Eine verräterische Spur (eBook)
608 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-3113-0 (ISBN)
Ein grausiges Verbrechen und nur ein Kind als Zeuge.
Neben der Leiche von Marissa Fordham wird ihre kleine Tochter gefunden - schwer verletzt, aber wenigstens noch am Leben. Detective Tony Mendez und die Kinderanwältin Anne Leone tauchen in das Verbrechen ein. Detail um Detail aus Marissas Leben kommt ans Licht, bis sie auf ein Geheimnis stoßen, das sie unmittelbar ins Visier des Killers manövriert. Denn was er zu verbergen sucht, ist die Tatsache, dass es in Wirklichkeit nie eine Marissa Fordham gab ...
Tami Hoag (* 20. Januar 1959 in Cresco, Iowa) ist eine US-amerikanische Schriftstellerin.1988 machte sie ihre Leidenschaft zum Beruf und verfasste ihr erstes Buch. Zunächste verfasste sie Liebesromane und widmetee sich später dem Schreiben von Thrillern. Lange Zeit lebte sie mit ihrem Mann auf einer Pferderanch in Virginia, bevor sie nach Los Angeles, Kalifornien umzog.
Kapitel 2
»Das Opfer heißt Marissa Fordham, achtundzwanzig, alleinerziehend. Künstlerin.«
Detective Tony Mendez ratterte die Daten herunter, als wäre er völlig ungerührt von dem, was er gerade in dem Haus gesehen hatte. Nichts hätte der Wahrheit ferner liegen können. Kurz nachdem er am Tatort angekommen war, hatte er sich entschuldigt und war aus der Fliegengittertür getreten, um sich unter einem der Bäume zu übergeben.
Er war der Zweite am Tatort gewesen. Es war nur eine kurze Fahrt von seinem Haus bis hierher. Der Erste – ein junger Deputy – hatte sich unter demselben Baum übergeben. Mendez hatte noch nie so viel Blut gesehen. Der Geruch saß ihm in der Kehle wie eine Faust. Jedes Mal, wenn er die Augen schloss, sah er die Opfer wie Bilder aus einem Horrorfilm vor sich.
Erneut stieg Übelkeit in ihm auf.
»Du hast gesagt, dass es zwei Opfer gibt?«
Vince Leone, neunundvierzig, ehemaliger Special Agent bei der legendären Behavioral Sciences Unit des FBI und davor Detective beim Chicagoer Morddezernat, war gerade am Tatort eingetroffen. Sie gingen langsam zum Haus und atmeten die kühle, eukalyptusgeschwängerte Luft.
»Die vierjährige Tochter der Frau«, sagte Mendez. »Sie hatte nur noch einen schwachen Puls. Man bringt sie ins Krankenhaus. Ich glaube nicht, dass sie durchkommt.«
Leone fluchte leise.
Mit seinen knapp eins neunzig und den dichten, von grauen Strähnen durchzogenen schwarzen Haaren war er eine imposante Erscheinung. Ein Schnurrbart lenkte von der kleinen, glänzenden Narbe ab, die von der Eintrittsstelle der Kugel, an der er eigentlich hätte sterben müssen, zurückgeblieben war. Stattdessen steckte das Ding nach wie vor in seinem Kopf, eine Operation war zu riskant.
»Wenn es um ein Kind geht, ist es immer am schlimmsten.«
»Da hast du recht. Was kann eine Vierjährige schon getan haben, um so etwas zu provozieren?«
»Sie ist eine Zeugin.«
»Sie kannte den Täter.«
»Oder er ist einfach ein fieses Arschloch.«
»Das ist er in jedem Fall«, sagte Mendez.
Sie traten durch das kleine Tor in den Garten und folgten dem Schotterweg um das Haus herum, an einem alten betonierten Springbrunnen vorbei, der unbeeindruckt von dem grauenhaften Geschehen vor sich hin plätscherte.
»Wer hat den Mord gemeldet?«
»Ein Freund, der zufällig vorbeigekommen ist.«
Leone blieb stehen und starrte ihn an. »Um diese Zeit? Es ist noch nicht mal richtig hell!«
Genauer gesagt war es 7 Uhr 29. Die Sonne war gerade aufgegangen.
»Stimmt«, sagte Mendez. »Aber warte erst mal ab, bis du ihn kennengelernt hast. Komischer Typ.«
»Inwiefern komisch?«
»Komisch im Sinne von verdächtig. Wer schneit schon um sechs Uhr morgens bei seiner Nachbarin rein?«
»Ist er hier?«
»Bill kümmert sich um ihn.«
Detective Bill Hicks, Mendez’ Partner. Hicks wirkte beruhigend auf die Leute.
»Kommt Cal auch?«, fragte Leone.
Cal Dixon, der Sheriff und Vorgesetzte von Mendez.
»Schon unterwegs.«
»Ich möchte niemandem ins Gehege kommen.«
»Ich habe ihn gefragt«, sagte Mendez. »Er ist einverstanden.«
»Gut.«
An der Küchentür blieben sie stehen. Mendez deutete zu dem Baum.
»Da haben der Kollege und ich schon hingekotzt. Nur falls du plötzlich auch das Bedürfnis verspüren solltest.«
»Gut zu wissen.«
Der Tatort erschütterte Mendez beinahe ebenso sehr wie beim ersten Mal. Das lag an den Kontrasten, überlegte er – und am Geruch. Die Kontraste waren brutal. Die Küche wirkte wie aus einer anderen Epoche: altertümliche, bemalte Schränke, eine gusseiserne Spüle, karierte Vorhänge, Geräte wie aus den Fünfzigern.
Eine Küche, in der eine tüchtige Farmersfrau den Kochlöffel schwingen sollte. Stattdessen machten sich Tatortermittler darin zu schaffen, stäubten hier etwas mit Rußpulver ein, machten dort ein Foto und bewegten sich mit den präzisen, knappen Bewegungen von Köchen um den aufgeblähten, wächsernen Leichnam der ermordeten Frau auf dem blutigen Fliesenboden.
Leone betrachtete die Szenerie mit finsterer Miene, die Hände in die Hüften gestemmt.
»Sie ist schon länger tot.«
»Ein paar Tage, würde ich sagen.«
»Da sind bereits Maden«, bemerkte Leone. »Ist sie bewegt worden?«
»Nein. Ich habe den Sanitätern gesagt, dass sie sie nicht anfassen sollen. Dass sie tot ist, steht ja außer Frage.«
Die Kehle der Frau war mit solcher Kraft aufgeschlitzt worden, dass der Täter sie beinahe enthauptet hätte. Jemand hatte ihr die Lippen mit ihrem eigenen Blut angemalt.
»Und wo war das Mädchen?«
»Sie lag neben ihr, den Kopf auf ihrer Schulter«, sagte Mendez.
»Was ist mit ihr? Hat sie auch Stichwunden?«
»Konnte ich nicht genau erkennen. Sie war über und über mit Blut beschmiert. Keine Ahnung, ob es ihres oder das der Mutter war. Sie könnte allerdings gewürgt worden sein. Da waren blutige Fingerabdrücke an ihrem Hals.«
Leone zog ein Taschentuch aus seiner Hosentasche, um es sich vor Mund und Nase zu halten, als er sich der Leiche näherte, wobei er darauf achtete, nicht in die Blutlachen zu treten. Er ging in die Hocke.
Die Brüste der Frau waren abgeschnitten worden. Sie waren nirgends zu sehen. Der Mörder musste sie mitgenommen haben. Ein makabres Souvenir. In den klaffenden Wunden wimmelte es von Fliegenlarven.
Die Frau lag mit weit ausgebreiteten Armen da und starrte mit offenen Augen an die Decke. Sie war nackt. Arme, Beine und Rumpf waren mit Wunden übersät. Ihr Bauch war so heftig mit einem Messer traktiert worden, dass er nur mehr eine blutige Masse war.
Aus ihrer Vagina ragte die Klinge eines Tranchiermessers.
Leone zog eine Augenbraue hoch. »Das nenne ich ein Statement.«
»Hast du so was schon mal gesehen?«, fragte Mendez.
»Nur mit der Messerklinge nach innen. Auf die Art noch nie. Fällt dir dazu etwas ein?«
Leone sah ihn fragend an, einmal Lehrer, immer Lehrer. Bestimmt hatte er sich längst eine Meinung gebildet. Der Mann war eine Legende. Wahrscheinlich hatte er im Kopf bereits in Umrissen ein Täterprofil angelegt, und bis zur nächsten Kaffeepause würde er zu dem Schluss gekommen sein, dass der Täter stotterte und ein Bein nachzog.
Leone wollte, dass Mendez selbst dachte, den Tatort las, sich die Fälle ins Gedächtnis rief, die er studiert hatte, und alles, was er an der National Academy und in seiner bisherigen Laufbahn gelernt hatte.
»Meiner Meinung nach sagt es mehr über das Opfer aus als über den Täter«, erklärte Mendez.
Leone nickte. »Das glaube ich auch.«
Er richtete sich auf, trat einen Schritt zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Langsam wanderte sein Blick durch das Zimmer und registrierte dabei jedes Detail. Man hörte, wie vor dem Haus ein Motor abgestellt und eine Autotür zugeschlagen wurde.
»Er hatte das Messer nicht bei sich«, sagte er und deutete auf einen Messerblock auf der Arbeitsplatte. »Das große Messer fehlt.«
»Für eine spontane Tat ist da aber reichlich viel Gewalt im Spiel gewesen«, sagte Mendez.
Leone summte leise vor sich hin. »Deutet was auf einen Einbruch hin?«
»Ich habe vorhin schnell eine Runde durch das Haus gedreht. Es gibt keine Hinweise auf ein gewaltsames Eindringen. Ein paar der Zimmer sind durchwühlt worden, keine Ahnung, warum. Auf ihrer Kommode liegt Schmuck, der wertvoll aussieht. Ich glaube nicht, dass irgendwelche Elektrogeräte geklaut worden sind.«
»Drogen?«
»Keine Utensilien. Außerdem ist das Haus zu sauber für einen Junkie. Sieht mir nicht nach Drogen aus.«
»Nein«, stimmte Leone zu. »Das war etwas Persönliches. Keine Frage. Die Frau hat dreißig oder vierzig Stichwunden.«
Die Fliegengittertür sprang auf, und Cal Dixon trat in die Küche. Dixon war vierundfünfzig, grauhaarig, durchtrainiert. Seine Uniform sah stets wie frisch gebügelt aus. Mit seinen durchdringend blauen Augen blickte er zuerst auf das Opfer, dann wandte er sich Leone und Mendez zu. Alle Farbe war aus seinem grimmigen Gesicht gewichen.
»Was ist nur aus der Welt geworden?«
»Der erste Mord seit einem Jahr, Chef«, sagte Mendez, als wäre das ein echter Glanzpunkt in ihrer aller Leben.
Dixon stellte sich neben die beiden Männer, die Hände in die Hüften gestemmt.
»Gestern ist in der Zentrale ein Notruf eingegangen«, sagte er. »Am frühen Morgen. Eine Kinderstimme, die sagte, dass Daddy Mommy wehgetan hätte. Mehr nicht. Keine Adresse. Kein Name. Dann wurde die Verbindung unterbrochen. Die Telefonistin meldete es mir, aber was hätte ich denn machen sollen? Ich kann doch nicht jedes Haus in der Umgebung durchsuchen lassen, nur weil irgendwo möglicherweise ein Verbrechen begangen wurde.«
»Ich habe gelesen, dass Orange County über das verbesserte Notrufsystem verfügt«, sagte Mendez. »Wenn es klingelt, tauchen automatisch sämtliche Informationen zu der Nummer auf dem Bildschirm auf. Name, Adresse, solche Sachen.«
»Ich habe schon stapelweise Antragsformulare ausgefüllt, aber wann da was passiert, weiß kein Mensch«, sagte Dixon. »Außerdem ist dieses System schweineteuer.«
...Erscheint lt. Verlag | 21.3.2023 |
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Reihe/Serie | Tami Hoag Bestseller Thriller | Tami Hoag Bestseller Thriller |
Übersetzer | Gabriele Werbeck, Andrea Stumpf |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | SECRETS TO THE GRAVE |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | A.J. Finn • Cara Hunter • Caroline Link • Girl on a Train • Gone Girl • Jo Nesbo • Karen Rose • Kind • Paula Hawkins • Psychothriller • Rachel caine • The woman in the window • Tochter • Tod • Vermisst • verschwunden |
ISBN-10 | 3-8412-3113-6 / 3841231136 |
ISBN-13 | 978-3-8412-3113-0 / 9783841231130 |
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