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Der Anfang vom Ende (eBook)

Roman | Ein Meisterwerk der Weltliteratur - zum ersten Mal auf Deutsch

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
688 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01555-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Anfang vom Ende -  Mark Aldanow
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Mark Aldanow erzählt in diesem großen Gesellschaftsporträt mit Ironie und Scharfsinn von einem Epochenbruch, wie wir ihn fast hundert Jahre später wieder erleben. Hauptschauplatz ist das Paris Ende der 1930er Jahre, der «Anfang vom Ende» des alten Europa liegt in der Luft. Die Geschichte beginnt in einem Zug von Moskau Richtung Berlin. Ein sowjetischer Botschafter befindet sich auf dem Weg in den Westen, um eingefrorene diplomatische Beziehungen wiederaufzunehmen. In seiner Begleitung befinden sich u.a. ein alter Militär, ein Berufsrevolutionär, der mit sich und seiner kommunistischen Vergangenheit zu hadern beginnt, sowie eine linientreue Botschaftssekretärin mit schriftstellerischen Ambitionen. In Paris kämpft derweil ein berühmter französischer Autor mit dem Stoff für seinen neuen Roman, während sein junger Sekretär einen Mord wie aus einem Dostojewski-Roman plant. Die unterschiedlichsten Schicksale treffen aufeinander in diesem kunstvoll komponierten Roman, in dem die drängenden Fragen jener Jahre verhandelt werden: Macht und Ohnmacht der Demokratie, die geistige Verwandschaft von Kommunismus und Faschismus, der Zusammenhang von Nationalismus und Diktatur, die Bedeutung von Kunst, der Verfall humanistischer Werte.  Nach Aldanows Flucht in die USA  erschien der Roman 1943 zunächst in englischer Übersetzung. Ausgezeichnet als 'Book of the Month' in der NYT Book Review wurde er auf Anhieb ein Bestseller und stieß auf ein begeistertes Echo bei Kritikern und Lesern. Mark Aldanow war dreizehn Mal für den Nobelpreis nominiert, darunter sechs Mal von Iwan Bunin. «Was Aldanows Buch heute so aktuell macht, ist dieses Gefühl der absoluten moralischen Katastrophe, die über Russland hereingebrochen ist, das Gefühl des

Mark Aldanow, 1886 als Mark Alexandrowitsch Landau in Kiew geboren, entstammte einer jüdischen Industriellenfamilie. Er arbeitete nach dem Studium zunächst als Chemiker, wandte sich aber schon ab dem Ende des Ersten Weltkrieges der Schriftstellerei zu. 1919 emigrierte Aldanow nach Frankreich und lebte bis 1940 in Paris. Kurz vor der Besetzung durch die Wehrmacht emigrierte er über Nizza in die USA. 1947 kehrte er nach Nizza zurück, wo er 1957 starb. In der Emigration schrieb Aldanow 14 Romane, Erzählungen, zahlreiche Essay sowie ein Drama. Mit seinem Romanzyklus 'Der Denker', der zwischen 1923 und 1927 in russischen Exilverlagen in Paris erschien, machte Aldanow sich einen Namen als Verfasser historisch-philosophischer Romane. Sein Roman 'Der Anfang vom Ende' erschien 1943 in New York zunächst in englischer Übersetzung unter dem Titel 'The Fifth Seal' und wurde von der Redaktion der New York Times Book Review als Buch des Monats ausgezeichnet. Aldanow wurde dreizehn Mal für den Nobelpreis vorgeschlagen, darunter sechs Mal von Iwan Bunin. Als Redakteur russischer Exilzeitschriften führte Aldanow eine umfangreiche Korrespondenz mit Literaten und Politikern wie Vladimir Nabokov, Iwan Bunin unde Alexander Kerenski. 

Mark Aldanow, 1886 als Mark Alexandrowitsch Landau in Kiew geboren, entstammte einer jüdischen Industriellenfamilie. Er arbeitete nach dem Studium zunächst als Chemiker, wandte sich aber schon ab dem Ende des Ersten Weltkrieges der Schriftstellerei zu. 1919 emigrierte Aldanow nach Frankreich und lebte bis 1940 in Paris. Kurz vor der Besetzung durch die Wehrmacht emigrierte er über Nizza in die USA. 1947 kehrte er nach Nizza zurück, wo er 1957 starb. In der Emigration schrieb Aldanow 14 Romane, Erzählungen, zahlreiche Essay sowie ein Drama. Mit seinem Romanzyklus "Der Denker", der zwischen 1923 und 1927 in russischen Exilverlagen in Paris erschien, machte Aldanow sich einen Namen als Verfasser historisch-philosophischer Romane. Sein Roman "Der Anfang vom Ende" erschien 1943 in New York zunächst in englischer Übersetzung unter dem Titel "The Fifth Seal" und wurde von der Redaktion der New York Times Book Review als Buch des Monats ausgezeichnet. Aldanow wurde dreizehn Mal für den Nobelpreis vorgeschlagen, darunter sechs Mal von Iwan Bunin. Als Redakteur russischer Exilzeitschriften führte Aldanow eine umfangreiche Korrespondenz mit Literaten und Politikern wie Vladimir Nabokov, Iwan Bunin unde Alexander Kerenski.  Andreas Weihe studierte in Charkow und Moskau Biologie. Erste literarische Übersetzungen aus dem Russischen in den 1980er Jahren. Er übertrug u.a. Marina Zwetajewa, Dmitri Strozew, Andrej Anpilow und in Zusammenarbeit mit Christiane Körner und Maria Rajer Wassili Grossmans Epos Stalingrad.  Sergej Lebedew arbeitete nach dem Studium der Geologie als Journalist. Gegenstand seiner Romane sind die für den 1981 Geborenen die russische Vergangenheit, insbesondere die Stalin-Zeit mit ihren Folgen für das moderne Russland. Zuletzt erschienen 2021 sein Roman «Das perfekte Gift» und 2023 der Erzählungsband «Titan oder die Gespenster der Vergangenheit». Sergej Lebedew lebt zur Zeit in Potsdam.

Am Abgrund


Vorwort von Sergej Lebedew

Der Zerfall der UDSSR, politisch geregelt im Belowescher Abkommen von 1991, löste, so könnte man sagen, eine Lawine aus, einen Erdrutsch an Entwertungen.

Buchstäblich alles Vergangene – Geld, Ideen, staatliche Symbole, Auszeichnungen, das ganze Pantheon der Sowjetsymbole – verlor seinen Wert und wurde bedeutungslos.

Die sowjetischen Rubel wurden zu wertlosem Papier; die Porträts und Denkmäler der Führer verwandelten sich in Müll; Marschallsuniformen und hohe Orden wurden auf Flohmärkten feilgeboten.

Aber das vielleicht Interessanteste und Erstaunlichste widerfuhr der Literatur, den Büchern. Ich erinnere mich daran, wie sich einige Jahre lang Bücherstapel neben den Müllcontainern türmten, Bücher, die aus den häuslichen Bibliotheken geworfen wurden, weil sie überflüssig geworden waren. Gesamtausgaben von Lenins Werken und die Klassiker des sozialistischen Realismus, gestern noch eindrucksvoll und imposant, edel ausgestattet, Macht verkörpernd, lagen jetzt durchnässt und durchgeweicht im Regen. Niemand bückte sich nach ihnen, trug sie ins Haus – im Gegenteil, es wurden immer mehr, manche wurden verschämt in der Nacht gebracht, andere am helllichten Tag.

Wenn es damals in Russland eine Revolution gegeben hat, dann war es eine Revolution in den Bücherregalen.

Und an den U-Bahnhöfen, an belebten Straßenecken, in der Nähe von Geschäften und an Bushaltestellen tauchten wie aus dem Nichts Bücherstände auf: Es wurden neue Bücher verkauft.

Schlecht gebunden, gedruckt auf schlechtem, minderwertigem Papier, dem Papier der kargen Zeiten, besaßen diese Bücher mit ihren blassen oder verschmierten Buchstaben, die heimlich mit der Schreibmaschine abgetippten Samisdatausgaben ähnelten, eine besondere Qualität. Wichtig an diesen schlichten, ärmlichen Büchern war nicht die Aufmachung, der Einband, sondern der reine Text.

Eine Art zweite Geburt der Literatur fand statt. Die Bücher der Ausgestoßenen kehrten zurück, die Bücher der Geflohenen, die Bücher der Emigrierten. Aus der Versenkung tauchten die weggesperrten und die einst von der Zensur verstümmelten Werke auf. Veröffentlicht wurden die zuvor verbotenen und unbekannten Bücher – und es schien damals, dass, wenn so viele wahre Worte gleichzeitig gedruckt und gelesen werden, es keine Rückkehr in die schreckliche Vergangenheit mehr geben konnte.

Dies, so schien es, war das Ende vom Ende, der letzte Akt des historischen Dramas, das Russland im 20. Jahrhundert durchlebte.

 

Bei uns zu Hause wurden die Bücher nicht weggeworfen, sondern aufs Land verbannt, wo sie auf dem Dachboden der Datscha ihr Dasein fristeten und ihrem Ende entgegensahen.

Ihren Platz in den Regalen nahmen neue ein, aber der Platz reichte nicht aus, und meine Eltern besorgten sich irgendwo ausrangierte Schränke. Ich verstehe bis heute nicht, aus welchen Mitteln die Bücher gekauft wurden, denn die Geldentwertung schritt rapide voran, und die Löhne wurden nur noch unregelmäßig gezahlt; die Bücher schienen sich von selbst einzufinden und den Rückstand von siebzig Jahren aufholen zu wollen.

Ich kannte weder Titel noch Namen, ich griff wahllos nach dem einen oder anderen und las aufs Geratewohl; es war, als würde ich bei einem Festgelage von Erwachsenen heimlich ein Glas Wodka trinken: Erschrecken, quälendes Verlangen, Schwindel, ein Nebelschleier von Worten und Bedeutungen.

Und dann brachte mein Vater eines Tages eine weitere Novität mit und stellte sie ins Regal, ein Hardcover mit Schutzumschlag.

Mark Aldanow.

«Der Anfang vom Ende».

Darunter eine geschwungene Vignette mit dem Schriftzug: Erscheint erstmals in Russland.

 

Darin, wie ein Buch seinen Leser findet, wie es zum Lesen einlädt, liegt etwas Geheimnisvolles und Intimes, es geschieht dies in einem Spannungsfeld seltsamer Spiele, wo sowohl komische Momente als auch schicksalhafte Anziehungskraft ihren Platz haben.

In diesem Fall gab es ein komisches Moment.

Meine Eltern waren Geologen und hatten mehrere Jahre lang im Aldan gearbeitet, so heißt ein riesiges Hochgebirge in der Taiga Ostsibiriens, ein Gebiet mit Permafrost und Gulag-Lagern.

Und ich dachte, dass der Autor, Aldanow, von dort stammte, dass das ein Buch über die Taiga und Abenteuer à la Jack London wäre – leichter und zugänglicher als so schleierhafte und unnahbare Schriftsteller wie Nabokov oder Samjatin.

Natürlich stellte sich schon nach den ersten Seiten heraus, dass das Unsinn war, ein Irrtum, aber das Buch hatte mich bereits gepackt und ließ mich nicht mehr los, es hatte mir diese Kopfnuss verpasst, diese Formel ins Bewusstsein gepflanzt: Der Anfang vom Ende.

Der Titel ging mir nicht mehr aus dem Kopf und bot sich beharrlich als bitteres Motto der Epoche an: Der Anfang vom Ende.

Und es war auch schon eine andere Zeit.

Die russische Armee führte bereits ein halbes Jahr Krieg in Tschetschenien.

Im Winter hatte es den Sturm auf Grosny gegeben, der die Stadt in verkohlte Ruinen verwandelt hatte. Auf den Straßen ausgebrannte Panzer, tote Bäume, Tausende von getöteten Zivilisten, in den Nachbarrepubliken Hunderttausende von Flüchtlingen.

Das tschetschenische Volk war im 19. Jahrhundert unter hohem Blutzoll vom russischen Imperium unterworfen worden. Unter Stalin kehrte die staatliche Gewalt zurück: 1944 wurden alle Tschetschenen nach Kasachstan deportiert, in Steppen und Wüsten, ungeheuer viele starben auf dem Weg in die Verbannung, und erst zwanzig Jahre später erhielten sie das Recht, in ihre Heimat zurückzukehren.

Und nun, 1994, genau ein halbes Jahrhundert später, wiederholten sich die sowjetischen Verbrechen, erfolgte der erste Schritt auf dem langen Weg zur versuchten Wiederherstellung des Imperiums und zur Invasion der Ukraine.

Ich habe Aldanows Roman damals unter diesem Blickwinkel gelesen: als ein Werk, das den Mechanismus einer moralischen und historischen Katastrophe erforscht.

 

Die Handlung spielt Mitte der Dreißigerjahre, als die UDSSR in die düsterste Zeit ihrer Geschichte eintrat, die Zeit des Großen Terrors. Hier gibt es einen interessanten ethischen Aspekt: Die Untaten selbst, alle nur denkbaren Schrecken, sind bereits geschehen. Die alten Eliten sind vernichtet, Millionen von Bauern in der Ukraine, Russland und Kasachstan durch Zwangskollektivierung und künstlich herbeigeführte Hungersnöte umgekommen, persönliche Freiheiten sind abgeschafft, die Kirche ist in den Untergrund gedrängt worden.

Aber der letzte Akt, das Zeichen des endgültigen Zerfalls – obschon der Staat immer stärker wurde –, war jener Moment, da die Bolschewiki sich untereinander zu vernichten begannen.

Es ist dieser Moment, den Aldanow als Ausgangspunkt nimmt: Der Anfang vom Ende.

Es ist der Moment, in dem die sensibelsten und intelligentesten unter den Roten – entgegen ihrer eigenen eisernen Überzeugung – verstehen, wohin der bolschewistische Umsturz Russland geführt hat. Aber als sie es begreifen, haben sie weder die Kraft noch die Mittel, Widerstand zu leisten; sie ergeben sich resigniert, verwüstet und enttäuscht in ihr Schicksal.

Und Aldanow versucht nachzuzeichnen, wie sich in den Menschen, die sich der Macht und der Idee verschrieben haben, bohrender Zweifel breitmacht. Es ist nicht die Stimme des Gewissens, nein. Es ist eher ein seltsamer Blick ins eigene Innere, ein Gefühl des Ekels, sie scheinen die Orientierung verloren zu haben, wie nach einem Knock-out, alles, was sie getan haben, kommt ihnen furchtbar sinnlos vor.

Die Vergangenheit ist entwertet, eine Zukunft gibt es nicht.

Es ist der Anfang vom Ende.

 

Das tatsächliche Ende des Sowjetregimes kam ein halbes Jahrhundert nach der von Aldanow beschriebenen Zeit. Der zeitliche Abstand scheint zu groß, um ernsthaft annehmen zu können, der Anfang vom Ende hätte in der Mitte der Dreißigerjahre gelegen.

Und die UDSSR brach auch eher aus wirtschaftlichen Gründen zusammen; das sowjetische Projekt hatte sich erfolgreich selbst «verschlungen», alle verfügbaren Ressourcen verbraucht: Ende der Achtzigerjahre stand das ganze Land in endlosen Schlangen nach dem Lebensnotwendigsten an, ob nach Seife oder Sonnenblumenöl. Damals schien es – ich erinnere mich gut an diese Eindrücke aus meinen Kindertagen –, dass plötzlich und unwiderruflich alles aufgebraucht war: alle Waren, alle Dinge, übrig war nur die offensichtliche und eindrückliche Leere der Ladentische und Schaufenster.

Die Filmrolle war abgespult.

Die Leinwand leer.

Aber es gab noch eine andere Ressource, die für den sowjetischen Staat von entscheidender Bedeutung war und die ebenfalls zur Neige ging – oder zumindest zur Mangelware geworden war: die Angst.

Es war die in den Dreißigerjahren entstandene Angst gewesen, die das Land ein halbes Jahrhundert lang zusammengehalten hatte.

Eine Angst (oder die Erinnerung an sie), die stillschweigend über Generationen hinweg weitergegeben wurde.

In der offiziellen Ideologie war die Sowjetunion der Zukunft zugewandt, während alle anderen politischen Systeme als Rudimente der Vergangenheit betrachtet wurden.

Doch in Wirklichkeit wurde die UDSSR von ihrer eigenen unheilvollen Vergangenheit verfolgt. Man versuchte, diese Vergangenheit zu verbergen, auszulöschen, das eine oder andere einzuräumen, indem man alle Schuld auf Stalin abwälzte, wie es Chruschtschow während der...

Erscheint lt. Verlag 13.6.2023
Übersetzer Andreas Weihe
Vorwort Sergej Lebedew
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1930er Jahre • Abendländische Philosophie • Demokratieabbau • demokratische Ideen • Eigensinnige Ansichten • Europäische Geschichte • Europäische Kultur • Exil/Emigration • Frankreich • Gesellschafsroman • Jüdische Schriftsteller • Klassiker der Weltliteratur • Kommunismus • Michail Bulgakow • Moralischer Verfall • Nationalsozialismus • Osteuropäische Literatur • Paris • Russische Literatur • russischer Exil-Autor • Sergej Lebedew • Sowjetischer Schriftsteller • Sowjetunion • sozialpolitischer Roman • Stalinismus • ukrainischer Autor • Vladimir Nabokov • Wassili Grossman • Wiederentdeckete Literatur
ISBN-10 3-644-01555-4 / 3644015554
ISBN-13 978-3-644-01555-5 / 9783644015555
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