Lieben. Hoffen. Fürchten (eBook)
320 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60378-2 (ISBN)
Inken Witt hat zahlreiche Hör- und Drehbücher geschrieben sowie bei deren Entwicklung beraten - von Krankenhausserie bis Kinderkrimi, von Seifenoper bis Superheldenabenteuer. So startete auch die Geschichte um die Privatdetektivin Isa Winter als Idee für eine Fernsehserie, entwickelte sich aber rasch zu einem Roman, um ihrer unkonventionellen Heldin genug Raum zu geben. Inken Witt unterrichtet Drehbuchentwicklung, arbeitet als Coachin und glaubt fest an die Kraft von Geschichten. Mit ihrer Familie lebt sie in ihrer Wahlheimat voller Widersprüche: Berlin.
Inken Witt hat zahlreiche Hör- und Drehbücher geschrieben sowie bei deren Entwicklung beraten – von Krankenhausserie bis Kinderkrimi, von Seifenoper bis Superheldenabenteuer. So startete auch die Geschichte um die Privatdetektivin Isa Winter als Idee für eine Fernsehserie, entwickelte sich aber rasch zu einem Roman, um ihrer unkonventionellen Heldin genug Raum zu geben. Inken Witt unterrichtet Drehbuchentwicklung, arbeitet als Coachin und glaubt fest an die Kraft von Geschichten. Mit ihrer Familie lebt sie in ihrer Wahlheimat voller Widersprüche: Berlin.
Kapitel 2
Die Wimpern von Leonie Gabowski sind lang und dick und wunderbar gebogen, als seien sie aufwendig geschminkt. Sind sie aber nicht. Sie sind das einzig Auffällige an der Endzwanzigerin. Sie haben die Angst in ihren Augen betont, als sie mich damit beauftragte, ihren »einzigen lebenden Verwandten« zu suchen.
Ich frage mich immer noch, wovor genau sie Angst hatte. Davor, allein zu sein? Davor, Verlustschmerz zu empfinden? Verantwortung zu übernehmen? Arbeit zu haben mit allem, was Menschen so hinterlassen, wenn sie verschwinden – sei es durch Tod oder Trennung?
Ich kann nicht mehr sagen, ob ich sie mochte, als sie mir am Morgen nach dem Traum in meinem Büro gegenübersaß. Ich musste mich auf jeden Fall zwingen, ihr zuzuhören. Und ich fragte mich, ob das an ihr lag. An der Art, wie sie sprach. Leise und zaghaft, so, als bitte sie mich für jedes Wort um Erlaubnis.
Oder daran, dass ich wieder einmal zu wenig geschlafen hatte. Ich war wütend auf mich selbst, weil ich entweder besser schlafen oder besser damit umgehen können wollte, dass ich es eben nicht tat. So wie damals, als Karl ein Baby gewesen war. Da habe ich mich schnell und kampflos in den Schlafmangel ergeben und mich nicht einmal darüber geärgert. Natürlich weiß ich, dass das nicht dasselbe war. Damals war ich von einem glücklich vor sich hin glucksenden Bilderbuchbaby geweckt und wach gehalten worden, nun von Albträumen, an die ich mich, mit einer Ausnahme, nicht einmal erinnern konnte. Nur an mein rasendes Herz und das Gefühl, um ein Leben rennen oder kämpfen zu müssen. Nicht meins, eines, das mir wichtiger war.
Möglicherweise lag meine mangelnde Aufmerksamkeit aber auch daran, dass ich um sechs Uhr früh wieder geweckt worden war. Von meinen Nachbarn, die direkt unter meinem Fenster ihren VW-Bus mit allem bepackt hatten, was das Gartencenter hergab, dazu ihren zwei kleinen Söhnen und dem dreibeinigen Hund aus dem Tierheim, den sie seit Neuestem haben. Die Jungs haben Angst vor ihm, oder vielleicht hat der Hund Angst vor den Kindern … eine Partei ist jedenfalls immer am Schreien oder Quietschen.
Bei gutem Wetterbericht ist das hier jedes Wochenende so. Am Morgen verwandelt sich der Graefekiez in ein buntes Durcheinander aus Plastikgartenstühlen, Rindenmulchsäcken und vegan befüllten Picknickkörben, bis die Karawane aus stinkenden Dieselkombis, glänzenden Mercedes-Campern und Carsharing-Cabrios abgezogen ist. Dann herrscht ein bis zwei Stunden Ruhe, bevor die Touristen aus Spanien, Schweden und den USA kommen und sich mit Bier und veganen Snacks in den Händen durch die Straßen treiben lassen und sie bestaunen, als seien sie besonders.
Ich hab nichts gegen die Familie oder alle anderen Nachbarn, die ihre Datschen in Brandenburg oder ihre Schrebergärten im Stadtgebiet für das neue Gartenjahr startklar machen. Ich war schon bei ihnen und einigen anderen eingeladen oder besser, Karl und Tina waren eingeladen und ich damit auch. Ich liege dann gerne in einer Hängematte oder im Gras – so weit von den anderen entfernt, wie das Grundstück es eben zulässt –, schaue in den Himmel und atme ein und aus.
Nein, wogegen ich wirklich etwas habe, ist: Frühling.
Gegen jeden Frühling, aber gegen den Berliner Frühling ganz besonders, und gegen diesen – nach diesem Winter, nach den vergangenen Wochen – hatte ich so viel, dass ich fast sagen würde, ich habe ihn gehasst, wenn das nicht eine Wucht an Gefühl erfordert hätte, die ich nicht aufbringen konnte.
Ich lebe davon, Menschen zu beobachten. Im Frühling wird das einerseits natürlich einfacher, weil alle nach draußen drängen. Aber es wird auch schwieriger, weil alle so verdammt gut gelaunt sind. Und so gierig nach Leben, Licht und Lachen. Und nach Körperkontakt. So, als wären sie kollektiv aus einem monatelangen Koma erwacht oder aus einem Gefängnis entlassen. Das nervt.
Frühling ist ein Versprechen auf eine neue Runde. Ein neues Glück, glauben viele, doch eigentlich ist es nur eine neue Gelegenheit, zu sehen, was man sehen will, sich etwas vorzumachen.
Frühling ist ein Versprechen, das das Jahr nicht hält. Hat es noch nie, und wenn es doch mal so scheint, dann nur, bis der Winter kommt und alles erfriert.
Ich hatte letztens eine Diskussion mit Eugen zu dem Thema und habe sogar versucht, physikalisch zu argumentieren, um meinen Standpunkt klarzumachen. Aber er wollte nichts hören von Schwerkraft, Haftreibung und so. Er hat mich nur angelächelt und mal wieder den Energieerhaltungssatz bemüht. Bescheuerte Idee, mich in sein Fachgebiet zu wagen.
Und dann hat er geschlossen, wie so oft, mit einem Satz seiner verstorbenen Frau Nadja: »Freude ist Freude, solange sie währt.« Den bemüht er immer, wenn er mich davon überzeugen will, dass es nicht darauf ankommt, was ist, sondern darauf, wie es sich anfühlt. Ich hab mich umgedreht und bin gegangen.
An diesem Frühlingsmorgen sah mich Leonie Gabowski jedenfalls mit ihren angstvollen Augen an und wartete. Sie schien es nicht gewohnt zu sein, etwas zu tun oder zu sagen, ohne die Erlaubnis dafür erhalten zu haben. Ich musste ihr also jede Information einzeln abringen. Das nervte auch.
Letztlich erfuhr ich, dass ich ihren Onkel suchen sollte. Michael Gabowski. Den Zwillingsbruder ihres vor knapp einem Jahr verstorbenen Vaters.
Sechsundfünfzig Jahre alt, geschieden, lebte er in dem Haus in Friedenau, das er und sein Bruder von den Eltern geerbt hatten. Bis zu Gabriel Gabowskis Tod hatten sie dort im Erdgeschoss gemeinsam ein Geschäft für antiken Schmuck mit angeschlossener Werkstatt betrieben.
»Wann haben Sie Ihren Onkel das letzte Mal gesehen?« Ich goss Leonie ungefragt Kaffee nach, trank selbst meine dritte Tasse und notierte unauffällig auf den Rand meines Notizblocks, dass ich neues Kaffeepulver besorgen musste.
Tina hatte es vergessen und würde sicher auch heute nicht dran denken. Sie hatte an diesem Samstag frei, und Tobias kam aus München, und dann war mit ihr eh nichts anzufangen.
»Vor einer Woche. Am Sonntagnachmittag. Wollen Sie die genaue Zeit wissen?« Leonie Gabowski sah mich an, als sei ich eine Lehrerin und sie könne eine Prüfungsfrage nicht beantworten. Ihre Stimme machte mich aggressiv. Es dauerte einen Moment, bis ich darauf kam, woran das lag. Sie war zu klein. So, als traue Leonie sich nicht, gehört zu werden.
Ich vermute, es gibt verschiedene Gründe, wenn Frauen sich nicht zu ihrer ganzen Größe aufrichten: Die einen wissen wahrscheinlich gar nicht, dass sie größer, stärker, mehr sein können, andere trauen sich nicht oder können sich nicht trauen, und dann gibt es die, die sich etwas davon erwarten, sich versteckt zu halten.
Ich konnte und wollte mich bei Leonie nicht festlegen.
»Je genauer, umso besser.«
»Gegen sechs? Es wurde gerade dunkel, als wir uns auf dem Friedhof verabschiedet haben.«
»Hat sich Ihr Onkel ungewöhnlich verhalten?«
»Nein.«
»Wann hätten Sie sich das nächste Mal sehen sollen?« Mir fiel meine angestrengte Formulierung auf, ich beließ es aber dabei.
»Ich hatte ihn für den Dienstagabend zum Essen eingeladen. Ich habe falschen Hasen mit Erbspüree und Stampfkartoffeln gemacht. Sein Lieblingsessen.«
»Hat er abgesagt?«
»Ja.«
»Mit welcher Begründung?«
»Er hat mir nur eine SMS geschrieben.«
»Kann ich die mal sehen?«
»Natürlich.« Während Leonie Gabowski hektisch in ihrer Handtasche kramte, rief ich mich zur Ordnung: Professionell zu sein fällt mir leicht! Ich bin eine gute Privatdetektivin! Ich bin sorgfältig, schnell und erfahren! Verschwiegen, neutral und zuverlässig! Ich bin teurer als die meisten meiner Kollegen, aber dafür sind meine Kostenaufstellungen zu hundert Prozent transparent und …
Verdammt! Wieso rechtfertigte ich mich?
Die SMS von Gabowski bestand aus sieben Wörtern: »Ich schaffe es heute Abend nicht. Entschuldige.«
Mir wurde ein wenig flau im Magen. Ich wusste aber nicht, ob das an der Nachricht lag oder daran, dass ich noch nichts gegessen hatte.
»War das der letzte Kontakt, den Sie mit Herrn Gabowski hatten?«
»Ja?« Sie betonte das Ja wie eine Frage und sah mich an, als solle ich entscheiden, ob das richtig war. ...
Erscheint lt. Verlag | 29.6.2023 |
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Reihe/Serie | Ein Fall für Isa Winter |
Ein Fall für Isa Winter | Ein Fall für Isa Winter |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Berlin • Berlin-Krimi • besonderer Krimi • Erbschaft • Ermittlerin • Glauser preis • Hipster • Hof • humorvoller Krimi • Kommune • Kriminalroman • Lieben. Hoffen. Fürchten • Privatdetektivin • Regional-Krimi • Roman Noir • spannende Bücher • starke Ermittlerin • Thriller • Uckermark • ungewöhnliche Ermittlerin • ungewöhnlicher Krimi |
ISBN-10 | 3-492-60378-5 / 3492603785 |
ISBN-13 | 978-3-492-60378-2 / 9783492603782 |
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