Frisch ermittelt: Der Fall Kaltwasser (eBook)
288 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01145-8 (ISBN)
Christiane Franke wurde an der Nordseeküste geboren und lebt immer noch gerne dort. Neben ihren gemeinsamen Projekten mit Cornelia Kuhnert schreibt sie eine weitere Krimiserie um die Wilhelmshavener Kommissarinnen Oda Wagner und Christine Cordes, die im Emons Verlag erscheint. Gemeinsam mit Cornelia Kuhnert hat sie bei rororo bereits elf Bände ihrer Ostfriesland-Krimireihe um Dorfpolizist Rudi, Postbote Henner und Lehrerin Rosa veröffentlicht.
Christiane Franke wurde an der Nordseeküste geboren und lebt immer noch gerne dort. Neben ihren gemeinsamen Projekten mit Cornelia Kuhnert schreibt sie eine weitere Krimiserie um die Wilhelmshavener Kommissarinnen Oda Wagner und Christine Cordes, die im Emons Verlag erscheint. Gemeinsam mit Cornelia Kuhnert hat sie bei rororo bereits elf Bände ihrer Ostfriesland-Krimireihe um Dorfpolizist Rudi, Postbote Henner und Lehrerin Rosa veröffentlicht. Cornelia Kuhnert lebt in Hannover und hat dort als Lehrerin gearbeitet. Sie hat bereits zahlreiche Kriminalromane veröffentlicht und Anthologien herausgegeben. Gemeinsam mit Christiane Franke hat sie bei rororo bereits zehn Bände ihrer Ostfriesland-Krimireihe um Dorfpolizist Rudi, Postbote Henner und Lehrerin Rosa veröffentlicht.
DONNERSTAG
Martha
Schläfrig wandert Marthas Blick zum weißen Wecker auf dem Nachttisch. Herrje, schon halb sieben. Da hat sie doch glatt verschlafen. Es war allerdings auch ganz schön spät, als sie gestern Abend ins Bett gegangen ist, da ist sie nach dem Weckerklingeln glatt noch einmal weggedöst. Schwungvoll wirft sie nun die Beine aus dem Bett, zieht das Rollo hoch, entriegelt das Fenster und blickt hinaus. Schäfchenwolken am blauen Himmel, dazu Windstille. Das reinste Geburtstagswetter. Zwar kann Hermann seinen Ehrentag nicht mehr feiern, aber heute wäre er dreiundsechzig geworden.
Vor dem Öffnen der Heißmangelstube will sie auf jeden Fall zum Friedhof fahren und ihm wie jedes Jahr einen Strauß Phlox aufs Grab stellen. Damals, vorm Krieg, als sie den Schrebergarten übernommen haben, hat Hermann die Stauden mit den zarten Flammenblumen neben der Laube gepflanzt. Er hat die abgestuften Rottöne der Stauden geliebt, auch wenn er sie gegen Ende seines Lebens nicht mehr sehen konnte, kam er doch erblindet aus Russland zurück. Aber Hermann hat nicht geklagt und sein Schicksal mit stoischer Ruhe und dem ihm eigenen Humor angenommen. Wenn jemand ihn bedauerte, erwiderte er: «Immerhin lebe ich!» Und er würde auch heute noch leben, wenn ihn dieser Raser nicht an jenem Novemberabend vor vier Jahren auf der Straße angefahren und einfach liegen gelassen hätte, denkt Martha mit leichter Bitterkeit, während sie sich die Haare kämmt.
Die Zeit heilt alle Wunden, hat man ihr auf der Beerdigung zugeraunt. Aber das stimmt nicht. Die Lücken bleiben. Genau wie die Narben. Immerhin hat sie gelernt, damit zu leben, denn vom Trübsalblasen wird nichts besser. Im Gegenteil: Man muss das Leben bei den Hörnern packen. Martha schlüpft Hermann zu Ehren in ihr neues Sommerkleid mit den rot-weißen Punkten, bindet sich das dazu passende Tuch um den Hals, dann zieht sie sich den leichten Mantel an, setzt ihren Hut auf und schnappt sich die Handtasche und die Blumen. Sie muss sich sputen, damit sie pünktlich den Laden öffnen kann.
Voller Elan trägt sie ihr Fahrrad aus dem Keller, steigt auf und tritt in die Pedale. In der Brunnenstraße ist um diese Zeit schon mächtig was los. Radfahrer überholen einander, ein VW Käfer hupt, weil er abbremsen muss. Kleine Mädchen mit Zöpfen und Pferdeschwänzen, ältere mit hochtoupierten Frisuren und aufgebauschten Röcken strömen zur Städtischen Oberschule für Mädchen. Martha hält nach ihrer Enkelin Annemieke Ausschau, kann sie aber nicht entdecken. Egal, sie hätte sowieso keine Zeit für einen Plausch.
Am Friedhof stellt sie ihr Rad ab und holt den Blumenstrauß aus dem Fahrradkorb. Wie immer durchquert sie das säulenumstandene Rondell des Ehrenmals für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Soldaten, um durch die Lücke in der Hecke abzukürzen. Der Friedhofsgärtner sieht das zwar nicht gern, aber Hermanns Grab liegt gleich in der nächsten Abteilung.
In Gedanken ganz bei Hermann, registriert sie aus dem Augenwinkel etwas Braunes. Sie bleibt stehen, blickt genauer hin und erkennt blitzschnell, dass hier etwas Schreckliches geschehen sein muss. Der Mann, der mit dem Kinn auf der Brust und eigenartig verrutschtem Hut an der steinernen Säule lehnt, scheint zu schlafen. Doch die rechte Hand, die halb abgetrennt am Arm baumelt, und die Blutlache neben den Beinen sprechen eine andere Sprache.
Martha schluckt. Was ist hier denn passiert? Sie überlegt noch, ob sie den Strauß für Hermann einfach ablegen und loslaufen soll, um die Polizei zu informieren, als sie den blauen Siegelring an der anderen Hand entdeckt. Ach du Scheibenkleister. Genau so einen Ring trägt der Mann ihrer jüngeren Schwester Ilse.
Mit einem unguten Gefühl nähert sich Martha dem Mann. Kein Zweifel, das ist tatsächlich ihr Schwager. «Siegfried!», sagt sie mit zittriger Stimme, aber ihr Schwager rührt sich nicht. Sie tippt ihn an – und im nächsten Augenblick kippt er um. Der Hut rutscht beim Aufprall vom Kopf, die Brille fällt klirrend zu Boden. Martha atmet tief durch. Ruhe bewahren und nachdenken. Das hat sie in zwei Weltkriegen gelernt.
Die Polizei befindet sich zum Glück gleich gegenüber auf der anderen Seite der Kreuzung.
Außer Atem klopft sie Augenblicke später an die Pförtnerloge.
«Kommen Sie schnell! Hinter dem Ehrenmal liegt ein Toter.»
«Immer langsam mit den jungen Pferden», erwidert der Uniformierte mit dem Schnauzbart. «Ein Toter, sagen Sie?»
Martha nickt, beginnt zu erzählen, und der Wachhabende hört sich aufmerksam ihren Bericht an. Dann greift er zum Telefon. «Kann einen Moment dauern, bis die Kollegen vor Ort sind», sagt er, nachdem er das Gespräch beendet hat.
Das dauert Martha allerdings zu lange. Als Hermann – Gott hab ihn selig – noch im Polizeidienst gewesen ist, hat es solche Schludrigkeiten nicht gegeben.
«Dann geh ich schon mal rüber und halte beim Toten die Stellung», sagt sie und läuft zurück zum Ehrenmal. Siegfried liegt noch genauso da. Unschlüssig, wie sie sich verhalten soll, verharrt sie vor dem Bauwerk und studiert die eingemeißelten Namen der Gefallenen, um sich abzulenken. Auch die ihres Großvaters und Onkels entdeckt sie. Was für ein Irrwitz, dass Siegfried gerade hier liegt, wo er selbst gar nicht eingezogen worden ist. Nachdenklich betrachtet sie ihn. Sie hat ihn nicht gemocht. Er war ein Despot, hat ihre Schwester behandelt, als sei sie seine Leibeigene. Eine liebevolle Geste seinerseits hat Martha nie gesehen, dabei hat Ilse ihm jeden Wunsch von den Lippen abgelesen.
Was ist hier nur vorgefallen?
Neugierig betrachtet sie seinen Kopf. In den schütteren Haaren entdeckt sie keine Blutflecke. Wie er wohl ums Leben gekommen ist? Er hätte sich doch wehren müssen. Auch im Bereich der Brust sieht sie kein Blut. Nervös marschiert sie vor dem Ehrenmal auf und ab. So als wolle sie ihren Schwager beschützen, bis die Polizei kommt. Dabei droht ihm ja nun keine Gefahr mehr.
Ein ums andere Mal wirft Martha einen Blick hinüber zum Polizeigebäude. Endlich geht die Tür auf. Kommissar Onnen und ihr Großneffe Hans treten heraus und überqueren schnellen Schritts die Straße. Onnen mit Hut und wehendem Mantel, Hans in Polizeiuniform.
«Tante Martha, ich hab mir schon Sorgen gemacht, weil die Heißmangelstube noch geschlossen ist. Die Zeitung hab ich vor die Tür gelegt», sagt Hans.
Onnen zieht missbilligend die rechte Augenbraue hoch und steckt die Hände tief in die Taschen seines Trenchcoats. «Wo ist die Leiche?», fragt er in forschem Ton.
«Kommen Sie.» Zu dritt schreiten sie die Stufen zu den backsteinernen Säulen hoch. Martha zeigt mit der Hand zum Kreuz auf dem mittig stehenden Quader. «Dahinter liegt er. Es ist mein Schwager, Siegfried Kaltwasser. Das hab ich Ihrem Kollegen vorhin schon gesagt.»
«Richter Kaltwasser ist Ihr Schwager?» Onnen wirft ihr einen überraschten Blick zu und betritt, ohne eine Antwort abzuwarten, das Ehrenmal. Martha und Hans folgen ihm.
«Tatsächlich, Richter Kaltwasser.» Der Kommissar lässt seinen Blick schweifen und dreht sich dann zu Martha um. «Haben Sie etwas angefasst, Frau Frisch?»
«Nein, ich habe Siegfried nur angesprochen. Als er nicht antwortete, habe ich ihm auf die Schulter getippt. Da ist er umgekippt.»
«Wie bitte? Ich fasse es nicht», poltert Onnen los. «Wachtmeister Frisch, benachrichtigen Sie die Spurensicherung und Doktor Wollenweber. Wir müssen sichern, was noch zu sichern ist. Das sieht nach einem Ritualmord aus. Die fast abgehackte Hand. Dazu die roten Blumen, die auf den Stufen liegen. Das alles spricht Bände.»
«Jawoll, Herr Kommissar», erwidert Hans zackig und will schon los, da hält Martha ihn zurück.
«Äh, Hans, der Phlox ist von mir. Eigentlich sollte der Strauß auf das Grab meines Mannes. Aber als ich Siegfried entdeckt habe, sind mir die Blumen vor Schreck aus der Hand gefallen.» Sie bückt sich, um sie aufzuheben, doch Onnen hält sie an der Schulter fest.
«Gute Frau, haben Sie noch alle Tassen im Schrank? Das ist ein Tatort. Hier bleibt alles so, wie es ist. Das müssten Sie als Polizistenwitwe eigentlich wissen.» Er dreht sich zu Hans um. «Nun machen Sie hinne, Frisch, oder haben Sie meine Anweisung nicht verstanden?»
Sofort sprintet ihr Großneffe los. Allein mit Kommissar Onnen, greift Martha seine Vermutung auf. «Wieso denken Sie an einen Ritualmord? Deutet es nicht eher auf einen Überfall hin?»
«Das kann man zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen», weicht Onnen der Frage aus.
«Aber die Hand. Das passiert doch nicht einfach so!»
«Halten Sie sich da raus, Frau Frisch. Wir ermitteln gründlich und ordentlich. Zumal es sich bei dem Opfer um einen Richter handelt. Wir kriegen den Täter. Da können Sie sich drauf verlassen.» Er zieht eine Zigarettenschachtel aus der Tasche seines Mantels und zündet sich eine an. «Was haben Sie eigentlich so früh auf dem Friedhof zu suchen? Normalerweise sind Sie doch um diese Zeit in Ihrem Geschäft, wenn ich Ihren Neffen richtig verstanden habe.»
...Erscheint lt. Verlag | 31.1.2023 |
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Reihe/Serie | Ein Heißmangel-Krimi | Ein Heißmangel-Krimi |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | 1950er Jahre • 50er Jahre • Amateurdetektivin • Bestseller-Autorinnen • Doppelmoral • Frauenrechte • Fünfziger Jahre • Heißmangel • Historienkrimi • historischer Krimi • Historischer Kriminalroman • humorvoller Krimi • Krimi • Kriminalroman • Krimi Nordsee • Krimis der 50er Jahre • Leer • Nachkriegsdeutschland • Nachkriegsgeneration • Nachkriegszeit • Nordseekrimi • Ostfriesenkrimi • Ostfriesland • Ostfrieslandkrimi • Ostfriesland Krimi • Petticoat • Provinzkrimi • Wirtschaftswunder • Wirtschaftswunderzeit |
ISBN-10 | 3-644-01145-1 / 3644011451 |
ISBN-13 | 978-3-644-01145-8 / 9783644011458 |
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