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Aurelia und die letzte Fahrt (eBook)

Ein historischer Wien-Krimi

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
352 Seiten
DuMont Buchverlag
978-3-8321-8262-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Aurelia und die letzte Fahrt -  Beate Maly
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»Beate Maly ist ein perfekter historischer Krimi gelungen.« RUHR NACHRICHTEN Wien 1871: Aurelia von Kolowitz ist jung, klug und mit den gesellschaftlichen Konventionen ihrer Zeit alles andere als einverstanden. Wie tief die moralischen Abgründe hinter den Barockfassaden der Donaumetropole wirklich sind, muss sie erfahren, als sie eines Abends die Leiche eines ermordeten Offiziers in einer Kutsche findet - und eine unschuldige Frau im Gefängnis landet. Dass ausgerechnet eine neugierige Grafentochter sich in die Ermittlungen einmischt, hat der Polizei gerade noch gefehlt ...

BEATE MALY, geboren und aufgewachsen in Wien, arbeitete in der Frühförderung, bevor sie vor mehr als zwanzig Jahren mit dem Schreiben begann. Neben Geschichten für Kinder und pädagogischen Fachbüchern hat sie bereits zahlreiche historische Romane und Kriminalromane veröffentlicht. Bei DuMont erschien zuletzt >Aurelia und die letzte Fahrt< (2022).

Prolog

Wien
Herbst 1871

Seit Tagen lähmte dichter Nebel das Leben in Wien. Wie eine große, schwere Glocke hing der nasskalte Schleier über der Stadt und legte sich, einem schaurigen Leichentuch gleich, über Häuser und Kirchtürme. Der Unterschied zwischen Tag und Nacht war nur noch zu erahnen. Es schien Wochen her, dass sich die Sonne das letzte Mal gezeigt hatte. Menschen liefen mit Laternen durch die engen Straßen und verwinkelten Gassen. Herannahenden Fiakern wurde man nur des Geräuschs wegen gewahr. Das laute Klackern der Pferdehufe und das Rattern der Räder auf dem Pflaster warnten die Fußgänger gerade rechtzeitig. Die kleinen Petroleumlampen, die an der Wagenfront hingen und im unregelmäßigen Takt hin und her schaukelten, vermochten es nicht. Sie durchdrangen das graue Dickicht nur notdürftig. Ebenso die Gaslaternen, die auf ausdrücklichen Befehl des Kaisers auch tagsüber entzündet wurden. Das Licht in den Kandelabern war zu schwach, um den Menschen den Weg zu leuchten. Der Rauch, der aus den Fabrikschloten stieg, und der Staub, der von den riesigen Baustellen auf der Ringstraße und im Prater stammte, taten ihr Übriges. Vergeblich wartete man auf den ersehnten Nordwestwind, der die Hauptstadt des Habsburgerreichs für gewöhnlich vom Rauch befreite und für klare Luft sorgte. Die Nebelsuppe drang in die Lungen und verursachte einen ständigen Hustenreiz. Wer etwas im Freien zu erledigen hatte, hielt sich schützend ein Tuch oder den Ärmel vor Mund und Nase. Wer nicht unbedingt rausmusste, blieb zu Hause. In den vornehmen Palais ließ moderne Gasbeleuchtung die Welt trotz Nebel hell und klar erscheinen. In den einfachen Mietshäusern bot sich ein anderes Bild. Dort behalf man sich mit rußenden Lampen, die auch in Innenräumen die Atemwege belasteten. Die Zahl der Menschen, die an der Tuberkulose erkrankten, stieg rasant. Mittlerweile nannte man das Leiden »die Wiener Krankheit«. Der Kaiser ließ eigene Sanatorien errichten, um die Menschen abzusondern. Die wenigsten, die dort landeten, wurden auch tatsächlich geheilt. Pepi Wuzerl gehörte zu den Tausenden Krankheitsgefährdeten. Mit drei anderen Männern teilte er sich eine feuchte Einzimmerwohnung in der Josefstadt. Nicht mehr lange, dann würde er vom Trockenschläfer zum Bettgänger aufsteigen. Pepi sparte jeden Kreuzer. Im Moment war es besonders schwierig. Für einen Straßenmusiker stellte das Wetter eine Katastrophe dar. Niemand wollte im Nebel der Melodie seines Werkels lauschen. Deshalb nahm er seit einer Woche den langen und beschwerlichen Weg in das Vorstadtbeisl »Das Stehachterl« in Kauf, um dort die Gäste mit seiner Musik zu erfreuen. Die Volksliedsänger Johann Kwapit und Johann Fürst traten in dem Lokal mit Anna Grün auf. Pepi wusste, dass er es ihr verdankte, allabendlich sein Werkel dort drehen zu dürfen. Er hatte Anna Grüns Bruder vor Jahren mit einem waghalsigen Sturz vor einen Fiaker das Leben gerettet. Seither fühlte die Volkssängerin sich ihm gegenüber verpflichtet. Pepi hatte nie vorgehabt, Anna auszunutzen, aber derzeit war er auf ihre Hilfe angewiesen. Was Pepi entgegenkam: Im Stehachterl kümmerte man sich nicht um das neue Gesetz, das die Gründung von Volkssängergesellschaften vorschrieb. Auf diese Weise hoffte der Kaiser, den unsittlichen Charakter der Darbietungen einzudämmen und dem Absammeln des Honorars mit einem Hut einen Riegel vorzuschieben. Mittels fixer Eintrittsgebühren und Lizenzen für die Musiker sollten die Beamten festhalten, wie viele Musikanten es in der Stadt gab. In keinem anderen Reich Europas spielten das Beamtentum und die Bürokratie eine dermaßen wichtige Rolle wie in der kaiserlichen und königlichen Monarchie. Kontrolle war das Zauberwort der Habsburger. Dass zu viel davon genau das Gegenteil bewirkte und Untertanen zwang, Schlupflöcher im Regelwerk zu suchen, schien den führenden Köpfen nicht bewusst zu sein. So lehnten sich auch die Wirte gegen die neue Ordnung auf, indem sie sich weigerten, Eintrittsgeld von ihren Gästen zu kassieren. Pepi war es nur recht. Er war auf die allabendlichen Kreuzer in seinem alten Hut angewiesen. Nur so konnte er seine täglichen Ausgaben bestreiten. Er wusste, dass die gefälschte Lizenz in seiner ausgebeulten Manteltasche keiner ordentlichen Kontrolle standhielt. Dass er damit noch nicht aufgeflogen war, verdankte er der Tatsache, dass die meisten Polizeiagenten ebenso schlecht lesen und schreiben konnten wie er selbst.

Vorsichtig, um am feuchten Kopfsteinpflaster nicht auszurutschen, lief er die Hausmauer entlang. Sein Weg führte ihn in Richtung Wiedner Hauptstraße. Pepi wusste, dass sich irgendwo die Kuppel der Karlskirche befand, aber sie war im Nebel ebenso wenig sichtbar wie die Baustellen ringsum. Riesige Baugruben klafften allerorten. In den nächsten Jahren sollten hier prunkvolle Palais entstehen. Pepi verließ sich auf seinen Instinkt. Er wusste, dass er sich links vom Wienfluss halten musste. Angeblich sollte der Fluss irgendwann einmal unterirdisch geführt werden. Pepi konnte sich das nicht vorstellen. Wie konnte man einen Fluss überdachen? Aber im Grunde war es ihm egal. Er hatte andere Probleme. Wenn er sich nicht im Weg geirrt hatte, befand er sich jetzt direkt auf der Wiedner Hauptstraße. Auch wenn er sie im Moment nicht sehen konnte, so wusste er, dass sich rechts und links von ihm die Stadthäuser wie kostbare Perlen auf einer Kette aneinanderreihten. Schicke Palais mit grünen und braunen Rundbogentoren, weißen Fensterrahmen und kleinen Balkonen über den Eingangstoren, die in begrünte Innenhöfe führten, in denen so manch erfolgreicher Handwerkerbetrieb zu finden war. Gut situierte Wiener und Wienerinnen genossen die Nähe zur Innenstadt, ohne sich die horrenden Mietspreise der beliebtesten Adressen rund um den Stephansdom leisten zu müssen. Nur selten befanden sich baufällige Gebäude zwischen den schmucken Häusern. Schäbige Barracken, in denen Menschen wie Pepi wohnten, waren hier Spekulationsobjekte und wurden zu hohen Preisen am freien Markt angeboten.

All das waren Dinge, von denen Pepi nichts verstand. Er zog seinen löchrigen Mantel enger um seine Schultern und wickelte den Schal um Ohren und Kopf. Mit steifen Fingern richtete er die Krempe seines Huts. Letzte Woche hatte er seine Handschuhe verloren. Es fehlte ihm das Geld, neue zu kaufen, weshalb seine Hände vom nasskalten Nieselregen schmerzten. Der Griff seiner Drehorgel, die er rumpelnd über das Kopfsteinpflaster zog, fühlte sich an wie ein großer, glatter Eiszapfen. Er hoffte, dass die Feuchtigkeit seinem Instrument nicht allzu sehr zusetzte. Das alte Ding brachte ohnehin nicht mehr die klarsten Klänge hervor. Zum Glück war das Publikum, vor dem Pepi seine Musik zum Besten gab, in den seltensten Fällen nüchtern. Nur die wenigsten hörten die Misstöne heraus. Was würde er heute spielen? Je später die Stunde, umso obszöner sollte es sein. Pepi ging im Kopf sein Repertoire durch. Dabei pfiff er die Melodie vom lieben Augustin. Er fühlte sich dem trinkfreudigen Musikanten sehr verbunden. Sollte das Werkel bocken, würde Pepi auf seine Mundharmonika umsteigen, die stets in seiner Tasche steckte, oder er pfiff die Melodie. Seine Lippen ließen ihn nie im Stich. Kaum hatte er sie gespitzt, wurde ein Fenster auf der gegenüberliegenden Straßenseite aufgerissen. Pepi hörte das Geräusch, hielt an und trat näher. Direkt unter dem Fenster befand sich eine Gaslaterne. Das Zimmer hinter den offen stehenden Fensterläden war luxuriös hell erleuchtet. Gleich mehrere Kronleuchter sorgten für Licht, das so kräftig war, dass es den Nebel durchdrang. Erstaunt blickte Pepi nach oben. Wer wollte bei diesem Sauwetter schon die Kälte hereinlassen? Da blieb ihm das Herz vor Schreck beinahe stehen. Eine Gestalt kippte über den Fenstersims. Pepi wollte schreien, den Mann – er erkannte es an der Statur – von seinem Tun abhalten. Doch zu spät. Noch bevor Pepi den Mund aufmachen konnte, hörte er den Körper mit einem dumpfen Geräusch auf den Boden schlagen. Die dichte Nebelsuppe hatte ihn verschluckt wie ein gieriges Tier. Sein Blick ging zurück zum Fenster. Hastig wurde es zugeschlagen. Das Licht gelöscht. Pepi lauschte, sah in die milchige Brühe, doch es war ebenso still wie zuvor. Als hätte es keinen Sturz aus dem Fenster gegeben. Für einen Moment war Pepi nicht sicher, ob er die Szene bloß geträumt hatte. Vielleicht hätte er das Bier, das ihm Ferdl vor dem Gehen aufgedrängt hatte, nicht auf nüchternen Magen trinken sollen. War er betrunken? Vorsichtig ging er auf die andere Straßenseite. Seine Drehorgel ratterte laut hinter ihm her. Das Gepolter schnitt in die Stille wie ein scharfes Messer. Als Pepis rechter Fuß gegen etwas Weiches stieß, schrie er erschrocken auf und sprang zurück. Seine Orgel gab ein klagendes Stöhnen von sich. Eine Reihe verstimmter Töne. Er hatte sich die Bilder nicht bloß eingebildet. Am Boden lag bäuchlings eine Leiche. Im schwachen Licht der Laterne konnte er die Konturen des leblosen Körpers nun klar erkennen. Die dunkle Pfütze, die sich unter dem Brustkorb langsam ausbreitete. Pepi machte einen weiteren Schritt zurück. Er trat aus dem kleinen Lichtkegel. Der Mann zu seinen Füßen, daran bestand kein Zweifel, war tot. Für ihn kam jede Hilfe zu spät. Vorsichtig spähte Pepi wieder nach oben. Alle Lichter waren gelöscht. Ob er gesehen worden war? Was sollte er jetzt machen? Einfach weggehen und so tun, als hätte er nichts bemerkt? Pepis Herz raste. Er war immer ein anständiger Mensch gewesen. Vielleicht hatte er hin und wieder den Rausch eines Zuhörers ausgenutzt und ihm mehr Geld aus der Tasche gezogen, als recht gewesen war. Und einmal hatte er sich eine Brieftasche geschnappt, die auf dem Tisch gelegen war. Aber darüber hinaus hatte er sich nie etwas zuschulden kommen lassen. Es...

Erscheint lt. Verlag 1.8.2022
Reihe/Serie Ein Fall für Aurelia von Kolowitz
Ein Fall für Aurelia von Kolowitz
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 19. Jahrhundert • Cozy Crime • Habsburgermonarchie • Historischer Roman • Kaffeehaus • Kaiserzeit • Kutsche • Melange • Wiener Schmäh • Wienkrimi • Würstelstand
ISBN-10 3-8321-8262-4 / 3832182624
ISBN-13 978-3-8321-8262-5 / 9783832182625
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