Tödliche Allianz (eBook)
656 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-26794-0 (ISBN)
Präsident Jack Ryan kämpft an allen Fronten: Während es innenpolitisch in den USA hoch hergeht, rückt in Osteuropa Russland in die Ukraine vor. Dann gelangen zwei russische Atomraketen in den Iran. Hängt beides miteinander zusammen? Und was hat die neue iranische Rebellenbewegung damit zu tun? Die gibt sich zwar zunächst als Verbündeter aus, macht sich jedoch schnell höchstverdächtig. Langsam entwirren sich die Fäden eines perfiden Komplotts: Die globale digitale Kommunikation soll durch einen massiven Anschlag zerstört werden. Mit vereinten Kräften versuchen der Campus und Präsident Ryan die ultimative Katastrophe abzuwenden. Und die Uhr tickt ...
Tom Clancy, der Meister des Technothrillers, stand seit seinem Erstling Jagd auf Roter Oktober mit all seinen Romanen an der Spitze der internationalen Bestsellerlisten. Er starb im Oktober 2013.
2
Der Präsident der Vereinigten Staaten stellte die weiße Porzellantasse auf einen hölzernen Untersetzer an einer Ecke des Präsidentenschreibtisches, Resolute Desk genannt. Es mochte Leute geben, die überzeugt waren, Jack Ryan trinke seinen Kaffee aus den Hirnschalen seiner besiegten Feinde, aber die Wahrheit sah anders aus – der Akademiker und ehemalige Marine Jack Ryan senior zog es vor, seinen Kaffee aus einer leicht angeschlagenen, becherförmigen Porzellantasse zu trinken, deren Innenseite eine reiche Patina zierte, erzeugt von unzähligen Litern des schwarzen Gebräus, die durch diese Tasse geflossen waren. Zu dieser Tasse hatte Ryan heute jedoch erst später greifen dürfen, denn beim ersten Termin im Oval Office mit einem neu ernannten Kabinettsmitglied war zwangsläufig das offizielle Geschirr des Weißen Hauses verwendet worden, das sich beim obligatorischen Fotoshooting besser in Szene setzen ließ.
Doch jetzt war der Fotograf wieder gegangen. Ryan war hinter seinem Schreibtisch hervorgekommen und hatte sich auf einen der beiden Chippendale-Stühle gesetzt, die vor dem Schreibtisch standen. Ihm gegenüber saß Mark Dehart, der neue Heimatschutzminister. Die Sofas und gepolsterten Sessel, die mitten im Oval Office standen, waren zwar bequemer, hatten aber den Nachteil, dass die Leute darin förmlich versanken. Ryan war Dehart nur einmal kurz begegnet, unmittelbar nach dem letzten Dinner der im Weißen Haus akkreditierten Journalisten – eine spontan arrangierte Begegnung in einem winzigen Nebenzimmer im Washington Hilton, das nicht viel größer als eine Telefonzelle gewesen war. Es war eine Art Überfall aus dem Hinterhalt gewesen, wie es Befragungen des Oberbefehlshabers häufig waren. Ryan hatte Dehart weder Zeit noch Raum gelassen, nervös zu werden, aber jetzt kam ihm der Mann absolut unerschütterlich vor. Seine Augen glitzerten vor Begeisterung über sein erstes offizielles Gespräch mit seinem neuen Boss. Ryan gefiel das. Leute, die sich in ihrer Haut wohlfühlten, würden wahrscheinlich eher zu offener, ehrlicher Kritik oder unbequemen Ratschlägen bereit sein. Und ehrliche Kritik aus dem eigenen Lager bekam man nur selten zu hören, wenn man der wohl mächtigste Mann auf dem Planeten war.
An diesem Morgen hatte sich Ryan volle zwanzig Minuten für das Gespräch mit seinem neuen Minister frei gehalten. Für derartige Besprechungen im Oval Office war das eine kleine Ewigkeit, vor allem dann, wenn der Anlass nur eine freundliche Plauderei sein sollte.
Ryan nickte Dehart wohlwollend zu. »Ich muss mich entschuldigen, dass es so lange dauerte, bis Sie mich persönlich sprechen konnten.«
»Sie sind ein viel beschäftigter Mann, Mr. President«, antwortete Dehart. Er war einundsechzig Jahre alt, fit und schlank, mit den hungrigen Gesichtszügen eines Triathleten und kleinen Krähenfüßen an den Augenwinkeln, ein Zeichen, dass dieser Mann oft und gern lächelte. Ein blütenweißes Hemd betonte sein braunes, vom Wetter gegerbtes Gesicht, als würde er die ganze Freizeit, die ihm sein bisheriger Job als Kongressabgeordneter ließ, am Steuer eines alten John-Deere-Traktors verbringen und den Pflug über endlose Felder ziehen. Dehart stammte aus einer alten Pennsylvania-Familie mit holländischen Wurzeln; sein Vater und sein Großvater waren Milchbauern gewesen. Auch Dehart hatte mit »Milchgeld« sein Studium an der Pennsylvania State University finanziert und an der Carnegie Mellon seinen Master in Biologie gemacht. Er war Wissenschaftler mit Leib und Seele und ein gründlicher, analytischer Denker mit der Arbeitsethik eines Bauern – ein zutiefst ehrlicher Mann und beliebt bei den meisten Leuten. Aber in der skrupellosen Welt der Hauptstadtpolitik bedeutete das auch, dass es viele Leute gab, die ihn scheitern sehen wollten, und sei es auch nur, weil sie neben ihm so schlecht aussahen.
Dehart rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum. Er war nicht nervös, aber er hätte es vorgezogen, wieder an seine Arbeit zu gehen, statt hier zu sitzen und darüber nachzudenken, was zu tun sei. »Offen gesagt, war ich ziemlich überrascht, dass die Bestätigung so reibungslos durchging«, sagte er. »Keine Ahnung warum, aber ich dachte immer, dass Senatorin Chadwick es auf mich abgesehen hätte.«
Ryan schüttelte nachdenklich den Kopf. Michelle Chadwick war Vorsitzende des Senats-Unterausschusses für Heimatschutz, der für die Bereitstellung finanzieller Mittel in diesem Bereich zuständig und somit einer der mächtigsten Senats-Unterausschüsse war, weshalb die Ausschussvorsitzenden oftmals auch »Cardinal« genannt wurden. Chadwick übte daher enorme Macht aus.
»Nein, Mark«, sagte Ryan seufzend, »sie kämpft gegen mich. Bei ihren Kämpfen betreibt sie eine Politik der verbrannten Erde, in politischer und persönlicher Hinsicht. Ehrlich, ich glaube sogar, wenn ich sie für irgendein hohes Amt vorschlagen würde, würde sie sich selbst für irgendeine schmutzige Sache schuldig bekennen, nur um mich zu blamieren, weil ich sie vorgeschlagen habe.« Ryan trank noch einen Schluck Kaffee, um den sauren Geschmack hinunterzuspülen, den Michelle Chadwicks Name bei ihm verursachte, doch dann setzte er die Tasse wieder ab und verdrängte jeden weiteren Gedanken an die Frau. »Egal. Wichtig ist nur, dass Sie jetzt mit an Bord sind. Sind Sie bereit, gleich voll einzusteigen?«
Dehart lächelte. »Auf jeden Fall, Sir.«
»Haben Sie schon die Zeit gefunden, Ihre Einweisungen zu lesen?«
Als Minister für Heimatschutz war Dehart unter anderem für eine Reihe großer und wichtiger Behörden zuständig, beispielsweise für die Zoll- und Grenzschutzbehörde CBP (Customs and Border Protection), den Einwanderungs- und Zollermittlungsdienst ICE (Immigration and Customs Enforcement), die Bundesagentur für Katastrophenschutz FEMA (Federal Emergency Management Agency), den Küstenschutz USCG (United States Coast Guard) und den Secret Service.
»Ich habe den Aktenstapel von einem Meter Höhe zu zwei Dritteln durchgearbeitet«, antwortete Dehart mit völlig ernster Miene.
»Ich verrate Ihnen mal was«, sagte Ryan. »Einweisungen sind wie Kühe – jeden Tag fügen sie dem Haufen Mist noch was hinzu.«
Dehart grinste. »Der Vergleich mit einem Haufen Mist ist mir auch selbst schon durch den Kopf gegangen, Mr. President. Aber meine Mutter hat mich heute früh extra angerufen, um mich noch einmal zu ermahnen, flapsige Bemerkungen für mich zu behalten, schließlich sei ich zum ersten Mal im Oval Office und so weiter.«
»Ein weiser Rat. Sie haben also schon genug gelesen, um ein Gespür zu bekommen, worauf Sie sich hier einlassen … worauf wir uns alle einlassen müssen. Was davon macht Ihnen am meisten Sorge?«
Dehart atmete tief ein und blickte auf das große Präsidentschaftssiegel, das in der Mitte des Teppichs eingewebt war. Er wog seine Worte sorgfältig ab, bevor er Ryan offen in die Augen blickte. »Drei Dinge, Mr. President.«
Ryan hob die Augenbrauen. »Drei? Welche denn?«
»Drei beliebige Dinge«, antwortete Dehart. »Nämlich dann, wenn sie gleichzeitig passieren.«
Reza Kazem tat mehr oder weniger das, was man ihm befohlen hatte. Schließlich waren die Russen in diesem Geschäft Experten. Er sah zwar niemanden, wusste aber, dass sie ihm bei jedem Schritt nahe waren und aufpassten, ob er beschattet wurde.
Während seines Mathematikstudiums hatte der siebenundzwanzigjährige Iraner vier Jahre lang in Georgetown, einem Stadtteil von Washington, D. C., gewohnt und kannte sich daher in der Hauptstadt der Vereinigten Staaten sehr gut aus. Auf jeden Fall hatte er dort lange genug gelebt, um sich darüber klar zu werden, dass in dieser Stadt buchstäblich hinter jedem Busch ein Spion lauerte, und, was noch wichtiger war, ein Gegenspion hinter jeder Ecke.
Kazem war knapp ein Meter achtzig groß, hatte olivfarbene Gesichtshaut und dichtes, dunkles, welliges Haar. Mit diesem Aussehen fiel er weder im Iran noch in Washington auf – bis man ihm in die Augen blickte. Sie waren tiefgrün, die Farbe aufgewühlter Meereswellen, und hatten ihm während seiner Zeit in der Hauptstadt jede Menge weiblicher Aufmerksamkeit beschert. Im Grunde war Kazem ein Träumer; oft vergaß er sogar zu essen – gerade jetzt, wo so viel auf dem Spiel stand. Das verschaffte ihm jenes leicht ausgezehrte, asketische Aussehen, das offenbar bei jungen Amerikanerinnen besonders gut ankam. Er liebte Fußball, in den USA »soccer« genannt, und lief jeden Morgen fast vier Kilometer, um in Form zu bleiben. Körperlich war er nicht besonders stark, aber das war nicht so wichtig. Die Leute beugten sich nicht seinem Willen, weil er mehr Muskeln hatte; es genügte vollauf, wenn er ihnen sagte, was er wollte, und sie mit seinen meeresgrünen Augen durchdringend anschaute. Meistens taten sie dann ohne Murren, was er ihnen befahl.
Kazem hatte ein Taxi von seinem Hotel zur Metrostation Tysons Corner genommen, wo er in die Silver Line in Richtung Largo Town Center umgestiegen war. Den Anweisungen folgend stieg er in Rosslyn aus, fuhr auf der unglaublich langen Rolltreppe zum Ausgang hinauf, ging in östlicher Richtung zwei Straßenblocks weiter und betrat eine Starbucks-Filiale. Dort musste er mit den anderen Pendlern in der Schlange auf einen Becher Kaffee und ein Stück Zitronenkuchen warten, die er vor der Filiale auf der Straße verzehrte. Auf den Gehwegen wimmelte es von Menschen, die über ihre Ohrstöpsel Musik hörten, Zeitungen unter dem Arm trugen oder Kaffee tranken, aber kein einziger Passant sah auch nur annähernd wie ein Geheimdienstler aus, egal ob russischer Agent oder sonst irgendwas. Wer...
Erscheint lt. Verlag | 28.12.2022 |
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Reihe/Serie | Jack Ryan |
Jack Ryan | JACK RYAN |
Übersetzer | Karlheinz Dürr |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Oath of Office |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | 2022 • action • Agenten • Agententhriller • Cyberkrieg • eBooks • Iran • Jack Ryan • Krieg in der Ukraine • Neuerscheinung • Neue Thriller 2023 • Politthriller • Raketenangriff • Revolution • Russland • Spionage • Thriller • Tom Clancy • Ukraine • Verschwörungsthriller |
ISBN-10 | 3-641-26794-3 / 3641267943 |
ISBN-13 | 978-3-641-26794-0 / 9783641267940 |
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