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Papa Hamlet · Ein Tod (eBook)

Holz, Arno; Schlaf, Johannes - Deutsch-Lektüre, Deutsche Klassiker der Literatur - 19656
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
140 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-961961-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Papa Hamlet · Ein Tod -  Arno Holz,  Johannes Schlaf
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Die Erzählung 'Papa Hamlet', 1889 von dem Autorenduo Arno Holz und Johannes Schlaf unter Pseudonym veröffentlicht, gilt als Paradebeispiel naturalistischer Dichtung. In protokollartigen Dialogen und akustisch-visuell aufgeladenen Erzählpassagen schildert der Text das armselige Leben eines gescheiterten, dem Alkohol verfallenen Schauspielers. Für die minutiöse Erzähltechnik wurde der Begriff des Sekundenstils geprägt. Ergänzt wird die Ausgabe durch die Studentengeschichte Ein Tod, ein Vorwort der Autoren sowie Johannes Schlafs Kurznovelle 'Ein Dachstubenidyll', die die Grundlage für 'Papa Hamlet' war. Mit einem Nachwort und Anmerkungen. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

Philipp Böttcher ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neuere deutsche Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Philipp Böttcher ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neuere deutsche Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Papa Hamlet
Vorwort
Einleitung des Übersetzers
Papa Hamlet
Ein Tod
Ein Dachstubenidyll. Novellistische Skizze von Johannes Schlaf

Zu dieser Ausgabe
Anmerkungen
Literaturhinweise
Nachwort

[27]Papa Hamlet


I.


Was? Das war Niels Thienwiebel? Niels Thienwiebel, der große, unübertroffene Hamlet aus Trondhjem? Ich esse Luft und werde mit Versprechungen gestopft? Man kann Kapaunen nicht besser mästen? …

»He! Horatio

»Gleich! Gleich, Nielchen! Wo brennt’s denn? Soll ich auch die Skatkarten mitbringen?«

»N… nein! Das heißt …«

– – »Donnerwetter noch mal! Das, das ist ja eine, eine – Badewanne!«

Der arme kleine Ole Nissen wäre in einem Haar über sie gestolpert. Er hatte eben die Küche passiert und suchte jetzt auf allen vieren nach seinem blauen Pincenez herum, das ihm wieder in der Eile von der Nase gefallen war.

»Hä? Was? Was sagste nu?!«

»Was denn, Nielchen? Was denn?«

»Schafskopp

»Aber Thiiienwiebel!«

»Amalie?! Ich …«

»Ai! Kieke da! Also döss!«

»Hä?! Was?! Famoser Schlingel! Mein Schlingel! Mein Schlingel. Amalie! Hä! Was?«

Amalie lächelte. Etwas abgespannt.

»Ein Prachtkerl!«

»Ein Teufelsbraten! Mein Teufelsbraten! Mein Teufelsbraten! Hä! Was, Amalie? Mein Teufelsbraten!«

[28]Amalie nickte. Etwas müde.

»Ja doch, Herr Thienwiebel! Ja doch!«

Aber Frau Wachtel mühte sich vergeblich ab. Herr Thienwiebel, der große, unübertroffene Hamlet aus Trondhjem, wollte seinen Teufelsbraten nicht wieder loslassen.

»Hä, oller Junge? Hä?«

»In der Tat, Nielchen! In der Tat, ein … ein … Prachtinstitut! Ein Prachtinstitut!«

»Hoo, hoo, hoo, hopp!! Hoo, hoo, hoo, hopp!! Bumm!!!«

Der große Thienwiebel schwelgte vor Wonne. Er hatte sich jetzt sogar auf ein Bein gestellt. Hinten aus seinem karierten Schlafrock klunkerten die Wattenstückchen.

»Aber Thiiienwiebel!« –

II.


»Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage:

Ob’s edler im Gemüt, die Pfeil’ und Schleudern

Des wütenden Geschicks erdulden, oder …

oder? … Scheußlich!«

Der große Thienwiebel hielt wieder inne.

»Nicht zum Aushalten das! Nicht zum Aushalten!!«

Die fünf kleinen, gelben Lappen hinter dem Ofen, die dort an einer Waschleine zum Trocknen aufgehängt waren, hatten ihn wieder total aus dem Konzept gebracht.

»Ekelhaft!«

Er hatte sich jetzt, die Hände in seinen Schlafrocktaschen vergraben, erbittert vor das Fenster aufgepflanzt.

Der Himmel drüben über den Dächern war tiefblau; in [29]den nassen Dachrinnen, von denen noch gerade der letzte Schnee tropfte, zankten sich bereits die Spatzen; es war ein prachtvolles Wetter zum Ausgehn.

»Armer Yorick

Noch um eine Nuance verdüsterter hatte sich jetzt der große Thienwiebel wieder rücklings über das kleine, niedrige, mit blauem Kattun überspannte Sofa geworfen und starrte nun über die Spitzen seiner grünen, ausgetretenen Pantoffeln weg melancholisch zu Amalien hinüber.

Ihre dünnen, lehmfarbenen Haare waren noch nicht gemacht, ihre Nachtjacke schien heute noch schmutziger als sonst und stand vorn natürlich wieder offen; der kleine, kirschrote Spießbürger, den sie, auf ihr Fußbänkchen gekauert, nachlässig aus einem Gummischlauch säugte, sah auf einmal hässlich aus wie ein kleiner Frosch.

»Armer Yorick!«

Herr Thienwiebel hatte sich wieder seufzend erhoben und setzte jetzt seine Wanderung von vorhin wieder fort.

… oder? oder …

Sich waffnend gegen eine See von Plagen

Durch Widerstand sie enden. – Sterben – schlafen –

Nichts weiter! –«

Vor dem Fenster konnte er sich jetzt wieder nicht versagen, eine kleine Pause zu machen.

Die Sonne draußen ging gerade unter. Die Dächer sahen fuchsrot aus. Aber ein Blick auf seinen alten, abgenutzten Schlafrock unten ließ ihn sich wieder zusammennehmen und seinen Monolog von neuem beginnen.

[30]»Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage:

Ob’s edler im Gemüt …

Ae, Quatsch!!«

Mit einem Ruck war jetzt der Shakespeare, den er sich eben aus seiner Schlafrocktasche gerissen, auf den Tisch geflogen, wo er die Gesellschaft einer Spirituskochmaschine, eines braunirdenen Milchtopfs ohne Henkel, eines alten, berußten Handtuchs, einer Glaslampe und einer Photographie des großen Thienwiebel in Morarahmen vorfand.

»He! Horatio! Horatio!! … Nicht zu Hause! Nicht zu Hause …«

Total vernichtet hatte er sich jetzt wieder auf das Sofa zurückgeschleudert und vertiefte sich nun in den tragischen Anblick eines schmutzigen Kinderhemdchens, das neben einer geplatzten Schachtel schwedischer Zündhölzchen vor ihm unten auf dem Fußboden lag.

»Verwünscht! Wenn man wenigstens mal ausgehn könnte, Amalie! Aber ich fürchte… ich fürchte … die Welt ist nicht vorurteilsfrei genug, um einen Niels Thienwiebel in Schlafrock und Zylinder unbehelligt seines Weges dahingehn zu lassen!«

Aber Amalie antwortete nicht einmal. Der kleine Krebsrote nahm ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Sein Lutschen zog jetzt den ganzen Schlauch zusammen.

»Ja! Es ist so! Es ist so, Amalie! Aber sie schreiben mir noch immer nicht! Sie haben da Leute, Leute – Leute? Pah! Stümp’rr! O Schmach, die Unwert schweigendem Verdienst erweist!«

Jetzt hatte Amalie, die dies Thema bereits kannte, etwas aufgesehn.

[31]»Ja … es wäre am Ende doch gut, wenn du einmal …«

Ihre Stimme klang heiser, belegt.

»Ja, so wird es kommen! Vielleicht … bei meiner Schwachheit und Melancholie …«

Der kleine Krebsrote schmatzte! Seine Flasche war jetzt so gut wie leer.

»Ich werde selbst hingehn müssen und fürliebnehmen mit dem, was man mir anzubieten wagt! Das Leben ist brutal, Amalie! Verflucht! Wenn man wenigstens einen Rock zum Ausgehen hätte!«

Sein Tenor war jetzt übergeschnappt, er hatte sich wieder lang über das Sofa zurückgeeselt.

Große Pause …

Die Dächer draußen hatten sich allmählich braun gefärbt. Die Sonne an dem großen, runden Schornstein drüben war verblichen.

Frau Thienwiebel fing jetzt hinten in ihrer Ecke zu husten an.

»Herr Gott, Niels! Ich muss ja inhalieren! Da, nimm doch mal das Kind!«

»Natürlich! Auch noch Kinderfrau! Oh, ich reiße Possen wie kein anderer! Was kann ein Mensch auch andres tun als lustig sein? Still, Krabbe!!«

Der kleine Krebsrote schwieg wieder. Er war noch nie so verblüfft gewesen.

»Da! Nimm’s! Kau’s! Friss! Verschluck’s!«

Der große Thienwiebel hatte es jetzt sogar über sich gewonnen, seinem ungeratnen Sprössling auch den Schnuller in den Mund zu stopfen. Mehr war unmöglich zu verlangen!

Amalie hatte unterdessen die Ofenröhre aufgemacht und entnahm ihr jetzt einen kleinen, grünglasierten [32]Kochtopf. Ein nach Salbei duftender Brodem entstieg ihm. Nachdem sie dann noch das kleine Geschirr neben den Ofen auf einen Stuhl und sich selbst auf die Fußbank davor gesetzt hatte, machte sie jetzt ihren Mund auf und atmete das heiße Zeug langsam ein.

Der große Thienwiebel, der sich unterdess mit seinem impertinenten kleinen Krebsroten auf die Tischkante platziert hatte, sah ihr nachdenklich zu.

»Hm! Weißt du, Amalie?«

»Hm??«

»Weißt du? Wir haben eigentlich eine ganz falsche Methode, das Kind zu nähren, Amalie!«

»Ach was!«

»Ich sage, eine Methode! Eine verkehrte Methode, Amalie!«

»Aber …«

»Verlass dich drauf! Eine unnatürliche, Amalie!«

»Ja, du lieber Gott …«

»Eine unnatürliche … Wir sollten das Kind nicht mit der Flasche tränken!«

»Nich? Na, womit denn sonst?«

»Du selbst solltest es eben tränken!«

»Ich?«

»Gewiss, Amalie!«

»Ach, lieber Gott! Ich! Selbst!«

»Nun! Warum nicht?«

»Ich?? Bei meiner schwachen, kranken Brust jetzt?«

»Ach was! Das bildest du dir ja nur ein, Amalie! Ich sage dir, du bist völlig gesund. Du bist völlig gesund, sage ich! … Übrigens: ein Kind kann ein für alle Mal nur dann gedeihen, wenn es die Mutter selbst säugt.«

[33]Herr Thienwiebel war jetzt ganz eifrig geworden. Seine Langeweile von vorhin schien er völlig vergessen zu haben. Er schien es sogar nicht bemerkt zu haben, dass dem kleinen zappelnden Wurm auf seinen Knien der Schnuller wieder...

Erscheint lt. Verlag 15.11.2022
Reihe/Serie Reclams Universal-Bibliothek
Reclams Universal-Bibliothek
Mitarbeit Kommentare: Philipp Böttcher
Nachwort Philipp Böttcher
Verlagsort Ditzingen
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Arno Holz Johannes Schlaf • Bjarne P. Holmsen • Deutsch • Deutsch-Unterricht • gelb • gelbe bücher • Klassenlektüre • Lektüre • Literatur Epoche Naturalismus • Literatur Klassiker • naturalismus literatur • Naturalistische Dichtung • Niels Thienwiebel • Phonographische Methode • Reclam Hefte • Reclams Universal Bibliothek • Schullektüre • Sekundenstil Literatur • Weltliteratur
ISBN-10 3-15-961961-3 / 3159619613
ISBN-13 978-3-15-961961-3 / 9783159619613
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