Der Reiz des Bösen (eBook)
432 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60185-6 (ISBN)
Stefanie Ross arbeitet im Bankwesen und ist Autorin. Sie liebt es, besondere Figuren mit Ecken und Kanten zu entwickeln. Ihr Leben bewegt sich zwischen nüchternen Zahlen und Motorradtouren. Sie lebt an der Ostsee, wo Wind und Wellen sie inspirieren.
Stefanie Ross arbeitet im Bankwesen und ist Autorin. Sie liebt es, besondere Figuren mit Ecken und Kanten zu entwickeln. Ihr Leben bewegt sich zwischen nüchternen Zahlen und Motorradtouren. Sie lebt an der Ostsee, wo Wind und Wellen sie inspirieren.
Kapitel 1
Halb fünf Uhr nachmittags. Endlich war es Zeit, den gemütlichen Teil des Tages einzuläuten. Nach exakt acht Stunden im Büro war Marcus Lauer wieder zu Hause und ließ die Tür seines Reihenhauses hinter sich ins Schloss fallen. Als Kriminaloberkommissar beim Hamburger Landeskriminalamt kannte er sich mit den Vorschriften des Waffengesetzes aus, dennoch verstaute er seine Dienstwaffe in der Flurkommode. Da er alleine lebte, hatte er den Tresor seit Monaten nicht mehr benutzt. Eigentlich gab es nicht einmal einen vernünftige Grund, warum er die Walther überhaupt noch jeden Tag trug. Vermutlich eine alte Gewohnheit. Sein Job bestand heute, im Gegensatz zu früher, im Wälzen von Akten, da bestand höchstens die Gefahr, dass er sich am Papier schnitt.
Mit einer Flasche Bier setzte Marcus sich auf die Terrasse. In der Sonne war es warm genug, um im T-Shirt draußen zu sitzen. Er überflog auf seinem Smartphone die Schlagzeilen eines Nachrichtenmagazins und überlegte wieder einmal, das monatliche Abo zu kündigen. Es gab nicht einen Artikel, der ihn interessierte. Er war jedoch zu bequem, sich seinen E-Book-Reader aus dem Haus zu holen, und klickte sich gelangweilt durch verschiedene Webseiten. Er wollte schon weiterscrollen, als ihm eine Überschrift auffiel. Wintereinbruch auf den Kanaren. Wenn das keine Ironie war. Er saß Anfang März in Hamburg bei über zwanzig Grad auf seiner geschützten Terrasse, während bei seiner Ex-Frau und seiner Tochter am Vortag Temperaturen um den Gefrierpunkt geherrscht hatten. Mehr als einen Anflug von Schadenfreude verschwendete er jedoch nicht an seine ehemalige Familie, dafür waren ihm Frau und Tochter in all den Jahren einfach zu fremd geworden.
Marcus studierte gerade die Neuankündigungen auf Netflix, als es zweimal energisch an der Haustür klingelte. Wenn er nicht ein neues Bier gebraucht hätte, wäre die Versuchung groß gewesen, die Störung zu ignorieren. Er erwartete keinen Besuch, und auf Paketzusteller, die ihm eine Sendung für irgendeinen Nachbarn zur Aufbewahrung andrehen wollten, konnte er verzichten.
Auf dem Weg zum Kühlschrank warf er einen flüchtigen Blick aus dem Küchenfenster und vergaß im nächsten Moment, was er eigentlich vorgehabt hatte.
Ein Mädchen, eher eine junge Frau, stand einige Meter vor dem Haus und betrachtete es neugierig. Die langen blonden Haare waren zu einem lockeren Zopf zusammengebunden, sie war braun gebrannt und trug eine Jacke, dir ihr viel zu groß zu sein schien. Neben ihr lag ein Rucksack im Militärlook auf dem Boden, der Platz genug bot, um damit auf Weltreise zu gehen.
Marcus blinzelte. Tatsächlich. Das war Valerie. Seine Tochter litt nicht auf Teneriffa unter den kalten Temperaturen, sondern stand in Hamburg vor seinem Haus. Er konnte froh sein, dass er sie überhaupt erkannte. Sie hatten sich seit Ewigkeiten nicht gesehen. Früher hatte sie sich telefonisch an ihrem Geburtstag und zu Weihnachten für seine Geldgeschenke bedankt. Seit einigen Jahren schickte sie ihm nur noch eine WhatsApp. Wenn seine Ex-Frau ihm nicht pflichtschuldig einmal im Monat ein Foto über den gleichen Messengerdienst schicken würde, dann … Valerie trat vor und trommelte energisch gegen die Tür.
Eilig öffnete er. »Na, das ist mal eine Überraschung.«
Valerie musterte ihn von Kopf bis Fuß. »Papa?«
Die Frage fuhr ihm direkt ins Herz. Natürlich. Ihr hatte niemand Fotos von ihm geschickt. Er nickte stumm, weil er seiner Stimme nicht traute.
Sie wuchtete den Rucksack hoch. »Na, dann happy Familienzusammenführung. Mom meinte, das Haus sei groß genug, dass ich hier wohnen kann. Lässt du mich rein, oder …«
Obwohl sie ihn beinahe trotzig ansah, bemerkte er, dass ihr Blick unsicher umherhuschte.
»Komm«, sagte er lediglich und wich zurück.
Sie ließ ihr Gepäckstück im Flur auf den Boden fallen.
»Ich … Ich wollte mir gerade ein Bier holen. Willst du auch eins?« Er rechnete rasch nach. Sechzehn. Sie war alt genug. »Auf der Terrasse kann man noch in der Sonne sitzen. Und es ist wärmer als bei dir zu Hause.«
»Okay.«
Sie zog die Jacke nicht aus, kramte aber in einem Fach ihres Rucksacks herum, bis sie einen zerknitterten Umschlag in der Hand hielt. Er sah sie neugierig an. Als sie keine Anstalten machte, ihm etwas zu sagen, geschweige denn zu erklären, drehte er sich um. »Küche ist hier rechts. Man kommt da auf die Terrasse und auch durchs Wohnzimmer.«
Während Marcus zwei Flaschen Jever öffnete, dämmerte ihm langsam, was gerade geschehen war. Seine Tochter war hier, und, wie es aussah, würde sie auch nicht so schnell wieder gehen. Doch wie sollte das funktionieren? Mit sechzehn musste man doch noch zur Schule gehen, oder nicht? Wein und Bier kaufen und trinken durfte man in dem Alter allerdings schon, das wusste er.
Unsicher sah er sich um. Sie saß bereits draußen. Auf seinem Stuhl. Na, das konnte ja lustig werden.
Nachdem Marcus die Flaschen auf dem klapprigen Tisch abgestellt und sich ein zweites Stuhlkissen zurechtgelegt hatte, schob sie ihm den Umschlag hin.
»Moms Einverständniserklärung, dass ich bei dir wohnen kann. Offiziell teilt ihr euch ja das Sorgerecht, und es dürfte keine Probleme geben, aber man weiß ja nie. Ab Montag gehe ich dann hier aufs Gymnasium. Den Unterhalt für mich musst du ihr nicht mehr überweisen, weil ich jetzt ja hier wohne.«
Und er wurde überhaupt nicht gefragt? Gut, er machte sich in seinem Job nicht gerade kaputt, aber er schätzte seine Ruhe und sein gewohntes Leben.
»Und auf die Idee, mich zu fragen oder vorzuwarnen, seid ihr nicht gekommen?«
Sie sah an ihm vorbei zu einer Amsel, die in einem Lebensbaum verschwand. »Dann hättest du vielleicht Nein gesagt, und das Risiko wollte ich nicht eingehen. Mom kenne ich, dich nicht. Das will ich jetzt ändern. Außerdem habe ich mit einem Abi von einer deutschen Schule bessere Aussichten auf einen Studienplatz.«
Vermutlich wäre das der passende Zeitpunkt, um sie nach ihren Zukunftsplänen zu fragen, er tat es aber nicht. Ihre Worte wirkten einstudiert, dazu noch das leise Zittern ihrer Unterlippe. Noch vor wenigen Minuten hätte er es nicht für möglich gehalten, aber irgendwo tief in ihm verborgen empfand er noch väterliche Gefühle für dieses Mädchen, obwohl sie ihm völlig fremd war.
Er griff nach seinem Smartphone, rief eine App auf und schob ihr das Gerät zu. »Da. Das WLAN-Passwort.«
Valerie sprang auf. »Ich muss kurz auf die Toilette.«
Sie war schnell, aber nicht schnell genug. Er hatte noch die Tränen in ihren Augenwinkeln gesehen.
Wenig später kehrte seine Tochter zurück, nahm sich ihre Flasche Bier und prostete ihm zu. »Auf uns.«
Er erwiderte den Gruß, wusste aber immer noch nicht, was er eigentlich mit ihr anfangen sollte.
Am besten, er plante einen Schritt nach dem anderen. Sie brauchte Bettwäsche, Handtücher, Platz im Badezimmer. Er musste seinen Krempel aus dem Gästezimmer rausholen und im Keller verstauen. Essen. Was mochte sie? Ernährten sich die jungen Leute heutzutage nicht alle vegan?
»Isst du Salamipizza?«, fragte er, während sie die Daten seines Routers in ihr Handy eingab.
»Ja, sicher. Wieso denn nicht?«
»Weil es doch gerade in ist, sich vegan oder vegetarisch zu ernähren.«
Sie pustete sich eine Strähne aus dem Gesicht. »Ich hasse Massentierhaltung. Zu Hause … Ich meine, auf der Insel, wissen wir noch, wo das Fleisch herkommt. Pizza und McDonald’s gehen mal in Ordnung, nur nicht so oft. Damit unterstützen wir die Falschen, und es ist ungesund. Besser ist es, sich nachhaltig zu ernähren. Also ja, ich esse viel vegetarisch, aber nicht nur.«
»Dann kannst du kochen?«
»Ja. Du nicht?«
»Nur, wenn du es kochen nennst, die Pizza aus der Verpackung zu nehmen und in den Ofen zu schieben. Ich esse mittags in der Kantine. Da reicht abends eine Scheibe Brot und am Wochenende eben was Schnelles aus dem Ofen oder vom Imbiss.«
Normalerweise war Haus des Geldes seine Lieblingsserie, heute schaltete Marcus sie nach wenigen Minuten aus. Die Pläne des Professors konnten ihn nicht fesseln. Es war still im Haus. So, als wäre seine Tochter gar nicht hier. Aber sie...
Erscheint lt. Verlag | 1.12.2022 |
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Reihe/Serie | Team Lauer ermittelt |
Team Lauer ermittelt | Team Lauer ermittelt |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Bestseller • DeGrasse • Degrasse-LKA • Deutscher Krimi • Ermittler Krimi • Ermittlung • Hamburg • Hamburg-Krimi • Hamburg Roman • Krimi • Kriminalroman • Mord • Navy SEALs • polizei roman • spannend • spannender Roman • Stadt • Stefanie Ross • Tatort • Team • Tod • ungewöhnlicher Ermittler • ungewöhnliches Team • Verbrechen • Verbrechenserie |
ISBN-10 | 3-492-60185-5 / 3492601855 |
ISBN-13 | 978-3-492-60185-6 / 9783492601856 |
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