Der Wintermordclub (eBook)
320 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60245-7 (ISBN)
Jan Beinßen, Jahrgang 1965, ist gebürtiger Niedersachse und lebt mit seiner Familie bei Nürnberg. Der langjährige Journalist der »Abendzeitung« schrieb zahlreiche Kriminalromane, darunter die beliebten Franken-Krimis mit Ermittler Paul Flemming sowie verschiedene Frankreich-Krimi-Reihen unter Pseudonymen.
Jan Beinßen, Jahrgang 1965, ist gebürtiger Niedersachse und lebt mit seiner Familie bei Nürnberg. Der langjährige Journalist der »Abendzeitung« schrieb zahlreiche Kriminalromane, darunter die beliebten Franken-Krimis mit Ermittler Paul Flemming sowie verschiedene Frankreich-Krimi-Reihen unter Pseudonymen.
Geraldine
Wie hatte sie diesen Ausblick vermisst! Von der Terrasse des Le Petit Hôtel bot sich, begünstigt durch die Lage auf einer kleinen Bergkuppe, eine grandiose Sicht auf die Küste mit ihren weißen Sandstränden, die sich mit schroffen, bis in die Brandung reichenden Felsvorsprüngen abwechselten. Pinien, Zypressen, Kakteengewächse und vereinzelte Palmen ergänzten das tiefe Blau des Meeres und das Zinnoberrot des Gesteins um ein sattes Dunkelgrün. Es war Geraldine Walkers Lieblingsfarbe, was sich in ihrer Kleiderwahl ebenso widerspiegelte wie im Lack ihres Mini Cooper, der zu Hause am Eaton Square auf sie wartete: Racing Green. Was für ein schönes Fleckchen Erde!, ging es ihr durch den Kopf. Le Lavandou, du Perle der Côte d’Azur!
Sogar jetzt, mitten im Winter, versprühte die Landschaft trotz der niedrigen Temperaturen einen frühlingshaften Charme und schien nur darauf zu warten, erneut wachgeküsst zu werden und sich dem turbulenten Treiben der Sommermonate hinzugeben. Wo jetzt auf den Wellen nur einige kleine, bunte Fischerboote dümpelten, würden dann wieder die protzigen Schiffe der Schönen und Reichen um die besten Liegeplätze wetteifern, Segelschulen mit ihren Mini-Katamaranen ausschwärmen und angehende Stand-up-Paddler zu weit von der Küste abtreiben, in Seenot geraten und die Rettungsschwimmer auf den Plan rufen. Vom Pudersand der Strände war dann nichts mehr zu sehen, denn dicht an dicht lagen die Badetücher, über die gefährlich tief Frisbee-Scheiben und Gummibälle flogen. Die Strandcafés waren schon am Morgen überfüllt, und die Promenade wurde von kläffenden Hunden und ihren knurrenden Besitzern in Beschlag genommen.
Nein, dachte Geraldine, während sie am Geländer lehnte und den Blick schweifen ließ, ihr war die Nebensaison wesentlich lieber. Im Dezember gehörte das Hotel ihr und ihren Freunden und früheren Kollegen, wie auch fast der ganze Ort. Die »Rentner-Gang« aus ehemaligen Ermittlern konnte sich ausbreiten, und kein lästiger Tourist kam ihnen in die Quere. Da störte es kaum, dass das typische Azurblau des Himmels meist von Wolken verdeckt blieb und nur die wenigsten Geschäfte und Lokale geöffnet hatten.
Auch die Unterbringung entsprach ganz ihrem Geschmack. Das kleine Hotel mit seinen drei Etagen schmiegte sich an den Hügel, auf dem es stand. Im Erdgeschoss befanden sich die Empfangshalle, die Küche, ein winziger Fitnessraum und die Privaträume des Hotelier-Ehepaares. Im ersten Stock gab es einen Salon oder Speisesaal mit Zugang zu der großen Terrasse, auf der sie sich gerade aufhielt, einen Wintergarten und eine kleine Bibliothek mit Kamin. In der obersten Etage folgten dann die Hotelzimmer, darunter auch ihres. Und dann war da noch der in den Felsen gehauene Keller mit Vorräten und Wein. Alles in allem kein Luxustempel, dafür gerade richtig für ihre Bedürfnisse – und nicht so sündhaft teuer wie manch anderes Etablissement hier in Südfrankreich.
Es fiel ihr nicht leicht, sich vom Blick aufs Meer zu lösen und den anderen Gästen zuzuwenden, die nach und nach eingetroffen waren und nun Salon und Terrasse bevölkerten. Am liebsten hätte sie die entspannte Ruhe und die liebliche Landschaft noch länger genossen, bevor sie sich ins Gesellschaftsleben stürzte. Denn – das kannte Geraldine ja aus den vergangenen Jahren – selbst der Small Talk stellte in dieser sehr speziellen Runde eine Herausforderung dar. Je älter sie wurden und je mehr Gebrechen es zu kaschieren galt, desto strapaziöser wurden die Gespräche. Auf jedes Wort musste man achten, wenn man keine Schwäche zeigen wollte – und das vermieden sie alle.
Sie waren seit vielen Jahren Freunde, zusammengeschweißt durch lang währende gemeinsame Polizeiarbeit und frühere Ermittlungserfolge. Mehr noch aber waren sie Konkurrenten, die jedes Jahr aufs Neue den Wettbewerb suchten.
»Also dann!«, feuerte sie sich an. Mit dem Champagnerglas, das ihr die neue Angestellte Marisa, eine zierliche Frau mit scheuen Rehaugen, in die Hand gedrückt hatte, drehte sie sich um. Geraldine zeigte ein freudiges, aber nicht übertriebenes Lächeln, als sie sich an denjenigen wandte, der ihr am Nächsten stand.
»Cheers«, sagte sie und ließ den Kelch an das Glas von Karl-Wilhelm »Kim« Becker klirren.
»Zum Wohl!« Der kräftige Mann deutete eine Verbeugung an. »Gut siehst du aus! Nahezu unverändert. Wie macht ihr englischen Ladys das nur?«
»Ich kann schwerlich für über dreißig Millionen Britinnen sprechen, mich persönlich halten die Enkelkinder jung.« Sie tätschelte ihm den Arm. »Danke für das Kompliment, mein Lieber. Du hast dich auch gut gehalten.«
Vor allem hast du noch mal ganz schön zugelegt! Geraldine musste sich beherrschen, um nicht auf das viel zu enge Karohemd und den bis zum letzten Loch geweiteten Gürtel zu starren. Wie viele zusätzliche Pfunde mochte Kim sich seit dem letzten Treffen vor einem Jahr angefressen haben? Fünf? Eher sieben oder acht. Und sein Schnauzbart war längst nicht mehr so akkurat gestutzt wie in alten Zeiten. Kein Zweifel: Seit dem Tod seiner Frau achtete er noch weniger auf sein Äußeres, als er es früher getan hatte.
»Zufrieden mit der Unterbringung?«, fragte sie. »Ich habe das gleiche Zimmer wie immer. Es ist, als würde man nach Hause kommen.«
»Wie bitte?«
Kim, der Geraldine um fast zwei Köpfe überragte, beugte sich zu ihr herunter. Sein Hörgerät gab unangenehme Pfeifgeräusche von sich.
Sie kam nicht dazu, den Satz zu wiederholen. Zwei zärtlich-fordernde Arme schlangen sich ihr von hinten um den Leib, begleitet von einer Parfümwolke.
»Geraldine! Ma chère amie!«, rief Louanne Chevalier und gab ihr Küsschen auf beide Wangen. »Was für einen hübschen Hut du wieder trägst! Extravagant und absolut ladylike.« Flugs zog sie Geraldine von Kim weg und erklärte laut und völlig unbefangen: »Es wird immer schwieriger, sich mit ihm zu verständigen. Der Apparat in seinem Ohr ist falsch justiert, das habe ich ihm schon beim letzten Mal gesagt. Aber er meint, für seine Zwecke würde es reichen, er wolle all den Unsinn, den die anderen verzapfen, gar nicht immer mitbekommen.«
»Heidrun wäre von dieser Haltung ganz bestimmt nicht begeistert gewesen«, meinte Geraldine. »Wie lange ist es jetzt her, dass seine Frau gestorben ist? Zwei Jahre? Oder sind es schon drei?«
»Ich weiß es nicht, die Zeit fliegt.« Louanne tauschte ihr leeres Glas gegen ein frisches. »Santé!«
Geraldine stieß mit ihr an und bemerkte, wie sorgsam sich Louanne geschminkt hatte. Lidschatten, Wimperntusche, Rouge und Lippenstift – sie hatte es wieder einmal zur Perfektion getrieben, und trotzdem gelang es auch ihr nicht, die verräterischen Runzeln auf der Stirn und die Krähenfüße um die Augen zu kaschieren. Die Falten vollständig verbergen konnte sie nur am Hals, um den sie ein Seidentuch geschlungen hatte. Außerdem trug sie einen elegant geschnittenen Mantel, unter dem das samtene Rot eines Kleides hervorlugte.
»Du siehst bezaubernd aus, sweetheart«, sagte Geraldine, »wirklich bezaubernd.«
Louanne schien das Kompliment gar nicht wahrzunehmen. »Hast du ihn eigentlich schon gesehen?«, erkundigte sie sich stattdessen und kniff beim Umherschauen angestrengt die Augen zusammen. »Angeblich soll er sich schon seit ein paar Tagen in Südfrankreich aufhalten. Hat wohl einen Zwischenhalt bei Menton eingelegt.«
Louanne brauchte Ruben van Dijks Namen nicht auszusprechen, Geraldine wusste sofort, wen sie meinte. Und ja: Längst hatte sie ihn erspäht. Was nicht schwer war bei seiner stattlichen Erscheinung. Groß, breit, blond (nun ja, von der Originalfarbe war auch bei ihm nicht mehr viel übrig) – und laut. In diesem Moment saß der Niederländer breitbeinig in einem Loungesessel ganz am Rande der Balustrade und plauderte mit Kasimir Nowak, einer einstigen Koryphäe der Rechtsmedizin. Vielleicht hatte ihn Louanne deshalb noch nicht entdeckt. Aber zum Teufel, dann sollte sie eben endlich ihre Eitelkeit überwinden und eine Brille benutzen, anstatt die Welt um sich lediglich im Nebel wahrzunehmen.
»Dort drüben.« Sie schob Louanne so in Position, dass sie genau in Rubens Richtung blickte. »Wenn du ihn nicht sehen kannst, müsstest du ihn wenigstens hören. Das ist unverkennbar seine Lache, isn’t it?«
...Erscheint lt. Verlag | 29.9.2022 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Bücher Krimi Neuheiten • Buch Weihnachten Erwachsene • Cosy Crime • Detektive • Donnerstagsmordclub • Ermittler im Ruhestand • Forensikerin • Gerichtsmediziner • Geschenk für Senioren • Krimidinner • Murder Mystery • Polizisten • Rentner Buch • Rentner Geschenk • Richard Osman • rüstige Rentner • Seniorenkrimi • Weihnachten • Weihnachten-Roman • Weihnachtsgeschenke für Oma • Weihnachtsgeschichten für Erwachsene • Weihnachtskrimi • Weihnachtsroman |
ISBN-10 | 3-492-60245-2 / 3492602452 |
ISBN-13 | 978-3-492-60245-7 / 9783492602457 |
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