Die Wurzeln lang ziehen
Edition CONVERSO (Verlag)
978-3-949558-11-5 (ISBN)
Maria Topali wurde in den 60er Jahren in Thessaloniki, Griechenland geboren. Das Haus ihrer Eltern, auf dessen Dach einige Bienenstöcke des Großvaters standen, lag an einer noch nicht asphaltierten Straße, jenseits der byzantinischen Stadtmauern im Westen der Stadt. Pferdekarren zogen vorbei, der Kontrast zum modernen Stadtzentrum war krass. Die multiethnische Vergangenheit der Stadt blieb bis Anfang des 21. Jahrhunderts tief begraben; doch jüdische und türkische Begriffe hatten als Ortsnamen und in der Esskultur überlebt. Für Marias Kinderohren hatten sie einen magischen, aber auch beunruhigenden Klang. Ähnlich erging es ihr mit dem pontischen Dialekt, der mittelalterlichen Sprache der Schwarzmeer-Griechen. Das war die Sprache ihrer Vormittage, die sie mit Großvater und Tagesmutter verbrachte, da die Eltern berufstätig waren. Kamen sie von der Arbeit zurück nach Hause, wechselte die Sprache in das normale Alltagsgriechisch. Schon als Kind schrieb Maria Gedichte. Es war ihr Versuch, aus dem einen Ich in das andere zu übersetzen, ohne dabei die Widersprüche einzuebnen, sie unter den Tisch fallen zu lassen. Sie besuchte die Deutsche Schule in Thessaloniki, deren Gründung noch in die Zeit des osmanischen Reichs zurückreichte. Die Familie zog in den östlichen Teil der Stadt. Dialekt und Bienen blieben zurück – vielmehr sickerten ein in ihr Schreiben.
Vor etwa drei Jahrzehnten stand ich in einem griechischen Fahrstuhl und entzifferte auf einem Hinweisschild »4 ATOMA«. Aha, hier durften vier Personen mitfahren. Das Atom, das ich im Chemieunterricht als die kleinste teilbare Einheit kennengelernt hatte, war hierzulande also auch die »Person«. Ich war fasziniert. Ebenso faszinierte mich, dass »metaforika« nicht nur »metaphorisch« meint, also im übertragenen Sinne, sondern wortwörtlich alles bezeichnet, was transportiert wird, also auch eine Spedition, was nun einmal ein Transportunternehmen ist. Seitdem bin ich dieser Sprache verfallen. Sie war anfangs mein wichtigster Grund, in diesem Land zu bleiben. Schnell entdeckte ich, dass Übersetzen eine wunderbare Möglichkeit bietet, tief in einen Text einzudringen. Nichts zu überspringen, sich ihm zu stellen. Schwingungen zu erfassen. Sich am Ausdruck zu erfreuen. Welten aufzutun. Zu begreifen. Ich begann zu übersetzen, zunächst einmal für mich, um wirklich gut zu verstehen. Das ist wiederum wohl die wichtigste Voraussetzung dafür, keine Wörter zu übersetzen, sondern etwas in einer anderen Sprache neu zu sagen. Und das ist oftmals Quasi dasselbe mit anderen Worten, um den deutschen Titel von Umberto Ecos Buch über das Übersetzen zu zitieren. Dem gehe ich nun schon seit vielen Jahren nach: Manchmal sind es Romane, Kinderbücher oder Gedichte, manchmal sind es Ausstellungstexte oder Interviews, manchmal Drehbücher oder Libretti, von Geburtsurkunden und Scheidungsurteilen ganz zu schweigen. Außerdem widme ich mich als Übersetzerin und Journalistin der deutschen Okkupation Griechenlands im Zweiten Weltkrieg und dabei vor allem der Oral-History. Offizielle Auszeichnungen sind mir nicht wichtig, aber der Orden, der mir vom Verein der Division Acqui verliehen wurde, bedeutet mir viel. Doris Wille Staatlich geprüfte, beeidigte und öffentlich bestellte Übersetzerin für die neugriechische Sprache Magister in Germanistik und Kunstgeschichte Aufbaustudium in Journalistik und Öffentlichem Recht www.doriswille.de
Ich bin 1944 in Regensburg geboren und habe dort einen Teil meiner Schulzeit verbracht. Zu meinen Erinnerungen gehört, dass es mir beim Transfer aus dem Lateinischen oder Griechischen immer Freude gemacht hat, im Deutschen gute Lösungen zu finden. Mit dem Übersetzen griechischer Literatur habe ich nach einer achtjährigen Lektorentätigkeit an der Deutschen Abteilung der Aristoteles Universität Thessaloniki begonnen, als ich, nach Deutschland zurückgekehrt, das Leben in Griechenland sehr vermisste. Erste Schritte in dieser Richtung waren in Übersetzungsseminaren entstanden bei dem Versuch, gemeinsam mit den Studenten griechische Lied- und Songtexte ins Deutsche zu übertragen – es war in der Zeit unmittelbar nach der Junta, mit der Rückkehr der Linken entstanden viele aktuelle politische Lieder. Die mit mir befreundete Verlegerin des Romiosini Verlags in Köln bat mich damals um die Übersetzung einer Erzählung für einen Band mit Nachkriegsprosa aus Thessaloniki, und dies war der Auslöser für umfangreichere Übersetzungen zeitgenössischer griechischer Autorinnen und Autoren für diesen Verlag, hauptsächlich Prosa, aber auch Lyrik – u.a. Romane von Alki Zei und Mimika Cranaki und die besonders anspruchsvolle Übertragung eines Buchs von Sotiris Dimitriou aus einem nordepirotischen Dialekt. Parallel zum Übersetzen habe ich jahrelang künstlerisch-handwerklich in einer großen Rahmenwerkstatt in Köln gearbeitet und dies als idealen Gegenpart für die intensive Arbeit an der Sprache am Schreibtisch empfunden: auch hier passgenaues Schleifen, Färben, Polieren, aber an haptischen Werkstücken. 2001 gab es mit Griechenland als Gastland der Buchmesse Frankfurt einen enormen Schub für die neugriechische Literatur in Deutschland mit Aufträgen für große deutsche Verlage; später die Herausgabe eines literarischen Athen-Führers gemeinsam mit Konstantinos Kosmas für den Wagenbach Verlag, die von der Vorstellung geleitet war, ein Bild der heutigen Stadt jenseits aller historischen Klischees entstehen zu lassen. Mit bedingt durch einen Umzug nach Berlin stand nun das Übersetzen im Mittelpunkt meines Lebens, vielfach auch für Veranstaltungen in der Griechischen Kulturstiftung in Berlin. Daneben habe ich Moderationen bei Lesungen übernommen und als Vermittlerin bei Übersetzerworkshops in München, Berlin, Athen und Paros gearbeitet. Für meine Arbeit wurde ich zweimal ausgezeichnet: 2001 bekam ich den Deutsch-Griechischen Übersetzerpreis für Pavlos Matessis‘ „Tochter der Hündin“ und 2014 den Griechischen Staatspreis für Übersetzung für Christos Ikonomous Erzählband „Warte nur, es passiert schon was“.
Mirko Heinemann wurde als Sohn einer griechischen Mutter und eines deutschen Vaters 1966 in Thessaloniki geboren. Aufgewachsen ist er in Mönchengladbach, Nordrhein-Westfalen. Nach Abitur und Zivildienst zog es ihn nach West-Berlin, wo er an der FU Publizistik mit Schwerpunkt Journalismus studierte. Er schrieb in den Wendezeiten für die Tageszeitung „taz” und arbeitete für Fernsehen und Hörfunk. Seit 2003 ist er als freier Journalist für Magazine, Tageszeitungen und den öffentlich-rechtlichen Hörfunk tätig. 2019 erschien sein erzählerisches Sachbuch „Die letzten Byzantiner“ beim Ch.-Links-Verlag über die Vertreibung der Griechen vom Schwarzen Meer. Es basiert auf einer Reise durch die Türkei auf den Spuren seiner Familiengeschichte und beleuchtet die historischen Zusammenhänge und deren Auswirkungen bis in die Neuzeit. www.mirkoheinemann.de
Erscheinungsdatum | 28.02.2023 |
---|---|
Übersetzer | Doris Wille, Birgit Hildebrand |
Verlagsort | Karlsruhe |
Sprache | deutsch |
Maße | 125 x 217 mm |
Gewicht | 400 g |
Themenwelt | Literatur ► Briefe / Tagebücher |
Literatur ► Lyrik / Dramatik ► Lyrik / Gedichte | |
Schlagworte | Bevölkerungsaustausch • Biografische Literatur • Genozid • Griechenland • Griechische Autorin • Jungtürken • Megali Idea • Memoir • Neugriechisch • Osmanisches Reich • Pontisch • Pontos • Schwarzes Meer • Türkei • Vertrag von Lausanne |
ISBN-10 | 3-949558-11-X / 394955811X |
ISBN-13 | 978-3-949558-11-5 / 9783949558115 |
Zustand | Neuware |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
aus dem Bereich