Nicht ein Wort zu viel (eBook)
400 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01143-4 (ISBN)
In seiner Kindheit und Jugend verschlang Andreas Winkelmann die unheimlichen Geschichten von John Sinclair und Stephen King. Dabei erwachte in ihm der unbändige Wunsch, selbst zu schreiben und andere Menschen in Angst zu versetzen. Heute zählen seine Thriller zu den härtesten und meistgelesenen im deutschsprachigen Raum. In seinen Büchern gelingt es ihm, seine Leserinnen und Leser von der ersten Zeile an in die Handlung hineinzuziehen, um sie dann, gemeinsam mit seinen Figuren, in ein düsteres Labyrinth zu stürzen, aus dem es scheinbar kein Entrinnen gibt. Die Geschichten sind stets nah an den Lebenswelten seines Publikums angesiedelt und werden in einer klaren, schnörkellosen Sprache erschreckend realistisch erzählt. Der Ort, an dem sie entstehen, könnte ein Schauplatz aus einem seiner Romane sein: der Dachboden eines vierhundert Jahre alten Hauses am Waldesrand in der Nähe von Bremen.
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In seiner Kindheit und Jugend verschlang Andreas Winkelmann die unheimlichen Geschichten von John Sinclair und Stephen King. Dabei erwachte in ihm der unbändige Wunsch, selbst zu schreiben und andere Menschen in Angst zu versetzen. Heute zählen seine Thriller zu den härtesten und meistgelesenen im deutschsprachigen Raum. In seinen Büchern gelingt es ihm, seine Leserinnen und Leser von der ersten Zeile an in die Handlung hineinzuziehen, um sie dann, gemeinsam mit seinen Figuren, in ein düsteres Labyrinth zu stürzen, aus dem es scheinbar kein Entrinnen gibt. Die Geschichten sind stets nah an den Lebenswelten seines Publikums angesiedelt und werden in einer klaren, schnörkellosen Sprache erschreckend realistisch erzählt. Der Ort, an dem sie entstehen, könnte ein Schauplatz aus einem seiner Romane sein: der Dachboden eines vierhundert Jahre alten Hauses am Waldesrand in der Nähe von Bremen.
5
Da sie nicht glauben konnte, was sie sah, zog Faja Bartels das Bild mit zwei Fingern größer. Aber es stimmte. Claas saß auf einem Stuhl. In seinem Mund steckte ein Knebel, seine Augen waren weit aufgerissen, sein Körper war mit Frischhaltefolie umwickelt. Augenscheinlich war er damit an den Stuhl gefesselt.
Sie hätte das Video gern gestartet, um zu schauen, was für einen Mist Claas sich wieder ausgedacht hatte, damit er nicht zugeben musste, neidisch auf ihren Abend zu sein, traute sich aber nicht. Es waren noch zu viele Menschen im Buchladen, ein Bienenstock, in dem es summte und surrte. In den engen Gängen kam es zu Kollisionen, Sektgläser klirrten, das Stimmengewirr nahm noch zu, jetzt, da sich die Anspannung legte.
Hundertunddrei Gäste waren gekommen, zumeist Frauen, und bis auf ein paar wenige ließen sich alle ihr Buch signieren. Erfahrungsgemäß dauerte es eine Stunde, bis auch die letzten Gäste den Laden verlassen hatten. Faja hatte jetzt keine Zeit für Claas’ morbiden Humor, auch wenn sie ihn sonst mochte. Sollte jemand ihrer Chefin erzählen, dass sie ins Handy gestarrt hatte, statt sich um die Gäste zu kümmern, hing eine Woche der Ladensegen schief.
Also schlüpfte sie in ihre Rolle als Gastgeberin, von der sie selbst wusste, dass sie ihr nicht stand. Sie bekam es hin, und vielleicht merkten die Gäste nicht, wie schwer ihr die nötige Extrovertiertheit fiel, sie aber spürte es. In jeder Faser ihres Körpers und jeder Synapse ihres Hirns. Morgen früh würde sie mit einem Kater erwachen, für den sich andere betrinken mussten. So war das eben, wenn man über seinen Möglichkeiten handelte.
In den ersten Minuten dachte sie noch an Claas und sein verrücktes Video, dann vergaß sie es. Der Laden leerte sich, am Ende blieben nur noch Sanford und sie zurück. Irgendwo lungerte noch Dirk herum und wartete darauf, die Stühle rauszutragen.
Sanford sah sie an. Seine Augen fast schwarz, sein Blick fest, tief und einschüchternd. Die Brille hatte er sofort nach der Lesung weggesteckt. Vielleicht tat sie seiner Eitelkeit nicht gut.
«Ich danke Ihnen für die Einladung. Das war ein sehr interessanter Abend», sagte er mit so tiefer wie weicher Stimme.
«Unsere Kunden lieben Ihr Buch.»
«Ich würde mich gern revanchieren», überging Sanford das Kompliment. «Mit einer Einladung meinerseits. Wie sieht es aus, wollen wir noch gemeinsam etwas trinken?»
Während er sprach, machte er einen Schritt auf Faja zu und kam ihr damit viel zu nahe. Es lag noch ein Meter Abstand zwischen ihnen, aber irgendwas in seinen Augen negierte diesen Meter. Anzüglichkeit und Überlegenheit, gepaart mit Gier.
Faja begann zu schwitzen.
«Tut mir leid … ich … ich muss noch aufräumen … morgen … der Laden öffnet um neun, dann muss hier …»
Sie machte eine Handbewegung über die Stuhlreihen hinweg. Hundertdrei Stühle, zwar aus Plastik und leicht, dennoch würde es eine Weile dauern.
«Schade», sagte Sanford. «Ich finde Sie interessant genug für ein Gespräch. Das kommt nicht so häufig vor bei mir.»
Faja wusste nicht, ob das ein Kompliment war. Ihr Lächeln fiel schief aus.
«Woher stammt das?», fragte Sanford und deutete mit dem Kinn auf Faja. Er musste nicht präzisieren, was er meinte.
Als sei sie fremdgesteuert, berührte Faja sich dort, wo ihre Haut hart, uneben und gespannt war. Die Stelle ihres Körpers, an der sie nichts fühlte.
«Ach das … ist lange her.»
Sanford hob die Hand, als wolle er sie ebenfalls berühren. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, wie sie sich aus der Situation befreien konnte.
In diesem Moment betrat Sanfords Assistentin Nora Goldmann den Raum. Sie hatte die Lesung verlassen, als Sanford losgelegt hatte. Angeblich, um irgendwo eine Kleinigkeit essen zu gehen. Faja hatte eher das Gefühl gehabt, sie wolle ihm nicht zuhören. Wahrscheinlich kannte sie den Text mittlerweile in- und auswendig. Seit wann war sie wieder da? Sicher schon eine Weile, damit ihr Boss nicht bemerkte, dass sie überhaupt fort gewesen war.
«Können wir, David?», fragte sie, blieb aber in der Tür stehen.
Sanford ließ die Hand sinken, sein Gesicht veränderte sich. War es eben noch von Mitgefühl und Interesse geprägt, kehrte nun die Arroganz zurück.
«Ich bin hier fertig», antwortete er mit Blick auf Faja, dann nahm er seine Tasche und verschwand.
Nora Goldmann trat auf Faja zu und hielt ihr einen Umschlag hin.
«Die Honorarrechnung», sagte sie. Ihr Blick war fest auf Faja gerichtet. «Alles in Ordnung? War David unhöflich? Wenn ja, möchte ich mich entschuldigen. Es liegt an der Anspannung. Er macht das ja noch nicht so lange.»
«Nein, nein, alles in Ordnung», antwortete Faja und nahm die Rechnung entgegen. Sie ärgerte sich ein wenig über sich selbst, weil sie es nicht schaffte, die Wahrheit zu sagen.
«Sie haben ihm doch nicht gesagt, dass ich kurz fort war, oder? Es wäre wirklich toll, wenn das unser kleines Geheimnis bleiben könnte. Ich war halb verhungert, aber David will vor einer Lesung nie etwas essen. Die Aufregung, Sie verstehen.»
Faja nickte. Das kannte sie nur zu gut. Sie hatte seit dem Frühstück nichts mehr zu sich genommen. «Ich hab nichts gesagt», antwortete sie.
«Das ist wirklich lieb. Und vielen Dank auch für die Blumen», sagte die Assistentin und deutete auf den Strauß, den Sanford achtlos liegen gelassen hatte. «David macht sich nichts aus Blumen, aber mir gefallen sie.»
Sie nahm den Strauß und folgte ihrem Boss.
Und dann war es plötzlich still im Laden.
Diese Stille hatte Faja sich herbeigewünscht, konnte sie aber nicht genießen. Sie kam zu plötzlich, zu unvorbereitet, zu massiv. Wohin jetzt mit ihrer Aufregung, dem Adrenalin, der Freude, es allein geschafft zu haben? Hilflos sich selbst überlassen, stand sie in dem leeren Buchladen, in dem es noch nach den Ausdünstungen der Menschenmenge roch, suchte nach einem Halt, um nicht in das Loch zu fallen, das sich in solchen Momenten oft auftat.
«Kann ich loslegen? Hab noch was vor heute.»
Das war Dirk, der sich aus einer dunklen Ecke schälte und Faja erschrak. Sie mochte den Dreiundzwanzigjährigen nicht. Er hatte ihr vor einiger Zeit ein paar unangemessene Nachrichten bei WhatsApp geschickt, die ziemlich eindeutig gewesen waren, doch Faja hatte nicht darauf reagiert. Dirk stand unter der Fuchtel seiner Mutter, studierte auf ihre Kosten, benahm sich aber, als hätte er bereits ein Vermögen verdient, trug dauernd neue Sneaker aus Sondereditionen.
«Klar, fang schon mal an», sagte Faja.
Sie wollte schnell noch ein Foto von dem großen Schriftsteller-Star in ihre Gruppe schicken, dazu war sie vorhin nicht gekommen. Ihre Bücherjunkies warteten sicher schon darauf.
Sie holte das Handy hervor und öffnete die Messenger-App. Ach ja, da war ja auch noch das Video von Claas. Warum schickte er es eigentlich nur ihr und nicht den Bücherjunkies, zu denen auch er gehörte? Das Standbild dieses blöden Videos war gruselig, sie wollte es eigentlich nicht anschauen, tat Claas aber den Gefallen. Er freute sich immer so herrlich kindisch, wenn man auf seine Scherze hereinfiel. Mit seinen achtundzwanzig Jahren benahm er sich oft wie ein kleiner Junge. Manchmal war das sympathisch, oft aber auch einfach nur peinlich.
Das Video startete.
War Claas wirklich nackt?
Faja sah genauer hin.
Fast, er trug eine Unterhose. An dieser Stelle verriet sich Claas. Wenn er wirklich das Opfer einer Entführung wäre, wäre es dem Täter sicher egal gewesen, ob man etwas sehen konnte oder nicht.
Claas bekam es beängstigend gut hin, Angst und Panik zu spielen. Entweder hatte er sich mit Wasser besprüht, oder er schwitzte wirklich. Sein magerer Körper wirkte durch die Frischhaltefolie zusammengepresst wie eine Wurst in ihrer Pelle. Der Raum, in dem er saß, war beängstigend gut gestaltet. Die Sets vieler billiger Horrorfilme kamen da nicht heran. Er saß vor der Ecke eines Zimmers, die Wände waren sandfarben, und jemand hatte mit roter Farbe mehrfach burn daraufgeschrieben.
Viel mehr als das interessierte Faja aber ein anderes Detail.
Um Claas’ Hals hing ein Stück Papier.
Es hatte die Größe eines DIN-A4-Blattes, war aber nicht weiß, sondern grünlich und von grober Struktur. Da es sich unten ein wenig einrollte, wirkte es wie von einer alten Papyrusrolle abgeschnitten. Gehalten wurde das Blatt Papier von zwei Metallklammern an einer silbernen Kette, wie man sie für Vorhänge verwendete.
Auf dem Papier stand etwas, und es war groß genug geschrieben, um es lesen zu können, ohne das Bild größer ziehen zu müssen.
Erzähl mir eine spannende Geschichte. Sie darf fünf Wörter haben. Nicht ein Wort zu viel. Sonst muss dein Freund sterben. Seine Zeit läuft bald ab.
Faja schüttelte den Kopf.
Das war so typisch Claas.
Er liebte es, andere in Dingen herauszufordern, in denen er selbst zu gut war, als dass man gegen ihn gewinnen könnte. Wenn er mehr Disziplin hätte, könnte aus ihm ein guter Schriftsteller werden, aber es reichte nur für kurze Texte. Doch darin war er wirklich gut. Allerdings eine Geschichte in fünf Wörtern zu erzählen, also eine Story mit Anfang, Mittelteil und Ende, einem Spannungsbogen und der nötigen Dramatik, das dürfte...
Erscheint lt. Verlag | 13.6.2023 |
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Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Andreas Gruber • Arno Strobel • Bestseller • Bestseller 2023 • bestsellerliste spiegel aktuell • Buchblogger • Deutscher Thriller • Entführung • Ermittlung • Erpressung • Hamburg • Krimi Neuerscheinungen 2023 • Max Bentow • Mordopfer • Psychothriller • Sebastian Fitzek • Serienkiller • Serienmörder • Spannungsliteratur • spiegel bestseller • Spiegel Bestseller 2023 • Spiegel Bestseller-Autor • Stand alone • Thriller • Thriller Neuerscheinung 2023 |
ISBN-10 | 3-644-01143-5 / 3644011435 |
ISBN-13 | 978-3-644-01143-4 / 9783644011434 |
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