Die Welt kippt (eBook)
448 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2805-8 (ISBN)
Heiko von Tschischwitz, 1968 in Duisburg geboren, studierte Energie- und Umwelttechnik und ist seit 25 Jahren als Unternehmer im Bereich Klimaschutz und erneuerbare Energien erfolgreich. Die Gründung von LichtBlick, dem ersten und größten Ökostromanbieter Deutschlands, machte ihn über die Branche hinaus bekannt. Die Welt kippt ist sein erster Roman. Er lebt mit seiner Familie in Hamburg und Südengland.
Heiko von Tschischwitz, 1968 in Duisburg geboren, studierte Energie- und Umwelttechnik und ist seit 25 Jahren als Unternehmer im Bereich Klimaschutz und erneuerbare Energien erfolgreich. Die Gründung von LichtBlick, dem ersten und größten Ökostromanbieter Deutschlands, machte ihn über die Branche hinaus bekannt. Die Welt kippt ist sein erster Roman. Er lebt mit seiner Familie in Hamburg und Südengland.
Prolog
Mittwoch, 14. August 2024
Berlin, Deutschland
Mit schlaff von sich gestreckten Beinen saß sie auf dem Boden, den Rücken gegen den Zaun gelehnt, den Blick abwesend in die Nacht gerichtet. Trotz der hochsommerlichen Temperaturen war sie in mehrere Decken gehüllt. Und dennoch quälte sie ein fortwährender Schüttelfrost. Warum, war ihr natürlich klar: Ihr Stoffwechsel hatte sich umgestellt, um den Kalorienverbrauch ihres Körpers zu drosseln. Wie bei einem Tier im Winterschlaf hatten sich ihre Herzfrequenz, ihr Blutdruck und ihre Körpertemperatur auf ein Minimum reduziert. Nur dass sie nicht schlief, sondern im Gegenteil das ganze Leid hautnah mitbekam, das sie sich antat. Freiwillig selbst antat.
Die Eisenketten, die von den Schellen an ihren Handgelenken rechts und links an ihr vorbeiführten, waren mit massiven Vorhängeschlössern am Zaun des Bundeskanzleramts befestigt. Die dazugehörigen Schlüssel hatten sie in die Spree werfen lassen. Sie waren gekommen, um zu bleiben. Wer sie entfernen wollte, musste schon eine Flex bemühen.
Das hell erleuchtete Kanzleramt warf diffuses Licht bis weit auf das Bürgerforum hinaus. So hatte sie rund um die Uhr das Zeltlager im Blick, das ihr Unterstützerteam an Tag eins vor ihren Augen aufgebaut hatte. Die beiden größeren Zelte, die rechts davon standen, gehörten nicht zu ihnen. Das graue war von der Polizei. Die hatten sich gleich von Beginn an dauerhaft zu ihnen gesellt, wobei unklar blieb, ob zu ihrem Schutz oder weil die Behörden sie als Bedrohung ansahen. Das weiße mit dem roten Kreuz war erst gestern neu dazugekommen, es beherbergte Sanitäter und eine Notärztin. Offenbar erwartete man Gefahr im Verzug.
Es musste irgendwann in den frühen Morgenstunden sein. Zwischen 02:00 und 04:00 Uhr, schätzte sie. Ihr fortgeschrittener Erschöpfungszustand hatte jegliches Zeitgefühl in ihr eliminiert. Doch eines gab ihr Orientierung: Auf der Tafel, die zwischen den Zelten stand und in ihre Richtung wies, war seit Kurzem in handgemalten Ziffern »21+2« zu lesen. Nach drei Wochen Hungerstreik hatte inzwischen Tag zwei der neuen Zeitrechnung begonnen.
Sie lag zwischen Mila und Leander, die sich keine zwei Meter neben ihr in gleicher Weise angekettet hatten. Sie hatten seit geraumer Zeit kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben. Die beiden waren viel mehr für sie als nur die letzten Mitstreikenden. Mila sowieso, sie war seit der Grundschule ihre Freundin. Nein, Mila war wie eine Schwester, ein Familienmitglied, wie sie es sich immer gewünscht hatte. Eines, das sie verstand. Sie hatten ihr Leben nicht nur zu einem Großteil zusammen verbracht, sondern auch dieselben Schwerpunkte gesetzt, für die es zu leben und zu kämpfen lohnte. Sie liebte Mila wie keinen Menschen sonst auf der Welt und war unendlich dankbar, sie neben sich zu haben. Leander hatte sie erst vor wenigen Wochen im Vorbereitungscamp kennengelernt. Aber das, was sie seitdem gemeinsam durchmachten, hatte sie eng zusammengeschweißt.
Zu dritt waren sie gestern Morgen in den trockenen Hungerstreik getreten. Nach vierzehn Tagen ohne feste Nahrung und einer weiteren Woche, in der sie zusätzlich auf Vitamin- und Nährstoffzufuhr verzichtet hatten, verweigerten sie jetzt in einem finalen Schritt auch jegliche Aufnahme von Wasser.
Ihnen war klar, dass das nicht lange gut gehen würde. Zumal sie den ganzen Tag über der sengenden Hitze ausgesetzt waren. Das Rote Kreuz hatte sich eindringlich darum bemüht, eine Zeltplane über ihnen aufspannen zu dürfen, um den Austrocknungsprozess wenigstens etwas zu verlangsamen. Aber sogar Schatten hatten sie verweigert.
Ursprünglich waren sie zu sechst gewesen. Die drei anderen waren gestern Morgen ausgestiegen. Nur mit Mühe hatten sie sich aufgrund ihrer schlechten körperlichen Verfassung noch der Öffentlichkeit erklären können, nachdem sie von ihren Ketten gelöst worden waren. Lallend hatten sie zu Protokoll gegeben, dass sie die nun geplante Eskalationsstufe nicht mittragen würden. Der Tod sei für sie keine Option.
Die Forderungen, die sie mit Beginn des Hungerstreiks kommuniziert hatten, waren nicht radikal. Sie waren weder überzogen noch unlauter. Das Einzige, was sie verlangten, war die verbindliche Zusage zur Umsetzung aller im Koalitionsvertrag von 2021 festgeschriebenen Klimaschutzmaßnahmen. Nicht mehr und nicht weniger als das, was die Bundesregierung vor gut zweieinhalb Jahren als ihre Ziele, an denen sie sich messen lassen wollte, verkündet hatte.
Und obwohl das wie eine Selbstverständlichkeit klang, war es praktisch unerfüllbar. Bei der Ausarbeitung des Koalitionsvertrags waren diverse weltwirtschaftliche Entwicklungen nicht oder nur unzulänglich berücksichtigt worden. Außerdem hatten Gerichtsentscheidungen und politische Zwänge verschiedene gut gemeinte Pläne durchkreuzt. Dementsprechend hatte die Regierung zunächst überhaupt nicht auf den Hungerstreik reagiert. Als dann nach knapp einer Woche der Mediendruck zu stark wurde, stellte ein Sprecher unmissverständlich klar, dass es unmöglich sei, die Forderungen der Gruppe zu erfüllen. Die Realitäten hätten sich verschoben und damit auch die Wege hin zu dem gemeinsamen Ziel der Klimaneutralität, an dem man vom Grundsatz her aber selbstverständlich festhalte. Damit waren die Fronten klar.
Während hinter ihr auf dem Gelände des Kanzleramts zwei Beamte der Bundespolizei scheinbar unbeeindruckt von den Vorgängen auf der anderen Zaunseite einen ihrer nächtlichen Routinerundgänge absolvierten, fragte sie sich wieder einmal, in was für einer aberwitzigen Welt sie eigentlich lebte. Beziehungsweise gelebt hatte, denn an ein Streikende mit gutem Ausgang glaubte sie nicht mehr.
Der Tag, an dem sie den Hungerstreik begonnen hatten, war ihr 18. Geburtstag gewesen. Das Timing war kein Zufall, sie hatte jegliche Einflussnahme ihrer Eltern ausschließen wollen. Die Anfangsphase ihrer Aktion hatte sie als wahnsinnig aufregend empfunden. Der Medienrummel war so überwältigend gewesen, dass sie zum ersten Mal seit Langem wieder das Gefühl gehabt hatte, wirklich etwas bewegen zu können.
Gleich in den ersten Stunden hatte eine Polizeipsychologin versucht, sie davon zu überzeugen, wenigstens ihre Ketten abzulegen und in bereitgestellte Zelte umzuziehen. Das sei bequemer und entspräche dem üblichen Verhalten bei derartigen Protestaktionen. Fassungslos hatten sie abgelehnt. Die besondere Symbolik der Bilder, die sie martialisch angekettet am Machtzentrum der deutschen Politik zeigten, war schließlich ein wichtiger Teil ihrer Botschaft.
Als dann aber die Medienaufmerksamkeit schleichend nachzulassen begann, obwohl es ihnen praktisch stündlich schlechter ging, wurde ihnen klar, dass sich ihre Aktion im Sande verlaufen würde, wenn sie einfach so weitermachten.
Das Trinken einzustellen, beschleunigte ihren Weg rasant. Während ein Mensch viele Wochen, zum Teil Monate ohne Nahrung auskommen konnte, überlebte man ohne Wasser nur zwei Tage bis maximal eine Woche, hatten die Mediziner im Vorbereitungscamp gewarnt. Bei ihrem Zustand nach drei Wochen Hungerstreik mussten sie damit rechnen, dass ihre Lebenserwartung am unteren Ende dieser Spanne lag.
Natürlich hatte sie Verständnis für die drei, die den Streik beendet hatten. Alle so weit, wie sie konnten. Und natürlich hatte auch sie Angst zu sterben. Von Beginn an und jetzt erst recht. Trotzdem fühlte es sich richtig an, was sie hier tat. Wie eine Außenstehende betrachtete sie die Szene, in der sie eine der inzwischen nur noch drei Hauptrollen spielte, und empfand das Drehbuch als gut und schlüssig. Weil sie davon überzeugt war, dass sie mit ihrem Tod einen Unterschied machen würde. Am Ende würde sie nicht umsonst gelebt haben. Das war die Erkenntnis, die ihr die Kraft gab durchzuhalten.
Jetzt waren sie also auf der Zielgeraden. Den Morgen würden sie wahrscheinlich noch schaffen, mit aufsteigender Sonne würde es dann aber vermutlich eng werden. Die Wettervorhersage hatte wieder einen wolkenlosen Himmel bei über 30 Grad angekündigt. Mit Grauen musste sie an die Springbrunnen denken, die um 09:00 Uhr wieder anfangen würden mit ihrem perfiden Spiel. Die Wasserspiele auf dem Bürgerforum direkt vor ihnen hatten sie gestern als besonders makaber empfunden. Den ganzen Tag über waren die kleinen Fontänen in kurzen Abständen plätschernd aus dem Boden gesprießt. Unregelmäßig, sodass sich Kinder einen Spaß daraus machten, quer hindurchzulaufen und dabei zu versuchen, nicht nass zu werden.
Wie würde es zu Ende gehen? Eine Zwangsernährung war in ihrem Fall ausgeschlossen, da war die deutsche Rechtslage eindeutig. Aber würden sie alle drei nacheinander sterben? Oder würden sie aufgeben, wenn sie nur noch zu zweit waren?
Plötzlich stieg Panik in ihr auf. Mila und Leander hatten sich immer noch nicht bewegt.
In diesem Moment kam Bewegung ins Sanitätszelt. Endlich! Sie atmete erleichtert auf, die nächtliche Routineuntersuchung. Zuerst gingen die beiden Rettungskräfte zu Leander. Alles blieb ruhig, es gab keine Aufregung. Offenbar schien er in Ordnung zu sein. Dann kamen sie zu ihr. Als sie sich neben sie knieten, versuchte sie zu sprechen. Außer einem kläglichen Krächzen brachte sie aber nichts heraus. Sowohl ihr Mund wie auch ihr Hals waren vollkommen ausgetrocknet....
Erscheint lt. Verlag | 1.9.2022 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Achsen • Aktivismus • China • Deal • Demokratie • Diktatur • economy • Erde • FFF • Flut • Fridays For Future • Front • Generationenkonflikt • Green Deal • Green economy • Greta Thunberg • Hitze • Klima • Klimaleugner • Klimastreik • Klimawandel • Konferenz • Leugner • Nobel • Orden • Preis • Roman • Schmelzpunkt • Silicon • Silicon Valley • Streik • Thriller • Trockenheit • Valley • Verdienst • Waldbrand • Wandel • Wasser • Welle |
ISBN-10 | 3-8437-2805-4 / 3843728054 |
ISBN-13 | 978-3-8437-2805-8 / 9783843728058 |
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