1414° (eBook)
400 Seiten
Goldmann Verlag
978-3-641-30637-3 (ISBN)
Die Journalistin Lou McCarthy hat ihr Leben einem Ziel gewidmet: die dunklen Machenschaften der mächtigen Männer im Silicon Valley zu enthüllen. Durch ihren Kreuzzug hat sie alles verloren: ihr Zuhause, ihre Freunde und ihre Karriere. Und wofür? Die Milliardäre, über die sie schreibt, feiern Erfolg um Erfolg. Doch als zwei der bekanntesten Tech-Titanen in derselben Nacht auf spektakuläre Weise Selbstmord begehen, steht Lou plötzlich im Rampenlicht: Man macht sie für die Tode verantwortlich. Lou muss herausfinden, wer die Männer in den Tod getrieben hat. Offenbar steckt ein perfider Rachefeldzug hinter den Ereignissen - und Lou weiß bald nicht mehr, ob sie ihn stoppen oder ihm zum Erfolg verhelfen soll ...
Paul Bradley Carr hat bereits mehrere Bücher veröffentlicht, bevor er mit »1414º« seinen ersten Roman verfasste. Seit über zwanzig Jahren beschäftigt er sich als Journalist für den Daily Telegraph, Private Eye, PandoDaily und Techcrunch mit der dunklen Seite des Silicon Valley. Paul Carr wurde im schottischen Dunfermline geboren und lebt heute in San Francisco und Palm Springs.
1 %
DREI STRASSENBLOCKS SÜDLICH, in der Redaktion des Bay Area Herald, starrte Lou McCarthy verärgert auf ihren Bildschirm.
Sind Sie sicher, dass Sie bereit zur Veröffentlichung sind?
J/N
Im Stillen verfluchte sie den Software-Entwickler, der eine so idiotische Frage programmiert hatte.
In den vergangenen fünf Jahren hatte sie vielleicht 500 Artikel in das längst überholte News Management System des Herald eingetippt und bei diesem letzten Schritt jedes Mal gezögert. Können Journalisten sich jemals wirklich sicher sein, dass sie bereit sind, einen Artikel zu veröffentlichen? Natürlich nicht. Es gibt immer noch weitere Quellen, denen sie nachgehen müssten, weitere Zitate, die sie überprüfen müssten, weitere Recherchen vor Ort, weitere Nachtschichten und noch mehr schlechten Instantkaffee. Nachrichten werden nicht ohne Grund die erste Rohfassung der Geschichtsschreibung genannt: Irgendwann muss man veröffentlichen, was man hat, und den Dingen ihren Lauf lassen.
Heute Morgen, nach zehn Litern Kirkland House Blend und sechsundzwanzig Stunden ohne Schlaf, nahm diese Frage ein noch größeres Gewicht an.
Sind Sie sicher, dass Sie bereit sind, sich mit dem wertvollsten Privatunternehmen in der Geschichte des Silicon Valley anzulegen?
J/N
Sind Sie sicher, dass Sie das schlimmste Trauma einer Frau für Ihre Zwecke verwenden und es der Allgemeinheit zugänglich machen wollen?
J/N
All das auf Grundlage eines einzigen geleakten Dokuments einer anonymen Quelle? Haben Sie komplett den Verstand verloren?
J/N
Lou blickte auf die IBM-Schulhofuhr an der Wand: 8:26 Uhr. Sie hatte vielleicht nicht den Verstand verloren, doch Zeit blieb ihr definitiv nicht. In genau vier Minuten würde Stephen Camp die Tür zur Redaktion aufstoßen, sein Koffer vor Unterlagen überquellend, den unnötigen Regenschirm unter den Arm geklemmt, die Langsamkeit des Fahrstuhls und die frische Riege von Idioten verfluchend, denen er gerade im BART, dem Bay Area Rapid Transit, begegnet war, und dann würde sich Lous Zeitfenster für immer schließen.
Sie las noch einmal ihre Schlagzeile, noch immer sichtbar hinter dem dämlichen Pop-up-Fenster.
RAUM-MANAGER DER VERGEWALTIGUNG ANGEKLAGT
Eine gute Schlagzeile. Keine Übertreibung. Keine Mehrdeutigkeit. Einfach nur die reinen Fakten, wie ihre Quelle sie ihr genannt hatte.
Doch zugleich handelte es sich um eine beinahe lachhafte Untertreibung. Wenn Alex Wu »ein Manager von Raum« war, dann war Neil Armstrong »ein Ingenieur der NASA«. Als Erfinder des Raum-Bands galt Wu weithin als der mächtigste Mann des gesamten Silicon Valley. Nicht als der reichste – das würde (bald) sein ebenso abstoßender Chef sein, Raums CEO, Elmsley Chase –, doch ganz sicher der einflussreichste.
Alex Wu war es, der als Raums Technikvorstand entschied, wie schnell dein vRaum-Wagen kam, oder die RaumService-Bestellung, oder deine RedRaum-Verabredung. Alex Wu war es, der als Erfinder und Wächter von Raums streng geheimem Algorithmus mit einer einzelnen Zeile Code eine Million Mägen füllen, hunderttausend Ehen herbeiführen oder eine gesamte Stadt am Wahltag zum Stillstand bringen konnte – wie einige ihm feindlich gesinnte Abgeordnete auf die harte Tour erfahren mussten.
Und jetzt war es Alex Wu, der, dem Entwurf der Klageschrift nach, die gestern Abend in Lous Posteingang gelandet war, ebendiesen Algorithmus modifiziert hatte, um junge Frauen zu orten und zu verfolgen, die seinem eigenen kranken Opferprofil entsprachen, indem er sich von Alkoholsensoren in ihren Raum-Bands anzeigen ließ, wenn sie allein und betrunken waren. Und der, zwei Monate zuvor, einer sternhagelvollen zweiundzwanzigjährigen Studentin (in der Klage nur mit dem Platzhalternamen Jane Doe bezeichnet) angeboten hatte, sie in seinem Tesla Model π nach Hause zu fahren.
In einer perfekten journalistischen Welt hätte Lou über Wochen die Fakten einer solchen Geschichte recherchiert. Es hätte stundenlange Konferenzen mit Stephen Camp gegeben, ihrem Redakteur seit mehr als einem halben Jahrzehnt, gefolgt von tagelangem Einmischen der Anwälte des Herald. Eine so hetzerische Anschuldigung zu veröffentlichen – erst recht eine, die auf einer unbestätigten Klageschrift aus anonymer Quelle basierte –, war ein gewaltiges Risiko. Und zu veröffentlichen, ohne den Entwurf ihrem Redakteur zu zeigen, war eindeutig Wahnsinn. Das wusste Lou. Verdammt, natürlich wusste sie das.
Doch sie wusste noch etwas: Alex Wu, der mächtigste Mann im Silicon Valley, war ein Serientäter. Entweder versuchte Lou, ihn aufzuhalten, oder sie machte sich mitschuldig an jeder weiteren Vergewaltigung, die er beging: heute, morgen und für alle Zeiten.
Sie jagte seit Monaten Gerüchten über Wus Fehlverhalten hinterher. Geraunten Geschichten von jungen Frauen, die schluchzend und blutend durch die Straßen liefen. Weitergeleitete Hinweise über heimlich verabreichte Drogen und plötzliche Gewaltausbrüche. Lou hatte zahllose Nächte in Stanfords Studentenkneipen und den Lobbys gehobener Hotels an der Sand Hill Road verbracht, auf der Suche nach nur einer einzigen Quelle, die sich offiziell zu Wus Vergehen äußern würde. Einige Male war sie ganz nah dran gewesen: Sophie Aker – Wus Freundin zu Uni-Zeiten in Stanford, die Lou heulend erzählte, wie er sie einmal mit seinem Gürtel zu erdrosseln versuchte – und Mei Lynn Xi, eine junge Venture Capital Associate, die sich bei ihrem Chef beschwerte, dass Wu sie auf einer Urlaubsparty angegriffen hatte. Eine Woche später wurde sie gefeuert. Es gab noch zahlreiche weitere Gerüchte aus Wus Zeit in Stanford, wonach er eine andere Kommilitonin vergewaltigt hatte. Die Attacke sei von der Fakultät verschleiert worden, um den Ruf der Universität zu wahren. Doch jedes Mal waren Lous Quellen wenige Stunden vor Veröffentlichung abgetaucht, oder es ereilte sie ein plötzlicher Gedächtnisschwund.
Ein weiteres Gerücht hatte Lou nicht beweisen können: Während andere Start-ups ihre Personalpolitik umgestellt und Führungskräfte als Reaktion auf Skandale fallen gelassen hatten, hatte Raum einen Trupp Krisenmanager rekrutiert, um das Fehlverhalten der Führungsspitze des Unternehmens zu vertuschen. Zu den Aufgaben dieses Teams gehörten Schmierkampagnen gegen die Opfer, Drohungen gegen Journalistinnen, und manchmal sogar – so hatte Lou gehört – Hauseinbrüche, um die Beweise für Verbrechen beiseitezuschaffen. Doch ihre bevorzugte Waffe war die geheime Schweigegeldzahlung. Dem Grundbuch zufolge war Sophie Aker in den Besitz einer neuen Eigentumswohnung gekommen, nicht einmal einen Monat, nachdem Lou sie wegen einer Stellungnahme zu Wu kontaktiert hatte. Eine andere Quelle hatte Lou – unter der Hand – bestätigt, dass Mei Lynn Xis Kreditkartenschulden über Nacht verschwunden waren. Was sie nicht begriff, war, auf welchem Wege Raum diese Zahlungen tätigte. Wenn das Unternehmen das Geld der Investoren dafür verwendete, Opfer auszuzahlen, wäre dies ganz sicher ein Verstoß gegen die Treuhänderpflicht – möglicherweise sogar eine Straftat. Doch obwohl sie wochenlang Raums Unterlagen durchgegangen war, konnte Lou nicht den kleinsten Hinweis auf diese viele Millionen Dollar schwere schwarze Kasse finden.
Jetzt hatte sie endlich einen schriftlichen Nachweis von Wus Verbrechen, über eine verschlüsselte Nachrichten-App von ihrem anonymen Informanten bei Raum geschickt. Dieselbe Quelle, die ihr schon mehr als ein Dutzend Tipps hatte zukommen lassen, von denen sich jeder einzelne als zutreffend erwiesen hatte.
Lou nahm noch einen Schluck von ihrem kalten Kaffee, während sie mental ihre Liste vorbereiteter Entschuldigungen durchging. Mit exakt 399 Worten, die fünfzigseitige Klageschrift, die als PDF eingefügt war, nicht mitgerechnet, war der Artikel streng genommen nur eine »Kurzmeldung«, was bedeutete, dass sie das Einverständnis ihres Redakteurs nicht brauchte, um zu veröffentlichen. Außerdem hatte sie der Hinweis sehr spät erreicht, und sie hasste es, Camp zu Hause zu stören, vor allem jetzt, mit dem neuen Baby …
Lou schüttelte den Kopf. Das war alles Schwachsinn, viel zu durchsichtig. Doch jede Ausrede war besser als die Wahrheit: dass sie die ganze Nacht durchgearbeitet hatte, um die Geschichte fertig zu haben, bevor Camp das Büro erreichte, weil sie diesem übermüdeten, niedergeschlagenen Milchbrötchen von einem Redakteur nicht zutraute, sie nicht zu sabotieren.
»Arbeite noch mal mit Tommy Paphitis daran«, hörte sie Camp schon sagen. »Er hat gute Quellen bei Raum.« Witzig, dass Camp, trotz seiner ständigen »Wir sind alle im selben Team«-Vorträge, niemals Tommy anwies, seine Entwürfe Lou vorzulegen.
Scheiß drauf. Sie konnte es nicht riskieren, dass Camp die Veröffentlichung verzögerte, nicht heute. In wenigen Stunden würde Raum, nur sechs Straßenblocks vom Herald-Gebäude entfernt, eine widerlich extravagante Party zur Eröffnung des neuen Hauptquartiers geben, Raum One. So hieß es offiziell. Doch die gesamte Business-Welt kannte den wahren Grund der Feierlichkeit. Heute Abend würde Elmsley Chase, unter dem funkelnden Glasdach des Raum One, den langersehnten Börsengang seines Unternehmens verkünden.
Ein...
Erscheint lt. Verlag | 20.4.2023 |
---|---|
Übersetzer | Tobias Schnettler |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | 1414° |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | 2023 • eBooks • Enthüllung • Enthüllungsjournalismus • Ermittlerin als Verdächtige • Me too • Michael Crichton • Neuerscheinung • Neuerscheinung 2023 • Rache • Rachefeldzug • Silicon Valley • Starke Frauen • Techmogule • Thriller |
ISBN-10 | 3-641-30637-X / 364130637X |
ISBN-13 | 978-3-641-30637-3 / 9783641306373 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 1,5 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich