Als die Nacht am tiefsten war (eBook)
368 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60194-8 (ISBN)
Wolfgang Burger, geboren 1952 im Südschwarzwald, ist promovierter Ingenieur und hat viele Jahre in leitenden Positionen am Karlsruher Institut für Technologie KIT gearbeitet. Seit 1995 ist er schriftstellerisch tätig und lebt heute in Karlsruhe und Regensburg. Seine Gerlach-Krimis wurden bereits zweimal für den Friedrich-Glauser-Preis nominiert und stehen regelmäßig auf der SPIEGEL-Bestsellerliste.
Wolfgang Burger, geboren 1952 im Südschwarzwald, ist promovierter Ingenieur und hat viele Jahre in leitenden Positionen am Karlsruher Institut für Technologie KIT gearbeitet. Seit 1995 ist er schriftstellerisch tätig und lebt heute in Karlsruhe und Regensburg. Seine Gerlach-Krimis wurden bereits zweimal für den Friedrich-Glauser-Preis nominiert und stehen regelmäßig auf der SPIEGEL-Bestsellerliste.
1
Ich schwebte keineswegs als Halbtoter durchs Weltall, sondern lag in einem Bett. Allerdings nicht in meinem eigenen, wie mir erst allmählich bewusst wurde. Der Raum um mich herum war mir fremd, schien ein Hotelzimmer zu sein. Durch einen schmalen Spalt zwischen schweren Vorhängen stach mir Licht in die Augen, Sonnenlicht. Das mich aus dem Schlaf gerissen hatte. Und glücklicherweise auch aus diesem abscheulichen Albtraum.
Da war kein Riese.
Und natürlich auch keine Waffe.
Ich lag fest und sicher auf einer für meinen Geschmack ein wenig zu weichen Matratze und hatte mörderische Kopfschmerzen. Höllische, apokalyptische Kopfschmerzen. Außerdem war da diese Übelkeit, die leider nicht Teil eines Traums, sondern sehr real war. Das Bett begann zu schwanken, sich von allein zu drehen.
Ging das etwa schon wieder los?
Nur nicht noch einmal einschlafen. Wach bleiben! Außerdem musste ich … dringend …
Benommen strampelte ich die Decke weg, wälzte mich von meinem Lager, kam auf die Füße, ohne zu verunglücken, wusste merkwürdigerweise sofort, wo das Bad war, erreichte stolpernd die Kloschüssel und übergab mich mit einem heftigen Schwall.
Noch einmal.
Und noch einmal.
Seit dem legendären Besäufnis nach der letzten Prüfung an der Hochschule der Polizei war mir nicht mehr so schlecht gewesen.
Schon wieder begann ich zu würgen und zu spucken, obwohl mein Magen längst leer war.
Irgendwann, nach quälend langen Minuten, ließen Übelkeit und Schwindel nach. Schweiß stand auf meiner Stirn. Meine Hände waren eiskalt und zitterten. Ich trat zum Waschbecken, warf mir mit fahrigen Bewegungen kaltes Wasser ins Gesicht. Hielt einen der beiden roten Zahnputzbecher unter den Hahn, wollte trinken, doch er entglitt meiner Hand, kullerte irgendwo am Boden herum. Wie gut, dass das dumme Ding nicht zerbrechlich, sondern aus solidem Kunststoff war. Ich ließ es liegen, füllte den anderen Becher, trank gierig.
Noch einmal.
Und noch einmal.
Dann erst wagte ich einen Blick in den Spiegel und erschrak. Das Gesicht des Penners, der mich aus trüben Augen anstierte, war grünlich fahl und unrasiert, um die Augen dunkle Schatten, der Blick einer gequälten Kreatur. Die Erinnerung an die tödliche Angst in meinem Albtraum steckte mir noch in den Knochen.
Wo, zur Hölle, war ich überhaupt?
Nur zögernd und widerwillig kehrte die Erinnerung zurück.
Nora.
Unser Wochenende zu zweit.
Ein verschwiegenes Hotelzimmer weit entfernt von Heidelberg. Darauf hatte sie merkwürdigerweise Wert gelegt, dass das Hotel nicht in der Stadt war, in der wir beide lebten, nicht einmal in der näheren Umgebung. Mir war alles recht gewesen, wenn ich nur endlich eine Nacht mit Nora verbringen durfte. Wenn diese merkwürdige Sperre endlich durchbrochen wurde, die bisher verhindert hatte, dass wir uns so nah kamen, wie es sich für ein Liebespaar nun einmal gehört.
Moment mal!
Ich riskierte es, das Waschbecken loszulassen, stand immer noch unsicher auf den Beinen. Ein letzter Kontrollblick. Sämtliche Verwüstungen beseitigt? Das Waschbecken sah ordentlich aus. Auch am Boden war nichts, abgesehen von der Wasserpfütze, die ich verursacht hatte. Nur zur Sicherheit drückte ich die Toilettenspülung ein zweites Mal. Dann zurück ins dunkle Schlafzimmer, und tatsächlich: keine Nora.
Hatte sie beschlossen, mich meinen Rausch ausschlafen zu lassen, und war allein frühstücken gegangen? Oder hatte sie versucht, mich zu wecken, jedoch keinen Erfolg gehabt?
Ein Blick auf die Uhr – halb elf. So lange hatte ich seit Ewigkeiten nicht mehr geschlafen. Bestimmt kam sie gleich zur Tür herein, satt, fröhlich und zufrieden. Glücklich nach dem harmonischen Abend gestern, unserem kleinen Verdauungsspaziergang in der milden Luft des ersten Frühlingsabends, der diesen Namen verdiente. Ich war nackt, der Pyjama lag zerknäult am Fußende des Betts. Das Laken war zerwühlt. Waren wir …? Hatte ich überhaupt noch gekonnt, so besoffen, wie ich gewesen war?
Denn das war ja der unausgesprochene Plan gewesen: Nachdem wir uns nun schon fast fünf Monate kannten, endlich intim zu werden. So hatte ich mir die Sache zumindest vorgestellt. Und natürlich war ich davon ausgegangen, dass Nora dieselben Erwartungen mit unserem Kuschelwochenende verband.
Und nun also das.
Was war ich nur für ein Idiot!
Stöhnend sank ich aufs Bett.
Gestern Abend unser Candle-Light-Dinner im urigen Restaurant im Erdgeschoss. Lustig war es gewesen, heiter, stimmungsvoll. Alles, wie es sein sollte: weiches Licht, leise Musik, feines Essen, Wein. Von Letzterem offenbar entschieden zu viel.
Was für ein Absturz, was für eine Blamage! Immer noch schwankte das Zimmer. Immerhin hatte die Übelkeit nachgelassen. Das kalte Wasser hatte gutgetan.
Endlich wären wir ein Paar geworden, aber ich Hornochse hatte es wohl gründlich vermasselt. Dabei konnte ich mich gar nicht erinnern, so viel getrunken zu haben. Was aber auch kein Wunder war, ich konnte mich ja ohnehin an kaum etwas erinnern, was gestern Abend geschehen war. Nach dem Essen hatten wir beschlossen, uns noch ein wenig die Beine zu vertreten, das immerhin wusste ich noch. Aber weder, wie wir ins Hotel zurückkamen, noch, wann wir unser Zimmer betraten, hatte Spuren in meinem Gedächtnis hinterlassen.
Was musste Nora nur von mir denken? Zum Glück kannten wir uns schon ein wenig länger, waren öfter zusammen ausgegangen, sodass sie wusste, dass sie sich nicht mit einem Alkoholiker eingelassen hatte. Bisher hatte sie nicht viel Glück mit Männern gehabt. Beim Essen gestern Abend hatte sie ungewohnt freimütig erzählt. Von diversen Katastrophenbeziehungen, zu denen sie offenbar neigte. Von zwei Ehen, die beide nicht lange hielten …
Aber …
Was war das?
Ihr Koffer war weg!
Noras Koffer war nicht mehr da.
Auch ihre diversen Tübchen, Flakons und Döschen im Bad waren verschwunden.
Mein Köfferchen lag dagegen noch auf dem Stuhl, auf dem ich es gestern deponiert hatte. Da Noras Koffer größer war als meiner, hatte ich ihr die dafür vorgesehene Ablage überlassen und …
Mit zwei unsicheren Schritten war ich am Fenster, schob den Vorhang ein wenig zur Seite und blinzelte in die immer noch schmerzhafte Helligkeit hinaus. Der Parkplatz. Dort, in der zweiten Reihe hatte sie ihren kleinen Volvo abgestellt. Die Sonne hatte sich gnädigerweise gerade hinter einer Wolke versteckt, weshalb die Helligkeit meinen empfindlichen Augen nicht mehr gar so sehr zusetzte.
Auch der Volvo war nicht mehr da.
Nora war nicht frühstücken gegangen, sondern hatte es vorgezogen, das Weite zu suchen. Es würde mich einen ziemlich großen Blumenstrauß und eine Menge zärtliche Worte kosten, mich wieder mit ihr zu versöhnen.
Erschüttert sank ich aufs Bett zurück. Hielt mir den Kopf, der mit einem Mal wieder heftiger schmerzte. Mein Puls holperte, und mein Magen begann schon wieder, unruhig zu werden.
Nora hatte darauf bestanden, dass wir unsere erste gemeinsame Nacht auf neutralem Boden verbrachten. Weder in ihrer Wohnung noch in meiner könne sie sich so unbeschwert fühlen wie in diesem Hotel, wo wir mit Sicherheit niemanden treffen würden, der uns kannte. Vielleicht wurde sie laut beim Orgasmus, vielleicht war es einfach nur ein Spleen, eine Schrulle. Vielleicht wollte sie, dass es beim ersten Mal besonders feierlich zuging. Mir war alles von Herzen gleichgültig gewesen, wenn nur endlich dieser unfreiwillige Zölibat ein Ende fand, unter dem ich seit Monaten litt. Genau genommen seit der überraschenden Trennung von Theresa Anfang Januar. Jetzt war Mai. Wenn ich nicht irrte, der elfte. Sonntag? Richtig, Sonntag.
Sollte ich frühstücken gehen? Unsinn. Ich würde jetzt ohnehin nichts herunterbekommen. Am besten, ich packte meinen Kram zusammen und verschwand so unauffällig wie möglich von der Bildfläche. Es war nicht besonders ruhmreich, mit einer schönen Frau zusammen ein Hotelzimmer zu beziehen und es am nächsten Morgen allein wieder zu verlassen. Das Zimmer war zum Glück schon bezahlt, das hatte Nora gleich bei der Ankunft erledigt, per Kreditkarte. Eigentlich hatte ich das übernehmen wollen, aber sie meinte lachend, Anwältinnen verdienten mehr als Polizeibeamte, und...
Erscheint lt. Verlag | 29.9.2022 |
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Reihe/Serie | Alexander-Gerlach-Reihe |
Alexander-Gerlach-Reihe | Alexander-Gerlach-Reihe |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Eifersucht • Ermittler • ermittlungsarbeit • Gedächtnisverlust • Heidelberg Krimi • Kommissar Gerlach • Kriminalpolizei • Kriminalroman • Krimi Neuerscheinungen 2022 • Kripo • Kripochef Alexander Gerlach • Lebensgefahr • Mordanschlag • Polizeiarbeit • Rache • spannend • SPIEGEL-Bestsellerautor |
ISBN-10 | 3-492-60194-4 / 3492601944 |
ISBN-13 | 978-3-492-60194-8 / 9783492601948 |
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