Bauernschädel (eBook)
303 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7347-2362-9 (ISBN)
Stefan K. Heider, Jahrgang 1992, wuchs in Goldegg im Pongau auf und studierte Germanistik in Graz. Neben dem Schreiben und der Kunst beschäftigt er sich in seiner Freizeit mit der Musik und dem Programmieren. 2023 veröffentlichte er den Anti-Krimi Die Saat von gestern, den zweiten Teil der Lässe-Ferl-Reihe. 2018 veröffentlichte er den gesellschaftskritischen Anti-Krimi Bauernschädel, den ersten Teil der Lässe-Ferl-Reihe. Unter dem Pseudonym Vincent Theodor Thomas veröffentlichte er 2015 den Fantasy-Roman Geschichten aus Falensia: Der Spiegel von Echenon. Der Autor lebt und arbeitet in Graz.
In geregelten Bahnen
Sträucher und Bäume rauschten am Fenster vorbei, der imposante Berg am Horizont kroch jedoch wie im Schneckentempo dahin. Die davorliegende Ebene mit ihren sanften Hügeln brachte dieses Meer aus Grün und zartem Orange-Gelb kaum in Aufruhr. Keine allzu spannende Aussicht. Doch obwohl diese Landschaft etwas fad und eintönig wirkte, war sie bei weitem interessanter als das, wozu mich Ela zwang. Mit jeweils einem Kopfhörer im Ohr saßen wir da und schauten irgendeine ihrer Blu-rays – eine dieser 08/15-Love-Storys aus Hollywood, Schema-F-Schund. Sie zu einem anderen Film zu überreden, wäre aussichtslos gewesen: Ela liebte ihren Kitsch und als ihr Freund hatte ich bei der Film-Wahl selten die Nase vorn.
Also widmete ich mich primär anderen Dingen, sah mich beispielsweise im Zug um und strafte die lauten Bälger eines jungen Ehepaares mit meinen Blicken oder fragte mich gelegentlich, wie die drei Studentinnen am Viererplatz nebenan weniger bekleidet aussähen. Fesche Mädels waren das. Zwei Brünette, eine Blondine. Ich habe zwar keinen wirklichen Typ Frau, auf den ich stehe – und das mag nun wie ein Klischee wirken –, aber die Blonde gefiel mit besonders gut. Auch ihr Kleidungsstil – eine Mischung aus Hipster und Rockerin mit dem verspielten Hauch von Shopping-Queen. Letzteres brauche ich nicht zwingend, doch es war gerade so wenig, dass es schon wieder seinen eigenen Charme hatte. Wäre ich ein paar Jahre jünger und ohne weibliche Begleitung, dann hätte ich … wahrscheinlich trotzdem nur gegafft. Frauen anzusprechen, war noch nie mein Ding.
Ich war wie ein Chamäleon. Nicht nur, weil ich den liebevollen Freund mimte,[1] sondern auch, da meine Augen sich nicht entscheiden konnten, welchem Gegenstand sie ihre Aufmerksamkeit schenken sollten. Meine Freundin rutschte im Sitz ein wenig nach unten, lehnte ihren Kopf an meine Schulter und seufzte schmachtend in den Bildschirm starrend. Ich guckte kurz hin – Kussszene. Der Duft ihrer zartbitterschokoladenen Haare stieg mir in die Nase; ich bekam Lust auf Kokos-Rumkugeln. Sie war hin und weg vom Film, während mir übel wurde, wenn ich dem Kitsch mein Gehör schenkte.
Aber sie war schon lieb, meine Michaela, auch wenn sie mich zu dieser Reise in ihre Heimat regelrecht genötigt hatte. Es sei an der Zeit, meinte sie, dass ich die Schwiegereltern mal besuche. Ich hatte sie erst einmal getroffen und war brutal mit ihrem Vater zusammengeprallt – man denke an einen Rennwagen und einen Brückenpfeiler. Zwischen uns beiden würde wohl nie so etwas wie Freundschaft entstehen. Das war mehr als klar – ihm genauso wie mir. Und dennoch wollte er mich angeblich bei seinem Sechziger dabei haben. War bestimmt auf Michaelas und Gertrauds Mist gewachsen. Die werte Frau Schwiegermutter mochte mich recht gerne. Als sie uns damals in Graz besucht hatten, hatte sie mich mit ihren Blicken nahezu entkleidet … Nein, hatte sie natürlich nicht; das redete ich Ela bloß ein, um sie auf die Palme zu bringen. Wir waren gemeinsam zu einem Weinlesefest in die Südsteiermark gefahren. Sepp hatte im Anschluss dauernd darüber geschimpft, wie deppert alle Steirer seien. Er war wohl noch wo angeeckt außer an mir.
Unser Trip in die Bergwelt Salzburgs war zum Glück nur für ein verlängertes Wochenende vorgesehen; vier Tage würde ich das aushalten können. Ela hatte sich länger freigenommen, würde vielleicht sogar bis zu zwei Wochen bleiben. Sie fuhr selten nach Hause, da war das nur verständlich. Wir mussten ja bestimmt nicht jeden Tag mit ihnen verbringen, hoffte ich. Mir wäre es zwar weit lieber gewesen, ein Hotelzimmer mit ihr zu nehmen, damit wir einen Rückzugsort hatten und, nun ja, vielleicht mal einfach einen halben bis ganzen Tag im Bett bleiben konnten. Es musste nicht zwingend in Sex ausarten – auch wenn das eindeutig wieder an der Zeit war –, Pizza zu verdrücken und Serien zu gucken, wäre ebenfalls eine willkommene Alternative. Ich brauchte den einen oder anderen Tag, an dem ich mich sozial vollkommen abschotten konnte von der Welt, mit Ausnahme von meiner Freundin natürlich. Früher, als ich noch studiert hatte, hatte es sogar eine Zeit gegeben, in der fünf Siebtel meiner Woche nur meiner Wenigkeit gewidmet waren. Der Rest war von Alkohol und flüchtigen sexuellen Bekanntschaften geziert. Studiert per se hatte ich eher weniger, muss ich zugeben, weshalb ich auch zu den Fällen gehörte, die zum äußerst positiven Image des modernen Studenten beigetragen hatten. Nichts zu danken.
Ich fingerte das Handy aus der Hosentasche, schaute auf die Uhrzeit.
»Ferl«, fauchte mich Ela von der Seite an, erzürnt darüber, dass ich dem Schund am Laptop-Bildschirm keine Aufmerksamkeit schenkte, »willst du schon wieder diesen Blödsinn spielen?«
»Blödsinn?«, brummte ich. »Du meinst Snake? Nein, ich hab nur auf die Uhr geschaut.«
Snake einen Blödsinn zu nennen, war frech. Das war nicht nur ein Klassiker des mobilen Spielspaßes, sondern auch einer der Gründe, warum ich mich kaum darüber wurmte, dass mein Smartphone damals zu Bruch gegangen war. Ich hatte nicht vor, mir in nächster Zeit wieder eines zuzulegen. Viel zu teuer dieses Zeugs. Diese Smartphones sind sowieso Teufelswerk. Wie die Leute immer wie Zombies hineinstarren und von ihrer Umwelt nichts mehr mitbekommen, ist schon fast gruselig. Man wird besessen von diesen »Alleskönnern«. Man kann mit ihnen Fotos machen, Videos aufnehmen, ins Internet gehen, sie haben tausende von Apps, aber was sie nicht haben, ist Durchhaltevermögen. Ein halber Tag, und der Akku ist futsch. Da kann man eigentlich gleich wieder zum Festnetzanschluss wechseln. Gut, ich kann ja verstehen, dass diese Dinger wirklich praktisch sind. Aber was ich noch nie verstanden habe, ist, warum die Leute immer das Teuerste vom Teuren einer ganz bestimmten Marke kaufen. Sie mästen den Kapitalismus – das ohnehin schon fette Kind –, anstatt ein gleichwertiges Produkt eines anderen Herstellers zu erstehen, das nur die Hälfte kostet. Und dann meist auch noch im Jahrestakt! Ja, hat es der Menschheit denn tatsächlich ins Hirn geschissen? Die Leute sind schon seltsam. Als wäre man mehr wert, nur weil man mit einem kleinen, fragilen Taschencomputer herumläuft, der mindestens tausend Euro kostet. Aber das ist ja leider die Ansicht vieler, wie es scheint, selbst wenn es nie jemand offen und ehrlich zugeben würde. Ela hatte ebenfalls eines dieser überteuerten Produkte, wusste auch gut über meine Meinung darüber Bescheid, doch wer lässt sich da schon reinreden?
»Kannst es gar nicht mehr erwarten, was?« Sie kicherte schadenfroh meines Unmuts wegen, den ich daheim recht ordentlich bekundet hatte, und gab mir einen halbherzigen Schmatzer auf die Wange. »Wenigstens rasieren hättest dich können.«
Die Stirn runzelnd, sah ich sie von der Seite an. Sie wusste, wie gern ich mich rasierte. Ich war zwar nicht der Typ, der mit Rauschebart und Flanellhemd herumlief – was wohl auch an meinem Fleckerlteppich von Gesichtsbehaarung lag –, aber mich täglich glatt zu rasieren, war mir einfach zu anstrengend. Wenn sie mich wirklich gern hatte, musste sie damit leben.
»Wo sind wir denn schon?«
»Bald in Schladming.«
»Also noch eine Stunde circa?«
»Circa.«
»Wie lange dauert denn der Film noch?«, fragte ich, sah aber im selben Moment, dass der Abspann bereits lief. Wieso sonst sollte sie während ihrer Schnulze mit mir reden? Ich wartete schon sehnsüchtigst auf ihre Zurechtweisung.
Ihre lagunenblauen Augen durchlöcherten mich. »Hast du denn überhaupt nicht zugeschaut?« Die Empörung in ihrer Stimme hallte durch den Wagon, als hätte ich ihr wenige Momente zuvor gesteckt, dass sie in ihrer dunkelgrauen Jeggings fett aussähe – was selbstredend nicht stimmte, um Gottes willen! Die Achtundzwanzigjährige hatte einen Knackarsch, der zum Anbeißen war. Daher rührte auch einer meiner Kosenamen für sie, den sie kaum ausstehen konnte: Pfirsich. Gut, sie machte auch ausreichend Sport, damit sie ihre gute Figur beibehielt – was ich von meiner Wenigkeit, die doch eine kleine Plauze hatte, nicht behaupten konnte. Körperliche Anstrengung war mir zu wider. Ich betätigte mich nur hin und wieder sportlich, wenn mich das schlechte Gewissen erneut am Schlafittchen gepackt hielt, weil ich mir die letzten Tage abermals zu viel Süßes, Fettiges oder Alkoholisches in den Wanst geschlagen hatte. Aber dafür, dass ich so eine faule Sau war, fand ich doch, dass ich ein recht ansehnlicher Herr war. Ein wenig verlebt vielleicht.
Die Fahrgäste starrten uns an, was einem normalen Menschen möglicherweise unangenehm wäre. Als normal würde ich mich zwar nicht bezeichnen, aber unangenehm war es mir trotzdem. Die Dame liebte es, öffentlich eine Szene zu machen, woraus sie zu Beginn unserer Beziehung auch das eine oder andere Spiel gemacht hatte, das für sie fraglos lustiger als für mich gewesen war. Mittlerweile war ich sie zum Glück schon gewohnt und wusste, dass ich sie einfach nicht ernst nehmen durfte.
Ich strafte die jungen Eltern und ihre Kinder mit einem tadelnden Blick, als wollte ich sagen: »Ihr seid die Letzten, die sich über irgendjemanden hier ein Urteil bilden dürfen.«
Einer der Studentinnen nebenan hingegen, der bezaubernden Blondine, nickte ich mit einem Lächeln zu. Ich hatte ja auch wirklich nicht zugeschaut, maximal zehn Minuten waren von meiner Netzhaut aufgenommen worden.
Ihr fiel die Kinnlade nach unten. »Flirtest du jetzt mit der da drüben?!« Sie atmete tief durch wie ein mit dem Huf scharrender Stier, bereit, mich auf die Hörner zu nehmen.
Ich sah sie an. Scheiße, dachte ich, es ist wieder so weit.
Ela stand halb auf, lehnte sich mit dem Ellbogen gegen die...
Erscheint lt. Verlag | 13.2.2023 |
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Reihe/Serie | Lässe Ferl |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Goldegg • Krimi • Krimi Neuerscheinungen • Krimi Serien • Österreich |
ISBN-10 | 3-7347-2362-0 / 3734723620 |
ISBN-13 | 978-3-7347-2362-9 / 9783734723629 |
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