Trümmertote (eBook)
432 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46016-0 (ISBN)
?Harald Gilbers, geboren 1969, stammt aus Moers am Niederrhein und lebt derzeit in Ostrhauderfehn. Er studierte Anglistik und Geschichte in Augsburg und München. Anschließend arbeitete er zunächst als Feuilleton-Redakteur beim Fernsehen, bevor er als freier Theaterregisseur tätig wurde. Sein Romandebüt »Germania«, der erste Fall für Kommissar Oppenheimer, erhielt 2014 den Friedrich-Glauser-Preis und wurde bislang in acht Sprachen übersetzt. In Japan schaffte es der Roman gleich auf zwei Jahres-Bestenlisten mit ausländischen Krimis. Die Fortsetzung, »Odins Söhne«, wurde 2016 in Frankreich mit dem Prix Historia als bester historischer Kriminalroman ausgezeichnet.
Harald Gilbers, geboren 1969, stammt aus Moers am Niederrhein und lebt derzeit in Ostrhauderfehn. Er studierte Anglistik und Geschichte in Augsburg und München. Anschließend arbeitete er zunächst als Feuilleton-Redakteur beim Fernsehen, bevor er als freier Theaterregisseur tätig wurde. Sein Romandebüt »Germania«, der erste Fall für Kommissar Oppenheimer, erhielt 2014 den Friedrich-Glauser-Preis und wurde bislang in acht Sprachen übersetzt. In Japan schaffte es der Roman gleich auf zwei Jahres-Bestenlisten mit ausländischen Krimis. Die Fortsetzung, »Odins Söhne«, wurde 2016 in Frankreich mit dem Prix Historia als bester historischer Kriminalroman ausgezeichnet.
1
Mittwoch, 16. Februar 1949
Die Blutspur ließ sich leicht erkennen, sogar in der dunklen Seitengasse. Der massige Mann mittleren Alters, dem der Schmerz Furchen ins Gesicht gegraben hatte, stieß bei dieser Erkenntnis einen unterdrückten Fluch aus. Es war kurz vor der Sperrstunde, und er kauerte verborgen hinter einem bereits geschlossenen Schnellimbiss. Mit angehaltenem Atem lauschte er in die Nacht, während er krampfhaft seinen verwundeten Arm umklammerte und hoffte, nicht entdeckt zu werden.
Er hieß Erwin Hupke. Als bekannte Gestalt in der Berliner Unterwelt genoss er ein gewisses Ansehen. Jetzt wusste Hupke, dass es ein Fehler gewesen war, den üblichen Tagesablauf beizubehalten. So zu tun, als wäre nichts geschehen. Nichts war mehr beim Alten, seitdem er die Polizei eingeschaltet hatte. Zum wiederholten Mal an diesem Abend verfluchte er sein Schicksal und fragte sich, wieso er in diese tödliche Klemme geraten war.
In einer Großstadt wie Berlin gab es viele Möglichkeiten, um an Geld zu gelangen. Und Erwin Hupke hatte sich auf die weniger legalen Methoden spezialisiert. Skrupel kannte er so gut wie gar nicht, er machte bei jedem krummen Ding mit, das ihm angeboten wurde. Sein eigentliches Talent bestand jedoch im Verhökern heißer Waren.
Hupke waren seine hervorragenden Verbindungen in den Ostteil dabei besonders zugutegekommen. Denn um den Schwarzmarkt auszutrocknen, betrieb die Sowjetische Militäradministration in Weißensee seit einigen Jahren eine offizielle Ankaufstelle, bei der sich Waren jeglicher Art losschlagen ließen. Meistens handelte es sich bei den Kunden um Privatleute, die ihre Erbstücke in Bargeld verwandelten, um die kargen Standardrationen aufzubessern. Der Andrang bei der Ankaufstelle war derart groß, dass es nicht einmal Aufsehen erregte, wenn Hupke dort in schöner Regelmäßigkeit mit Koffern voller Juwelen aufkreuzte. Die vor etwas mehr als sieben Monaten eingeläutete Blockade der westlichen Stadtsektoren hatte Hupke allerdings genötigt, sein Geschäftsmodell zu überdenken, weil seitdem die Schlupflöcher für illegale Waren eines nach dem anderen dichtgemacht wurden. Neuerdings mussten sich die Berliner an den Grenzen zum Sowjetsektor sogar Taschenkontrollen gefallen lassen. Doch der gewitzte Hupke hatte bald die Vorteile erkannt, denn momentan besaßen ohnehin nur die amerikanischen Besatzungssoldaten das nötige Kleingeld, um Wertgegenstände zu kaufen. Und weil gleich Tausende G.I.s nach passenden Liebesgaben für die Familie, die Verlobte oder die Ehefrau in der fernen Heimat suchten, florierten auch Berlins Antiquitätengeschäfte. Kistenweise wurden Gemälde, Meißener Porzellan – und dazwischen auch so mancher wertloser Nippes – über den Atlantischen Ozean geschickt. Und nicht wenige der feilgebotenen Preziosen stammten aus Hupkes illegalen Quellen. Ohne Umwege gelangte die heiße Ware ins Ausland, wo sich ihre Spur für immer verlieren würde.
Und Hupkes Virtuosität beim Losschlagen von Diebesgut war in der Berliner Unterwelt nicht lange ein Geheimnis geblieben. Angesichts seiner Berühmtheit als zuverlässiger Hehler hatte er sich nichts dabei gedacht, als vor ein paar Wochen neue Kunden bei ihm aufkreuzten. Es waren junge Schnösel, denen Hupke auf den ersten Blick nicht viel zugetraut hätte. Doch die notdürftig in einem Stofftaschentuch eingewickelten Brillanten waren zweifelsohne echt, und so hatte sich Hupke schließlich breitschlagen lassen, den Schmuck anzukaufen.
Niemals hätte er damit gerechnet, von seinen neuen Kunden so schnell wieder Besuch zu bekommen. Und vor allem nicht zu nachtschlafender Stunde. Dass nur ein dünner Vorhang Hupkes Nachtlager von seinem improvisierten Ladengeschäft trennte, war letztendlich ein Glück gewesen, denn vor drei Tagen hatten ihn verdächtige Geräusche aus dem Schlaf gerissen. Hupke musste nur den Vorhang zur Seite ziehen, um zu erkennen, dass Diebe versuchten, von außen ein Loch durch die Wand zu schlagen, um an Hupkes Tresor zu gelangen. Aber die Öffnung war noch zu klein, um den Metallquader hindurchziehen zu können.
Bei ihrer Entdeckung durch Hupke waren die Diebe immer noch damit beschäftigt, die Steine aus der Wand zu lösen. Also hatte der erzürnte Hehler nicht lange gefackelt, sich eine Taschenlampe sowie seine Schusswaffe geschnappt und war dann lautlos aus dem Seitenfenster gestiegen und ums Haus herumgelaufen. Festnageln ließen sich die Ganoven zu Hupkes Bedauern nicht mehr. Bereits vor seinem Eintreffen hatten sie Lunte gerochen und waren getürmt.
Doch er war nicht bereit, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Obwohl zu Hupkes üblichen Geschäftspartnern Gauner jeglicher Couleur zählten, hielten sich doch alle an die ungeschriebenen Gesetze der Unterwelt. Keiner von ihnen wäre auf die Idee verfallen, den eigenen Hehler zu beklauen. Also war sich Hupke sicher, dass nur diese Halbstarken dahinterstecken konnten. Angesichts einer solchen Unverfrorenheit fühlte er sich nicht länger an den Kodex der Ganoven gebunden. Er hatte sich bei seinen Unterweltkontakten umgehört und war mit den Informationen schließlich zur Kripo gegangen.
Und genau das sollte sich in dieser Nacht rächen.
Diese jungen Habenichtse waren wohl doch nicht so dämlich, wie sie aussahen. Irgendwie waren sie dahintergekommen, dass Hupke sie verpfiffen hatte. Und so waren vor gerade mal zehn Minuten zwei schmächtige Jungs vor seiner Wohnung aufgekreuzt.
Hupke war von seiner üblichen Runde durch die Nachbarschaft zurückgekommen und dabei nichts ahnend in die Falle getappt. Die Häscher hatten in der Nähe seiner Wohnung herumgelungert. Hupke hatte ihnen kaum Aufmerksamkeit geschenkt, denn sie waren nichts weiter als ein paar halbwüchsige Bengels, die nicht einmal die Mäntel richtig ausfüllten. Lediglich die abstehenden Ohren verhinderten, dass ihnen die Hüte über die Brauen rutschten. Doch so traurig diese Gestalten auch aussahen, ihre Taten waren von tödlicher Konsequenz. Wie üblich war Hupke zu Fuß unterwegs gewesen. Als er sich der Hofeinfahrt auf etwa zehn Meter genähert hatte, waren sie ihm plötzlich mit gezückten Waffen entgegengesprungen und hatten ihn mit einem Bleihagel begrüßt.
Zum Glück waren Hupkes Möchtegernmörder miserable Schützen. Profis hätten versucht, die Distanz zum Opfer weiter zu verringern. Und so war es Hupke gelungen, den Kugeln auszuweichen. Flink wie ein Hase war er zwischen geparkte Autos gesprungen und hatte dann die Beine in die Hand genommen. Dass sie ihn trotzdem am Arm erwischten, war reines Pech gewesen.
Seitdem befand sich Erwin Hupke auf der Flucht.
In seinem Versteck kam ihm die Stille allmählich verdächtig vor. Er konnte sich sowieso nicht die ganze Nacht hinter dem Schnellimbiss verstecken. Vorsichtig reckte er sich, um die Gasse zu sondieren. Kein Passant war zu sehen. Hupke überlegte, ob er es wagen konnte, die Deckung zu verlassen. Er hatte noch einen anderen Unterschlupf, nur lag dieser in der Nähe des Steglitzer Stadtparks. Bis dorthin waren zwei unendlich lange Kilometer zu überwinden. Hupke berechnete seine Überlebenschancen. Das Resultat gefiel ihm nicht.
Trotzdem verließ der seine Deckung und schleppte sich den Lichtern der Hauptstraße entgegen. Er war so angeschlagen, dass ihm der Schweiß auf die Stirn trat.
Nach ein paar Metern glaubte er, hinter sich Schritte zu hören. Die Augen weit aufgerissen, drehte er sich im Laufen um. Augenblicklich zuckten höllische Schmerzen durch seinen Arm. Er hatte die Schusswunde unterschätzt. Beim ersten Adrenalinschub hatte er lediglich ein kurzes Stechen bemerkt. Es war aber offensichtlich doch mehr als nur ein Kratzer, und vermutlich steckte die Kugel noch in seinem Muskel. Hupke musste stehen bleiben, bis der Schmerz abgeflaut war. Dabei blickte er die Straße entlang. Sie war leer. Auch die hallenden Schritte waren verklungen. Hupke gelangte zu dem Schluss, dass er vermutlich seine eigenen Schritte gehört hatte. An der Ecke zur Schloßstraße angelangt, warf Hupke schnelle Blicke um sich. Strom und Gas waren immer noch streng rationiert und zu kostbar, um damit die Hauptstraßen von Westberlin lückenlos zu erhellen. Und so brannte nur jede zweite oder dritte Straßenlaterne. Hupke war sich bewusst, dass in den weitläufigen dunklen Passagen ungeahnte Gefahren lauerten.
In den letzten Tagen hatte der Regen den Schneematsch fortgespült, und auf den Straßen war ein kaltes Glitzern zurückgeblieben. Werktags zu dieser späten Stunde, und dann auch noch bei nasskaltem Wetter, herrschte nicht viel Betrieb. Nur einzelne Passanten durchquerten die Lichthöfe der Straßenlaternen. Nirgends war ein Taxi zu sehen, in das Hupke hätte springen können. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als zu Fuß zu gehen, um zu seinem Unterschlupf zu gelangen. Und dazu musste er früher oder später die breite Straße überqueren.
Hupke zögerte. Es war ein Risiko, denn er würde unvermittelt auf dem Präsentierteller stehen. Er wusste nicht, wo seine Häscher steckten. Sie konnten überall auf ihn lauern, das war in der Dunkelheit nicht einzuschätzen. Das Häusergewirr auf der gegenüberliegenden Seite versprach Schutz. Dort konnte er in die Nebengassen eintauchen und querfeldein laufen.
Noch während Hupke versuchte, sein letztes bisschen Mut zusammenzunehmen, schwang rechts von ihm die Tür zur Kindl-Schänke auf. Lachende Menschen traten aus dem Wirtshaus mit den großen Fensterfronten. Es waren zwei G.I.s mit ihren Mädchen und ein weiteres Paar. Blitzschnell verwarf Hupke seinen ursprünglichen Plan und suchte den Schutz der Gruppe. Mit hochgeschlagenem Mantelkragen folgte er den Kneipenbesuchern. Die jungen Leute scherzten miteinander, eine Frau lachte. Hupke...
Erscheint lt. Verlag | 1.12.2022 |
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Reihe/Serie | Ein Fall für Kommissar Oppenheimer | Ein Fall für Kommissar Oppenheimer |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | 1949 • Al Capone • Berlin • Berlin-Blockade • Berliner Unterwelt • Berlin Krimi • Berlin Thriller • Drogenhandel • Drogenhändler • Ein Fall für Kommissar Oppenheimer • Endzeit • Gangster • Gangsterbande • Gangsterboss • Geldtransporter • Germania • Harald Gilbers • Harald Gilbers Kommissar Oppenheimer • Harald Gilbers Kommissar Oppenheimer Reihenfolge • Harald Gilbers Oppenheimer • Historische Kriminalromane • Historische Krimis • historische Krimis Deutschland • Hungerwinter • Jugendbande • Kalter Krieg • Kommissar Oppenheimer • Kommissar Oppenheimer 7 • Kommissar Oppenheimer Band 7 • Kommissar Oppenheimer Reihenfolge • krimi berlin • Krimi Berlin 40er Jahre • Krimi deutsche Autoren • Krimi Deutschland • Krimi Drogen • Krimi historisch • Kriminalromane Berlin • Kriminalromane Serien • Krimi Politik • krimi reihen • Krimis für Männer • Luftbrücke • Mord • Morphium • Nachkriegszeit • Nachkriegszeit Krimi/Thriller • Odins Söhne • Polizei Krimis/Thriller • Preisgekrönt • Prostituierte • Raubüberfall • Sektorengrenze • Totenliste • Trümmer • Verbrecherkönig • Währungsumstellung |
ISBN-10 | 3-426-46016-5 / 3426460165 |
ISBN-13 | 978-3-426-46016-0 / 9783426460160 |
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