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Was im Dunkeln liegt (eBook)

Thriller

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022
448 Seiten
Goldmann Verlag
978-3-641-28651-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Was im Dunkeln liegt - Harlan Coben
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Privatdetektiv Wilde ist dafür bekannt, jedem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Das größte jedoch trägt er selbst mit sich herum. Denn als kleiner Junge wurde er in den Wäldern der Appalachen gefunden – ohne Erinnerung, wie er dort hinkam, ohne jegliches Wissen über seine Eltern.

Seither ist er auf der Suche nach seiner Vergangenheit. Als er eines Tages endlich eine heiße Fährte aufnimmt, stellt sich heraus, dass seine mysteriöse Herkunft mit einem aktuellen Vermisstenfall verknüpft scheint – und mit einem vermeintlichen Selbstmord.

Und je näher Wilde seiner eigenen Geschichte kommt, desto gefährlicher wird seine Suche.

Harlan Coben wurde als erster Autor mit den drei bedeutendsten amerikanischen Krimipreisen ausgezeichnet. Seine Thriller sind bisher in 45 Sprachen übersetzt worden, erobern regelmäßig die internationalen Bestsellerlisten und wurden zu großen Teilen verfilmt. Der Autor lebt mit seiner Familie in New Jersey.

Der neue Fall für Wilde – und sein persönlichster: der brillante Ermittler auf der Suche nach der eigenen Vergangenheit.

EINS


Im Alter von etwa vierzig bis zweiundvierzig Jahren – er wusste nicht genau, wie alt er war – fand Wilde endlich seinen Vater.

Wilde hatte seinen Vater nie kennengelernt. Oder seine Mutter. Oder sonst einen Verwandten. Er kannte ihre Namen nicht, wusste nicht, wann und wo er geboren wurde, und wie er als sehr kleines Kind allein im Wald der Ramapo Mountains gelandet war und sich selbst versorgt hatte. Jetzt, etwa drei Jahrzehnte, nachdem er als kleiner Junge »gerettet« wurde – »AUSGESETZT UND VERWILDERT lautete eine Schlagzeile, »EIN MODERNER MOGLI, schrie eine andere –, war Wilde keine zwanzig Meter von einem Blutsverwandten und vielen noch unbekannten Antworten auf seine mysteriöse Herkunft entfernt.

Erst vor Kurzem hatte er erfahren, dass sein Vater Daniel Carter hieß. Carter war einundsechzig Jahre alt und mit einer Frau namens Sofia verheiratet. Sie hatten drei erwachsene Töchter, Cheri, Alena und Rosa – Wildes Halbschwestern, wie er annahm. Carter lebte an der Sundew Avenue in Henderson, Nevada, in einem Ranch-Haus mit vier Schlafzimmern. Er leitete seine eigene kleine Baufirma, Dream House Construction.

Als der junge Wilde vor fünfunddreißig Jahren allein im Wald aufgefunden wurde, schätzten die Ärzte sein Alter auf fünf bis sieben Jahre. Er konnte sich weder an Eltern noch an sonstige Bezugspersonen erinnern, und auch nicht daran, je ein anderes Leben geführt zu haben, als sich irgendwie allein in diesen Bergen durchzuschlagen. Der kleine Junge hatte überlebt, indem er in leer stehende Hütten und Sommerhäuser eingebrochen war und dort Kühlschränke und Vorratskammern plünderte. Manchmal hatte er in leer stehenden Häusern oder in Zelten geschlafen, die er aus Garagen gestohlen hatte. Wenn das Wetter mitspielte, schlief der junge Wilde allerdings draußen unter dem Sternenhimmel.

Das tat er immer noch.

Nachdem man ihn entdeckt und aus diesem wilden Dasein »errettet« hatte, brachte das Jugendamt den kleinen Jungen vorübergehend bei einer Pflegefamilie unter. Angesichts des großen Medienechos rechneten fast alle damit, dass sich die Eltern bald melden und den »kleinen Tarzan« für sich beanspruchen würden. Doch aus Tagen wurden Wochen. Dann Monate. Dann Jahre. Dann Jahrzehnte.

Drei Jahrzehnte.

Niemand hatte sich gemeldet.

Natürlich gab es Gerüchte. Manche glaubten, dass Wilde einem mysteriösen und verschwiegenen Bergvolk entstammte und der kleine Junge weggelaufen war, weil man ihn dort womöglich vernachlässigt hatte. Vielleicht hatten die Angehörigen dieses Stamms Angst zuzugeben, dass er zu ihnen gehörte. Andere spekulierten, dass die Erinnerungen des kleinen Jungen unzutreffend wären, da er nicht jahrelang allein im gefährlichen Wald hätte überleben können, und er außerdem zu sprachgewandt und intelligent war, als dass er ohne Eltern aufgewachsen sein könnte. Diese Leute gingen davon aus, dass dem kleinen Wilde etwas Schreckliches zugestoßen war – etwas Traumatisches, das er nur bewältigen konnte, indem er jede Erinnerung an den Vorfall verdrängte.

Wilde wusste, dass das nicht stimmte, aber es spielte auch keine Rolle.

Die einzigen Erinnerungen an seine frühe Kindheit blitzten als unverständliche Visionen oder in Träumen auf: ein rotes Geländer, ein dunkel eingerichtetes Haus, das Porträt eines Mannes mit Schnurrbart, und manchmal meinte er eine Frau schreien zu hören.

Wilde – sein Ziehvater hatte sich diesen passenden Namen ausgedacht – wurde zu so etwas wie einer modernen Mythengestalt. Er war das lokale Schreckgespenst, das allein in den Bergen lebte. Wenn Eltern in der Umgebung von Mahwah sichergehen wollten, dass ihre Kinder vor Sonnenuntergang nach Hause kamen oder keine Streifzüge durch die ausgedehnten, dichten Waldgebiete unternahmen, griffen sie oft auf die Geschichte vom Jungen aus dem Wald zurück. Bei Einbruch der Dunkelheit würde er aus seinem Versteck kommen – wild, ungestüm und blutdürstig.

Drei Jahrzehnte waren inzwischen vergangen, und noch immer hatte niemand eine Vorstellung davon, woher er stammte. Auch Wilde selbst hatte sie nicht gehabt.

Bis jetzt.

Aus seinem geparkten Mietwagen beobachtete Wilde, wie Daniel Carter auf der gegenüberliegenden Straßenseite die Haustür öffnete und auf seinen Pick-up zuging. Mit der iPhone-Kamera zoomte er das Gesicht seines Vaters heran und schoss ein paar Fotos. Er wusste, dass Daniel Carter derzeit an einem neuen Bauprojekt arbeitete – zwölf Wohneinheiten mit jeweils drei Schlafzimmern, zwei Badezimmern, einer Gästetoilette und, wie es auf der Website hieß, einer Küche mit »anthrazitfarbenen Schrankfronten«. Wenn man auf der Website auf »Über uns« klickte, erschien: »Dream House Construction plant, errichtet und verkauft seit mehr als fünfundzwanzig Jahren qualitativ hochwertige Häuser, die ganz auf Ihre Bedürfnisse und Träume zugeschnitten sind.«

Wilde mailte drei Fotos von der Website an Hester Crimstein, eine renommierte Anwältin aus New York City, die für ihn so etwas wie eine Ersatzmutter geworden war. Er fragte sie auch, ob sie eine Ähnlichkeit zwischen ihm und dem Mann sah, der womöglich sein leiblicher Vater war.

Fünf Sekunden, nachdem er auf Senden gedrückt hatte, rief Hester an.

Wilde ging ran und fragte: »Und?«

»Holla.«

»Holla, der sieht ja aus wie ich?«

»Wenn er dir noch ähnlicher sehen würde, Wilde, hätte ich angenommen, dass du eine Alterungssoftware benutzt hast.«

»Du glaubst also …«

»Das ist dein Vater, Wilde.«

Er saß nur ganz ruhig mit dem Handy am Ohr da.

»Alles okay mit dir?«, fragte Hester.

»Ja.«

»Wie lange beobachtest du ihn schon?«

»Seit vier Tagen.«

»Und was hast du jetzt vor?«

Wilde überlegte. »Ich könnte die ganze Sache einfach auf sich beruhen lassen.«

»Quatsch.«

Er sagte nichts.

»Wilde?«

»Was ist?«

»Du bist ein Opfer«, sagte Hester.

»Opfer.«

»Das Wort hab ich von meinem Enkel. Es bedeutet Feigling.«

»Ja, das war schon klar.«

»Geh schon und rede mit ihm. Frag ihn, warum er einen kleinen Jungen allein im Wald zurückgelassen hat. Ach, und dann ruf mich sofort an, ich bin nämlich wahnsinnig neugierig.«

Hester legte auf.

Daniel Carter hatte weiße Haare, sonnengebräunte Haut und muskulöse Unterarme, wahrscheinlich weil er schon sein Leben lang körperlich arbeitete. Die Familie schien sich, wie Wilde beobachtet hatte, ziemlich nahe zu stehen. Gerade stand seine Frau Sofia lächelnd in der Tür und winkte zum Abschied, als er in seinen Pick-up stieg.

Letzten Sonntag hatten Daniel und Sofia in ihrem Garten ein Grillfest für die ganze Familie veranstaltet. Ihre Töchter Cheri und Alena waren mit ihren Familien da gewesen. Daniel hatte am Grill gestanden, mit Kochmütze und einer Schürze, auf der »Göttergatte« stand. Sofia hatte Sangria und Kartoffelsalat vorbereitet. Zum Sonnenuntergang machte Daniel ein Feuer in der Feuerstelle, und tatsächlich röstete die ganze Familie Marshmallows und spielte Brettspiele, wie in einem Gemälde von Norman Rockwell. Bei diesem Anblick und dem Gedanken an das, was ihm entgangen war, erwartete Wilde eigentlich, einen stechenden Schmerz zu verspüren, in Wahrheit fühlte er jedoch sehr wenig.

Dieses Leben war nicht besser als seines. Es war nur anders.

Er kämpfte mit dem Wunsch, zum Flughafen zu fahren und nach Hause zu fliegen. Die letzten sechs Monate hatte er damit verbracht, in Costa Rica mit einer Mutter und ihrer Tochter so etwas wie ein normales Familienleben zu führen, aber es wurde Zeit, in seine abgelegene Ecocapsule tief im Herzen der Ramapo Mountains zurückzukehren. Da gehörte er hin, da fühlte er sich am ehesten zu Hause.

Allein. Im Wald.

Hester Crimstein und der Rest der Welt mochten »wahnsinnig neugierig« sein und mehr über die Herkunft des »Jungen aus dem Wald« wissen wollen, der Junge selbst war es nicht. Er war es auch nie gewesen. Seine Eltern waren entweder tot, oder sie hatten ihn im Stich gelassen. Welche Rolle spielte es da, wer sie waren, oder aus welchem Grund sie das getan hatten? Es änderte nichts, zumindest nicht zum Besseren.

Wilde ging es gut, besten Dank auch. Warum sollte er ohne jede Not Unruhe in sein Leben bringen?

Daniel Carter startete den Motor seines Pick-ups. Er fuhr die Sundew Avenue hinauf und bog links ab in die Sandhill Sage Street. Wilde folgte ihm. Vor ein paar Monaten war Wilde der Versuchung erlegen und hatte seine DNA widerstrebend an eine dieser Ahnenforschungs-Websites geschickt, die gerade so angesagt waren. Das hatte noch nichts zu bedeuten, dachte er. Falls es eine Übereinstimmung geben sollte, könnte er sie immer noch ignorieren. Es war nicht mehr als ein unverbindlicher erster Schritt.

Die Ergebnisse brachten keine weltbewegenden Neuigkeiten. Die größte Übereinstimmung bestand mit einem Mann mit den Initialen PB, der laut der Ahnenforschungs-Website ein Cousin zweiten Grades war. Na super. PB meldete sich über die Website. Als Wilde gerade antworten wollte, machte das Leben ihm einen dicken Strich durch die Rechnung. Zu seiner eigenen Überraschung verließ er nach all den Jahren den Wald, den er immer als sein Zuhause bezeichnet hatte, um sich in Costa Rica in einem etwas unkonventionellen Familienleben zu versuchen.

Es war nicht wie geplant verlaufen.

Vor...

Erscheint lt. Verlag 24.8.2022
Reihe/Serie Wilde ermittelt
Übersetzer Gunnar Kwisinski
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Match
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Amerikanischer Autor • Bestseller Autor • krimi und thriller • Neuerscheinung 2022 • Paperback • Psychothriller • Reihe • Zweiter Band
ISBN-10 3-641-28651-4 / 3641286514
ISBN-13 978-3-641-28651-4 / 9783641286514
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