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Möwen, Morde und viel Meer
Zwischen Hamburg und der Nordseeküste gibt es so manchen Tatort und so manchen Ermittler - doch sie alle haben eins gemeinsam: Sie arbeiten dort, wo andere am liebsten Urlaub machen. Denn egal ob sonniger Sandstrand, glitzernde Elbe oder tosende See, das Verbrechen macht vor gar nichts halt!
23 Fälle, die es in sich haben - unsere Autorinnen nehmen Sie mit an die Tatorte im Norden und versprechen Spannung für den Urlaub oder einfach zwischendurch, auf jeder Seite.


Mit Kurzkrimis von Monika Buttler, Carola Christiansen, Heike Denzau, Kathrin Hanke, Franziska Henze, Eva Jensen, Svea Jensen, Anke Küpper, Alexa Lewrenz, Anja Marschall, Bettina Mittelacher, Regina Müller-Ehlbeck, Ricarda Oertel, Susanne Pohl, Alex Roller, Maja Schendel, Anette Schwohl, Stefanie Schreiber, Regine Seemann, Elin Seidel, Carolyn Srugies, Joyce Summer und Sabine Weiß.



<p>Monika Buttler, Journalistin und Autorin, Magistra der Literaturwissenschaft,Germanistik und Philosophie, war viele Jahre lang als Wohnredakteurin tätig.Sie publizierte u.a. sieben Kriminalromane, über 40 Kurzkrimis, ein Hörspiel und Prosa wie den Erzählband 'Fatale Freundschaften'. Sie ist Mitglied bei den 'Mörderischen Schwestern' und in der 'HamburgerAutorenvereinigung'.<br/>Monika Buttler ist verwitwet und lebt in Hamburg.<br/>Motto: 'Le style c'est l'homme'.www.monikabuttler.de</p>

Mit leisem Summen kommt der Tod

Joyce Summer

Hamburg

Der Rauch griff nach ihnen, umhüllte sie und brachte sie in Alarmbereitschaft. Irgendwo musste es brennen, ihr Signal, sich für die anstehende Gefahr mit Proviant einzudecken. Vollgesogen mit der süßen Masse warteten sie ab.

Prüfend hielt er den Rahmen mit den Waben in das Licht der aufgehenden Sonne, die sich über dem Schanzenpark zeigte.

Diesen Sommer wird es eine gute Ernte geben, dachte er zufrieden und schob den Rahmen vorsichtig in die oberste Zarge des Bienenstockes, ohne die umherkrabbelnden Bienen zu zerquetschen. Er liebte es, am frühen Morgen auf den Dächern von Hamburg nach seinen Bienen zu schauen. Bevor die Stadt langsam erwachte, sich aus den Morgenschleiern emporhob, um dann in ihrer Geschäftigkeit zu versinken. Heute war sein Volk etwas aufgeregter als sonst. Es musste daran liegen, dass er die letzten Tage nicht hier oben gewesen war. Wächterbienen umschwirrten ihn, und ihr lautes Summen übertönte die Geräusche der Stadt. Dennoch kein Grund für ihn, sich aus der Ruhe bringen zu lassen. Behutsam streifte er eine der Wächterinnen von seinem Gesicht, bevor sie auf die Idee kommen konnte, seine Nasenlöcher zu erkunden. Wie immer trug er keinen Schutzanzug. Die wenigen Bienenstiche, die er über das Jahr bekam, gehörten zu seinem Beruf und störten ihn nicht. Er holte den nächsten Rahmen aus der Zarge. Dieser war fast reif für die Ernte. Die Bienen hatten angefangen, die ersten Waben zu verschließen. Mit dem kleinen Finger pikste er vorsichtig in das weiß-goldene Konstrukt. Klebrig weich ergoss sich der klare Honig über den Finger. Als er ihn ableckte, schmeckte er die Aromen der Stadt. Nach den vielen Jahren als Imker konnte er alle benennen: den nussigen Geschmack des Ahorns und die Süße der Linde. Dazu das zarte Bouquet der wenigen Blumen des Parks, die dem Honig seine individuelle Note gaben. Die wenigsten wussten, dass Bienen Vorlieben hatten und es durchaus sein konnte, dass der Honig zweier Bienenvölker mit gleichem Standort unterschiedlich schmeckte. Er zuckte zusammen. Das gab es doch nicht? Ihn hatte tatsächlich eine Biene gestochen. Reflexartig wischte er über den Nacken, um das Tier loszuwerden, dann widmete er sich wieder dem prall gefüllten Rahmen in seiner Hand. Vorsichtig streifte er abermals die Insekten ab, um den Rahmen ohne große Verluste wieder in die Zarge zu schieben. Seine Hand fing an zu zittern, und der Schlitz, den er anpeilte, verformte sich zu einer Zickzacklinie. Die Farben vor seinen Augen lösten sich auf und wurden grau. Seine Zunge klebte an seinem Gaumen, und Hitze stieg in ihm auf. Was zum Teufel war das? Seine Beine stimmten in das Zittern seiner Hände ein, und er klammerte sich an den Bienenstock. Der ganze Stock vibrierte. Verdammt, was ist nur los mit mir? Er versuchte, tief durchzuatmen, aber das gelang ihm nicht. Seine Lunge fing an zu brennen, und sein Magen verkrampfte. Das Grau vor seinen Augen wurde immer dunkler, als würde jemand einen Vorhang zuziehen. Sein Herz fiel in das vibrierende Orchester seiner Hände und Beine mit einem schwer pochenden Stakkato ein. Wütend versuchte die Lunge, gegen die vehementen Stimmen dieser verzweifelten Symphonie an Luft zu gelangen. Seine Blase entließ widerstandslos den Kaffee, den er heute Morgen getrunken hatte. Die Wärme des Urins, welcher seine Hose durchdrang, gelangte schon nicht mehr in sein Bewusstsein.

***

Avila kam aus der Dusche und rubbelte sich mit dem Handtuch über die Haare. Im Zimmer war Leticia gerade dabei, der widerstrebenden Felia die Kleidung für den heutigen Tag anzuziehen. Die Wahl ihrer Mutter gefiel dem Kind nicht. Bockig strampelte es mit den Beinen, um es Leticia unmöglich zu machen, die Strumpfhose darüberzustreifen.

»Will keine Hose«, protestierte Felia und hielt mit ihrer kleinen Hand die Strumpfhose fest.

»Ich zieh dir auch gleich das Kleid mit den rosa Streifen an, das du so gerne magst.« Kurz lockerte Felia den Griff, und Leticia schaffte es, eines der zappelnden Füßchen in die Strumpfhose zu stecken. Quittiert wurde ihr Erfolg mit einer krähenden Unmutsbekundung aus Felias Mund.

»O meu amor, mein Liebes, kann ich dir irgendwie helfen?« Avila hatte sich schnell T-Shirt und Hose übergestreift.

»Nein, Felia und ich bekommen das hin. Denn Felia ist ein großes Mädchen, richtig? Sag dem Papa, dass du ein großes Mädchen bist.«

»Go’ßes Mädchen.« Felia strahlte ihren Vater an und ließ los. Die Strumpfhose baumelte lose an ihren Füßen.

»Bom, gut, dann lass ich euch alleine.« Innerlich atmete Avila auf. Die morgendlichen Anziehorgien mit seiner Tochter mochte er nicht besonders. Dabei konnte sie sonst ein so liebes Mädchen sein. »Ich warte auf der Bank vor dem Hotel, auf der wir gestern Abend noch gesessen haben. Lasst euch so viel Zeit, wie ihr braucht.«

»Aber nicht, dass du doch kurz beim Frühstücksbuffet vorbeischaust, um dir die Wartezeit zu versüßen!« Leticia hob mahnend den Zeigefinger, um diesen dann in seine üppig umhüllten Rippen zu bohren. »Es gibt nur unser Übliches. Wir wollen doch heute Abend schön essen gehen. Dann kannst du es auch ohne schlechtes Gewissen genießen.«

Leticia hatte für sie beide beschlossen, dass sie während ihres verlängerten Wochenendes in Hamburg das große Frühstücksbuffet des Hotels ausließen. Schließlich entsprach das nicht ihrer Lebensweise. Weder sie als Spanierin noch er als Portugiese hielten sich morgens mit einem üppigen Frühstück auf. An dieser Routine sollte auch ein überbordendes Buffet nichts ändern, hatte Leticia ausgeführt und dabei die deutliche Wölbung oberhalb seines Gürtels gemustert.

»Außerdem möchte ich in meinem Kleid nicht wie eine Presswurst aussehen, wenn wir in die Elbphilharmonie gehen.«

»Sério? Wirklich? Wir gehen in die Elbphilharmonie? Ich hatte mich schon gewundert, warum du dein rotes Kleid eingepackt hast. Das erklärt es.«

»Schließlich musste ich ausnutzen, dass du für deinen Vortrag am Montag vor der Polizeiakademie dein gutes Jackett mitgenommen hast. Aber bitte sei vorsichtig mit deiner hellen Hose. Das ist die einzige, die wir für dich eingepackt haben. Nicht, dass dort wieder ein Kaffeefleck oder etwas anderes darauf landet.«

»Mach dir keine Sorgen. Außerdem, wenn du dein rotes Kleid trägst, könnte ich neben dir sogar nackt gehen, es würde keinem auffallen.« Er streichelte Leticia zärtlich über die Wange.

Sie kicherte. »Tipo Louco! Verrückter Kerl! Jetzt geh schon. Wir treffen uns vor dem Hotel. Deine beiden Frauen werden sich beeilen.«

Kurze Zeit später stieg er in den Fahrstuhl, um hinunter zur Rezeption zu fahren. Als er den mit rotbraunen Backsteinen gemauerten Gewölbegang, der von der alten Geschichte des Gebäudes erzählte, entlangging, wunderte er sich. In der Eingangshalle hatte sich eine Menschentraube gebildet. So früh am Morgen? Vielleicht eine Reisegruppe. Er schaute sich um und sah die junge Frau, die Leticia und ihn gestern im Hotel so herzlich begrüßt hatte. Da das »International Office« der Polizeiakademie auf den Namen »Comissário Avila und Frau« ein Zimmer im Hotel reserviert hatte, hatte Avila seinen Beruf nicht vor der Rezeptionistin verheimlichen können. Mit großen Augen hatte ihn die junge Frau angesehen und gesagt, sie hätte bisher nur im Fernsehen einen echten Kommissar gesehen. Verwundert stellte er jetzt fest, dass ihr Gesicht gerötet war und sie sich mit einem Taschentuch über die Augen wischte. Als sie ihn sah, steckte sie das Taschentuch in die vordere Westentasche ihrer dunklen Hoteluniform und eilte auf ihn zu.

»Ach, Comissário Avila! Ich hoffe, Sie wurden nicht gestört. Die Polizei …« Sie schluckte.

»Die Polizei?« Avila hob die Augenbrauen und blickte sich genauer um, ob er eventuell einen deutschen Kollegen unter den Menschen in der Halle entdeckte.

»Die sind gerade weg.« Eine einzelne Träne quoll aus ihrem rechten Auge und glitzerte im Licht der großen kupfernen Schalen mit ihren hellen Glühbirnen, die ein Architekt als Deckenleuchten installiert hatte.

»Und weswegen waren sie hier?«

»Herr Harmsen, unser Imker, er ist tot.«

»Tot? Was genau ist passiert? Herr Harmsen machte gestern Abend einen sehr gesunden Eindruck.«

»Ich habe ihn vorhin auf dem Dach gefunden. Wie fast jeden Tag war er heute kurz vor halb sechs an der Rezeption und hat gebeten, dass ihm der Aufgang zum Dach aufgesperrt wird. Aus versicherungstechnischen Gründen darf er leider keinen Schlüssel haben. Wenn er mit seinen Bienen fertig ist, zieht er die Tür zum Dach hinter sich zu und sagt Bescheid, damit eine von uns wieder absperrt. Normalerweise dauert das maximal eine halbe Stunde. Aber als er heute kurz nach sieben Uhr immer noch nicht da war, habe ich meiner Kollegin die Rezeption überlassen, um nachzusehen. Da lag er regungslos zwischen seinen Bienen. Er sah furchtbar aus. Das Gesicht ganz rot geschwollen. Wäre ich doch nur früher hochgegangen, vielleicht hätte ich den Notarzt recht…« Sie schluckte. Avila klopfte ihr beruhigend auf den Rücken.

»Sie sind so freundlich. Ganz anders als der Kommissar, der hier ankam. Er hat mich total von oben herab behandelt. Sie hätten das bestimmt nicht getan.«

»Ich möchte den Kollegen jetzt nicht in Schutz nehmen, aber er macht nur seine Arbeit. Manche von uns kommen dann etwas arrogant rüber. Das tut mir sehr leid.«

»Oh nein, mir tut es leid! Sie denken jetzt sicher, ich bin hysterisch. Aber ich mache mir solche Vorwürfe. Zufällig habe ich gehört, wie einer der Polizisten zu einem anderen von einem...

Erscheint lt. Verlag 24.5.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Deutsche Autoren • Deutsche Krimis • Krimi • Krimi Anthologie • Krimi Kurzgeschichten • Kriminalroman • Kurzgeschichten • Kurzgeschichten Krimi • Kurzgeschichten Sammlung • Küstenkrimi • Küstenroman • Nordsee • Nordseekrimi • Nordsee Roman
ISBN-10 3-7499-0324-7 / 3749903247
ISBN-13 978-3-7499-0324-5 / 9783749903245
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