Sie haben Ihr Gebiss auf der Hüpfburg verloren (eBook)
336 Seiten
Harpercollins (Verlag)
978-3-7499-0531-7 (ISBN)
Willkommen im Haus Sonnenuntergang
Nur mit Mühe schafft es Pflegerin Sybille, den Betrieb in ihrem Seniorenheim zusammen mit ihren Kolleginnen am Laufen zu halten. Und dann taucht plötzlich auch noch Rüdiger Otterle, Nachfolger und Erbe des Heims und gelernter BWLer, auf. Der Neue hat zwar keinen Schimmer von Pflege, geschweige denn von Senioren, aber ein großes Ziel: Er möchte Haus Sonnenuntergang zum 'Heim des Jahres' machen.
Sybille setzt alles daran, ihr überarbeitetes Team zu motivieren. Neben dem täglichen Pflegewahnsinn muss sie zwischen den beiden verfeindeten Seniorengangs Bandidos und Rollator Angels schlichten, den verwirrten Senior Herrn Bellies im Moulin Rouge abholen und sich gegen Otterles verrückte Marketingideen zur Wehr setzen. Und dann ist da auch noch Sybilles Singleleben. Wo kriegt man einen Mann her, wenn zwischen Schichtdienst und beruflichem Engagement keine Zeit mehr bleibt? Richtig. Man nimmt seine Senioren einfach mit zum Speeddating. Das Chaos ist vorprogrammiert ...
<p>Hinter der »Pflägerin der Herzen« Sybille Bullatschek steckt die Comedienne und Comedyautorin Ramona Schukraft, die seit 2009 mit ihren Pflegeprogrammen deutschlandweit tourt und in Theatern, Heimen und auf Kongressen auftritt. Sie zählt in den Sozialen Medien mittlerweile über 21.000 Fans. Ihre Videos aus dem Haus Sonnenuntergang, die sie regelmäßig im Seniorenheim dreht, werden tausendfach geklickt, gelikt und geteilt. »Sie haben Ihr Gebiss auf der Hüpfburg verloren« ist Sybille Bullatscheks erster Roman.</p>
Kapitel 1
Alles auf Anfang – oder wie alles begann
Besprechungszimmer, 10.00 Uhr
Heute ist Meeting. Meeting mit Brainstorming. Brainstorming ist englisch und heißt so viel wie »Gehirnsturm«. Und damit unser Gehirn gut stürmt, sitzen wir alle im Besprechungszimmer. Ich weiß zwar nicht, warum unser Gehirn im Besprechungszimmer besser »stürmt« als im Aufenthaltsraum, aber wir fügen uns. Schließlich hat unser neuer Chef das angeordnet. Herr Otterle. Sorry, Herr Rüdiger Otterle. Blöder Name. Vornamen mit »ü« klingen meistens blöd. Wie Jürgen. Oder Günter. Aber der passt irgendwie zu ihm.
Ich habe viel erwartet. Ute hatte ihn schon vor ein paar Tagen auf dem Flur gesehen und rumerzählt, »der sieht fast aus wie der letzte James Bond!«. Find ich überhaupt net. Groß, schlaksig, dunkelblonde gewellte Haare und so eine Geiernase, die von vorne harmlos aussieht, aber im Profil an eine Hexe erinnert. Einen grauen Anzug hat er an mit einer lila Krawatte, auf der ineinander verschlungen seine Initialen gestickt sind: RO. Rüdiger Otterle.
Gerade als ich überlege, ob er wohl zu Hause eine Frau hat, die die Muße hat, mit flinken Fingern und silbernem Stickgarn eine lila Krawatte zu verzieren, flüstert Sascha: »Guckt mal, der rennt mit dem Logo von Röder/Oramed auf der Krawatte rum. Crazy! Und das nach dem Herzmittel-Skandal. Der traut sich was!« Dann haben wir ihm alle die ganze Zeit auf die Krawatte geglotzt und überlegt, ob es nun mutig oder armselig ist, mit der Krawatte eines Skandal-Pharmakonzerns rumzulaufen.
Die Pharma-Krawatte ist auch schuld, dass ich mich überhaupt nicht mehr konzentrieren konnte, »Wir sind jetzt eine Business Company im Health-and-Care-Sektor«, sagt Otterle, »und ein hervorragendes Self-Marketing sollte unsere Leading Ambition sein.« Vielleicht hat er auch was anderes gesagt, keine Ahnung. Niemand blickt bei dem Deutsch-Englisch mehr durch. Er hätte auch sagen können, dass wir jetzt »Nuclear Weapons« bei den Senioren »under the bed hiden«. Da hätten wahrscheinlich trotzdem alle genickt.
Dann hat er im Besprechungszimmer die Runde gemacht und jedem nacheinander die Hand gegeben. Na ja, fast jedem. Der Frau Berthold, die in der Küche mithilft, nicht. Gut, die hatte auch so rote Hände von den Erdbeeren, die sie kurz vorher geschnitten hat, und eine dreckige Schürze um. Die wollte ja eigentlich nur kurz Hallo sagen und hat ihm freundlich die Hand entgegengestreckt, aber da hat er seine ganz schnell auf dem Rücken verschränkt und ihr nur kurz zugenickt und »Freut mich, Frau, äh … Bertram!« genuschelt. »Frau Bertram! Frau Bertold!!!«
Da ist mir zum ersten Mal aufgefallen, dass er sich überhaupt keine Namen merkt.
Mich grinst er auch an. Aber nur weil der Eddy vom Pfleidelsheimer Tageblättle auf den Auslöser drückt. Den hat er übrigens persönlich eingeladen, damit alle im Ort wissen:
Das Seniorenheim hat jetzt einen neuen Chef. Einen tollen, neuen, dynamischen Chef. Einen mit vielen innovativen Ideen fürs Marketing. Das hat er im Interview immer wieder betont. INNOVATIV, das war sein Hauptwort. Die Evelyn und ich standen an der Glastür und haben gelauscht.
Da saß er dann im Besprechungszimmer, hat sich Kaffee bringen lassen, von seinen »Visionen« erzählt und ab und zu in einen Diabetikerkeks gebissen. Der Eddy vom Tageblättle hat immer nur genickt und irgendwas auf seinen Block gekritzelt.
Wahrscheinlich hat er bloß »Schwätzer« draufgeschrieben.
Der Otterle denkt, er ist was Besseres, nur weil er studiert hat. Marketing. An der London Business School. Das hat er, bevor die Presse kam, groß auf die neue Magnettafel geschrieben, die er mitgebracht hat. Oder »Flip-Chart«, wie er sagt. Mit einem blauen Edding: »Rüdiger Otterle, Head of Pflege«, und seinen Lebenslauf. »Head of Pflege« – selten so gelacht. Irgendjemand hat das Head später weggewischt und mit »Depp« ersetzt. Das hat er aber nicht mehr mitgekriegt, da saß er schon in seinem neuen Büro. Oder Office.
Zum Pressetermin mussten wir dann ein paar Senioren reinschieben, die mit aufs Foto sollten. »Aber nur die, die noch einigermaßen frisch aussehen und sich benehmen können«, hat er mir zugeraunt. Unverschämtheit! Unsere Senioren sehen alle fit aus! Wie sich schnell rausstellte, war das mit den Senioren keine gute Idee. Frau Spielmann fuhr aus Versehen mit dem Rollator über Otterles Fuß, woraufhin er sie angeblökt hat: »Passen Sie doch auf, wo Sie hinfahren!« Zum Glück hörte Frau Spielmann schlecht, guckte ihn bloß an und rief ganz aufgeregt: »Fahren? Wo fahren wir denn hin?« Der Kämmerer streckte dem Fotografen aus Spaß die Zunge raus, und als der Seifert wieder die Kriegsgeschichten rausgekramt hat, wurden die Senioren auf die Zimmer gebracht. Otterle hakte sich mit einem »Hach, alte Leute sind schon eigen!« beim Lohmüller unter und lenkte ihn auf den Flur.
Unser Heim ist das zweite Unternehmen, das er übernimmt. Das erste hat er angeblich gegen die Wand gefahren, hat mir die Evelyn unter vorgehaltener Hand erzählt. Er hat vorher in Finnland eine Firma für Eis und Fertiggerichte geleitet. Aber Eis läuft wohl in Finnland net so gut. Das hätte ich ihm auch sagen können. Da ist doch neun Monate im Jahr Winter. (Da braucht man nicht für studieren, um das zu wissen.)
Na ja, und jetzt haben wir ihn an der Backe. Eigentlich sollte ja der andere Sohn vom Herrn Otterle senior – das ist unser alter Chef – das Heim übernehmen. Aber der musste ablehnen, weil er sich der Aufgabe nicht gewachsen fühlt. Deshalb hat der Otterle senior notgedrungen an den drei Jahre jüngeren Rüdiger übergeben, damit »die Firma« in der Familie bleibt. Ganz wohl war ihm bei der Sache auch nicht, schließlich hat er sich mit dem Rüdiger nie gut verstanden. Ich mag den Otterle senior gern. Bei dem hab ich damals meine Ausbildung gemacht, Ende der 90er. Eine Seele von Mensch, aber mittlerweile selbst schon pflegebedürftig. Ins Heim wollte der aber nie. Der hat eine Bosnierin, die ihn zu Hause pflegt. »Ein Platz im Seniorenheim isch viel zu teuer, Frau Bullatschek!«, hat er mal gesagt. Schwabe halt.
Jetzt sitzen wir also im Besprechungszimmer beim Meeting. Ich sitz nicht gern im Besprechungszimmer. Die Stühle sind schlecht gepolstert, und nach zehn Minuten tut einem der Hintern weh, als hätte man drei Stunden auf einem Gaul ohne Sattel gesessen. Aber unser Hintern sitzt nicht lang. Wir haben ja gar keine Zeit. Wir müssen gleich Essen verteilen.
Der ovale Holztisch ist riesig. Fast so riesig wie die Möbel, die man manchmal im Fernsehen sieht, wenn sich irgendwo die Politiker treffen und was aushecken. Nur, dass bei uns nicht der Scholz, der Lindner oder der Lauterbach am Tisch sitzen. Schade eigentlich. Die sollten mal zu uns kommen, denen würd ich was erzählen! Was in der Pflege so los ist und dass wir endlich mehr Unterstützung und mehr Leute brauchen und eine bessere Bezahlung, damit der Beruf attraktiver wird. Und dann sollten sie mal eine Woche mitlaufen und net immer bloß fünf Minuten irgendwo reinschneien. Politiker, die interessieren sich doch gar net für uns. Dafür sitzt bei uns am Tisch jetzt der Herr Otterle. Auch net besser.
Zuerst begrüßt uns der Otterle wie immer ganz förmlich, guckt auf seine teure Armbanduhr und versichert, dass es nicht lang dauern wird, weil wir ja alle viel zu tun hätten (WIR!!!).
Beim Erzählen läuft er immer auf und ab und fuchtelt bedeutsam mit den Händen. Meistens guckt er ins Leere, wenn er was erzählt. Oder auf das Bild mit dem Schwan, das neben der Tür hängt. Das hat vor Jahren mal ein Senior gemalt und mir gewidmet. Als er es mir übergeben hat, hat er gesagt: »Frau Bullatschek, Sie sind wie ein Schwan. So groß und stolz. Sie verteidigen alles, was Ihnen lieb ist, und sehen dabei so harmlos aus, aber wenn Ihnen jemand blöd kommt, kann es sein, dass Sie ganz schön fest zubeißen!«
Nur ganz selten schaut er einen direkt an. Also, der Herr Otterle, net der Schwan. Er erklärt uns, dass es aus marketingstrategischer Sicht besser ist, dem Heim einen neuen Namen zu geben. Damit die Leute draußen wissen, dass hier jetzt ein neuer Wind weht. Und aus diesem Grund hat er eine große Werbeagentur aus Stuttgart beauftragt. »Image ist heutzutage alles, es geht um die Außenwirkung!«
Wir schauen ihn erwartungsvoll an. »Ich find den Namen Seniorenresidenz Otterle eigentlich ganz schön«, murmle ich. »Schön vielleicht, Frau Bullatschek, aber nicht effektiv! Wir brauchen was, das Emotionen auslöst! Was Großes! Ich dachte an BLUE SKY oder HEAVEN’S GATE!«
Da schaltet sich plötzlich Sascha ein, der neben mir sitzt und die ganze Zeit nur gelangweilt eine Papierserviette in Fetzen gerissen hat: »Heaven’s Gate war eine Sekte, die haben alle in den Neunzigern Selbstmord begangen!« Beim Wort »Selbstmord« guckt Otterle kurz irritiert auf den Schwan, und dann beginnt sein rechter Mundwinkel, unkontrolliert zu zucken. So als ob er lachen wollte, aber seine andere Gesichtshälfte gelähmt wäre.
Sascha weiß so was, der hängt die meiste Zeit am Tag im Internet. Er ist jetzt schon seit fünf Jahren bei uns. Angefangen hat er mal als Bufdi und wollte dann studieren, irgendwas mit Medien. Aber dazu ist es nie gekommen. Vielleicht auch ganz gut so. Er passt gar nicht ins Mediengeschäft mit seinen langen, zotteligen Rasta-Locken und seinen Armeehosen. Sascha trägt immer diese olivgrünen Armeehosen mit dem Tarnmuster. Dabei war er doch nie beim Bund. »Sybille, das sind die...
Erscheint lt. Verlag | 21.2.2023 |
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Reihe/Serie | Haus Sonnenuntergang | Haus Sonnenuntergang |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Comic / Humor / Manga |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Altenpflegerin • älter • AlterEgo • Altwerden • Buch • Bühnenshow • Comedian • das lustigste Pflegeheim • Debüt • Geschenk • Geschenkbuch • Geschenk für Ostern • grandparents • Großeltern • günter habicht • Haus Sonnenuntergang • Humor • lustige bücher rentner • Muttertag • offline-opa • Online-Omi • Ostern • Pflägekraft • Pflegeheim • Pflegerin • Renate Bergmann • Rentner • Satire • Senioren • Seniorenheim • seniors • Sozialer Brennpunkt • über • Wie • zu |
ISBN-10 | 3-7499-0531-2 / 3749905312 |
ISBN-13 | 978-3-7499-0531-7 / 9783749905317 |
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