Banksy und der blinde Fleck (eBook)
320 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31126-6 (ISBN)
Bernhard Jaumann, geboren 1957 in Augsburg, arbeitete nach dem Studium als Gymnasiallehrer. Zurzeit lebt er in Bayern und Italien. Er schrieb mehrere Krimiserien, für die er vielfach ausgezeichnet wurde, u.a. mit dem Friedrich-Glauser-Preis für den besten deutschsprachigen Kriminalroman 2003 und für die beste Kurzgeschichte 2008. Für seinen Roman »Die Stunde des Schakals« erhielt er 2011 den Deutschen Krimipreis. Seit 2018 erscheint bei Galiani seine Krimireihe um die Münchner Kunstdetektei von Schleewitz, deren ersten beiden Bände von der Presse als »raffiniert konstruierte Unterhaltung« (NDR) und »große Kunst« (Berliner Zeitung) gelobt wurden.
Bernhard Jaumann, geboren 1957 in Augsburg, arbeitete nach dem Studium als Gymnasiallehrer. Zurzeit lebt er in Bayern und Italien. Er schrieb mehrere Krimiserien, für die er vielfach ausgezeichnet wurde, u.a. mit dem Friedrich-Glauser-Preis für den besten deutschsprachigen Kriminalroman 2003 und für die beste Kurzgeschichte 2008. Für seinen Roman »Die Stunde des Schakals« erhielt er 2011 den Deutschen Krimipreis. Seit 2018 erscheint bei Galiani seine Krimireihe um die Münchner Kunstdetektei von Schleewitz, deren ersten beiden Bände von der Presse als »raffiniert konstruierte Unterhaltung« (NDR) und »große Kunst« (Berliner Zeitung) gelobt wurden.
2
Im Münchner Anzeiger war nur ein Standbild abgedruckt, doch es dauerte nicht lang, bis Max unter der Instagramadresse @banksygoesmunich das ganze Video gefunden hatte. Es hatte eine Länge von knapp drei Minuten und begann mit einer Nahaufnahme von zwei Händen, die sich blaue Gummihandschuhe überstreifen und ein paar Spraydosen in eine Tasche packen. Ein harter Schnitt zu einer neuen Einstellung: nachts, draußen, schlecht beleuchtete städtische Wohngegend. Untermalt von bayerischer Blasmusik, kommt ein heller Lieferwagen am Straßenrand zum Stehen. Die Fahrertür öffnet sich. Von dem aussteigenden Mann ist nur die untere Hälfte zu sehen, Sneakers, dunkle Arbeitshose und die an einer Hand baumelnde Tasche. Der Mann biegt in eine Hofeinfahrt ein. Im Licht einer Taschenlampe zeigt sich links ein Kellerabgang, rechts ein Garagentor, und über die Szene legt sich der Schriftzug The Ultimate Munich Experience.
Eine Hand schüttelt eine Spraydose, und dann wechselt die Abspielgeschwindigkeit. Im Zeitraffer wird gezeigt, wie ein gelochter Karton auf die Holzbretter des Garagentors geklebt und schwarz besprüht wird. Ein zweiter Karton folgt, wird abgerissen, fällt zu Boden, ein dritter wird schräg angelegt. Dann wird mit weißer Farbe frei Hand gesprüht, ein Kringel, eine Zickzacklinie, doch noch ist das Motiv nicht zu erkennen. Die Farbdosen werden achtlos in die Tasche geworfen, eine Hand ergreift deren Henkel, und der Film verlangsamt wieder auf normale Geschwindigkeit. Die Beine des Manns verschwinden aus dem Bildausschnitt, die Kamera schwenkt zum Garagentor zurück und fährt über eine Ratte, die hinter einer Art Kanone steht. Der Blick wandert längs des schräg nach oben gerichteten Rohrs weiter, streicht über unberührte Bretter und erfasst endlich einen Helikopter. Nein, es sind zwei, drei mit Raketen bestückte Kampfhubschrauber, die sich im Anflug befinden. Jetzt sieht man das ganze Graffito in der Totale. Die hinter dem Flugabwehrgeschütz verschanzte Ratte scheint fest entschlossen, einen Luftangriff abzuwehren. Rechts hängt Efeu über einer Hofmauer. Die unteren Ranken bewegen sich sacht im Wind. Das Videobild steht ein paar Sekunden, bevor die Aufnahme endet.
»Wollt ihr es noch einmal sehen?«, fragte Max.
Klara sagte nichts. Rupert fragte: »Habt ihr die Musik erkannt? Das war In München steht ein Hofbräuhaus. Oans, zwoa, g’suffa.«
»Frech«, sagte Klara, »und ziemlich ungeschickt, wenn man die Echtheit des Videos vortäuschen will. Ich glaube nicht, dass Banksy mit dem Oktoberfestliedgut vertraut ist.«
Max sah das genau umgekehrt. Niemand würde ein solches Lied verwenden, wenn er Banksy nur imitieren wollte. Max sagte: »Er war nicht allein unterwegs. Irgendwer muss das Video ja gedreht haben, vielleicht ein freier Mitarbeiter aus München mit speziellem Humor.«
»Und warum ist es nicht auf Banksys offiziellem Kanal veröffentlicht worden?«
Das war in der Tat rätselhaft. Max wusste momentan keine Antwort, aber das bedeutete nicht, dass es keine gab. Fakt blieb, dass das Video abgesehen vom Soundtrack absolut den anderen glich, mit denen Banksy seine Aktionen zu verifizieren pflegte. Max klickte noch einmal auf Play und stellte den Ton etwas leiser.
»Kannst du herausfinden, wer hinter dem Instagramaccount steckt?«, fragte Rupert.
»Nur, wenn du mich in irgendeine Geheimdienstzentrale einschleust«, sagte Max.
»Ich verstehe das Ganze nicht.« Klara schüttelte den Kopf. »Wieso soll das Hofbräuhaus-Lied eine Kriegsszene begleiten? Und was hat die Ratte mit dem Luftangriff zu schaffen?«
»Banksy hat ganz ähnliche Kampfhubschrauber schon öfter verwendet«, sagte Max. »Zwar eher in ursprünglich idyllischen Landschaftsbildern auf Leinwand, aber …«
Rupert unterbrach ihn. »Die Münchner Sicherheitskonferenz. In knapp drei Wochen fliegen wieder Militärs und Außenpolitiker aus aller Welt ein. Und wie jedes Jahr werden die Linken massiv dagegen protestieren. Die Polizei sperrt großflächig ab, die Demonstranten versuchen durchzubrechen, auf Sprechchöre folgen Gerangel, Schlagstockeinsätze, Platzwunden. Dazu würde eine antimilitaristische Sprayaktion gut passen.«
»Aber dann am Bayerischen Hof, wo die Konferenz stattfindet«, sagte Klara.
»Am Hotel war es wohl zu riskant«, sagte Max. »Da wimmelt es sicher von Kameras. Den Ersatzort erklärt vielleicht der Straßenname. Laut Münchner Anzeiger wurde in der Schießstättstraße gesprüht. Schieß…stätt.«
»Na ja«, sagte Klara.
Was wollte sie denn? Im Grunde war es doch egal, wo das Graffito angebracht worden war, solange Banksy dafür verantwortlich zeichnete. Max klickte auf Pause und sagte: »Immerhin haben wir ein Werk, das verdammt nach Banksy aussieht, und ein Bekennervideo. Der Anzeiger hält beides für echt.«
»Unser Sensationsblatt, klar«, sagte Klara. »Ich habe übrigens gestern noch die zuerst aufgetauchte Ratte in der Balanstraße besichtigt. Der Sprayer ist auch dort nicht beobachtet worden, aber von den Anwohnern habe ich trotzdem Interessantes erfahren: Die haben nämlich mitnichten die Zeitung informiert. Diese Lydia Sommer vom Anzeiger ist von sich aus auf sie zugekommen und hat gefragt, ob sie die Ratte an der Hausmauer für ein Banksy-Werk halten.«
»Willst du damit sagen, sie selbst hat dort gesprüht?«
»Kaum, sie wird die Ratte zufällig entdeckt haben. Aber sie und ihre Redaktion haben die Story dazu erfunden und bewusst aufgebauscht.«
»Das ist ihr Geschäftsmodell«, sagte Rupert. »Es ändert nichts daran, dass München tatsächlich voller angeblicher Banksy-Graffiti ist.«
Oder eben echter. In dem Fall würde sich Banksy schon mindestens drei Wochen da draußen herumtreiben. Im Umkreis von ein paar Kilometern. Max fragte: »Wenn ihr Robin Gunningham wärt, wo würdet ihr unterschlüpfen?«
»Du glaubst, Gunningham ist Banksy?«
»Ich bin mir sicher«, sagte Max und unterschlug dabei die fünf Prozent Zweifel, die er noch hatte. »Aber was meint ihr: Hotel, Airbnb, in einer Privatwohnung bei Künstlerkollegen?«
»Wenn du nur die Hotels abklappern willst, bist du schon ewig beschäftigt«, sagte Klara.
»Ein Hotel halte ich für unwahrscheinlich. Er wird eine Art Werkstatt brauchen.« Rupert schien Gefallen an Max’ Idee zu finden. Es wäre ja auch der Hammer, wenn die Detektei den Mann aufspüren könnte, der seit Jahren erfolglos von aller Welt gesucht wurde.
»Für mich ist das verlorene Zeit«, sagte Klara.
Rupert deutete auf das Standbild im Computer und sagte: »Hier fährt er im Lieferwagen vor, aber bei den letzten bestätigten Videos ist er immer im Camper unterwegs gewesen.«
»Und?«
»Wintercamping?«
Da hatte der Chef ausnahmsweise eine gute Idee, das musste Max ihm lassen. Er googelte schnell nach den Campingmöglichkeiten in der näheren Umgebung.
»Und wir schauen uns mal das Graffito in der Schießstättstraße an«, sagte Rupert. »Oder, Klara?«
Max sah kaum vom Computer auf, als die beiden das Büro verließen. Wintercamping. Im Umland gäbe es sicher noch mehr zu finden, aber in München waren nur der Platz am Langwieder See und Camping Nord-West ganzjährig geöffnet. Dort konnte Max doch mal sein Glück versuchen.
In der Woche vor dem Dementi konnte Klara beobachten, wie sich die öffentliche Meinung überraschend schnell vereinheitlichte. Ob die skeptischen Stimmen gänzlich verstummten oder nur unbeachtet blieben, war schwer zu beurteilen, es schien aber so, als sei mit dem Auftauchen des Bekennervideos ein Schalter umgelegt worden. Was vorher gegen Banksys Tätigkeit in München gesprochen hatte, wurde nun einfach ausgeblendet, obwohl es ja keineswegs widerlegt worden war. Klara war keine Psychologin, doch sie wusste, dass Menschen einen solchen blinden Fleck in der Wahrnehmung nicht als Lücke oder Defizit begriffen, sondern ihn gern mit passenden Vorstellungen zu einem vollständigen Bild ergänzten.
Der Münchner Anzeiger jedenfalls konnte seine Genugtuung kaum verbergen und nahm das Video als endgültige Bestätigung dessen, was man schon immer gewusst habe. Aber auch über die regionalen Medien hinaus waren die Worte angeblich und vermeintlich in Zusammenhang mit den Münchner Graffiti plötzlich verpönt. Selbst die vorsichtigsten Feuilletonbeiträge wagten es höchstens noch, vom mutmaßlich in Bayern aktiven Banksy zu sprechen.
Oben auf der Welle schwammen die lokalen Kunstkenner und Kunstmarktinteressierten mit. Sie diskutierten den ästhetischen Wert der neu entstandenen Werke und stritten darüber, ob Banksy sich damit selbst epigonalisiert habe oder eine neue, höchst interessante künstlerische Strategie verfolge. Nur seine Autorenschaft stellte keiner ernsthaft in Frage, was natürlich auch an der Eigendynamik der Fachdiskussion lag. Denn je mehr die Experten in steile Thesen und theoriegesättigte Argumente investierten, desto weniger mochten sie akzeptieren, dass sie sich womöglich an den Schmierereien eines namenlosen Vorstadtjugendlichen abarbeiteten.
Dass auch Frau Zimmermann in solchen Kreisen verkehrte und sich von ihnen nur zu gern in der erhofften Richtung bestätigen ließ, war nachvollziehbar. Dennoch kam es ein wenig überraschend, als sie schon am zweiten Tag nach der Veröffentlichung des Videos den Vertrag mit der Detektei von Schleewitz kündigte. Da sich Banksy selbst offenbart habe, sei der ursprüngliche Auftrag nun gegenstandslos. Sie danke für die bisherigen Bemühungen, sehe jedoch nicht ein, überflüssige...
Erscheint lt. Verlag | 1.2.2023 |
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Reihe/Serie | Kunstdetektei von Schleewitz ermittelt | Kunstdetektei von Schleewitz ermittelt |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Banksy • Bayern • Detektiv • Graffiti • Guerillakunst • Jaumann • Krimi • Krimireihe • Kunst • Kunst-Aktionen • Kunstbetrieb • Kunst-Betrieb • Kunstfälschung • Kunst-Krimi • München • Privatdetektiv • Street Art |
ISBN-10 | 3-462-31126-3 / 3462311263 |
ISBN-13 | 978-3-462-31126-6 / 9783462311266 |
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