Nebelblau (eBook)
400 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01177-9 (ISBN)
Tove Alsterdal, 1960 in Malmö geboren, zählt zu den renommiertesten schwedischen Spannungsautor:innen, ihre Romane erscheinen in 25 Ländern und wurden vielfach ausgezeichnet. Mit der Trilogie um Ermittlerin Eira Sjödin gelang ihr in Schweden ein Sensationserfolg, für «Sturmrot» erhielt sie den Schwedischen Krimipreis 2020 und den Skandinavischen Krimipreis 2021, ebenso wie «Erdschwarz» stand der Roman wochenlang auf Platz 1 der schwedischen Bestsellerliste. Auch in Deutschland stiegen die Romane sofort in die Top 10 der Spiegel-Bestsellerliste ein. Die Filmrechte sicherte sich eine Hollywood-Produktionsfirma.
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Paperback (Nr. 35/2023) — Platz 16
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Paperback (Nr. 34/2023) — Platz 11
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Paperback (Nr. 33/2023) — Platz 10
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Paperback (Nr. 32/2023) — Platz 10
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Paperback (Nr. 31/2023) — Platz 3
Tove Alsterdal, 1960 in Malmö geboren, zählt zu den renommiertesten schwedischen Spannungsautor:innen, ihre Romane erscheinen in 25 Ländern und wurden vielfach ausgezeichnet. Mit der Trilogie um Ermittlerin Eira Sjödin gelang ihr in Schweden ein Sensationserfolg, für «Sturmrot» erhielt sie den Schwedischen Krimipreis 2020 und den Skandinavischen Krimipreis 2021, ebenso wie «Erdschwarz» stand der Roman wochenlang auf Platz 1 der schwedischen Bestsellerliste. Auch in Deutschland stiegen die Romane sofort in die Top 10 der Spiegel-Bestsellerliste ein. Die Filmrechte sicherte sich eine Hollywood-Produktionsfirma. Hanna Granz, geboren 1977, hat in Bonn Skandinavistik und Literaturwissenschaften studiert. Seit 2012 arbeitet sie als freie Übersetzerin und hat u.a. Romane von Sofie Sarenbrant, Patrik Svensson und Alex Schulman ins Deutsche übertragen.
Eira Sjödin schlüpfte rasch aus der Trainingshose, wechselte die Unterwäsche und zog sich etwas an, das besser zu einer Ermittlerin passte, die in der Abteilung Gewaltverbrechen arbeitete. Der Pullover war fleckig, roch wahrscheinlich auch ein wenig nach Schweiß – darüber dachte sie nicht groß nach, wenn sie zu Hause vor dem Bildschirm saß und sogenannten Innendienst schob.
Sie setzte Kaffee auf, nahm Toastbrot aus dem Gefrierfach. Ein Mensch im Fluss, hatte ihr Nachbar am Telefon gesagt.
«Habt ihr den Rettungsdienst gerufen?» Eira war schon halb in den Schuhen und zur Tür hinaus gewesen, als Allan Westin erklärte, der Mensch sei mausetot.
«Okay», sagte Eira. «Bring die Leute her.»
Ein frischer Wind zog durch die Küche, als sie die Fenster zum Querlüften öffnete. Genau genommen war ein Leichenfund im Fluss keine Angelegenheit für ihre Abteilung, solange es dabei nicht um Mord ging. Das war Aufgabe der Kommunalpolizei, und zu der gehörte sie nicht mehr. Wenn Eira daran dachte, wurde sofort die Sehnsucht in ihr wach, wieder auf der Straße zu sein, die endlosen Entfernungen, nie zu wissen, was sich hinter der nächsten Kurve verbarg.
Sie stellte den Laptop beiseite und schob die Ermittlungsunterlagen zusammen, die auf dem ganzen Küchentisch verteilt lagen. Notizen über Bankkonten, Namen, Telefonnummern, so etwas. Ein größeres Drogennetz, das sie zu entwirren versuchten und das ständig wuchs. Eine absolut wichtige Polizeiaufgabe, und entscheidend, um unten in Sundsvall Anklage gegen den Hauptverdächtigen erheben zu können, aber Eira war nicht Polizistin geworden, um vor dem Rechner zu sitzen. Es machte sie müde und rastlos, egal, ob sie sich in einem engen Büro in Sundsvall oder am heimischen Küchentisch befand, was seit der Pandemie vollkommen normal war.
Zwar konnte auch eine schwangere Frau ab und zu rausfahren und am Rande der Ermittlungen mit Zeugen sprechen, die als harmlos galten, aber oft war das Risiko nur schwer einzuschätzen, und ihre Vorgesetzten waren sehr auf ihre Sicherheit bedacht.
Innendienst also, von Tag eins an, weil Eira bereits schwanger gewesen war, als man ihr den Job angeboten hatte.
Damals war alles noch ganz neu und aufregend für sie gewesen, in der Zeit zwischen Spätherbst und Winter. Man konnte noch nichts sehen, aber sie hatte es natürlich unverzüglich angeben müssen.
In Momenten des Zweifels kam es ihr vor, als hätte sie die Kollegen betrogen, als hätte sie das hier nur dem Antidiskriminierungsgesetz zu verdanken, obwohl alle beteuerten, sie wollten sie unbedingt haben und dass eine Schwangerschaft ja etwas Vorübergehendes sei. Die Gewerkschaftsbeauftragte hatte selbst drei Kinder und konnte das bestätigen.
«Hallo», rief jemand auf der Vortreppe.
Allan Westin trat ein, wie immer ohne zu klopfen, sie waren schließlich Nachbarn. Patrask purzelte hinterher, verteilte Schmutz und Feuchtigkeit auf dem Boden.
Ihm folgten drei Personen in Freizeitkleidung, die ihr die Hand schüttelten, zwei Männer und eine Frau. Jesper, Lars und Ylva, die Nachnamen konnte sie sich später noch notieren.
Eira bat sie, sich zu setzen. Allan blieb am Herd stehen. Ein Duft nach getoastetem Brot und Kaffee breitete sich in der Küche aus, während die Frau erzählte, wie sie beim Tauchen plötzlich dem Wunsch, unter der Sandö-Brücke hindurchzuschwimmen, nicht widerstehen konnte, und wie sie dabei die Orientierung verloren hatte. Sie war um die fünfzig, graues Haar mit blonden Strähnen.
«Es war wie in einem Nebel», sie rührte das Brot nicht an, ließ den Kaffee in der Tasse kalt werden, «oder eher wie in einem Traum. Ich habe den Schädel angestarrt und alles andere vergessen. Da unten verliert man das Zeitgefühl, ich kann gar nicht sagen, wie lange ich dort war.»
«Neun Minuten», sagte Jesper, der jüngere der beiden Männer, im värmländischen Dialekt. «Ich war gerade dabei, die Überreste der Brücke zu filmen, und hatte Ylva aus den Augen verloren. Das ist nicht ungewöhnlich. Es ist dunkel, die Sicht beträgt nur wenige Meter. Wenn wir uns verlieren, suchen wir zwei Minuten nacheinander, dann steigen wir auf. Als ich sie oben auch nirgendwo gesehen habe, sind Lars und ich noch mal runter, um sie zu suchen.»
«Es war meine Schuld», sagte Ylva, «ich war total fasziniert von dem, was ich da unten gesehen habe, alles andere habe ich völlig vergessen. Ich dachte, ich bin vielleicht diejenige, die …» Ihr Blick flackerte, sie wusste nicht weiter.
«Erzählen Sie, was Sie gesehen haben», bat Eira.
Es dauerte ein wenig, die Frau vermischte Fakten und Gefühle, meinte, dass sie da unten den Tod selbst gesehen habe.
«Es kommt eher selten vor, dass wir menschliche Überreste in der Nähe von gesunkenen Schiffen finden», mischte Lars sich ein, «seltener, als man vielleicht denkt. Meistens gelingt es den Menschen, von Bord zu kommen. Ihre Leichen werden von der Strömung weggetrieben. Wenn wir jemanden finden, dann oft tief im Inneren des Wracks, wenn die Person im Schlaf überrascht worden ist.»
Bilder aus dem Film Titanic tauchten in Eiras Kopf auf, die Passagiere in der dritten Klasse, die man eingesperrt hatte, Leonardo DiCaprio, unter Deck angekettet. Die Ballade über die Brigg Blue Bird av Hull, der Schiffsjunge an die Ruder gezurrt und an Bord vergessen, solche Bilder. Ertrinken, ohne jede Möglichkeit, sich zu retten.
Nachdem sie die Kollegin gefunden und sich vergewissert hatten, dass es ihr gut ging, war einer von ihnen noch mal hinuntergetaucht, um alles zu dokumentieren. Eira beugte sich über die Kamera. Verschwommene Umrisse von etwas Hellerem im Sand, oder woraus auch immer das Sediment bestand. Blaulehm vielleicht, das wusste sie noch von früheren Funden, der hatte in Kombination mit dem leicht salzigen Wasser des Binnenmeers eine konservierende Wirkung.
«Wissen Sie schon, um was für ein Schiff es sich handelt?»
«Nein, bisher sind wir da noch nie getaucht», sagte Jesper. «Aber es ist groß, größer als die meisten anderen, die dort liegen.»
Vielleicht eine Dampfbarkasse, eine Fähre, ein größerer Schlepper – die meisten Funde im Ångermanälven seien noch unerforscht. Erst vor wenigen Jahren habe man damit begonnen, die Überreste per Sonartechnik zu kartieren; von der Oberfläche aus könnten die Schallwellen Bilder von Gegenständen bis in einer Tiefe von dreißig Metern erstellen. Jesper zog einen Laptop heraus, um es ihr zu zeigen.
Die Fotos ähnelten eher Kunstwerken als etwas Realem. Brauntöne, fast sepiafarben, die Schatten und Umrisse verstreut daliegender Schiffe.
Es sei eine Art Weltrekord, dass innerhalb so kurzer Zeit dreihundert Wracks gefunden worden seien. In Ufernähe sehe es da unten aus, als hätte jemand ein Kartenspiel ins Wasser geworfen, Vierkantprahme, die benutzt worden seien, um das Holz zu den Schiffen zu transportieren. Als die Dampfschiffkais gebaut wurden, seien sie plötzlich überflüssig geworden, am einfachsten sei es gewesen, sie zu versenken. Ein Teil der Funde sei als «wrackähnliche Objekte» kategorisiert worden, die müsse man noch näher untersuchen. Ein paar könnten der Größe und Form nach sogar aus dem siebzehnten Jahrhundert stammen, am Fluss entlang habe es Schiffswerften gegeben, die während des Dreißigjährigen Krieges Schiffe gebaut hätten.
Eira zeigte auf ein gelb eingefärbtes Band, das sich von Lunde nach Sandö erstreckte, es sah aus wie ein Streichholz, das jemand in der Mitte durchgebrochen hatte.
«Ist das die Brücke?»
«Das ist die Brücke.»
Eira hatte nie darüber nachgedacht, dass sie ja tatsächlich da unten liegen musste. Der schreckliche Brückeneinsturz war eine der vielen Wunden dieser Gegend, die nie richtig verheilt waren. Mit dem Finger zog sie eine Linie zu der Stelle, an der sie die Leiche gefunden hatten.
«Die Strömung kann hier ziemlich stark sein …» Eira war mit solchen Warnungen aufgewachsen: Bleibt nah am Ufer, wenn ihr badet, geht niemals alleine rein.
«Ja, die Leiche kann tatsächlich ziemlich weit abgetrieben worden sein, wenn es das ist, woran Sie denken.»
Sie wechselte einen Blick mit Allan, der an den Holzofen gelehnt dastand, die Kaffeetasse in der Hand, wahrscheinlich beschäftigten ihn ähnliche Gedanken. Die Verschollenen.
Deren Namen in keinen Grabstein eingraviert worden waren, die verunglückt oder in den Fluss gegangen oder hineingeworfen worden waren, Namen, die sich in ihren Köpfen sofort zu Listen gruppierten.
Eira schob Patrask beiseite, der sich an sie drängte und gestreichelt werden wollte, sein Fell stank nach allem Möglichen, was nach der Schneeschmelze wieder zutage gekommen war. Sie schrieb sich die genauen Koordinaten des Funds auf. Sechzehn Meter Tiefe, das war gar nicht so viel, es gab Stellen, an denen der Fluss hundert Meter tief war.
«Entschuldigen Sie die Frage, aber können wir dann wieder rausfahren?», fragte Jesper. «Ich weiß, dass es unsensibel erscheint, aber wir wollen möglichst wenig Zeit verlieren.»
Marinearchäologie war ein unterfinanziertes Geschäft, deshalb fuhren sie auch so frühmorgens schon raus: um den Tag so gut wie möglich zu nutzen.
Das nahende Sommerlicht, die Nächte, die sich bald kaum mehr vom Tag unterscheiden würden.
«Kein Problem, solange Sie Abstand halten.» Eira zeichnete mit dem Finger einen Kreis auf der Seekarte, die sie ihr vorgelegt hatten, ein gutes Stück um das Wrack und beinahe die gesamte Fahrrinne zwischen Sandö und Lunde herum. «Das hier müssen Sie als Tatort betrachten.»
Sie begegnete dem entsetzten Blick der Frau.
«Das ist bloß Routine», fügte sie schnell hinzu, «zur...
Erscheint lt. Verlag | 18.7.2023 |
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Reihe/Serie | Die Eira-Sjödin-Trilogie | Die Eira-Sjödin-Trilogie |
Übersetzer | Hanna Granz |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Ådalen • Adalenkirmi • bestsellerliste spiegel aktuell • GG • GLass Key Award • Klassischer Kriminalroman • Krimi Neuerscheinungen 2023 • Nordschweden • Norrland • Schwedenkrimi • Schwedischer Krimipreis • Skandinavien Krimi • Skandinavischer Krimipreis • spiegel bestseller • Spiegel Bestseller 2023 • Spiegel Bestseller-Autorin • Wasserleiche |
ISBN-10 | 3-644-01177-X / 364401177X |
ISBN-13 | 978-3-644-01177-9 / 9783644011779 |
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