Perry Rhodan Neo 297: Die Stunde des Protektors (eBook)
160 Seiten
PERRY RHODAN digital (Verlag)
978-3-8453-5497-2 (ISBN)
1.
Der Single Malt glänzte golden im Glas. Er war zwanzig Jahre alt und Cask Strength – genau nach Reginald Bulls Geschmack. Dennoch starrte er lediglich in das Whiskyglas, statt den edlen Tropfen anzurühren. Ihm ging zu viel durch den Kopf.
Obwohl Perry Rhodan, der Hoffnungsträger und ersehnte Heilsbringer vieler Menschen, im vorigen Monat wieder aufgetaucht war, fühlte sich Bull noch immer, als laste das Gewicht der Welt auf seinen Schultern – was es gewissermaßen auch tat, immerhin war er der Protektor des Solsystems und aller Kolonien.
Wenngleich die Erde und der Mond nach wie vor fern aller Gefahren im Akonsystem verweilten, trug er die Verantwortung für den Rest der Terranischen Union, hatte sie die ganzen Jahre getragen, hatte zum Wohl der Menschheit Kreide gefressen – nur um sich nach all dem wie ein Verräter zu fühlen.
Dabei wusste er ganz genau, dass sein Handeln während der fünfeinhalbjährigen Besatzung sinnvoll und logisch gewesen war, ja, dass er gar nicht anders gekonnt hatte, als mit Leticron und dessen Überschweren zu kooperieren.
Er wusste das, sein Freund Perry wusste das, die meisten seiner Verbündeten und sogar seine Gegner wussten das. Viele derer, die er eigentlich schützen hatte wollen, sahen es jedoch nicht ein. Es war nicht leicht, die meistgehasste Person im Sonnensystem und darüber hinaus zu sein.
Bull nahm nun doch einen großen Schluck und genoss das Aroma des Whiskys auf seiner Zunge. Das Zeug ist wirklich gut! Das Getränk stammte aus einer der letzten Flaschen, die ihm Conrad Deringhouse geschenkt hatte. Auf dein Wohl, alter Freund!
Er war nie der Typ gewesen, der zu Selbstmitleid neigte, und er konnte sich selbst nicht ausstehen, wenn er in dieser Stimmung war. Aber er konnte sich nicht helfen, an diesem Tag hatte er ein Gefühl, als ob etwas in der Luft läge.
»It's the end of the world as we know it ...«, summte er leise einen alten Song, der ihm plötzlich in den Kopf kam.
Er stand von dem Hocker auf, der zur Einrichtung seiner kleinen Wohnung gehörte. Sie war kein Vergleich zu dem Haus am Goshunsee auf der zurzeit so fernen Erde. Doch seit erst seine Töchter und später seine Frau Autum ausgezogen waren, war ihm jenes Anwesen ohnehin unsinnig groß vorgekommen. Nach Autums Tod hatte er es dort fast gar nicht mehr ausgehalten.
Die Wohnung auf dem Mars bestand im Wesentlichen aus lediglich zwei Hauptzimmern: einem Schlafraum und einem großen Wohn-Ess-Bereich, in dem es auch eine Küchentheke samt Barhockern gab. Anfangs hatte sich Bull in diesem Apartment nur zum Schlafen aufgehalten – manchmal nicht mal das. Wenn es besonders hektisch zuging, hatte er kein Problem damit, auf seiner Couch im Büro des Asaph Hall Buildings zu nächtigen, des primären Regierungsgebäudes auf dem Roten Planeten. Der Mars Council war zwar wenig angetan gewesen, hatte dem Protektor nach dem Verschwinden der Erde jedoch klaglos angemessene Amtsräume zur Verfügung gestellt.
Seit einiger Zeit war er zudem noch seltener in seinem Domizil, sondern verbrachte seine Freizeit vornehmlich in der Wohnung von Stella Michelsen. Die Administratorin der Terranischen Union, der TU, und Bull waren sich in den vergangenen Jahren nähergekommen. Ihre Beziehung war sogar so intensiv, dass sie überlegten, sie endgültig öffentlich zu machen – für die in privaten Dingen eher zurückhaltende Michelsen ein enormer Schritt.
Bislang war fast nur innerhalb der Regierungskreise bekannt, dass sie ein Paar waren; sogar das hatte schon zu Problemen geführt. Man hatte Michelsen Befangenheit vorgeworfen, wenn es um Bulls Person ging. Nicht nur deswegen hatten sie darauf geachtet, dass ihr Privatleben nicht an die breite Öffentlichkeit drang. Er wunderte sich ohnehin, dass es ihnen so lange gelungen war, dieses Geheimnis zu bewahren. Politische Gegner ließen sich eine solche Gelegenheit nur selten entgehen.
Im Moment jedoch war er allein. Michelsen hatte er seit Tagen kaum noch gesehen, nur im Flur zwischen irgendwelchen Terminen. Die aktuellen Geschehnisse hielten sie beide auf Trab.
Er wollte gerade zur Couch gehen und ein Trividprogramm aufrufen, um sich etwas abzulenken, als ihn das Akustiksignal einer Kommunikationsanfrage aufhorchen ließ.
»Wer ist das?«, fragte er die Wohnungspositronik.
»Olive Morford«, kam die prompte Auskunft.
Bull runzelte die Stirn. Das war Michelsens persönliche Assistentin. Warum meldete sich seine Partnerin nicht selbst, wenn sie ihn sprechen wollte? War etwas passiert? Er nahm den Anruf an, und vor ihm baute sich das Holobild einer jungen blonden Frau auf. Was das Äußere anging, war sie das komplette Gegenteil ihrer eher unauffälligen Chefin. Trotz Morfords meist knallrotem Lippenstift und des wenig dezenten Make-ups hielt Michelsen große Stücke auf ihre Assistentin, was Bull mal wieder daran erinnerte, dass er sich gern von Äußerlichkeiten täuschen ließ.
»Olive, nett, Sie zu sehen. Wie kann ich Ihnen helfen?« Bull stellte sein Glas auf dem Couchtisch ab. Er rechnete nicht damit, dass es um etwas so Profanes wie einen Sitzungstermin ging – diese wurden ihm automatisch an sein Multifunktionsarmband übermittelt.
Morford strich sich eine Strähne ihres toupierten Haars aus der Stirn. »Hallo, Mister Bull!« Bull hatte sie mehrfach aufgefordert, ihn Reginald zu nennen, doch sie ignorierte dieses Angebot immer wieder. »Ich habe den Auftrag, Ihnen eine Nachricht von Administratorin Michelsen zu übermitteln. Ehrlich gesagt, weiß ich auch nicht so recht, was ich davon halten soll ...« Sie klimperte mit den künstlichen, grünen Wimpern, was ihre Verwirrung unterstrich.
Die Beunruhigung in Morfords auffallend tiefer Stimme ging auf Bull über. Normalerweise war sie eine gelassene Person. »Lassen Sie hören!«
»Sie hat es als schriftliche Notiz auf meinem Schreibtisch hinterlassen, als sie heute Mittag gegangen ist. Das macht sie normalerweise nur, wenn es um irgendwelche Kleinigkeiten geht – neue Naschereien für den Besuchertisch besorgen zum Beispiel. Aber diese Nachricht ...« Nervös hielt sie einen kleinen, gelben Klebezettel in die Aufnahmeoptik.
»Sag Reg, dass ich ihn heute nicht sehen kann«, stand darauf.
Die wenigen Worte versetzten Bull in Alarmbereitschaft. Morford war eine der Personen, die über den Beziehungsstatus von Bull und Michelsen informiert waren. Dennoch war es seltsam, dass Stella eine solche Notiz einfach auf dem Schreibtisch ihrer Assistentin platziert haben sollte, wo jeder sie sehen konnte. Außerdem ...
Bull kniff die Augen zusammen. »Ist das wirklich Michelsens Schrift?«
»Das habe ich mich auch gefragt.«
Michelsen hatte eine sehr ordentliche, runde Handschrift. Diese Wörter indes waren gekritzelt und zackig. Dennoch, dieser kleine Haken am großen R, das war ein Merkmal ihres individuellen Schriftbilds.
»Haben Sie seither etwas von Stella gehört, Olive?«
»Leider nein. Sie hätte heute Nachmittag zwei Termine gehabt – ein Gespräch mit dem Exekutivkomitee des Mars Councils und eine Sitzung des Finanzausschusses. Zu beiden ist sie nicht erschienen. Sie hat sich nicht mal entschuldigt. Die Nachfragen deswegen sind bei mir gelandet, offensichtlich hat sie ihre Kommunikation auf mich umgestellt.«
Diese Auskunft irritierte Bull noch viel mehr. »Das ist nicht Stellas Art! Hat sie etwas gesagt, bevor sie gegangen ist?«
»Ich war gerade nicht an meinem Platz, als sie verschwunden ist. Ich dachte, sie sei zu einem privaten Termin unterwegs oder dass sie zu Tisch gegangen ist.« Morford knibbelte nervös an ihren überlangen, spitz zugefeilten und blau lackierten Fingernägeln. »Ich mache mir Sorgen, Mister Bull. Aber ich hatte keinen Anlass, etwas Ungewöhnliches zu vermuten.«
»Das weiß ich, Olive.«
»Soll ich den Sicherheitsdienst informieren? Heute ist allerdings einiges los, ich weiß nicht ...«
»Es ist bestimmt nichts Ernstes. Stella steht unter enormem Druck, vielleicht brauchte sie einfach etwas Ruhe.« Ich klinge fast, als ob ich das glaube. »Ich mache mich gleich mal auf dem Weg zu ihr und sehe nach, ob alles in Ordnung ist.«
Die Erleichterung war Olive Morford deutlich anzumerken. »Danke, Mister Bull. Sagen Sie ihr gute Besserung, wenn sie sich tatsächlich unwohl fühlen sollte.«
Wenige Minuten später war Reginald Bull unterwegs. Er überlegte kurz, ob er einen Dienstgleiter anfordern sollte, um ihn abzuholen. Aber bis das Fahrzeug sich beim aktuellen Feierabendverkehr zu seiner Wohnung durchgekämpft hätte, wäre er längst zu Fuß bei Michelsens Wohnung angekommen, die nur drei Straßen entfernt war.
Sobald Bull das Gebäude verlassen hatte, in dem sein Apartment lag, wurde ihm klar, dass es die richtige Entscheidung gewesen war. Die Zustände auf den Straßen von Bradbury Central waren chaotisch, was prinzipiell nichts Neues war.
Aber heute ist es besonders konfus. Es scheinen mehr Menschen als sonst unterwegs zu sein – die meisten zu Fuß.
Die ersten hundert Meter war er zu abgelenkt, um weitere Absonderlichkeiten zu bemerken. In Gedanken war er bereits bei Stella Michelsen und bereitete sich auf die unterschiedlichsten Szenarien vor, die ihn erwarten könnten.
War sie krank, verletzt, möglicherweise bewusstlos? Würde er sich gewaltsam Zugang zu ihrer Wohnung verschaffen müssen? Oder war sie womöglich gar nicht zu Hause, sondern zu einer unbekannten Verabredung aufgebrochen und deshalb bei den Terminen verhindert gewesen? Oder war mit ihr alles in Ordnung, und sie würde ihn mit ihren großen, braunen Augen erstaunt ansehen und in schallendes Gelächter ausbrechen, sobald...
Erscheint lt. Verlag | 2.2.2023 |
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Reihe/Serie | Perry Rhodan Neo |
Verlagsort | Rastatt |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
Schlagworte | Neo • Perry Rhodan • Perryversum • Science Fiction |
ISBN-10 | 3-8453-5497-6 / 3845354976 |
ISBN-13 | 978-3-8453-5497-2 / 9783845354972 |
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