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Liebes Arschloch (eBook)

Spiegel-Bestseller
Roman
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
336 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31162-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Liebes Arschloch -  Virginie Despentes
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Mit der ihr eigenen Verve und Sprachgewalt nimmt sich Despentes der Themen unserer Zeit an - #MeToo und Social Media, Drogen, Machtmissbrauch, Feminismus. Ungeschönt, aber nicht unversöhnlich hält Despentes unserer Gesellschaft den Spiegel vor. Rebecca, Schauspielerin, über fünfzig und immer noch recht gut im Geschäft. Oscar, dreiundvierzig, Schriftsteller, der mit seinem zweiten Roman hadert, und Zoé, noch keine dreißig, Radikalfeministin und Social-Media-Aktivistin.  Diese drei, die unterschiedlicher nicht sein könnten, treffen nach einem verunglückten Instagram-Post Oscars aufeinander. Wie? Digital. Und so entsteht ein fulminanter Briefroman des 21. Jahrhunderts, in dem alle wichtigen gesellschaftlichen Themen unserer Zeit verhandelt werden. Rebecca, Oscar, Zoé, alle drei sind vom Leben gezeichnet, voller Wut und Hass auf andere - und auf sich selbst. Aber sie müssen erkennen, dass diese Wut sie nicht weiterbringt, sondern nur einsamer macht, dass Verständnis, Toleranz und sogar Freundschaft erlernbar und hin und wieder sogar überlebenswichtig sind.  Mit dieser Tour de Force durch gesellschaftliche Debatten und Konflikte behauptet Virginie Despentes klar ihre Position als eine der wichtigsten Autor*innen Frankreichs, die Wut und Aggression gekonnt einsetzt, um Versöhnung zu predigen. Ganz große Literatur.

Virginie Despentes, Jahrgang 1969, zunächst bekannt als Autorin der »Skandalbücher« »Baise-moi - Fick mich« und »King Kong Theorie«, hat sich spätestens mit ihren Vernon-Subutex-Romanen in den Olymp der französischen Schriftsteller:innen geschrieben. Sie ist eine der wichtigsten literarischen Stimmen Frankreichs. Ihr Roman Apocalypse Baby wurde mit dem Prix Renaudot ausgezeichnet.

Virginie Despentes, Jahrgang 1969, zunächst bekannt als Autorin der »Skandalbücher« »Baise-moi – Fick mich« und »King Kong Theorie«, hat sich spätestens mit ihren Vernon-Subutex-Romanen in den Olymp der französischen Schriftsteller:innen geschrieben. Sie ist eine der wichtigsten literarischen Stimmen Frankreichs. Ihr Roman Apocalypse Baby wurde mit dem Prix Renaudot ausgezeichnet. Ina Kronenberger übersetzt aus dem Norwegischen und Französischen, vornehmlich Belletristik. Zu den von ihr übersetzten Autor*innen gehören Per Petterson, Nina Lykke, Philippe Claudel und Anna Gavalda. Tatjana Michaelis studierte Literaturwissenschaft und war Lektorin in einem literarischen Verlag. Heute arbeitet sie als freie Lektorin und Übersetzerin.

Inhaltsverzeichnis
REBECCA

Bist du nicht ein bisschen bekloppt bei der Wahl, wem du auf die Pelle rückst? Wo die echten Soziopathen instinktiv das richtige Opfer finden, bist du als perverser Narzisst offenbar minderbemittelt. Von allen Frauen im Verlagswesen hast du dir die Einzige ausgesucht, die mit ihren feministischen Statements im Netz ein Riesending gelandet hat.

Beschwer dich nicht, sie ist nicht zu den Bullen gegangen. Bei den jungen Dingern heute hast du den Eindruck, das Polizeirevier ist ihr Zweitwohnsitz, so oft schauen sie dort vorbei. Zoé Katana erhebt ihre Stimme, es wird nicht ganz klar, was du ihr angetan hast, aber sie hat es übel genommen. Das ist nur fair, du hast ja überall gesagt, du bist links, eigentlich müsstest du es prima finden, wenn Frauen, die sich nie zu Wort gemeldet haben, endlich sagen, was sie denken.

Und Werbung ist in jedem Fall gut. Ziemlich retro, das zu sagen, und ich weiß aus Erfahrung, wie unangenehm es ist, wenn man eins auf die Fresse kriegt. Aber es stimmt. Als Personen des öffentlichen Lebens sind wir wie die Metallpfosten auf dem Trottoir. Die Leute benutzen dich, um etwas aufzuhängen, auf dich zu pinkeln, sich anzulehnen, auszuruhen oder zu kotzen. Sie machen, was sie wollen. Wichtig ist, dass dein Metallpfosten in einer belebten Straße steht. Und wenn du lange genug durchhältst, bist du ihnen irgendwann sympathisch. Das Problem im Netz ist bloß, dass die, die dich mögen, es nicht so laut von den Dächern schreien müssen wie die, die dich am liebsten hängen sehen würden.

Aber damit das klar ist, wenn du mir lange Briefe schreibst, weil du hoffst, dass ich dich öffentlich verteidige, vergiss es. Auf keinen Fall werde ich meine feministischen Fans verärgern, um einen Arsch wie dich zu verteidigen. Du bist Schriftsteller, du brauchst bloß zu schreiben. Ich habe gesehen, dass du dich in Interviews hier und da beklagt hast, aber nicht, dass du deine Version der Dinge veröffentlicht hättest, wo auch immer.

 

Zugegeben, diese Zoé ist ganz lustig, ich verstehe, dass sie Erfolg hat. Diese Generation ängstigt sich schnell. Und sie schämt sich nicht, es zuzugeben.

Warum auch. Meine Generation glänzte im Aushalten. Uns hat man gesagt, »keine feministischen Anwandlungen, sonst macht er schlapp«, und wir haben geantwortet, »kein Problem, Papa, ich werde niemandem mit meinen kleinen Nöten auf den Wecker gehen«. Aber ich habe gesehen, wie rings um mich die Frauen eine nach der anderen zerbrochen sind. Und dass es in würdevollem Schweigen geschah, hat uns auch nicht weitergebracht.

Ich fand, dass das Spiel zu meinen Gunsten lief, und habe es mit Begeisterung gespielt. Ich musste mich nicht anstrengen, um die Männer zu lieben, und sie haben das erwidert. Aber heute bin ich fast fünfzig. Und mein Problem ist nicht, dass sie mich weniger lieben als früher. Sondern dass ich sie weniger reizvoll finde. Ihr seid einfach nicht auf der Höhe. Man muss sich die ganze Zeit um euch kümmern, euch beruhigen, euch verstehen, euch unterstützen, euch pflegen. Das ist zu viel Aufwand. Sie haben recht, die jungen Dinger, eure Männlichkeit ist fragil.

 

Abgesehen davon fand ich die Geschichte von deinem Theatermonolog und deine Probleme als Schriftsteller, der nicht schreibt, ermüdend. Als ich zehn Jahre jünger war, hat sich jeder getraut, mich anzusprechen und mir etwas anzubieten. Und Typen wie du hatten keinerlei Hemmungen. Du brauchst mir nicht die Liste deiner Probleme herunterzubeten, um mir zu erklären, warum mir fast niemand mehr Arbeit gibt. Wenn es darum geht, mich zu entspannen, ich bin so was von entspannt, ich habe genügend Zeit zum Ausruhen. Ich könnte sogar eine tote Sprache lernen, so viel freie Zeit habe ich. Ich bin Schauspielerin. Ich lebe von der Aufmerksamkeit der anderen. Ich will gern mit Gleichmut reagieren, mir sagen, so läuft das eben. Aber komm mir nicht auf die Mitleidstour, dass du nur darum nicht mehr für mich schreibst, weil du Konzentrationsprobleme hast. Fünfzig ist vielleicht alt für eine jugendliche Liebhaberin, aber zu jung, um zu verschwinden. Ich will nicht jammern, und du weißt, dass ich es niemals in der Öffentlichkeit tue. Okay, so läuft das eben. Es ging, solange es gehen musste, ich kann mich nicht beklagen, zumindest war ich mal ganz oben. Aber du darfst mich nicht für blöd halten. Du hast deshalb nicht mehr für mich geschrieben, weil du weißt, dass jeder Theaterdirektor – privat oder öffentlich, das macht keinen Unterschied – dir raten wird, mit einer Schauspielerin zu arbeiten, die Größe 34 hat und nicht weiß, was ein Videorekorder ist. Es kümmert keinen, ob ich noch einen Saal füllen kann oder nicht. Es kümmert keinen, ob das Publikum mich noch sehen will. Es liegt nicht am Publikum, dass man für Frauen in meinem Alter nichts mehr schreibt. Das läuft nach einem anderen Gesetz.

Ihr bringt mich zum Lachen mit euren depressiven Klagen, »man kann nichts mehr sagen, man wird wegen jeder Kleinigkeit gecancelt, ein Unglück für unsere Zivilisation und unsere Kultur«. Willst du wirklich wissen, was es heißt, gecancelt zu werden? Dann sprich mit einer Schauspielerin in meinem Alter. Und dabei habe ich noch Glück gehabt, es war ein langsamer Abstieg. Für die meisten von uns beginnt diese Vorhölle schon ab dreißig. Und ich kenne keinen Schauspieler, der solidarisch wäre. Sie sind nicht schadenfroh, dass wir es so schwer haben. Wenn du ihnen im Restaurant begegnest, jubeln sie nicht, dass du ausgebootet wirst, während sie noch nie so viel gearbeitet haben. Aber es würde ihnen auch nicht einfallen zu sagen, »in diesem Film vögle ich ein junges Ding von zwanzig Jahren, ich bin fünfzig, engagieren Sie doch lieber eine gleichaltrige Kollegin, damit die nicht alle auf der Straße sitzen«. Sie wissen, dass sie in den Augen der Produzenten dann arme Loser wären. Ich habe meinen Agenten schon gefragt, »warum gibt man mir denn keine Männerrollen? Schau mal, ich bin glaubwürdiger in den männlichen Rollen als zwei Drittel der französischen Filmschauspieler …« Er hat bloß gelacht. Aber es war kein Scherz. Ich habe schon immer Ganoven geliebt – ich hatte mein ganzes Leben mit ihnen zu tun, ich weiß, worum es geht. Du kannst alles mit mir anstellen, in meinem Alter schreckt mich das nicht – wohingegen diese verweichlichten Herren Schauspieler … aber mich fragt keiner mehr. Weder mich noch die anderen. Als ich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand, wusste ich, es lag an meiner Schönheit. Ich wusste, mit fünfzig würde man mich wegen der Nacktszenen fallen lassen, Szenen, in denen die Figur nackt auf dem Bett telefoniert oder ein Bad nimmt oder in einem Hamam diskutiert. Damals konnte ich es kaum erwarten, die Drehbücher zu lesen, ohne mit dem Regisseur diskutieren zu müssen, »aber warum zieht sie sich aus, bevor sie ihre Grünpflanzen gießt?« Ich ahnte nicht, wie egal es ihnen wäre, dass ich mein Leben am Set und auf der Bühne verbracht hatte, dass ich wusste, was ich tat, dass ich eine Beziehung zum Publikum aufgebaut hatte. Irgendwie stellte ich mir wohl vor, die Dinge würden sich mit mir entwickeln. Das war nicht der Fall. Das ist einer der Gründe, wenn ich Zoé Katana lese, dass ein Teil von mir denkt, was ist bloß in die gefahren, und ein anderer Teil von mir weiß, sie hat recht. Die Dinge entwickeln sich nicht, wenn du sie nicht dazu zwingst.

 

In deiner Generation neigt ihr dazu, private Nachrichten in den sozialen Netzwerken auszubreiten, und da ich mir nicht sicher bin, ob du es kapiert hast, schreibe ich es explizit: Ich werde dir die Augen auskratzen, wenn du das, was ich dir schreibe, irgendwo verbreitest. Schau dich um in der Yellow Press, dann siehst du, dass ich mit den meisten meiner Ex auf gutem Fuß stehe und die toxische Männlichkeit liebe. Wenn ich also sage, »ich werde dir die Augen auskratzen«, ist das keine Redensart, sondern eine Drohung – ich werde in meiner Schutztruppe immer einen Boxer, einen Hells Angel oder einen Auftragskiller finden, der deine Adresse ausfindig macht und dir an dem Tag, wo du es am wenigsten erwartest, die Augen aus dem Kopf bläst und sie zum Frühstück verspeist.

OSCAR

Ich schreibe dir nicht in der Hoffnung, dass du mich öffentlich unterstützt. Ein Selfie von uns beiden zu posten, wie wir auf dem Jahrmarkt eine Waffel essen, wird nicht reichen, um mein Image aufzupolieren. Und dir würde es ganz sicher schaden. Ohne meine Ehre wiederherzustellen. Auf mich konzentriert sich der Hass der halben Bevölkerung dieses Landes. Das ist nicht gerecht, und ich wünsche niemandem eine solche Erfahrung. Ich hatte ein Auge auf eine Pressereferentin geworfen, es ist lange her. Wenn du heute meinen Namen bei Google eingibst, könntest du meinen, ich würde Kindergartenkinder während der Pause vergewaltigen.

Ich schreibe dir, weil ich mich verdammt einsam fühle, weil ich alles verloren habe und nirgends mehr Halt finde. Ich schreibe dir, weil ich seit zwei Wochen keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken habe, mir kein Koks reingepfiffen kein Ecstasy geschluckt an keinem Joint gezogen und keine Schlaftablette genommen habe und mich schwach fühle wie ein kleines Kind. Ich schreibe dir, weil es mir besser gefällt, über die Vergangenheit zu reden, als mich mit dem Scheißalltag abzuplagen.

 

Als ich dich neulich von Weitem im Straßencafé in der Rue de Bretagne sah, kam ich von einem Treffen der Narcotics Anonymous. Das zuzugeben ist mir peinlich, darum zwinge ich mich dazu. Ich habe Menschen, die sich nie zudröhnen, immer verachtet. Echte Kerle saufen Whisky, rauchen Tüten,...

Erscheint lt. Verlag 9.2.2023
Übersetzer Ina Kronenberger, Tatjana Michaelis
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Ängste • Briefroman • Drogen • Feminismus • Freundschaft • Instagram • metoo • Queer • Soziale Medien • Viginie Despentes
ISBN-10 3-462-31162-X / 346231162X
ISBN-13 978-3-462-31162-4 / 9783462311624
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