestseller • blutig • Brutal • Buch • Bücher • bücher krimi thriller • Disney • Ein Teil von ihr • Georgia • Georgia Serie • Gericht • Gerichtsmedizin • Geschenk • Geschenkbuch • Karen Slaughter • Karin Slaughter • Karin Slaughter Bücher • Krimi • Kriminalroman • Krimi Thriller • Mystery • Plus • Polizeiarbeit • Psychothriller • Reihe • Roman • Sara Linton • Serie • slaughter • spannend • spannender • spannendes • Spannung • Spiegel • Taschenbuch • Thriller • USA • Vergewaltigung • verschenken • Weihnachten • Weihnachtsgeschenk • Will Trent • Will Trent 11 • will trent und sara linton |
ISBN-10 | 3-7499-0571-1 / 3749905711 |
ISBN-13 | 978-3-7499-0571-3 / 9783749905713 |
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Größe: 4,3 MB
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